Читать книгу Frikadellen für Marrakesch - Hanna Jakobi - Страница 6

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Kapitel 1

Susan stand vor dem Spiegel und versuchte zum xten Mal, einen vorzeigbaren Lidstrich unter ihr rechtes Auge zu ziehen. Wie lange war es her, als das selbstverständliche Handgriffe für sie waren? Sie erinnerte sich nicht. ›Sich anmalen‹, wie sie es nannte. Um solche Äußerlichkeiten bemühte sie sich nur, wenn es gar nicht anders ging.

Die Vorbereitung zu diesem Abend forderte ihr Überwindung ab. Ihre Arme waren längst wie Blei. Das Geschminke strengte sie an. Angezogen hatte sie sich auch noch nicht. Wirklich motiviert hätte man nichts an ihr nennen können.

Ihre Freunde, die Therapeutin und diese lästigen Stimmen in ihrem Kopf hatten ja recht: Sie durfte sich nicht immer einsperren. Es musste Schluss sein. Schluss mit dem Gefängnis, das sie sich selber baute.

Das Intercom neben der Vordertüre piepte. Mit einem halb angemalten Auge spurtete sie, in Unterwäsche, zur Sprechanlage.

»Wir – sind – es! Bist – du – fertig?«

Susan schüttelte grinsend den Kopf. Sigi brüllte jedes Wort einzeln! Dem ITler war das altertümliche Sprechdings suspekt! Sie konnte ihn vor ihrem inneren Auge sehen, wie er, den Hörer am Tor weit von sich gestreckt, versuchte, in die Muschel zu plärren. Auch ohne die Anlage hätte man jedes Wort bis zu ihr rauf verstanden.

Das Lachen war der Kick, den sie brauchte – Sie waren da! Ihre drei Chaotenfreunde warteten vor dem Tor auf sie!

»Gebt mir fünf Minuten!«

Sie wollte gerade auflegen, um ihr rechtes Auge fertig zu malen, als es in dem Kasten an der Wand noch einmal knackte.

»Können wir kurz rein?«

»Äh, nö, Yasid hat Hasan schon rausgelassen. Ich denke ihr wartet besser kurz vorm Tor.«

Sie steckte den Hörer auf die Halterung an der Wand und verschwand im Bad.

Kaum zehn Minuten später schnappte sie sich im Vorbeigehen Jacke und Tasche und flitzte, allerdings mit gebührender Vorsicht, die Vordertreppe hinunter.

Die Stufen hatten sich in den Jahrzehnten, die das Riad genutzt wurde, in der Mitte gesenkt. Wenn man nicht aufpasste, war man verdammt fix unten.

In dem engen Innenhof strahlte ihr abendliche Kühle entgegen. Hasan lag in seiner Ecke und kaute an einem Knochen. Sein beachtliches Gebiss hatte dem Teil gehörig zugesetzt. Als er Susan sah, sprang er auf und trabte auf sie zu. Hasan, ihr Wachhund – er war im Dienst.

Susan klopfte dem Mastiff auf die muskulöse Flanke. Hasan ließ sie gewähren, schaute kurz hechelnd zu ihr hoch.

»Alles klar«, sagten seine Augen, »ich pass’ auf dich auf, Susan!«

Sie war deutlich entspannter, seit das Tier bei ihnen lebte. Sie mochte Hunde, wenn auch nicht unbedingt Kampfhunde solchen Ausmaßes. Aber mit ihm kam sie sich beschützt vor, immerhin in den eigenen vier Wänden.

Nach dem Erlebnis vor inzwischen über einem Jahr hatte sie sich wochenlang nicht mehr vor die Türe getraut. Selbst in ihrer Wohnung im ersten Stock war sie kaum zur Ruhe gekommen. Nach Monaten mit Evas Hilfe, lief es inzwischen aber wieder halbwegs normal.

Vor dem Haus war Sigis ungeduldiges Hupen zu hören.

Am Tag hätte man das aus dem ganzen Straßenlärm kaum herausgehört. Aber jetzt am Abend war es rund um das Haus erheblich leiser. Nach Sonnenuntergang, wenn das Gebet des Imam verhallt war, kehrte Stille in diesen Teil der Medina. Der ganze Rummel konzentrierte sich nachts dann in und um den Souk, der hunderte Meter weiter Richtung Zentrum lag. Zumindest hier, in dem Komplex in dem Susan das Riad gemietet hatte, verschwand das Getümmel nach dem Abendgebet. Es war einsame – friedvoller. Wenn das auch täuschte. Jedenfalls das mit dem Frieden. Die Atmosphäre am Abend war mit ein Grund, warum sie lange verbissen um den Hof gefeilscht hatte. Seit dem letzten Jahr aber, war ihr die Leere der Gassen, in denen sie nachts nun jeder streunende Köter aus dem Schlaf schreckte, eher ein Graus.

Vor dem Haus tönte wieder die Hupe.

»Tja Hasan, dann werd’ ich mal – auch dir einen schönen Abend mein Lieber.«

Sie kraulte dem Hund hinter dem Ohr, zog die Riegel des wuchtigen Holztores auf und entsperrte die beiden unpassend modern anmutenden Sicherheitsschlösser. Sie war schon halb durch die Türe, als Yasid aus dem Haus gestürmt kam und ihr zuwinkte.

»Geh’ Du nur Fräulein, Yasid macht fertig hier.«

Seine Augen blitzten sie an.

Susan winkte zurück, dankte ihm mit einem Kopfnicken und ging zu ihren Freunden ans Auto. Hoffentlich schloss er ordentlich hinter ihr zu.

Sigi saß auf dem Fahrersitz – wen wunderte es, er gab in ihrer Truppe den Ton an – und trommelte mit seinen Fingern auf das Lenkrad.

»Frauen ... Muss man immer warten.« Er grinste zweideutig in den Rückspiegel. Durch die heruntergekurbelte Seitenscheibe hauchte sie ihm einen Kuss auf die Wange. Ralf war inzwischen gentlemanlike vom Beifahrersitz aufgesprungen. Er nahm sie leicht verkrampft in den Arm – Küsschen rechts, Küsschen links – und bot ihr seinen Sitzplatz neben dem Fahrer an. Susan winkte ab, quetschte sich lieber zu Brigid auf die Rückbank.

»Schön, dass du wieder mitkommst!«

Brigid umarmte sie herzlich. Ihre Augen strahlten. Das taten sie im Grunde ständig und bei jedem. Heute freute sie sich aber ehrlich, dass ihre Busenfreundin mit an Bord war.

»Geht es dir gut?«

Susan nickte lächelnd. Gut war entschieden übertrieben. In Wirklichkeit fühlte sie sich nicht einmal ok. Nicht annähernd. In Wirklichkeit war ihr speiübel. Spät abends, und im Dunklen. Da war es noch immer eine Überwindung für sie aus dem Haus zu gehen. Aber es musste sein. Sie musste sich wieder daran gewöhnen. Üben. Immer und immer wieder. Sie konnte sich nicht ihr Leben lang verstecken und wegsperren. Das Dreckspack, das ihr das angetan hatte, hatte auch keiner hinter Gitter gesetzt.

»Zum Fishavi, die Damen?«

Eine rein rhetorische Frage vom Fahrersitz.

Die vier gingen immer ins Fishavi.

Der Club hatte reichlich Vorteile. Zum einen zahlte man keinen Eintritt. Gut, dafür waren die Preise für Getränke und Essen gesalzen, aber das Essen halbwegs ordentlich gemacht und für Clubverhältnisse das Geld wert. Das war der zweite Vorteil vom Fishavi – es gab dort nicht nur zu trinken. Auch keine brüllende Musik wie in den meisten anderen Clubs, um sich die ganze Nacht die Seele aus dem Leib zu schütteln. Man konnte gepflegt essen und ohne sich anzuschreien, Konversation betreiben. Die Sitznischen waren geschickt von der Tanzfläche abgeschirmt, dass man sich nicht über den Lärm der Musikanlage hinweg anbrüllen musste. Was sonst in den Nischen geschehen durfte, mochte für einige, vor allem heimliche, einheimische Pärchen ein weiterer Vorteil sein. Was im Fishavi passierte, blieb im Fishavi. Hier war quasi alles erlaubt.

Der Club galt über die Grenzen der Stadt hinaus als der Schmelztiegel der Kulturen, die in Marrakesch aufeinandertrafen – Einheimische, Europäer, ein paar Russen, ab und an ein Ami. Nur – und das war einer der größten Vorteile des Fishavi – Touristen gab es hier nicht. Die wären zwar vor Verzückung geschmolzen – in die breiten Sessel hineingeschmolzen, hätten sie die Chance bekommen, das Innere der Location auch nur zu sehen. Aber Touris waren unentspannt. Wie hektische Trüffelschweine, die mit ihren Nasen unablässig aufgeregt durch den Dreck suhlten.

Touris machten die Atmosphäre kaputt. Und von Atmosphäre gab es im Fishavi genau die richtige Dosis: Orientlook, aber ohne Plüsch und Samtkissen, erdige Farbkombis, die einen vom Hinsehen allein, in wenigen Sekunden ins 1001 Nachtfeeling katapultierten. Das wahre Marokko in moderner Aufmachung, das Alte, das mit ganz viel Seele und Humphrey Bogart-Sehnsuchtsflair neben Weltoffenheit und guter Mucke.

Und ins Fishavi kam nicht jeder rein. Man musste schon jemanden kennen. Am besten jemanden, der mit Abdul persönlich war. Abdul, der Zweimeterkoloss mit dem sanften Schlafzimmerblick, dem der Club gehörte.

Abdul hatte irgendwann einmal einen Computer gebraucht, besser so ein IT-Netzwerk, das seine Lokale, die er im gesamten Lande verstreut betrieb, mit dem Fishavi verband. Der Club hier in Marrakesch war sein Hauptsitz, seine Residenz. Kassensystem, Buchhaltung, oder das was er unter Buchhaltung verstand. Automatisierte Einkaufslisten und Abrechnungen – sowas brauchte Abdul damals. Und da war Sigi ins Spiel gekommen. Der arbeitete in einem dieser Softwareunternehmen, die Datenautobahnen durch die ganze Welt zogen. Und Sigi war für Nordafrika, für Marokko, zuständig.

Sein bester Freund aus Studientagen, Ralf, war aktuell von seinem Unternehmen, das irgendwelche Speichereinheiten für Computer herstellte, nach Fes geschickt worden, um dort Anlage und Arbeiter in Form zu bringen. Ralf war fasziniert von der marokkanischen Kultur und angenervt von der Arbeitsmoral seiner Bewohner. Wenn einer über seinen Job schimpfte, war es Ralf.

Ralf lernte Brigid auf einem Firmenempfang der deutschen Botschaft kennen, in der sie als Übersetzerin arbeitete und Susan kannte Brigid noch aus Deutschland.

Susan selbst war schon lange überzeugter Orientfan. Durch unzählige Reisen und Recherchen zum Experten rangiert, bat sie ihr Verlag, einen Reiseführer über das Land zu schreiben. Vom Insider aus erster Hand, quasi. Dafür hatte ihr der Verleger das Haus in der unteren Medina ein halbes Jahr auf Spesen zur Verfügung gestellt.

Susan hatte es in Marrakesch so gefallen, dass sie geblieben war. Inzwischen lebte sie vier Jahre hier. Die beiden Letzten davon auf eigene Kosten. Der Veröffentlichungstermin des Reiseführers ließ sich irgendwann nicht mehr länger hinauszögern.

Ihre Kolumne in einer bekannten Frauenzeitschrift verkaufte sie mit Sigis Hilfe unverschämt gewinnbringend. Mit den Einnahmen daraus musste sie sich keine grundsätzlichen Gedanken mehr um ihre finanzielle Situation machen. Ihr letzter Roman schlug dazu einigermaßen ein, sodass sie eine gewisse Summe zurücklegen konnte – wenn das Werk es auch nicht auf irgendeine Bestsellerliste geschafft hatte. Ihr neues Projekt lag nahezu fertig in der Schublade, aber eben nur nahezu. Momentan konnte sie von der Überarbeitung, dem letzten Feinschliff für die Veröffentlichung, nur träumen. An Arbeiten, die auch nur ein Minimalmaß an Konzentration verlangten, war erst langsam wieder zu denken. Ihre Lektorin stand ihr deshalb inzwischen regelmäßig zweimal die Woche mit einer Email auf den Füssen.

Der Verlag und ihre Fans warteten, und sie hing oft tagelang in diesem beschissenen, inneren Gefängnis fest. Die Türe wollte und wollte sich nicht öffnen. Sie kämpfte mit übermächtigen Dämonen, die ihr den Tag schwer und viele Nächte zur Qual machten. Auch wenn es aufwärtsging. Ihr fehlte langsam die Geduld mit sich selbst.

Sie war froh, wenigstens für ihre Kolumne termingerecht liefern zu können. Ideen gab es für die frechen Aphorismen und spritzigen Anekdoten genug. In den vergangenen Jahren hatte sie en masse Texte für ihre Spalte in dem Magazin, das alle zwei Wochen erschien, auf Vorrat geschrieben. Die schickte sie nun nach und nach an die Redaktion. Wenigstens, das bekam sie noch einigermaßen hin.

Frikadellen für Marrakesch

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