Читать книгу Frikadellen für Marrakesch - Hanna Jakobi - Страница 9

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Kapitel 4

Erstaunlicherweise hatte sie bis zum Abend nicht nur ein Quad für Brigid und Holger gebucht, sondern auch eine ansprechende Halbtages-Route durch das Gebirge für Donnerstag gefunden und sie an Steve geappt. Und sie hatte einen ganz netten Kolumnenbeitrag sendefertig in ihr Laptop gehakt. Er handelte von verschiedenen Männertypen und den dazugehörigen Allegorien zu Insekten: Mistkäfer, Kellerasseln, Küchenschaben, Marienkäferchen und – Gottesanbeter. Was ihr Kopf alles hervorbrachte, wenn er nur ausreichend unter Druck stand!

Morgen hatte sie einen Termin bei Eva und musste dafür zweimal durch die komplette Stadt. Bis sie am Abend zurückkäme, wäre sie sicher zu keiner vernünftigen Zeile mehr fähig. Gut, dass sie ihre Kolumne fertig hatte. Erleichtert sandte sie die Datei an die Redaktion.

Vor dem Date mit ihrer Therapeutin graute es ihr. Absagen wollte sie nicht. Im Grunde wollte sie ihre Ruhe haben und schlafen, doch der Ausflug am Donnerstag rumorte lautstark in ihr. Sie würde mit Steve dann in einem abgelegenen Flusstal sein. Vorfreude und Panik ritten Turniere in ihrem Gehirn. Wenn sie dabei nicht ständig gegen ihren Schädel geknallt wären!

Susan drückte die Fäuste an ihre Schläfen. Mit zusammengepressten Augen schüttelte sie den gesamten Körper von oben bis unten durch. Gebt Ruhe!

Wegen dem Aufruhr, der in ihr brodelte, war sie so froh, dass ihre Freundin und Holger mitkamen. Und der Termin bei Eva war vielleicht doch keine so schlechte Idee.

Als sie den Kühlschrank öffnete, machte ihr eine zurückgelassene halbe Gurke und ein angefangenes Päckchen Margarine darin klar, dass auch hier gehandelt werden musste: Sie sollte endlich wieder mal einkaufen! Das würde sie morgen, auf dem Rückweg von Eva, erledigen.

Während sie ihre letzten Muschelnudeln und einen Löffel Brühe in kochendes Wasser schüttete, bestellte sie Ahmed, den Taxifahrer ihres Vertrauens, für 10:00 Uhr direkt vor das Haus. Raus – ins Auto – zu Eva – mit Ahmed war das ok.

Das bekam sie inzwischen relativ entspannt hin.

Und bei ihm durfte sie sicher sein, dass sie an ihrem Ziel ankam und dafür auch keinen Touri-Utopie-Preis zu berappen hätte. Ahmed berechnete ihr nicht einmal den vollen Betrag des Taxameters. Für einen lächerlichen Obolus wartete er auf sie, während sie bei ihren Therapiesitzungen war. Ahmed war schwer in Ordnung. Sie war ihm so dankbar, was er für sie getan hatte. Sie würde ihm eine Flasche Raki aus dem Supermarkt mitnehmen. Ahmed war Türke und vermisste seine Heimat.

Am nächsten Morgen kam ihr Taxi auf die Minute. Ahmed hupte kurz und Susan spurtete aus dem Haus.

»Susan – benim Çiçek! Meine Blume! Komm rein. Schön dich zu sehen! Ist gut alles?« Ahmed freute es, dass sie noch immer mit ihm fuhr. Nicht nur wegen der paar Dirham.

»Salam Ahmed! Alles gut. Heute haben wir die große Tour vor uns. Ich hoffe du hast Zeit mitgebracht?«

»Für Dich kleine Çiçek? Immer!«

Der füllige Türke verriegelte die hinteren Türen und drehte den Zündschlüssel seines uralten Benz.

Im Schneckentempo schlängelten sie sich durch die engen Straßen der Medina. Über eine Stunde stauten sie durch die Stadt, ehe sie in eines der moderneren Viertel einbogen. Ahmed hielt den Wagen direkt vor dem Haus, in dem Eva ihre Praxis hatte. Er wartete, bis Susan sicher im Gebäude verschwunden war und fuhr erst dann weiter bis zur übernächsten Ecke, um in einem der Straßencafés bei Tee und Süßgebäck auf die junge Frau zu warten.

Eva öffnete die Türe, als sie Susan die Treppe herauf stapfen hörte. Ihr vorheriger Patient war bereits gegangen. Sie waren alleine in der Wohnung. Evas Professionalität sah es Susan im ersten Moment an, dass etwas geschehen war.

»Hallo meine Liebe. Bitte komm rein. Du siehst ja richtig frisch aus heute!«

Eva trat einen Schritt zurück, um sie durchzulassen. Susan zog ihre Sandalen aus und stellte sie in die Ecke neben die Türe. Während sie Eva in das hintere Zimmer folgte, in dem ihre Sitzungen stattfanden, sah sie in den großen Spiegel. Ihre Haut war rosig, die Augen klar. Diese Nacht hatte sie erstaunlich gut geschlafen.

Wie jede Stunde bot Eva Susan an, auf dem ausladenden Ledersessel Platz zu nehmen. Sie holte in der Zwischenzeit Block und Kugelschreiber aus ihrem Schreibtisch.

»Dir scheint es gut zu gehen. Das freut mich wirklich sehr Susan. Magst du mir von deinen letzten Wochen erzählen? Was ist denn alles passiert?«

Susan schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern. Mit den ganzen Kissen, die auf und um die Sessel lagen, baute sie sich ein Mäuerchen um ihren Bauch. Eva beobachtete es, ging aber nicht weiter darauf ein.

»Irgendetwas Besonderes vorgefallen, die letzten beiden Wochen? Du wirkst heute sehr gelöst auf mich.«

Susan runzelte die Stirn, während sie die letzten Tage in ihrem Gedächtnis durchblätterte: Der Termin in der Redaktion, ein paar Freunde kürzlich am Abend bei ihr. Sie hatten Wein und deutsche Brezeln mitgebracht. Vorgestern der Besuch im Fishavi. Ansonsten war es ruhig gewesen. Am Liebsten verbrachte sie ihre Zeit zu Hause.

Sie schüttelte nochmal den Kopf, zählte die Punkte für Eva auf.

»Und wie war es für dich, in dem Club zu sein? Hast du getanzt? Oder jemanden kennen gelernt?« Eva zog ihre Brauen ein wenig nach oben und lächelte ihr aufmunternd zu, als sie eine winzige Regung in Susans Augen wahrnahm. Susans Mundwinkel verzogen sich flüchtig.

»Jetzt machst du mich aber neugierig!« Sie lachte ihre Patientin offen an. Susan war einer der schwierigsten Fälle ihrer Laufbahn. Sie wünschte ihr von Herzen, dass sie nach ihrem schweren Trauma wieder in ein normales Sozialleben zurückkehren könnte. Es war allerdings fraglich, ob sie dafür schon bereit war. Eine Enttäuschung zu diesem Zeitpunkt würde sie meilenweit zurückwerfen. Ob sie ihr dann noch helfen konnte, wusste Eva nicht. Sie kannte Fälle, in denen die Zurückweisung eines Traumatisierten alles andere als zufriedenstellend geendet hatte.

»Ach so, ja ja, ich habe tatsächlich jemanden kennen gelernt, aber das ist jetzt nicht so wie du dir das vielleicht vorstellst. Also einfach – kennen gelernt eben.«

Sie hatte keine Lust, über Steve zu sprechen.

»Willst du mir davon erzählen?«

Nö, wollte Susan nicht. Trotzig schüttelte sie den Kopf. Wegen ihm war sie nicht hier.

»Er ist ok. Aber im Grunde nicht mein Typ. Irgendwie nicht so – männlich. Nett. Normalo halt. Ok, wir gehen am Donnerstag Quad fahren. Brigid und Holger kommen mit. Also einfach ein Ausflug eben.«

Sie hatte die Fäuste in die Taschen ihrer weiten Bluse gedrückt. Romantiklook. Die Rüschen und Knitterfalten betonten und versteckten ihre Weiblichkeit gleichzeitig. Hinter so viel Stoff fühlte sie sich momentan einigermaßen wohl in ihrem Körper.

»Vielleicht erzählst du mir ja das nächste Mal, wie es war. Ich wünsch’ dir jedenfalls einen tollen Tag und einen schönen Ausflug.«

Sie legte den Block und den Stift auf ihre Oberschenkel und sah Susan ernster an. Sie wollte nicht darüber reden? Auch gut. Dass es ›einfach ein Ausflug‹ wäre, glaubte sie ihr allerdings nicht. Dass ihre Freundin und ein Mann, den sie gut kannte, mitkamen, fand sie eine hilfreiche Konstellation. Ansonsten hätte sie Susan abgeraten.

»Und was machen wir heute? Über was möchtest du in dieser Stunde sprechen?«

Susan begann ihre Fäuste zu kneten, obwohl die in den Seitentaschen ihrer Bluse steckten. Sie hasste diese Frage, die Eva in jeder Stunde an den Anfang stellte. Jeder verdammten, verschissenen Therapiestunde.

Das Oberteil verzog sich, bis die Schulternähte unter allerhöchster Spannung standen.

Sie wusste nicht, über was sie sprechen wollte. In Wahrheit wollte sie gar nicht sprechen, sich nicht erinnern, nichts analysieren. Ruhe wollte sie. Stille in ihrem Kopf. Nicht immer wieder die Schreie hören müssen, von denen sie inzwischen wusste, dass es ihre Eigenen waren.

»Ich hatte dich in Hypnose bis zu den Männern geführt und du hast sie dir angesehen.«

Eva erinnerte sich gut an diesen Durchbruch. Susan hatte das erste mal eigene Ideen entwickelt, ihren Angreifern die Macht über sich zu entreißen.

Susan saß, äußerlich unbeteiligt, in dem breiten Sessel. Mit den ganzen Kissen um sie herum kam sie Eva wie ein Vogel in seinem Nest vor. Ein eben geschlüpftes winziges Vögelchen. Extrem zerbrechlich.

»Wenn du willst, können wir dort weiter machen.«

Da ihr nichts Besseres einfiel, nickte Susan ihrer Therapeutin, wenn auch zwiegespalten, zu. What else?

»Ok, du kennst das ja. Willst du in dem Sessel bleiben? Gut, dann streck’ doch wenigstens die Füße ein bisschen aus. Mach es dir so bequem wie möglich. Wir können aber auch auf das Sofa gehen.«

Susan schüttelte den Kopf. Nein, sie wollte in ihrem Kissenberg stecken bleiben. Das Sofa mochte sie nicht. Das war kalt und leer und stand irgendwie blöd im Raum herum. Ihr war schon nicht recht, dass sie ihre Schneidersitz- Halbbuddha-Haltung für die Tiefenentspannung aufgeben sollte.

»Wenn du bereit bist, können wir anfangen. Gut? Vertraue mir und deinem Unterbewusstsein. Ich führe dich hinein und führe dich auch wieder zurück. Dein Unterbewusstsein zeigt dir nur so viel, wie du bereit bist, zu ertragen. Vertraue darauf. Entspanne dich im ganzen Körper. Versuch so viel loszulassen wie dir möglich ist ... – ... Ok? Dann können wir loslegen, wenn du dich bereit fühlst.«

Mit sanfter Stimme begann sie Susan an den Zeitpunkt in ihrem Leben vor etwa einem Jahr zu führen, an dem der Überfall passierte.

Susan mochte den beruhigenden Klang und sie mochte Eva. Nie hatte sie etwas von ihr gefordert, das ihre angeschlagene Psyche nicht bewältigte. Eigentlich wollte sie ihre Ruhe, aber mit ihr ließ sie sich auf die Rückführung ein. Sie wusste, Eva war da.

»Schau dich um, siehst du jemanden in dieser Nebenstraße?« Sie waren an dem Zeitpunkt angekommen, an dem es passiert war. Susan hämmerte das Herz, dass es in ihren Ohren rauschte.

»Ja – da stehen sie.«

»Dann gehe so weit auf sie zu, wie es für dich in Ordnung ist. Schau sie dir an. Sie können dich nicht sehen, du kannst alles in Ruhe betrachten.«

Susan sah sich in ihrer imaginierten Szene lange um.

Da standen sie, die drei Männer, die ihr das angetan hatten. Ihr Leben, ihren Frieden in wenigen Stunden zerstörten.

Der Größte der drei war der Dickste. Seine Jeans hing abgetragen und ausgebeult unter seinem Bauch. Der Hosenbund verschwand nahezu. Einen Gürtel, sofern vorhanden, konnte sie nicht sehen. Das T-Shirt war genauso verwaschen und schlabberig wie die Hose, seine Frisur extrem ungepflegt. Er war unverkennbar ein Schlägertyp. Der stumpfe Handlanger der beiden anderen. Der, für die dreckigsten Aufträge. Was hatte er in der Hand? Einen Totschläger? Ein Messer? Schlagringe? Sie konnte es nur schemenhaft erkennen.

Der Mittelgroße sah dagegen überhaupt nicht nach Dreckschwein aus. Eher wie ein sportlicher Sunnyboy. Der sympathische Typ von nebenan. Hätte sie ihn unter anderen Umständen kennen gelernt, wäre sie vielleicht einen Kaffee mit ihm trinken gegangen. Ordentliche Stoffhose, legeres Hemd, Frisur akkurat, den kurzen Vollbart modisch ausrasiert. Der Traum aller 13-jährigen. Wieso hatte so jemand es nötig, sie derartig zu behandeln?

Der Kleinste, Drahtigste von ihnen war der klassische »Mitläufer«. Ein Judas. Direkt dabei, wenn der Chef es angab. Egal was. Katzbuckelig, mit unnatürlich stechenden Augen. Das Kinn zu spitz, der Hals zu kurz. Er erinnerte Susan an eine Ratte. Eine Kanalratte mit nacktem Schwanz, nur darauf aus, dass es für ihn selber reichte. Er war der Mieseste gewesen, hatte sich erst als Letzter getraut, als die beiden anderen ihm das Feld überlassen hatten. Und dann hatte er es mit perverser Macht genossen, sie zu schänden. Panik kroch ihr den Rücken hinauf, war dabei, ihr Gehirn in die Hand zu nehmen.

»Ich bin da Susan. Geht es noch? Erzähl mir, was du siehst. Wer ist bei dir?«

Susan war zu beschäftigt mit Schauen, um mit Eva zu sprechen. Sie hatte Angst. Sie können mich nicht sehen, redete sie sich zu. Etwas stupste an ihrer Hand. Susan wusste, wer zu ihr gekommen war.

»Hasan! Mein lieber Hasan!«

»Hasan ist bei dir? Klasse! Grüß ihn von mir bitte!«

Susan nickte und kraulte dem schillernden Drachen zwischen den Nüstern. Er blies ein bisschen warmen Dampf aus seinen Nasenlöchern. Liebevoll sah er sie mit seinen Hundeaugen an, tippelte kurz auf der Stelle, bis er Susan seine Flanke zudrehte, damit sie die schützende Wärme spüren konnte. Sanft zog sie einen seiner Flügel über sich, der selbst in dem regnerischen Halbdunkel der Szene wie ein silberner Regenbogen schillerte. Augenblicklich atmete sie leichter.

»Sie sehen dich nicht,« erinnerte sie Eva, »aber, sie können dich durchaus hören.«

Susan lugte skeptisch hinter Hasans Flügel hervor.

»Möchtest du einen oder mehrere etwas fragen? Möchtest du etwas sagen oder mit ihnen sprechen?«

Fragen? Schänden wollte sie sie! Mit dem Messer Muster in die Unterarme schneiden, wie sie es bei ihr versucht hatten. Die Säcke aufschlitzen und sie schreien hören. Tausend ihrer Schreie für jeden von ihren.

»Ich will endlich wissen warum.«

»Dann frag sie.«

Warum das – wollte sie sie fragen.

Warum musste das sein?

Warum habt Ihr es getan?

Warum ich?

Ihr habt doch jede Menge Frauen, die für euch anschaffen. Nehmt eine davon. Auf denen könnt ihr euch so lange abreagieren, wie ihr wollt. Die sind schon tot. Innerlich. Ich habe Euch nichts getan. Ich kenne Euch nicht einmal. Lasst mich und mein Leben in Ruhe!

»Susan, bitte sprich mit mir! Das ist wichtig. Was erlebst du gerade?« Susan atmete, bis sie genug Luft zum Sprechen hatte. Sie hatte den Atem angehalten.

»Ich steh’ vor ihnen. Ich möchte sie alle kaputt machen! Die sollen auch ihren Frieden verlieren! Kaputt machen, will ich sie!«

»Was hindert dich daran?«

»Ich weiß nicht.«

»Dann lass uns etwas unternehmen. Hast du eine Idee? Was könntest du tun?«

»Sie schänden. Zuschlagen. Zustechen.«

Dann wären sie kaputt und nicht mehr so stark – dachte sie. Dann wäre sie die Stärkere. Dann wäre die Angst vorbei! Dann wäre sie endlich frei!

»Gut. Wenn du das möchtest.«

Ihr Rücken klebte klatschnass an der Lehne des Ledersessels. Ihre Arme und Oberschenkel schmerzten. Sie krampfte mit ihren Händen.

»Aber erst entspannst du dich wieder Susan. Atme ganz ruhig und lass dir Zeit. Ich bin bei dir und Hasan auch.«

Susan streichelte das seidene Fell des Drachen. Sein Schnurren beruhigte sie. Er schlang seinen langen Hals zärtlich um ihren Oberkörper.

Ihre Hände lagen wieder gelöster in ihrem Schoss.

»Möchtest du weiter machen oder soll ich dich zurückbringen?«

Nein, sie war gerade so schön in Fahrt. Heute würde sie es ihnen zeigen. Sie reckte ein paar Finger in die Höhe.

»Dann schau noch einmal ganz genau auf die Männer. Siehst du sie?« Susan nickte.

»Erkennst du, wie aus ihren Händen, den Knien und aus der Mitte ihres Kopfes Fäden wachsen?«

Sie trat einen weiteren, winzigen Schritt auf die Männer zu, beugte sich etwas nach vorne, um besser sehen zu können.

Ja, sie bemerkte es: Da kamen wirklich Fäden, dünne Leinen, überall aus ihnen heraus.

»Und spürst du wie du größer wirst? Stück um Stück, immer größer. Du reckst dich so hoch, wie du es brauchst.«

Wirklich – Susan schien in die Höhe zu wachsen. Bald konnte sie über die Köpfe der Männer blicken. Sekunden später stand sie weit über allem. Die Männer reichten ihr kaum mehr bis an die Knie. Hasan, neben ihr, war nicht größer als ein Schäferhund.

»Nimm jetzt die Fäden auf. Du kannst sie alle drei zusammenknoten, wenn du willst, oder an ein Kreuz hängen. Ganz wie du möchtest. Du bist jetzt ihr Herr – sie sind Deine Marionetten. Also, lass sie tanzen!«

Im Geiste griff Susan als Erstes nach den Fäden des Mittleren. Sie verknüpfte den Kopffaden des Anführers mit denen aus seinen Beinen, schlüpfte mit der Hand in die Schlaufe und ließ ihn marschieren, indem sie abwechselnd an einem der Beinfäden zog. Links – rechts – links – rechts, ab in den Dreck, ein paar Meter über den Boden heben, dann fallen lassen. Der Typ klappte, seiner Stabilität beraubt, steif vornüber und blieb in einer übel stinkenden Pfütze liegen.

Jetzt nahm sie den Größten der Drei, den mit den verwaschenen Hosen, schlang seine Fäden zu einem Knoten und schwang ihn wie ein Lasso um ihren Kopf. Mit einem Mal ließ sie los und die Zentrifugalkraft katapultierte ihn weiter. Wie ein dicker Pfeil flog er bis in die Stadt hinein, wo er zwischen den Häusern hart auf den Asphalt einer Straße krachte.

Zufrieden schnaufend wandte sich Susan dem Letzten zu. Der miese mickrige Mitläufer. Der, der ihr am schlimmsten weh getan hatte. Jetzt sahen seine fiesen Knopfaugen gar nicht mehr so überlegen aus. Er hätte am liebsten gebetet, die Hände flehend vor ihr gefaltet, sie angebettelt, ihn zu verschonen. Kam ihr bekannt vor. Blöd nur, dass er keine Gewalt mehr über seine Hände hatte, keine Gewalt mehr über seinen restlichen Körper. Und schon gar keine Gewalt mehr über sie.

Mit spitzen Fingern nestelte sie seine beiden Fußfäden zu einer hübschen Schleife und hängte ihn kopfüber an den Stahlträger einer Lagerhalle. Zufrieden wischte sie sich ihre Hände an der Hose ab.

Hier war sie fertig.

Eva hatte sie aufmerksam beobachtet. Susans Gesicht entspannte sich nun merklich. Sie atmete ruhig. Eva wusste, dass Susan auch längere Sequenzen gerne ohne ihre Unterbrechungen imaginierte. Sie war inzwischen stabil genug, dass Eva das zulassen konnte. Ihr Körper verriet ihr, wann sie eingreifen musste.

Eva war zufrieden. Das war wieder ein riesen Fortschritt.

Mit kaum hörbarer Stimme rief sie sich Susan nun doch wieder ins Gedächtnis:

»Wenn du zufrieden bist mit dem was geschehen ist, dann gib mir bitte Bescheid.«

Susan hob die Finger ihrer rechten Hand. So hatten sie es vereinbart. Falls sie in einem Moment nicht in der Lage war zu sprechen oder es nicht wollte.

»Das ist gut. Möchtest du noch etwas anderes tun?«

Susan drehte ihren Kopf ein wenig von einer Seite zur anderen.

»Alles klar. Dann verabschiede dich bitte von der Szene. Heiße sie in deinem Leben willkommen. Gib ihr den notwendigen Raum. Wenn du zufrieden bist, was du erschaffen hast, dann gib mir bitte nochmal ein Zeichen.«

Susan sah sich um. Der Sunnyboy lag, gar nicht mehr so schick, in einer Pfütze und wimmerte vor sich hin. Hoch über ihm zappelte der Zwerg an seinen Fäden, traute sich nicht, in Hörweite seines Anführers, zu heulen.

Den Dicken sah sie nirgends mehr.

Ja, so konnte man das sein lassen.

In ihrer Imagination klatschte sie Hasan zufrieden mit einem High five ab und küsste ihren Beschützer auf die seidige Nase. Der Drache blies dem Schicken noch ein bisschen Hitze entgegen, bis dessen Hinterteil Feuer fing. Hasan zwinkerte Susan schelmisch zu, grunzte ausgelassen und erhob sich in den düsteren Himmel. Susan winkte ihm lange nach. Dann gab sie Eva das Zeichen, sie zurückzuholen.

Wenig später saß sie aufrecht in ihrem Ledersessel und trank von der Schokolade, die Eva ihr aufgegossen hatte.

»Das hat Spaß gemacht.« Susan stellte die Tasse auf das Tischchen und streckte sich in alle Richtungen.

»Ja, das denke ich auch. Das war super. Das hast du wirklich gut gemacht. Wir sind heute einen riesigen Schritt vorwärts gekommen. Möchtest du mir darüber erzählen? Wir haben noch etwas Zeit.«

Aber Susan wollte nicht mehr sprechen. Sie war zufrieden mit dem Bild, das sich in ihr Unterbewusstsein gebrannt hatte. Mit der Zeit, wenn sie es zuließe, würde es die Eindrücke von damals überschreiben, sie unter einem weiteren Schleier langsam verblassen lassen.

Jetzt war sie erschöpft.

Ein paar Minuten, bevor ihre Stunde geendet hätte, schlüpfte sie in ihre Sandalen, umarmte Eva lange und herzlich und schlich hinaus in die staubige Schwüle des marokkanischen Nachmittags.

Ahmed würde mit ihr zum Supermarkt fahren. Sie brauchte jetzt eine Familienpackung Ben & Jerry`s. Triple Chocolate oder Cookie dough. Den Raki für ihren Fahrer durfte sie auf keinen Fall vergessen. Und für Donnerstag wollte sie einen überzeugenden Picknick-Korb für sie vier packen. So wie es in ihrem Kühlschrank aktuell aussah, war eine Menge dafür zu besorgen.

Frikadellen für Marrakesch

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