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Ein Traum wird Wirklichkeit

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Es war mehr oder weniger ein Zufall, der mich dazu bewog, mir ein Auto anzuschaffen. Bis dahin hatte ich einen solchen Gedanken nie in mir aufkommen lassen. Der Wunsch, ein Auto zu besitzen, war für mich immer nur ein Traum gewesen. Dieser hatte es verdammt schwer, sich in mein Bewusstsein vorzudrängen, um sich letztendlich als Bedürfnis zu etablieren. Die Ansprüche auf materielle Dinge hatten aufgrund meiner Lebensumstände nie eine große Rolle gespielt. Ich hatte gelernt, diese stets unterzuordnen. So galt mein ganzes Streben weit anderen Dingen, die von mir als wichtiger erachtet wurden und die letztlich auch eine deutliche Prägung für mein Leben hinterließen. Aber wie das Leben so ist: Unverhofft kommt oft! So war es dann auch.

Eine Kollegin hatte mich buchstäblich infiziert. Dieser Infekt wurde auch nach der notwendigen Aussprache mit meiner Hausregierung nicht geheilt. Im Gegenteil, er entwickelte sich rasant und kam zum vollen Ausbruch.

Mein Immunsystem war bereits kurz zuvor geschwächt worden. Dies geschah in keinem Fall durch die Moped-Prüfung, denn die Fahrberechtigung für ein Moped hatte ich schon seit mehreren Jahren besessen, bevor ich einen gebrauchten SR2 (Simson-Roller) mein Eigen nennen konnte. Ich wollte irgendwie auch mitreden können und nicht in allen Dingen hinter dem Mond bleiben. So sorgte ich völlig ziellos vor und machte meine Fahrerlaubnis Klasse eins und vier! Immerhin, man weiß ja nie! So dachte ich jedenfalls, ohne weder den unmittelbaren noch mittelfristigen Kauf eines Motorrades oder gar eines Autos ins Kalkül zu ziehen.

Meine Kollegin hatte davon gesprochen, dass ein ihrer Familie sehr guter Bekannter sein Auto abgeben wolle. Dieser hatte die lange Wartezeit auf einen Neuen hinter sich gebracht und beabsichtigte nun, den Alten loszuwerden. Er stände bei ihr zu Hause, in ihrer Garage. Ich könnte ihn mir doch einmal anschauen. Und den Hals, den würde mir der Eigentümer bestimmt nicht abschneiden. Außerdem, es sei ein 311er und er sei noch recht gut in Schuss. Sie würden ihn selbst auch gern nehmen, wenn sie nicht schon einen hätten.

Ich merkte, wie meine ursprüngliche Haltung zum Erwerb eines Autos langsam aber sicher dahinschmolz. Ich kannte meine Kollegin, ich kannte sogar den Besitzer des zu habenden PKWs und, was das Wichtigste war, es war kein Trabbi!

So fasste ich Mut, stieg nach Feierabend in den Vorortbus und fuhr nach Uder. Dass ich nach dem Ausstieg an der Haltestelle auf dem Weg zu meinem Zielort immer schneller ging, merkte ich erst, als ich etwa zweihundert Meter der Strecke zurückgelegt hatte. Schlagartig ging ich wieder im Normaltempo, aber auch das hielt sich nicht länger. So kam ich schließlich am Ort meines noch nicht offenkundig gewordenen Begehrens an.

Ich klingelte, die Haustür öffnete sich, die Kollegin begrüßte mich und ihr Mann rief: „Du kannst gleich hierher kommen!“ Schon stand ich neben ihm, ein schneller Handschlag, und meine Blicke hefteten sich fest auf den Gegenstand, den ich in meinem ganzen bisherigen Leben noch nie so betrachtet hatte. Ich war wie geblendet. So schön hatte ich mir ein Auto für mich niemals vorstellen können!

Da stand er. Weiß bzw. cremeweiß. Seine Lampen blinzelten mich durch verchromte Ringe verführerisch an. Auch die Radkappen waren wunderschön, verchromt natürlich. Die Stoßstangen, das Frontziergitter, die Heckleuchten, die Türgriffe, alles verchromt. Und, was für manchen Zweck der Eigenversorgung wichtig sein konnte, er hatte sogar eine Anhängerkupplung! Hätte ich in diesem Augenblick etwas sagen sollen, da bin ich mir heute noch ganz sicher, hätte ich bestimmt gestottert.

Der Mann meiner Kollegin öffnete nun die Fahrertür. „Setz dich doch mal rein.“ Mit diesen Worten riss er mich aus meiner Versunkenheit, denn das Auto, so fühlte ich, gehörte mir schon! In dieser Stimmung war ich bereit, auf alle weiteren Erklärungen und Betrachtungen zu verzichten. Aber die Worte des Mannes klangen so freundlich fordernd, dass ich, ehe ich es selbst fassen konnte, auf dem Fahrersitz saß.

Nun kam mit der Überraschung zweiter Teil die endgültige Aufgabe aller bisher von mir gehegten Bedenken und Widerstände. Das schöne lederne Lenkrad mit der Lenkradschaltung, die Armaturen, die gut gepolsterten sauberen Sitze, einfach überwältigend. Sogar ein Radio und Gurte für Fahrer und Beifahrer hatte sich der Vorbesitzer einbauen lassen! Das alles verstärkte meinen längst gefassten Entschluss, ja, es machte ihn bereits unumkehrbar. Das i-Tüpfelchen war der Himmel. In hellem Grau gehalten schwebte er unterhalb des Autodaches. Es war fast wie in einem Wohnzimmer. Ich hatte das Gefühl, dass ich nie ein anderes Auto gekannt hätte noch kennenlernen wollte als eben dieses, in dem ich ganz selbstverständlich saß.

„Weißt Du, was er kosten soll?“, fragte ich den Mann. Irgendwie hatte ich dabei das Empfinden, als hätte meine Stimme einen zittrigen Klang. Aber die besitzanzeigende Gefühlslage ließ mich schnell diese Unsicherheit überwinden. Als die genannte Zahl mit der Hälfte eines Trabbi-Wertes an mein Ohr drang, musste ich schlucken. Aber es dauerte allerhöchstens einen Wimpernschlag, bis mir eine einvernehmliche innere Stimme zuflüsterte: „Das kannst Du machen!“ Der Drang, augenblicklich „Ja!“ zu sagen, kämpfte mit einer mir doch noch angebracht erscheinenden nicht ganz endgültigen Zusage. Denn ich glaubte, dass meine bereits getroffene Entscheidung durch ein zum Ausdruck gebrachtes „Erst-abwägenwollen“ den zu zahlenden Preis so beeinflussen könnte, dass dieser dann unter der genannten Zahl läge. Ich wusste zudem, dass Noch-Besitzer und Untersteller des 311er eng befreundet waren und ahnte, dass im Grunde alles abgesprochen war. Jedenfalls sagte ich: „Hm, da werde ich mir das mal in Ruhe überlegen.“

„Karl (so hieß der Vorbesitzer) hat noch verschiedene Ersatzteile, die er auch noch dazugibt. Das steht alles bei ihm, weil ich hier nicht mehr Platz habe.“ Und dann zählte er auf: „Je einen Satz Räder mit Sommerreifen und Winterreifen, einen Anlasser, eine Lichtmaschine und eine ganze Kiste voll mit Kleinteilen wie Regler, Zündkerzen, Birnen usw. Außerdem hat er noch eine transportable Kipp-Hebebühne.“

In mir überschlug es sich. Ich hatte nur mit dem Auto gerechnet. Nun hörte ich von dem Mann, dass ich, nach meiner gegenwärtigen Auffassung, fast noch ein halbes Ersatzauto dazu bekommen würde. Dies war entscheidend für meine nächste klare Aussage: „Gut, dann nehme ich alles.“ Damit war der Handel perfekt.


Nun hatte ich ein Auto, ein eigenes, sogar einen Wartburg. Ich war erleichtert, denn meine ablehnenden Gedanken gegenüber einem Trabbi waren somit null und nichtig. Dass ich künftig manchmal beinahe verächtlich auf einen Trabbifahrer geschaut haben soll, ist aber nun wirklich an den Haaren herbeigezogen! Jedoch muss ich an dieser Stelle auch Folgendes zugeben, was ich damals zwar wusste, aber nicht erkannte. Erst Jahre später wurde mir klar, wie der große Kampf der Systeme um die Vormachtstellung auch bei den nicht DDR-überzeugten Bürgern (zum Beispiel bei mir) seine individuelle Wirkung hatte.

Ich war nämlich, trotz meiner inneren politischen Widerstände, dem auf der Grundlage der einzig wahren Lehre von Marx, Engels und Lenin beruhenden und für die DDR postulierten Ziel gefolgt, welches da hieß: „Überholen ohne einzuholen!“

Diese Losung möchte ich zum Anlass nehmen, allen ehemaligen Trabbibesitzern zu sagen, dass sämtliche ihnen hier negativ erscheinenden Formulierungen nicht als Diskriminierung zu verstehen sind! Ich wusste auch damals, dass sich so mancher DDR-Bürger seinen Trabbi vom Munde abgespart hatte und stolzer Autobesitzer war. Daher achte ich nach wie vor seine diesbezügliche Einstellung. Dennoch haben sich meine Befindlichkeiten gegenüber diesem Fahrzeugtyp bis heute nicht abgebaut. Sehe ich einen Trabbi, gleich ob in Natura oder auf einem Bild, dann werden all meine Erinnerungen und Gefühle wach, die mit der DDR in Verbindung stehen. Im gleichen Augenblick bin ich froh, dass ich die DDR hinter mich gebracht habe.

Selbst wenn bescheiden ist dein Lauf, die Hoffnung, die gib niemals auf!

Gefechtsziege LB-55-40

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