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1. Die Kämpfe

Ohne die Hilfe der Legionäre und der Grenztruppen und den Willen, Veränderungen herbeizuführen, wäre nichts möglich gewesen. Der Widerstand wäre beendet gewesen, bevor er richtig begonnen hatte.

Schon kurz nachdem sie Jekar, Silva und ihre Soldaten festgesetzt hatten, stellte Samir fest, dass der Zugang zu mind im Archiv unter dem Dorf wieder gesperrt worden war. Der council hatte sofort reagiert. Die einzige verbliebene Möglichkeit, Nachrichten an die screens der Menschen zu senden, war jetzt die Datenleitung im Süden, im ehemaligen Forschungszentrum. Da, wo eine unerschöpfliche Energiequelle aus Plasma geschaffen werden sollte. Wo seit Jahrzehnten gebaut wurde, um die gewaltigsten Kräfte der Natur beherrschbar zu machen. Unerschöpfliche Energie. Aber als eine neue Finanzierungsrunde der beteiligten Staaten vor Jahren zu keinem Ergebnis führte, weil die Kosten ausuferten, waren die Arbeiten eingestellt worden. Vorläufig, so hieß es. Seitdem wurde das Forschungszentrum genutzt, um Programme für mind zu entwickeln.

Vom Dorf war es kein weiter Weg über den Berg hinab in das Flusstal zum Forschungszentrum. Schon von weitem sah man die hohen Zäune, die das Zentrum umgaben und die technischen Anlagen. Riesige und komplexe Bauten, die doch nie ihren Zweck erreicht hatten. Außer vielleicht den, dass man Erkenntnisse gewonnen hatte.

Sie hofften, es würde nicht zu spät sein um dort einen Zugang zum Netz von mind zu finden, um den Menschen da draußen Nachrichten zu schicken, ihnen sagen, dass der Widerstand existierte und vor allem, was ihnen jetzt wichtig war. Und erklären, warum der Widerstand notwendig war. Um Veränderungen herbeizuführen. Die Überwachung einzuschränken. Mehr Freiheit zu erreichen. Mit Öffentlichkeit könnten sie den council unter Druck setzen…

Die Truppe, die sich dem Zentrum näherte, bot einen seltsamen Anblick: Legionäre, teilweise noch im Schlafanzug, Hagen und Jérôme mit ihren zerrissenen, schmutzigen Uniformen und die Bewohner aus dem Dorf, die sich angeschlossen hatten und die sich irgendwie auf einen Kampf vorbereitet hatten, einige mit Motorradhelmen, andere so wie sie gerade waren, als sie spontan entschieden hatten, mitzumachen. Ein Konvoi aus Militärfahrzeugen, Rollern, Motorrädern und sogar Traktoren. Alles, was fahren konnte. Ein Konvoi von Menschen, die nicht bereit waren, die plötzliche Gewalt gegen ihr Dorf hinzunehmen, nicht ohne Gegenwehr, nicht ohne die Stimme erhoben zu haben: „Das war Unrecht! Das dürft ihr nicht! Wir lassen uns das nicht gefallen, wir werden uns wehren!“

Khor hatte kurz zuvor eine Rede auf dem Dorfplatz gehalten und den Bewohnern gesagt, dass es jetzt nicht nur um Widerstand, sondern auch um sie gehen würde. Nicht nur darum, einen weiteren Angriff auf das Dorf zu verhindern. Sondern auch darum, zumindest so weiterzuleben zu können wie bisher. Ohne screens.

Es ging um die Menschen selbst und ihre Art zu leben. Und um das was sie für richtig hielten. Um so leben zu können, wie sie es immer getan hatten. Unabhängig und frei. Und nicht überwacht.

Wie immer hier im Süden waren die Menschen schnell bereit, gegen die da oben, gegen Befehle und jede Art von Zwang vorzugehen…

Aber der council war dieses Mal auf einen Angriff vorbereitet. Die Fülle der Informationen, die mind liefern konnte, aus der Überwachung durch die b-Drohnen, allen verfügbaren Daten über die involvierten Personen, aus der Analyse der Lage und dem Vergleich aller verfügbaren Möglichkeiten des Handelns gab dem council ein Bild der Lage. Mind hatte das Forschungszentrum als wahrscheinlichstes Ziel berechnet, das der Widerstand angreifen könnte. Der einzige Zugang zum Netz hier im Süden. Mind erstellte sogar fortlaufend eine Prognose, wer in einem Kampf wann und mit welchen Verlusten siegen könnte.

Daraufhin waren alle verfügbaren Einsatzkräfte des councils noch in der Nacht im Forschungszentrum zusammengezogen worden, um einem möglichen Angriff abwehren zu können.

Und mind hatte sich nicht geirrt, es kam zu dem Kampf, einem Kampf ohne das erhoffte Überraschungsmoment für den Widerstand, ein Kampf, den Capitane Roget als Erster mit seinem Leben bezahlen musste. Fast schien es, als wäre es ihm recht gewesen, für genau diese Sache zu sterben.

Er hatte den Konvoi, der sich der Forschungsanlage genähert hatte, angeführt, in seinem Rollstuhl auf der Ladefläche eines alten Trucks sitzend. Er wollte in vorderster Linie sein. Das war er immer gewesen. Er war einfach weggeschleudert worden. Eben noch Befehle rufend, begeistert von dem Plan, einen Überraschungsangriff zu führen, war er im nächsten Moment nicht mehr da gewesen. Sie fanden ihn später, an einem Abhang liegend, mit einem roten Loch in seiner Brust. Aber als Ron und Richard ihn später abholten, um ihn zu einem Auto zu tragen, da war es ihnen, als würde Roget sie mit einem Lächeln auf seinem weißen Gesicht angesehen haben, bevor Ron ihm die Augen schloss.

Das Forschungszentrum wurde erbittert verteidigt. Die Kämpfe forderten viele Opfer, auf beiden Seiten. Die Kämpfer des Widerstandes fielen für NEW, die neue aufregende Welt, ohne gewusst zu haben, ob diese Welt wirklich besser sein würde. Sie kannten nur die alte Welt. Die einen waren davon überzeugt, dass diese alte Welt sich verändern musste. Die anderen wollten weiter leben wie bisher. Aber allen war gemeinsam, dass sie gegen den Aggressor kämpfen wollten, der ihr Dorf angegriffen hatte. Und sie waren bereit, dafür ihr Leben zu riskieren, zu sterben. Es ist das ultimative Opfer, das ein Mensch bringen kann – sich selbst.

Es waren die Vectoren, die der Widerstand erbeutet hatte und die Waffen, die die Gardisten mitgebracht hatten, die den Kampf am Ende zugunsten des Widerstandes entschieden. Mit ihrer Beweglichkeit und überlegenen Bordwaffen schalteten die Vectoren die Truppen des councils auf dem Gelände aus. Die Verteidiger zogen sich in die Gebäude und die unterirdischen Anlagen zurück. Hier konnten die Vectoren nicht eingesetzt werden.

Es entwickelte sich ein Häuserkampf, archaisch, Mann gegen Mann, Frau gegen Frau. Es kam zu heftigen und brutalen Gefechten in den Häusern und im Inneren der Anlage.

Das war kein joystick-Krieg. Computer spielten keine Rolle mehr. Am Ende müssen Soldaten gegen Soldaten kämpfen, Menschen gegen Menschen. Keine Bildschirme, nur Gewalt. Erst am Abend konnte der Widerstand das Gefecht für sich entscheiden und die Kontrolle übernehmen. Sofort wurde die Standleitung zu mind gesucht. Endlich konnten sie der Welt da draußen mitteilen, was hier geschah. Ihre Sicht der Dinge erklären.

Die Nachrichten wurden von Mara und Kena knapp formuliert und pr0grammiert und mit hochgeladenen Bildern ergänzt. Amil und Samir öffneten den Zugang und die screens der Menschen da draußen piepten. Unter der Überschrift „Freiheit – wofür wir kämpfen“ liefen kurze Parolen: „Keine Überwachung mehr! Kein Zentralstaat! Der Mensch im Mittelpunkt!" und „Schluss mit dem Punkteterror!“ Es war ihnen klar, dass dies nur die Überschriften für das war, was sie wirklich wollten, aber es war auch klar, dass sich die Menschen schon lange an die schnelle Information gewöhnt hatten. Internet-news. Kaum jemand würde Details lesen. Sie mussten darauf vertrauen, dass die Menschen die Mitteilungen und Fragen, die sie laufend in das System einspeisten, in ihrer Komplexität verstehen würden. Jeder konnte seine Zustimmung geben oder eben nicht.

Aber es war klar, dass der council wieder reagieren würde. Auch dieser Zugang zu mind und die screens der Menschen konnte nur kurz genutzt werden. Es ist das Wesen einer Leitung, zwei Enden zu haben. Und ein Ende konnte blockiert werden, weil ihre Nachrichten im System bei mind ankamen. Ohne eine Stimme, die gehört werden konnte, würde der Widerstand untergehen, deshalb mussten die Botschaften so schnell wie möglich gesendet werden. Hoffentlich würden sie die Menschen da draußen verstehen, vielleicht sogar unterstützen.

Ohne die unerwartete Hilfe des Leiters des subcouncils Administration hätten sie es nicht geschafft, Gehör zu finden. Er hatte, einer Eingebung folgend, die Zugänge zu den Waffenarsenalen des councils blockiert und damit den Regierungstruppen den Nachschub für neue Kämfpe abgeschnitten. Was nutzte eine Waffe ohne Munition? Nichts. Das hatte einen Krieg verhindert. Den Garden, die der council zur Verstärkung schickte, ging der Nachschub aus. Die Kämpfe flauten ab.

Der Leiter Administration wurde im council zur Rede gestellt, war aber standhaft geblieben. Er hatte dem Druck des councils nicht nachgegeben und die Waffenarsenale nicht freigegeben. Den Truppen ging die Munition aus.

„Wenn man nichts mehr hat, mit dem man kämpfen kann, dann muss man einen Dialog führen, Kompromisse schließen“, hatte er argumentiert. „Miteinander reden. Verhandeln. Und vielleicht besser darauf hören, was die Menschen wollen, als wir das in der Vergangenheit getan haben. Diese Menschen wollen Veränderungen. Wir müssen ihnen zuhören.“

Erst fand er nicht viel Gegenliebe im council, aber die Fakten sprachen für ihn. Immer mehr Menschen da draußen verlangten, gehört zu werden. Der Widerstand wurde in der Bevölkerung sprürbar. Irgendwann war auch der council bereit, zu verhandeln. Zumindest so zu tun, als würde man verhandeln. Dann könnte man ja weitersehen. Die Menschen da draußen wollten Veränderungen , das war nicht zu übersehen. Und dass es ohne Veränderungen nicht weitergehen würde, war irgendwie auch klar. Aus dem Widerstand war eine politische Kraft geworden.

Afrika

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