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1. Kapitel


Georg Holzer betrachtete missmutig den geschmückten Weihnachtsbaum, der mit seinen fast drei Metern Höhe den absoluten Blickfang des großen Wohnraumes bildete. Echte Kerzen, silberne Kugeln, künstlicher Schnee auf den Zweigen – alles wie in jedem Jahr. Lebkuchen und Orangen auf bunten Papptellern und Weihnachtslieder aus dem Radio. Es war eine Zumutung.

Es gab Zeiten, da hatte er sich über den Anblick eines Baumes gefreut, doch das war lange her. Er wurde in einer Woche dreißig Jahre alt, und das Weihnachtsfest im Kreis der Familie hatte für ihn schon lange seine Bedeutung verloren. Seine Zähne knirschten, als er daran dachte, dass sein Erscheinen nur einem unsichtbaren Zwang zu verdanken war – und der verbarg sich hinter der massiven Tür auf der rechten Seite.

Er stand auf und ging zu der Anrichte mit den Getränken. Das musste er dem Alten lassen: An der Qualität der Alkoholika hatte er noch nie gespart. Er schraubte die Flasche mit dem dreißigjährigen Malt-Whisky auf und schüttete eine kräftige Portion in eines der bereitstehenden Kristallgläser. Er schaute auf seine Uhr und grinste. Elf Uhr vormittags. Genau die richtige Zeit für einen Drink. Er hob das Glas in Richtung der verschlossenen Tür.

„Auf deine Gesundheit!“ Die Stimme triefte vor Hohn.

Georg Holzer stellte das leere Glas klirrend ab und schlenderte zum Fenster hinüber. Schnee war auch in diesem Jahr nicht gefallen. Der richtige Winter war selten geworden in Hamburg. Kalt war es – das schon. Eine feuchte und unangenehme Kälte.

In einiger Entfernung war die Elbe zu sehen. Die Wolken hingen tief, und alle Farben waren zu einem schmutzigen Grau verlaufen. Oh, wie er sich wünschte, in diesem Augenblick bei seinen Freunden in Marokko oder auf einer karibischen Insel zu sein.

Doch er saß hier fest. In einer Hamburger Villa am unteren Ende der Elbchaussee. Das Grundstück fiel in einem sanften Winkel zur Straße ab. Die Begrenzungsmauer war durch ein schmiedeeisernes Tor unterbrochen, von dem ein Kiesweg zum Haupteingang führte. Das Gebäude mit den Garagen und einer kleinen Wohnung darüber war hinter einer hohen Hecke verborgen.

In der näheren Umgebung gab es nichts, was zu seiner Unterhaltung hätte beitragen können. Keine Disco, keinen Nachtclub, noch nicht mal eine Bar mit großer Getränkeauswahl.

Es war einen Tag vor Heiligabend, und die Familie war beschäftigt. Seine Mutter tummelte sich mit seinen beiden Schwestern in der Küche. Sein Onkel hatte sich in sein Zimmer zurückgezogen, um die Zeitung zu lesen. Und sein Vater...

Er blickte mit zerfurchter Stirn auf die geschlossene Tür. Dann befühlte er den Umriss der kleinen Flasche in seinem Sakko. Er hatte sich dem Wunsch seiner Mutter gebeugt und zur Feier dieser Tage einen Anzug mitgebracht. Er zerrte an seiner Krawatte und lockerte sie, bis er wieder freier atmen konnte. Er hasste diese Kleidung!

Er sah wieder hinaus in das parkähnliche Grundstück. Vor dem dunklen Hintergrund spiegelte sich seine Gestalt in der bis zum Boden reichenden Scheibe. Er lächelte, als er sein Gesicht betrachtete. Doch, er sah verdammt gut aus. Ebenmäßige Gesichtszüge, lange Wimpern über einem verhangenen Blick, ein winziger Oberlippenbart, eine ungebändigte Haarpracht...

Seine Freunde beneideten ihn, die Mädchen bewunderten seine Erscheinung. In dieser spießigen Kleidung jedoch hätten sie ihn wahrscheinlich kaum wiedererkannt.

Wenn der Alte nur nicht so knauserig wäre! Sein Lebensstil erforderte nun mal etwas mehr Geld. Was würden seine Freunde auf St. Barth oder Ibiza sagen, wenn er plötzlich nicht mehr mithalten konnte? Er war beliebt, gerade weil er die Puppen tanzen ließ. Das Geld, das er von seinem Vater bekam, reichte jedoch hinten und vorne nicht. Er wünschte sich so sehr, dass dieses Leben endlich ein Ende hätte.

Das Fläschchen in seinem Sakko brannte ihm fast ein Loch in die Tasche. Sollte er es riskieren? Die Gelegenheit wäre jetzt günstig.

Der Alte hatte doch ohnehin nichts mehr vom Leben. Er lag in seinem Bett nebenan in der Bibliothek und dämmerte vor sich hin. Wer weiß, ob er überhaupt noch mitbekam, was rings um ihn geschah? Der Alte war zäh, das musste Georg zugeben, andere hätten längst schon den Löffel abgegeben. Im Grunde war es rücksichtslos gegenüber der ganzen Familie, dass er ihr die Last aufbürdete, ihn zu pflegen.

Er ging zurück und gönnte sich noch einen doppelten Whisky. Das scharfe Gebräu rann durch seine Kehle und stärkte seine Zuversicht.

Wenn es den Alten nicht mehr gab, würde er, Georg, an seinem dreißigsten Geburtstag vollen Zugriff auf das Treuhandkonto bekommen. Anderenfalls würde er weiter von den Zuteilungen leben müssen, die sein Vater vorgesehen hatte.

Er hatte dem Alten nie klarmachen können, dass er für einen Beruf einfach nicht geschaffen war, schon gar nicht für den eines Bankers. Der Alte war Teilhaber einer Privatbank und hatte sich immer gewünscht, dass sein einziger Sohn eines Tages in seine Fußstapfen treten würde.

Eine Bank leiten! Das fehlte ihm gerade noch!

Schließlich hatte er sein Abitur nur mit Ach und Krach an einer Privatschule geschafft, wahrscheinlich nur deshalb, weil sein Vater eine großzügige Spende locker machte. Dennoch hatte es in Mathematik nur zu einer fünf gereicht, und mit dem Begriff Wirtschaft verband er einen Getränkeausschank. Nein, er war zu anderem berufen.

Er sah wieder auf die Uhr. Vielleicht sollte er sich nicht allzu lange Zeit lassen. Noch einen Drink, und er würde es tun.

Nach dem dritten Doppelten waren die letzten Hemmungen abgebaut. Georg tastete nach der kleinen Flasche und näherte sich der Tür zur Bibliothek. Die Pflegerin, die sich normalerweise um den Kranken kümmerte, hatte über Weihnachten frei. Schließlich war die Familie komplett anwesend und konnte die Pflege übernehmen.

Langsam drückte er die Klinke hinunter.

Die Bibliothek war ein anheimelnder und gemütlicher Raum. Verglaste Bücherschränke, gefüllt mit ledergebundenen Bänden, säumten zwei der Wände. Die Regale reichten bis zur hohen Decke. Die Fensterfront war ebenso wie das Wohnzimmer nebenan mit Fenstern ausgestattet, die bis zum Boden reichten. Hier gab es allerdings dunkle Vorhänge zu den blickdichten Gardinen, um die wertvollen Bücher vor Sonneneinstrahlung zu schützen.

Die große Sitzgruppe, die normalerweise vor der dritten Wand stand, war jetzt durch ein Krankenhausbett ersetzt worden.

Georg war nicht oft in diesem Raum gewesen. Bücher hatten ihn noch nie interessiert. Daher sah er sich zunächst neugierig um.

Der Alte lag auf der Seite und hatte ihm den Rücken zugewandt. Er regte sich nicht. Georg rief sich ins Gedächtnis, was er tun musste. Das konnte nicht allzu schwer sein, hatte er doch ähnliche Szenen schon mehrfach in Filmen gesehen.

Der Ständer mit dem Infusions-Tropf stand praktischerweise auf seiner Seite des Bettes. Das erleichterte die Aufgabe, denn so brauchte er dem Alten nicht ins Gesicht zu sehen. Er trat ein paar Schritte näher und fummelte die Flasche aus dem Sakko. Nur nicht fallen lassen!

Der Mann am Tropf, dachte er hämisch. Eigentlich bin ich es ja, der am Tropf des Alten hängt. Es wird Zeit, die Sache mal umzudrehen.

Er schraubte die Flasche auf. Das Rattengift hatte er im Keller auf einem Regal mit Haushaltsutensilien gefunden, als er nach teuren Getränken suchte, die man dort vielleicht vor ihm versteckt hatte. Der Kanister war fast voll gewesen, und er hatte die leere Flasche, die ebenfalls auf dem Regal gestanden hatte, bis oben gefüllt. Etwa ein Viertelliter, schätzte er. Das sollte wohl reichen!

Er nahm den Infusionsbeutel vom Ständer und betrachtete ihn etwas ratlos. Wie sollte er die Flüssigkeit austauschen? Und wohin mit der Infusionslösung? Er ärgerte sich, dass er nicht alles sorgfältiger durchdacht hatte. Dann fiel sein Blick auf einen leeren Beutel auf dem Nachttisch.

Sorgfältig füllte er das Gift in den zweiten Beutel, nahm den ersten vom Ständer und löste ihn vom Schlauch. Es spritzte, und er fluchte leise, als er bemerkte, dass er vergessen hatte, den kleinen Hahn zu schließen. Endlich war der Austausch bewerkstelligt, und er trat einen Schritt zurück, um sein Werk zu bewundern. Jetzt konnte alles wieder fließen.

Und nun nichts wie weg von hier. Wenn irgendjemand nach dem Alten sah, wollte er nicht mehr in der Nähe sein. Das leere Fläschchen warf er in die Schublade des Nachttisches, wo zahlreiche andere Medikamente lagen. Dort würde es nicht auffallen. Den halb gefüllten Infusionsbeutel versteckte er unter seinem Sakko. Den würde er draußen entsorgen.

Wenige Minuten später startete er den Motor seines Porsches und lenkte den Wagen zum Tor. Er hatte vor, in das nahe gelegene Blankenese zu fahren. Dort würde er schon eine Gelegenheit finden, wo er sich amüsieren konnte.

Der Weihnachtsmann ist tot

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