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Christliche Reaktionen auf die Evolutionstheorie

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Die Erkenntnis, dass sich die Natur in evolutionärer Bewegung befindet, wurde im europäisch-christlichen Kulturkreis gewonnen. Das ist einerseits erstaunlich, weil das Christentum konträre Vorstellungen propagiert hat, und doch andererseits nicht verwunderlich, weil alles sein Gegenteil provoziert. Als aufs Jenseits ausgerichtete Religion legte der Christenglaube eher die Weltflucht als die intensive Beschäftigung mit der diesseitigen Welt nahe. Aber schon die mittelalterlichen Klöster, die doch als Orte des Rückzugs von der Welt gedacht waren, brachten Landwirtschaft und Handwerk zu hoher Blüte und boten außerdem günstige Voraussetzungen für wissenschaftliche Betätigung. Die Erdverhaftung, wie sie im alttestamentlichen Auftrag, sich die Erde untertan zu machen (Gen 1, 28) gerechtfertigt wird, blieb immer auch wirksam. Zu einer Theorie wie der der Evolution vorzustoßen, war aber unmöglich, solange Philosophie und Theologie die Weltsicht vorgaben. Die von unveränderlichen Grundlagen ausgehende abendländisch-christliche Weltanschauung hat die Naturforschung auf niedrigem Niveau festgehalten, so dass viele Jahrhunderte lang die Geisteswissenschaften dominieren konnten. Selbstverständlich haben auch die sich wandelnden Sozialstrukturen in den Jahrhunderten der Spätantike, des Mittelalters und der frühen Neuzeit Einfluss auf das christlich-religiöse Denken gehabt und „Neuakzentuierungen“ etwa bei den eschatologischen Vorstellungen oder beim Gottesbild bewirkt1, sie konnten aber das statische Denken nicht wirklich erschüttern. Das schafften erst die Nachweise der neuen Weltbilder.

Zwar lässt sich das Studium der Natur und ihrer Kräfte auch in der Geschichte der christlichen Gesellschaft weit zurückverfolgen, es blieb aber als eigenständiger Wissenschaftszweig von untergeordneter Bedeutung. Erst nach der von den Geisteswissenschaften selbst inszenierten Aufklärung, die freilich die Grundlage vermehrten Weltwissens voraussetzte, begann die Vormachtstellung der Geisteswissenschaften und hier wiederum zuerst der Theologie zu bröckeln. Das faktengestützte Weltbild der Physik und der Biologie widersprach etablierten Denk- und Glaubensgewohnheiten. Die Erforschung der Realien drängte das dualistische Weltbild mit seiner Präferenz der transzendenten Welt zurück. Weil man die Funktionsweisen dieser Welt immer besser innerweltlich erklären konnte, verlor das Jenseits an Bedeutung und Anschaulichkeit. So war es schließlich nur eine Frage der Zeit, bis auch die evolutionäre Struktur der Welt erkannt und nachgewiesen werden konnte.

Vor den Forschungen Darwins liegt der Nachweis des heliozentrischen Systems, das zuerst von Nikolaus Kopernikus dargelegt und nach und nach wissenschaftlich genauer erfasst und bewiesen werden konnte. Danach steht die Erde nicht im Mittelpunkt des Kosmos. Sie „steht“ überhaupt nicht, sondern zieht ihre Bahn um die Sonne (Galileo Galilei: „Und sie bewegt sich doch“). Obwohl es vordergründig um eine neue astronomische Erkenntnis ging, wurde hier bereits an den Grundlagen des christlich-statischen Weltbildes gerüttelt. Eine so deutlich der Bibel widersprechende Lehre musste auf den Widerspruch der Kirchen stoßen. Allerdings blieb der Protest der Reformatoren noch verhalten2. Berühmt geworden ist der Prozess des römischen Offiziums, in dem Galileo Galilei gezwungen wurde, dem kopernikanischen Weltbild abzuschwören (1633).

Als noch weit größere Herausforderung wurde jedoch der Darwinismus empfunden. „Die theologische Auseinandersetzung mit der Evolutionstheorie Darwins füllt ganze Bibliotheken“3. Zuzugeben, dass die Arten der Lebewesen nicht von Anfang an „konstant“ waren, bedeutete zuzugestehen, dass der biblische Schöpfungsbericht keine zutreffende Beschreibung der Naturentstehung enthält. Für die auf der Bibel gründende Religion ein schwieriges Unterfangen. Als besonders anstößig wurde die Herleitung des Menschen von Vorformen heutiger Affen empfunden, weil sie der Lehre von der Gottebenbildlichkeit des Menschen zu widersprechen schien4. Nur wo man den natürlichen Evolutionsprozess als Teil der christlichen Heilsgeschichte interpretierte, konnte man sich mit der neuen Lehre befreunden. Das war in der angelsächsischen Theologie häufig der Fall5.

In der deutschen Theologie wurde die volle Evolutionstheorie lange abgelehnt, was damit zusammenhängen mag, dass in Deutschland christentumskritische Strömungen gezielt mit Darwins Lehre argumentierten. Diese ältere theologische Literatur zum Thema wurde von Jürgen Hübner und anderen in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts kritisch dargestellt und aufgearbeitet6, was zur vorsichtigen Annäherung von Theologie und Naturwissenschaften beigetragen haben wird.

Zunehmend wurde die Notwendigkeit des Dialogs erkannt. Da und dort veranstalteten Universitäten und Akademien interdisziplinäre Seminare und Tagungen. Heute wird die kosmologische und biologische Evolution unter europäischen Christen kaum noch bestritten. Selbst die römische Amtskirche hat sich zu vorsichtiger Anerkennung der Evolutionstheorie durchgerungen7. Lediglich in fundamentalistischen Kreisen halten sich kreationistische Vorstellungen.

In der deutschen und europäischen Theologie ist die Evolution gleichwohl ein „Randthema“ geblieben8. Zwar wird sie grundsätzlich anerkannt, aber in der theologischen Ausdeutung bleibt man vorsichtig und ist bestrebt, in der biblischen Tradition doch den einen oder anderen passenden Vorläufergedanken auszumachen. Als typischer Vertreter solchen Vorgehens kann Wolfhart Pannenberg genannt werden9. Manche Theologen vertreten die panentheistische Sicht und sprechen von der „immanenten Transzendenz“ im Evolutionsprozess10. Die alte Frage, ob man Gott aus der Natur erkennen könne, drängt heute zu anderen Antworten als sie die traditionelle natürliche Theologie zu geben pflegte. Diese postulierte eine Zweistufenoffenbarung, wobei die biblische Wortoffenbarung die rudimentäre Gotteserkenntnis aus der Natur zu überbieten hatte.

Auch die Wort-Gottes-Theologie, die keinerlei natürliche Offenbarung anerkennen wollte und deshalb die strikte Trennung von Naturwissenschaft und christlichem Glauben verfocht, wirkt bis heute nach11 und hat auch manche Befürworter unter den Naturwissenschaftlern12. Aber auch ein von der Psychoanalyse geprägter Theologe wie Eugen Drewermann will bei der Frage nach Gott die Naturwissenschaften außen vor lassen13. Im kirchlichen Kontext bleibt das Evolutionsthema meist ausgegrenzt. In der Verkündigung wird man der Thematik schon deshalb kaum begegnen, weil sie den Texten der Perikopenordnungen fremd ist. Auch die Religionspädagogik bleibt hinsichtlich der Behandlung der Evolution im Unterricht bis heute zurückhaltend.

Die Heranziehung der Darwin’schen Evolutionsprinzipien zur Erklärung der Kultur- und Religionsentwicklung hat keine kirchlich-theologische Abwehrfront wie gegen die biologische Evolutionstheorie auf den Plan gerufen. Dafür ist diese Sicht zu wenig öffentlich hervorgetreten und hat speziell im Blick auf die Geschichte christlicher Denk- und Lehrgehalte noch gar keine Anwendung gefunden. Es kann allerdings daran erinnert werden, wie schwer sich die Kirchen damit taten, die neuzeitlichen gesellschaftlichen Umbrüche hin zur demokratischen Staatsform und zur Anerkennung der Menschenrechte mit zu vollziehen. Dabei spielte ähnlich wie bei der Durchsetzung der biologischen Evolutionslehre sicher eine Rolle, dass die gesellschaftlichen Veränderungen vor allem von kirchen- und christentumskritischen Bewegungen und Politikern vorangetrieben wurden.

Aber man muss auch sehen, dass der traditionelle Glaube an bleibende Gegebenheiten es christlichen Kreisen von vornherein erschwert hat, größere Veränderungen mit zu tragen. Inzwischen hat sich aber die Einsicht, dass Geschichtlichkeit grundsätzlich Wandel bedeutet und davon auch die Kirchen und ihre Verkündigung betroffen sind, in Theologie und Kirche stärker durchgesetzt, auch wenn bisher kaum mit der Darwin’schen Kategorie der Selektion argumentiert wird.

Mit dem Aufkommen der kritischen Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert wird die geschichtliche Bedingtheit auch des Christentums erkannt. Das machte die Theologie weithin zu einem geschichtswissenschaftlichen Zweig, der die Entwicklungs- und Veränderungsprozesse des Christentums aufzeigt. Spätestens im 20. Jahrhundert ist Theologen beider Konfessionen die Tatsache der totalen Geschichtsverhaftetheit des christlichen Glaubens voll bewusst. Trotzdem hält sich daneben die überkommene Überzeugung von unumstößlichen christlichen Wahrheiten, so dass sich das Problem ergibt, wie sich die Geschichtlichkeit des christlichen Glaubens mit dem Glauben an das Bleibende vereinbaren lässt.

Gerhard Ebeling begreift Geschichtlichkeit als „theologisches Fundamentalproblem“, „das nichts in der Theologie unberührt lässt“14. Er wendet sich deshalb gegen ein Offenbarungsverständnis, das einen bestimmten „heiligen Bezirk in der Welt“, sei es die Bibel oder die Heilsgeschichte, aus dem normalen Geschichtsverlauf ausgrenzen will. Vielmehr sei dies alles nichts anderes als historisches Geschehen, das sich nur dem Glauben als Offenbarung erschließt15. Die Theologie ist deshalb „notwendig in ständiger Wandlung“ begriffen16, und die Verkündigung muss das Evangelium immer neu auslegen, sonst würde es unverständlich. Ebeling will zwar „das ursprüngliche Zeugnis von Jesus Christus“ als „das Beharrende im Wechsel der Kirchengeschichte“ beibehalten17, betont aber gleichzeitig, dass das Beharrende nicht zu trennen ist „von dem sich Wandelnden und Vergehenden wie der Inhalt von der Form“. „Vielmehr kann das Bleibende und Unwandelbare nicht anders bezeugt werden als in geschichtlicher Wandlung“18.

Er beruft sich für seine These vom unwandelbaren ursprünglichen Christuszeugnis auf Hebr 13, 8, vermeidet aber jede inhaltliche Bestimmung des Christuszeugnisses, sondern verweist darauf, dass das Christuszeugnis „von vornherein in der Mannigfaltigkeit verschiedener Bezeugung“ vorhanden war19. Ebeling wagt sich mit Formulierungen vom „sich Wandelnden und Vergehenden“ weit vor, bleibt aber bei seinen Ausführungen im Grundsätzlichen. Konkrete Gründe für das sich Wandeln oder Vergehen konkreter Glaubensvorstellungen werden nicht genannt, noch wird der Frage nachgegangen, in welche Richtungen sich der Wandel vollzogen hat und vollzieht. Es bleibt mehr oder weniger bei der allgemeinen Feststellung, dass das Wesen der Geschichtlichkeit die Veränderlichkeit ist und deshalb auch der christliche Glaube der Veränderlichkeit unterliegt.

Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt von katholischer Seite Walter Kasper20. Kasper verweist zunächst darauf, dass der Christenglaube in der Antike entstanden ist und deshalb auch das antike Denken „von einem festen, als statisch gedachten Kosmos mit ewigen Wesensgesetzlichkeiten“ aufgenommen hat. „Die Wahrheit … war ewig, die Gottheit ein in sich ruhender unbewegter Beweger“21. Demgegenüber werde die Welt heute in ihrer radikalen Vergeschichtlichung erfahren. Auch Glaube und Dogma unterliegen den Bedingungen der Geschichte. Kasper will zwar nicht einem „schrankenlosen Relativismus und Skeptizismus“ das Wort reden, kann aber doch sagen: „Das bleibende Wesen ist uns … nie anders gegeben als in seinen konkreten, wandelbaren geschichtlichen Verwirklichungsformen“22. In Christus sei die Wahrheit Gottes endgültig erschienen, aber sie ist nicht voll erkennbar und verfügbar, sondern bleibt eschatologische Hoffnung. „Die Wahrheit ist ein Weg, und Glauben heißt, sich auf den Weg machen“23. Im Blick auf die Verkündigung heißt es: „Die Kirche kann heute kein anderes Evangelium verkünden als in der Vergangenheit. Das schließt aber nicht aus, dass sie dieses eine und selbe Evangelium heute anders verkünden muß, eben damit es als dasselbe verstanden wird“24.

Ähnlich wie bei Ebeling bleiben auch die Ausführungen von Kasper im Grundsätzlichen. Bezeichnenderweise beruft auch er sich auf Hebr 13, 825. Und wie bei Ebeling wird die Wahrheit Gottes in Christus nicht näher umrissen, vielleicht aus der Einsicht, dass dies gar nicht möglich ist, weil jede Konkretisierung von der Geschichte relativiert wird. Denn „auch in der Kirche können Wahrheiten ihre Zeit haben“26.

Die Erkenntnis grundsätzlicher Geschichtlichkeit aller Weltphänomene hat christlichen Theologen die Augen für die Veränderlichkeit auch des christlichen Glaubens geöffnet.

Die Rede vom „Wandel“ in Gesellschaft und Kirche ist heute überall an der Tagesordnung, und dass sich auch Glaubensvorstellungen wandeln können, längst kein Geheimnis mehr.

Aber der Begriff der Geschichtlichkeit reicht nicht aus, um Ursache und Richtung des Wandels genauer zu erfassen. Hier kann die Anwendung der Evolutionstheorie auf die Kultur- und Religionsentwicklung zu konkreteren Einsichten führen.

Die Theologie bewegt sich heute zwischen der Szylla der „ewigen Wahrheit“ und der Charybdis des Wandels und versucht, zwischen beiden zu vermitteln. Die von Ebeling und Kasper vertretene Lösung ist die übliche: Das Evangelium muss neu interpretiert werden, aber es hat einen unwandelbaren Kern. Das unaufgebbare Festhalten an einem christlichen Grundstock und das sich Einlassen auf die moderne Welt sollen durch Interpretation zusammengebracht werden. Man möchte also trotz zugestandenem Wandel der Glaubensvorstellungen einen Zipfel des alten Offenbarungsbegriffes festhalten27. Das ist auch die Position von Hans Küng, der den Paradigmenbegriff von Thomas S. Kuhn28 zunächst auf die Theologie, in späteren Arbeiten auch allgemeiner auf die Geschichte des Christentums und anderer Religionen anwendet29.

Kuhn sieht im Paradigma einen Grundlagenkonsens von allgemein wissenschaftlich anerkannten Erkenntnissen, zu dem sich eine Gemeinschaft von Fachleuten bekennt und aufgrund dessen weiter geforscht wird. Er hat die Naturwissenschaften im Blick und da besonders die Physik, wo er immer wieder revolutionierende Paradigmenwechsel konstatieren kann, die ältere Vorstellungen außer Kraft setzten, ja in ihr Gegenteil verkehrten (ptolemäisches Weltbild, kopernikanische Astronomie, Newton’sche Optik, Einstein’sche Relativitätstheorie, Quantentheorie). Küng will entsprechend der Entwicklung in den Naturwissenschaften auch in der Christentumsgeschichte Phasen unterscheiden, in denen ein bestimmtes Paradigma vorherrschte, ehe es durch ein neues abgelöst wurde. Dabei stützt er sich auf herkömmliche Periodisierungen der Kirchen- und Theologiegeschichte (Urchristentum, Patristik, Scholastik, Reformation, Aufklärung) und bestimmt das „neue Paradigma“ als „kritisch-ökumenisch“.

Kuhn bekennt sich, dem wissenschaftlichen Standard entsprechend, zum ateleologischen Evolutionsprozess30. In Küngs Anlehnung an die Kuhn’sche Paradigmentheorie darf man wohl eine Annäherung an die Theorie der Kulturevolution vermuten, die aber nicht durchgehalten wird. Denn trotz aller Paradigmenwechsel in der Christentumsgeschichte soll „das christliche Ur- und Grundzeugnis, also das Evangelium selber“ „unveränderliche“ „Konstante“ sein und bleiben31. So vertritt auch Küng nur, wie heute die meisten Theologen, eine „Über-Setzungs“-Theologie32. Doch die Interpretationsthese bleibt vage. Sie stellt sich nicht wirklich der Tatsache, dass zentrale Glaubensgehalte sich auch im Denken von Christen inhaltlich in bestimmter Richtung gewandelt oder ihre existentielle Bedeutung verloren haben.

Eine eher protestantische Variante der Wahrheits-Interpretationsthese ist die Erstellung neuer, textverändernder Bibelübersetzungen. Der alte Glaube, dass die Bibel ein für alle Mal Gottes Wort enthält, vermischt sich hier mit dem Willen, moderne Standards wie etwa die Gleichberechtigung von Frau und Mann zur Geltung zu bringen33. Aber solche sicher in bester Absicht vorgenommenen Manipulationen lassen nicht nur Respekt gegenüber dem alten Text vermissen, sondern sie leugnen letztlich auch die religiöse Evolution. Denn religiöse Evolution bedeutet, dass sich die Gegebenheiten nicht nur äußerlich ändern und deshalb auch heutige Wert- und Glaubensvorstellungen nicht immer schon in nuce vorhanden waren.

Evolution des Glaubens

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