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Zwei

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Pfingstmontag

Wie jeden Tag fuhr der Trabertrainer Sepp Staudinger, ein attraktiver Mann Mitte 40, mit seinem Auto um 5.30 Uhr früh durch die leeren Straßen seiner Heimatstadt Pfarrkirchen. Seit zehn Jahren hatte er direkt neben der Rennbahn einen Stall für die ihm anvertrauten Rennpferde gepachtet. Doch heute war kein normaler Arbeitstag. Der Pfingstmontag war der erste Tag des Pfarrkirchner Trabermeetings. Er war nervöser als sonst, als er den Torbogen des Rennbahngeländes durchquerte.

Einige seiner auswärtigen Kollegen, besser gesagt Konkurrenten, waren augenscheinlich mit ihren Pferden schon vor Ort, viele Pferdeanhänger und -transporter standen am Rennbahngelände. Staudinger freute sich einerseits, dass er heute nicht mit den Pferden zu den auswärtigen Bahnen fahren musste – er nahm sogar Wege bis nach Berlin-Mariendorf in Kauf –, andererseits musste er dadurch auf einen ruhigen Morgen verzichten. Er liebte die frühen Stunden, in denen er normalerweise mit seinen Tieren alleine war.

Was soll’s, dachte er. Am Dienstagabend, nach dem letzten Rennen, werden alle wieder abreisen und am Mittwoch geht alles seinen gewohnten Gang. Dafür hatte er heute und morgen ein Heimspiel. Heute und morgen konnte er zum local hero oder zum local loser werden.

Er bog rechts ab und fuhr an den hölzernen Stallungen und den Paddocks vorbei ganz nach hinten zu seinem Stall. Staudinger stieg aus und sperrte die Stalltür auf. Wie jeden Tag warteten seine Vierbeiner schon ungeduldig auf ihn. Oder doch eher auf ihr Frühstück? Sie wieherten und scharrten mit den Hufen, als er den Stall betrat. Als Erstes fütterte der erfahrene Trainer seine Pferde, bevor er sich selbst zum Frühstücken in sein Traberstüberl begab. Dieses war lediglich mit einer alten einfachen Küchenzeile, einem kleinen Kühlschrank, einem Schrank und einem Tisch mit vier hölzernen Stühlen ausgestattet. In diesem spartanisch eingerichteten Raum hingen einige Fotos von ihm und seinen ehemaligen Erfolgspferden, mit denen er als Sieger die Ziellinie auf den verschiedenen Rennbahnen der Republik überquert hatte.

Er ging zum Tisch, nahm ein Küchenmesser aus der Schublade, wickelte das Brot aus der Plastiktüte und schnitt sich zwei dicke Scheiben davon ab. Dann holte er Butter und Marmelade aus dem Kühlschrank und schmierte seine Frühstücksbrötchen, wie er es jeden Tag machte. Dazu trank er seinen Kaffee aus der Thermoskanne, die er von zu Hause mitgebracht hatte.

Nachdem sowohl seine Tiere als auch er gefrühstückt hatten, ging er zurück in den Stall und führte die Pferde, die heute nicht starteten, auf die nahe liegenden Koppeln. Ein BMW X5, der flott auf den Stall zufuhr, störte sein morgendliches Ritual. Er erkannte den Fahrer sofort, wunderte sich aber, da der bisher noch nie zu so früher Stunde am Stallgelände aufgetaucht war.

Der 48-jährige Landwirt und Pferdebesitzer Manfred Dietl stieg aus seiner Nobelkarosse aus, ging zur Koppel und begrüßte den Trainer seiner beiden Trabrennpferde. »Guten Morgen, Sepp. Gell, da schaust, dass ich heut schon so früh da bin.«

»Hast nimmer schlafen können?«, fragte der verdutzte Staudinger zurück.

»Ja, da ist was Wahres dran. Ich hab ’träumt, dass ich heut g’winn«, antwortete Dietl, der am Nachmittag mit seinem Pferd Dark Fighter für den Eurocup der Amateure gemeldet war.

Dieser Eurocup, an dem ausschließlich Hobbyfahrer wie Manfred Dietl teilnahmeberechtigt waren, galt als Höhepunkt des Trabermeetings am Pfingstmontag. In drei Vorläufen qualifizierten sich die ersten drei für das Finale, das mit stattlichen 10.000 Euro dotiert war.

»Ich glaub schon, dass du mit dem Darkie eine gute Chance hast, Manfred«, motivierte Sepp den Hobbyfahrer.

»Glaubst wirklich, Sepp?« Manfred Dietl schaute seinen Trainer skeptisch an.

»Ja. Ich habe ihn am Freitag noch schnell g’fahren. Da hat er mir einen sehr guten Eindruck g’macht.«

»Das freut mich. Was hältst du davon, wenn ich ihn jetzt ein bisserl einspann und ein paar langsame Runden auf der Bahn drehe?«

»Das ist eine gute Idee. Du bist ihn ja schon länger nicht mehr g’fahren. Aber bitte, wirklich nur langsam. Der braucht heut Nachmittag seine ganze Kraft.«

»Logisch. Kannst du ihn mir herrichten?«

»Mach ich. Komm doch mit«, schlug Sepp Staudinger vor.

Der Trainer führte den hübschen Rappwallach, den Manfred Dietl vor ungefähr einem Jahr gekauft hatte, aus seiner Box und band ihn in der Stallgasse an. Nachdem er ihn mit einer Bürste geputzt hatte, legte er ihm das Geschirr an.

Währenddessen öffnete sich die Stalltür. Staudingers junge Mitarbeiterin Kerstin Schmid betrat den Stall und begrüßte die beiden. »Guten Morgen zusammen. Mit dir, Manfred, habe ich um diese Zeit nicht g’rechnet.«

»Mit mir musst du immer rechnen, Kerstin«, flachste der Angesprochene.

»Der Manfred will ein paar langsame Runden mit dem Darkie drehen«, erklärte der Trainer.

»Das kann nicht schaden«, stimmte die Pferdepflegerin zu.

»Und du, Kerstin, kannst schon mal mit dem Ausmisten anfangen«, bestimmte der Chef.

Nachdem das Geschirr und die Zügel angelegt und der Joggingwagen befestigt waren, führte Sepp Staudinger den Traber aus dem Stall. Draußen setzte sich Manfred Dietl auf das Gefährt, und der Trainer begleitete seinen Schützling zur nahen Rennbahn. Staudinger beobachtete die beiden von der Bande aus und hoffte, dass der Hobbyfahrer nicht zu schnell um die Bahn fuhr.

»Und, Sepp, was meinst’, hat der Manfred heute Nachmittag eine Chance?«

Sepp erschrak, als er die Stimme seiner Frau hörte. Seine Monika, die in der Pfarrkirchner Innenstadt eine Modeboutique betrieb, interessierte sich normalerweise nicht für den Trabrennsport. Der Arbeitsplatz ihres Mannes war ihr eigentlich fremd. Lediglich an den beiden Renntagen an der Rott war sie zugegen und hielt ihrem Mann die Daumen. Deshalb kannte sie den Pferdebesitzer und Amateurfahrer Manfred Dietl, denn dieser ließ seine Rennpferde bereits seit acht Jahren von ihrem Mann trainieren.

»Was machst du heut Vormittag schon da?«, fragte der irritierte Ehemann.

»Ich dachte, ich bring euch eine kleine Stärkung vorbei.« Monika zeigte auf eine Papiertasche mit leckeren Erdbeerschnitten, die sie in einer Bäckerei gekauft hatte.

»Das ist tatsächlich eine Überraschung«, wunderte sich Staudinger.

»Und, hat er eine Chance heute?«, hakte Monika nochmals nach.

»Sein Vorlauf ist nicht leicht, aber der Darkie ist gut drauf. Wenn der Manfred seine Nerven im Griff hat, kann er sich eine Siegchance ausrechnen«, hoffte der Trabertrainer.

Wenig später hatte Manfred Dietl seine morgendliche Trainingseinheit beendet und verließ die Bahn. An der Ausfahrt übernahm Staudinger das Pferd.

»Grüß dich, Monika, du hier? Hat dich der Bettzipfel so früh ausg’lassen?«, flachste Dietl mit der Ehefrau des Trainers.

»Servus, Manfred. Ich hab uns was Süßes mit’bracht«, entgegnete Monika.

»Ich bring noch schnell den Darkie in den Stall und dann essen wir den Kuchen im Traberstüberl. Ihr könnt schon mal vorgeh’n«, schlug Sepp vor. Der morgendliche Trubel war ihm trotzdem nicht ganz geheuer.

Im Traberstüberl hatten Monika und Manfred bereits den Kaffee aufgesetzt und die Kuchenteller auf den Tisch gestellt, als Sepp eintrat.

»Was hast für einen Eindruck g’habt vom Darkie?«, wollte der Trainer von seinem Amateurfahrer wissen.

»Der war ganz entspannt. Wie soll ich ihn heute fahren?«, erkundigte sich der Hobbyfahrer bei dem Profi.

»Ich würd ihn ruhig eintreten lassen, mir eine gute Lage suchen und dann zum richtigen Zeitpunkt losfahren. Aber nicht zu früh«, schlug Staudinger vor.

»Das ist alles leichter g’sagt als ’tan. Hoffentlich blamier ich mich heut nicht. Ich hab nämlich viele meiner Geschäftsfreunde auf die Bahn eing’laden«, entgegnete Dietl.

»Das schaffst du schon, Manfred. Ich drück dir auf jeden Fall die Daumen«, munterte Monika ihn auf.

Sepp war über die plötzliche Rennbegeisterung seiner Frau mehr als erstaunt.

Ausgetrabt

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