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3. Ein teures Angebot

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Wir verabschiedeten uns von Herrn Mangold und gingen, verschmutzt und durchnässt, wie wir waren, zurück zum Auto. Als wir die Kreisstraße erreicht hatten, sahen wir jede Menge Rettungsfahrzeuge, Streifenwagen und sogar einen Wasserwerfer parken. Als ob es hier nicht genügend Wasser gäbe. Entlang der Straße zum Marx’schen Weiher war alle 50 Meter ein Polizeibeamter postiert, der Zustand der Straße wurde anscheinend ständig beobachtet. In angemessenem Tempo fuhren wir zur Dienststelle zurück.

Jutta fand ich in ihrem Büro. Sie wirkte immer noch so frisch, als käme sie gerade aus der Dusche.

»Ich habe mich etwas zurückgezogen«, erklärte sie mir, nachdem sie einen skeptischen Blick auf meine Kleidung geworfen hatte. »Oben im Sozialraum geht es hoch her. Seit die Funkanlagen installiert sind, ist der Geräuschpegel explodiert. Im Moment scheint alles unter Kontrolle. Ein paar Camper machten Ärger und mussten in die Sommerfesthalle zwangsumgesiedelt werden. Die Helden haben Versteckspielen geübt, doch unsere Hunde haben gewonnen.« Sie lächelte. »Wie ist es euch ergangen?«

Bevor ich antworten konnte, kam Gerhard zur Tür herein. Freudestrahlend hielt er eine Kanne Kaffee in der Hand. »Ich habe uns mal schnell einen kleinen Koffeinschocker gebraut. Als Ersatz für die Weihnachtsfeier. Äh, Reiner, sei bitte etwas vorsichtig, er ist mir unter Umständen ein klein wenig stark geraten.«

Ups, diese ungewohnten Worte aus dem Mund meines Kollegen? Da war es vor dem Hintergrund meiner erhofften Lebenserwartung bestimmt sicherer, den Sekundentod dankend abzulehnen. Jutta schenkte sich und Gerhard ein und beide tranken das zähflüssige Schwarz mit Genuss. Ich überlegte, ob ich mir an unserem Kaltgetränkeautomaten eine Cola ziehen sollte. Doch wie ich mein Glück kannte, würde aus dem von Kollegen manipulierten Automaten bestimmt wieder eine dieser eklig schmeckenden Diätlimonaden poltern.

»Die Lage am Deichbruch ist sehr brisant«, erklärte ich Jutta und beschrieb ihr das gerade Erlebte.

Sie nickte eifrig. »Den Sprengstoffspürhund hat dieser Mangold bereits angefordert. Wir werden sehen, was dabei herauskommt. Die Evakuierung wird wahrscheinlich in dieser Nacht abgeschlossen sein. Was dann passiert, sehen wir morgen früh. Eventuell muss das überflutete Gebiet abgeriegelt werden, um Plünderer abzuhalten. Aber das soll nicht unser Problem sein. Dazu reicht die Schutzpolizei. Theoretisch könntet ihr zwei somit ins Wochenende gehen. Praktisch würde ich mir wünschen, dass ihr morgen früh nochmals reinkommt. Man weiß ja nie, was heute Nacht alles passiert.«

»Du willst uns jetzt heimschicken?«

»Ihr könnt auch gerne dableiben und den Funkverkehr mit anhören. Ob euch das etwas bringt? Zu Hause freuen sich eure Partner auf euch. Na los, auf was wartet ihr noch?«

»Was macht eigentlich KPD? Ist der wieder aufgetaucht?«, wollte ich zum Schluss noch wissen.

»Ja, der war kurz hier. Ich habe gesehen, wie er ein paar Gitterboxen voll Esswaren in sein Büro geschleppt hat. Morgen früh will er zusammen mit dem Landrat eine Pressekonferenz abhalten. Dabei weiß er am wenigsten von allen.«

Wir verabschiedeten uns von Jutta, und Gerhard fuhr mich heim.

*

Stefanie öffnete auf mein Klingeln die Tür. Ich hatte ihr vor meinem abendlichen Einsatz meinen Schlüssel gegeben. Entsetzt starrte sie mich an.

»Um Himmels willen! Wie siehst du denn aus? Ist mit dir alles in Ordnung?«

Ich nickte und versuchte krampfhaft zu lächeln.

»Ziehe deine Klamotten am besten gleich hier im Flur aus, dann versaust du nicht die Wohnung. Und hinterher gehst du sofort unter die Dusche. Wo hast du übrigens deine Krawatte?«

Ich zog den langen und zerknäulten Stofflappen aus meiner Jackentasche und gab ihn meiner Frau.

Sie unterließ jeden Kommentar, anscheinend war sie froh, dass ich heil heimgekommen war. Während ich duschte, machte sie mir ein paar Käsebrote. Ja, es war Vollkornbrot und verklebte meinen Gaumen. Ich erzählte ihr von dem Deichbruch und dass Gerhard und ich Doktor Metzger getroffen haben.

Nach dem Essen freute ich mich auf mein Bett. Doch das musste warten. Stefanie winkte mit einer Flasche Massageöl. Ich tat meine Pflicht als Ehemann und werdender Vater und vergaß selbstverständlich nicht, den leichten Bauchansatz zu massieren. Nein, nicht meinen – den von Stefanie. Der Rest des Abends wird unbeschrieben bleiben.

*

Meine Frau hatte Verständnis dafür, dass ich am nächsten Morgen wegen des Deichbruchs zur Inspektion musste. Es war zwar Samstag, aber immerhin war abzusehen, dass die Besprechung nicht sehr lange dauern würde. Danach wollte ich mit meinem ungeborenen Kind und der wunderschönen Frau, die ihm für neun Monate Obdach gewährte, nach Ludwigshafen zum Weihnachtsmarkt fahren.

Aus der Leitzentrale, die bis gestern unser Sozialraum war, drang nach wie vor babylonisches Stimmenwirrwarr durchs Gebäude. Anscheinend gab es noch viel zu tun.

Jutta sah nicht mehr so gut aus wie vor ein paar Stunden, sie musste die Nacht durchgearbeitet haben. Sie gähnte herzhaft mit weit geöffnetem Mund, als ich ihr Büro betrat.

»Entschuldige, Reiner. Guten Morgen erstmal.«

Jetzt sah ich auch Gerhard, der bereits am Besprechungstisch saß. Vor ihm stand eine Magnumtasse Sekundentod. Mein Kollege sah ebenfalls nicht gerade erholt aus.

»Guten Morgen, ihr beiden. Alles klar mit dir, Jutta?«

Sie gähnte erneut und sah mich mit großen Augen an. »Zwei Stunden konnte ich an meinem Schreibtisch ein kleines Schläfchen halten, mehr war nicht drin.«

Ich wunderte mich, wie man nach dem Genuss von Sekundentod überhaupt schlafen konnte.

»Waren die Camper so hartnäckig? Ist die Anlage evakuiert?«

»Zweimal ja. Fast ein Dutzend mussten wir vorläufig festnehmen, weil sie randaliert haben. Man hätte meinen können, es ginge um Leben und Tod. Dabei waren es nur ihre Campingwagen, die sie retten wollten. Na ja, reden wir von etwas Unerfreulicherem. Gerhard weiß es schon.« Ihre Mundwinkel fielen nach unten, mein Lieblingskollege saß regungslos da.

»Lass mich raten. Die Kreisstraße hat’s erwischt.«

Die zwei schauten mich an, als hätte ich einen Scherz gemacht.

»Dies zu erraten ist kein großes Kunststück«, meinte Jutta ironisch. »Kurz vor 4 Uhr ist das erste Wasser übergeschwappt. Die Campingplatzanlage ist gegenwärtig ziemlich feucht und das Wasser steigt und steigt. Altrip ist nur noch von Rheingönheim aus zu erreichen.«

Gerhard schaute trübsinnig in seine fast leere Tasse.

Jutta berichtete weiter. »Der Campingplatz ist aber nicht unser aktuelles Problem. Wir müssen inzwischen davon ausgehen, dass dem Deichbruch nachgeholfen wurde und das fällt eindeutig in unser Resort.«

»Die Explosionen?«, fiel ich ihr ins Wort.

Sie nickte. »Heute Nacht kam ein E-Mail rein. Hier ist eine Kopie. Wir gehen davon aus, dass es authentisch ist.« Sie überreichte mir ein Blatt Papier.

›Das War Erst Der Anfang. Wenn Unser Angebot Nicht Angenommen Wird, Löschen Wir Ludwigshafen Und Mannheim Aus. Das Angebot Befindet Sich Am Ortsschild Von Altrip.‹

Entsetzt las ich den Text. »Ist das wirklich ernst zu nehmen? Kann man die Herkunft feststellen?«

»Das ist freilich sehr ernst zu nehmen. Das Herausfinden des Absenders dürfte nicht einfach werden. Das E-Mail wurde über eine anonymisierte Verbindung und dazu noch über einen koreanischen Server verschickt. Wir haben das selbstredend sofort an das Landeskriminalamt weitergegeben. Doch die sind desgleichen sehr skeptisch, was die Recherche nach dem Urheber angeht.«

Ich ging das E-Mail erneut durch. »Das liest sich wie ein schlechter ›Tatort‹. Wie kommst du darauf, dass der Text echt sein soll?«

»Ganz einfach, mein lieber Reiner. Wir haben das sogenannte Angebot gefunden, so viele Altriper Ortsschilder gibt es nicht. Und der Inhalt lässt keinen Zweifel daran, dass er von den Terroristen stammt, die den Deich gesprengt haben.«

»Terroristen? Hier bei uns in der Vorderpfalz?« Ungläubig schüttelte ich den Kopf. »Wir sind nicht in Berlin, Jutta.«

»Du wirst es gleich begreifen. Das Motiv bleibt allerdings im Dunkeln. Diese Terroristen wollen 50 Millionen Euro haben. Ansonsten werden sie noch größeren Schaden in der Region anrichten. Die Sprengung gestern Abend soll nur eine kleine Kostprobe gewesen sein.«

»Eine kleine Kostprobe? Die haben an drei Stellen den Deich weggesprengt und das Leben vieler Menschen aufs Spiel gesetzt!«

»Genau!«, antwortete Jutta. »Die haben den Deich gesprengt und das ohne Probleme und ohne Zeugen. Wir müssen davon ausgehen, dass diese Gruppe ein mächtiges Gefährdungspotenzial darstellt. Das Geld soll bereits heute Nachmittag übergeben werden, wir haben folglich einen ziemlichen Zeitdruck. Die Details zur Übergabe liegen vor. Das Original des Erpresserschreibens wird zur Stunde im LKA untersucht. Eines steht bereits fest: Die ausgeschnittenen Buchstaben des Briefes stammen aus dem ›Trieri­schen Volksfreund‹, insbesondere aus einem aktuellen Artikel über die Verschwendungssucht beim Nürburgringprojekt.«

Sekundentod hin, Sekundentod her. Jetzt war ich soweit, mir eine Tasse einzuschenken. Glücklicherweise stand ein Beutel Milch auf dem Besprechungstisch.

»Okay, dann kriegen wir sie halt bei der Geldübergabe. Meines Wissens hat noch nie ein Erpresser eine todsichere Möglichkeit für eine Geldübergabe gefunden.«

»Da wäre ich mir für die Zukunft nicht so sicher«, mischte sich Gerhard ein. »Die wollen, dass die 50 Millionen Euro in eine Metallkiste gesteckt und an einem Hubschrauber befestigt werden. Der Hubschrauber muss auf einer bestimmten Frequenz ständig seine Position durchgeben und der Pilot erhält auf einer anderen Frequenz seine Instruktionen. Auf ein bestimmtes Kommando hin soll die Kiste dann abgeworfen werden.«

»Das funktioniert doch niemals!«, ereiferte ich mich. »Was ist, wenn es Trittbrettfahrer sind?«

»Das ist so gut wie ausgeschlossen. Letzte Gewissheit bekommen wir nachher. In dem Erpresserschreiben wird die genaue Mischung des Sprengstoffs beschrieben. Reste davon haben die Entenbobbys inzwischen bergen können.«

Ich kannte den Spaßausdruck für die Wasserschutzpolizei und wollte gerade etwas erwidern, als die Tür aufgerissen wurde. So zornig hatte ich KPD selten erlebt. Polternd setzte er sich zu uns an den Tisch.

»Denen hab ich’s aber gegeben!«, begann er ohne Begrüßung zu schelten. »Das Landeskriminalamt wird immer dreister. Nur weil wir hier einen kleinen Deichbruch haben, wollen die den Fall an sich reißen. Lächerlich, was die sich alles einbilden! Ich habe denen kräftig die Meinung gegeigt. Hier in meiner Dienststelle bewerte ich die Lage immer noch selbst. Solange ich ein guter Chef bin, können wir das allein regeln. Mit meinem Organisationsgeschick dürfte das eine leichte Übung sein.«

Fassungslos glotzten wir ihn an. Bevor einer von uns auch nur den Hauch einer Chance hatte, etwas zu sagen, fuhr er fort: »Selbstverständlich kommt kein Geld in die Kiste. Mit meiner Erfahrung schnappen wir die Spinner bei der Geldübergabe. Meine Herren –«, damit wandte er sich Gerhard und mir zu, »auf Sie warten die Kollegen von der Wasserschutzpolizei. Ich habe den Termin für Sie vereinbart. Die Beamten zeigen Ihnen die Deichbruchstellen von der Rheinseite aus. Anschließend wartet der Hubschrauber. Da wir bei uns im Hof wegen der Bäume keinen geeigneten Platz haben, wird er vor dem Gebäude der Wasserschutzpolizei landen. An diesem Ort wird auch die Metallkiste befestigt, geeignete Spezialisten sind unterwegs. Sie sehen, ich habe alles bestens organisiert. Sie brauchen fast nichts mehr selbst zu tun. Frau Wagner wird heute Abend während der Geldübergabe den Funkverkehr abhören und die Kollegen von der Schutzpolizei zum Abwurfort lotsen. Ich selbst habe leider keine Zeit. Wegen der ausgefallenen Weihnachtsfeier muss ich zu jedem Bürgermeister fahren und mich entschuldigen. Frau Wagner, Herr Steinbeißer, Herr Palzki – ich verlasse mich auf Sie!«

Mit diesen Worten war er wieder verschwunden.

»Das ist typisch KPD«, fasste Jutta zusammen. »Zuerst das Landeskriminalamt zusammenstauchen, das viel bessere Möglichkeiten hätte als wir, und danach die Fliege machen. So wie es aussieht, Reiner, bist du nun der Verantwortliche.«

Mein Rachen brannte fürchterlich, als ich die verbliebene halbe Tasse Sekundentod auf Ex hinabstürzte. »Dann wollen wir mal. Lasst uns diese Gauner schnappen, dann haben wir wenigstens einen freien Sonntag.«

»Siehst du das nicht vielleicht ein bisschen zu naiv?«, wandte Gerhard ein.

»Vielleicht. Aber zu Hause sitzt Stefanie und wartet auf mich. Los, lass uns fahren.« Als wir fast zur Tür draußen waren, fiel mir ein: »Jutta, was machst du jetzt eigentlich? Wer löst dich ab?«

»Machst du Witze? Selbstverständlich bleibe ich im Dienst. Die ganze Aktion muss koordiniert und überwacht werden. Wer sollte das übernehmen? Ich schau, dass ich da oben –«, sie zeigte mit der Hand in Richtung Sozialraum, der einen Stock höher lag, »nicht mehr gebraucht werde. Das dürften die Kollegen allein gebacken bekommen. Macht ihr euren Ausflug auf dem Rhein, bis heute Nachmittag wird der Hubschrauber startklar sein.«

Hubschrauber. Warum musste sie das nochmals erwähnen. Ich war bisher ein einziges Mal in so einem Ding gesessen und habe gekotzt wie bei meiner ersten Obduktion mit Dr. Hingstenberg. Ich versuchte, die Erinnerung daran zu verdrängen.

»Los, Gerhard, heute fahre ich.«

»Das geht auch nicht anders«, antwortete er. »Mein Wagen sieht aus wie nach der Rallye Paris–Dakar. Wenn wir damit bei der Entenpolizei auftauchen würden –«

Wir fuhren nach Ludwigshafen. Die Dienststelle der Wasserschutzpolizei befand sich seit noch nicht allzu langer Zeit in der Hafenstraße auf der Parkinsel. Die frühere Dienststelle musste der neu gebauten Rhein-Galerie weichen, einem riesigen und kontrovers diskutierten Einkaufszentrum direkt am Rhein, mit dem Ludwigshafen versuchte, die nach Mannheim flüchtende Kaufkraft in der pfälzischen Metropole zu halten. Die Dienststelle war nicht leicht zu finden. Nur ein Hinweisschild an der breiten Einfahrt eines Unternehmens zeigte uns, dass wir richtig waren. Im hinteren Bereich eines fußballfeldgroßen Parkplatz fanden wir einen freien Platz. In einer Ecke versteckte sich ein dreistöckiges Gebäude. Die Eingangstür stand offen. Anhand der Klingelschilder erkannten wir, dass neben der Dienststelle weitere Unternehmen in dem Gebäude ansässig waren. Im Treppenhaus konnten Gerhard und ich keine Hinweise auf unsere Kollegen finden. Also gingen wir nach dem Ausschlussverfahren vor. Alle vom Treppenhaus abführende Türen waren mit Firmenschildern bestückt. Die Sache war klar: Wir mussten einen Stock höher. Dort das gleiche Spiel. Als wir die Hälfte der Treppe zum dritten Stock nach oben gegangen waren, erkannten wir am Ende des Treppenaufgangs eine einzelne Tür, die wie ein Speicherzugang aussah. Verwundert blieben wir stehen.

»Haben wir etwas übersehen, Gerhard? Warst du schon einmal hier?«

Mein Kollege verneinte. »Von einem Keller habe ich auch nichts bemerkt.«

Ich schmunzelte. »Vielleicht arbeiten die Kollegen komplett auf dem Wasser? Ich habe sowieso nie ganz verstanden, was die so machen.«

Zu unserer Rettung wurde in diesem Moment die Speichertür geöffnet und ein uniformierter Kollege schaute heraus. »Wollen Sie zu uns?«, fragte er höflich.

»Wenn ich Sie so anschaue, stimmt die Richtung. Wir kommen von der Kripo Schifferstadt.«

»Ah, die Landratten. Wir warten schon eine Weile auf Sie. Kommen Sie hoch.«

Hinter der Speichertür erwartete uns eine ganz normale Dienststelle, die sich über das gesamte Stockwerk zog. Ein Mann mit mehreren Streifen auf seiner Uniform kam auf uns zu.

»Herr Palzki, Herr Steinbeißer, herzlich willkommen bei uns. Mein Name ist Heinz Strommeier. Ich bin der Dienststellenleiter der Wasserschutzpolizei Ludwigshafen. Kommen Sie bitte mit in mein Büro.«

Während wir ihm folgten, fuhr er fort: »Ich habe zwar gerade Besuch, aber das soll Sie nicht stören.«

Erstaunt blickten wir in das knabenhafte Gesicht von Dietmar Becker, dem Archäologiestudenten. Dieser Grobmotoriker mit seinem ausgeprägten Gewissen, das ihn bei der kleinsten Lüge rot werden ließ, tauchte seit Monaten stets unverhofft während meiner Ermittlungsarbeiten auf. Anfangs schien es noch zufällig zu sein, bis ich erfuhr, dass er nicht nur nebenbei als freier Journalist für Zeitungen arbeitete, sondern als Schriftsteller regionale Kriminalgeschichten schrieb. Die Verbrechen schienen ihn magisch anzuziehen. Trotzdem mochte ich ihn wegen seiner ehrlichen und offenen Art.

»Was machen Sie hier, Herr Becker? Ich habe schon fast Sehnsucht nach Ihnen bekommen.«

Herr Strommeier stand da, unfähig, etwas zu sagen.

»Hallo, Herr Palzki«, grinste mich der Student an. »Ich habe selbst erst vor ein paar Minuten erfahren, dass Sie einen Termin mit Herrn Strommeier haben.« Er schaute mich fragend an: »Hat es mit dem Deichbruch zu tun, von dem ich im Radio hörte?«

Der Chef der Wasserschutzpolizei fand seine Sprache wieder. »Oh, ich wusste nicht, dass Sie sich kennen. Herr Becker ist nur zufällig hier. Er will einen Artikel über unsere Polizeiarbeit schreiben. Viele Menschen wissen überhaupt nicht, was wir so den ganzen Tag treiben, daher habe ich ihm selbstverständlich Unterstützung zugesagt. Da wir samstags meist wenig Betrieb haben, habe ich ihn zu einer kleinen Fahrt auf dem Rhein eingeladen, um ihm unsere Aufgabengebiete plastisch vorzuführen. Dummerweise habe ich in der Hektik vergessen, den Termin zu verlegen.«

»Lassen Sie mal gut sein, Herr Strommeier. Becker und ich kennen uns ganz gut.«

Ein weiterer Beamter kam zur Tür herein.

»Darf ich vorstellen? Das ist Kollege Bernd Schliefensang, Polizeioberkommissar. Vor zwei oder drei Monaten wurde er von der Mosel an den Rhein nach Ludwigshafen versetzt.«

Wir schüttelten ihm nacheinander die Hand.

»Auf eigenen Wunsch«, ergänzte der langhaarige Schliefensang. »Ich wollte schon immer in der Stadt wohnen.«

Irgendwie sah er eigenwillig aus. Er trug Ohrringe. Gut, heutzutage musste man toleranter sein als früher. Dennoch machte er nicht gerade einen sympathischen Eindruck auf mich. Er hatte etwas Kinskimäßiges an sich.

»Chef, das Fax mit der Analyse ist da.« Er übergab Herrn Strommeier ein Blatt Papier.

»Sie wissen bestimmt Bescheid«, wandte er sich uns zu. »Letzte Nacht haben wir Reste des Sprengstoffs bergen können, eine Stange hatte nicht gezündet. Darum geht es in dieser Analyse. Ihre Kollegin, Frau Wagner, sagte mir vorhin am Telefon, dass sie mir das Ergebnis durchfaxen würde, sobald es vorliegt.« Er las den Text. »Aha, wie Herr Schliefensang nach dem Fund vermutet hatte. Es handelt sich um einen gelatinösen Sprengstoff. Gut gemacht, Herr Kollege.« Er nickte ihm anerkennend zu. »Als Sprengöl wurde Ethylenglykoldinitrat verwendet und als aromatische Nitroverbindung Trinitrotoluol und Ammoniumnitrat im Verhältnis 60:40. Das Gemisch war mit sieben Prozent Kollodiumwolle gelatiniert. Das LKA teilt ferner mit, dass dies mit den Angaben im Erpresserbrief übereinstimmt und die Herstellung keine Amateurarbeit war.«

Im Augenwinkel bekam ich mit, wie Dietmar Becker eifrig mitschrieb. »Herr Becker! Unterstehen Sie sich, die Zusammensetzung des Sprengstoffs irgendwo zu veröffentlichen. Oder wollen Sie in Ihren Romanen Anleitungen für einen Bombenbau geben?«

Der Student lief rot an. »Nein, natürlich nicht. Ist es wirklich wahr, dass der Deich absichtlich gesprengt wurde?«

Herrn Strommeier war die Situation sichtlich peinlich. »Ich glaube, wir sollten unsere Fahrt auf ein anderes Mal vertagen, Herr Becker. Sie sind leider in eine polizeiliche Ermittlung reingeraten, eine gefährliche dazu. Tut mir leid, bei der Polizei lässt sich leider der Tagesablauf nicht immer vorhersagen.«

Bei KPD schon, wollte ich antworten. Stattdessen sagte ich: »Lassen Sie mal, Herr Strommeier. Wir können den Studenten gerne auf unsere Fahrt mitnehmen. Das ist zwar auch bei der Kripo nicht üblich, doch irgendwie hat er in der Vergangenheit in manchen Dingen ein glückliches Händchen gehabt.«

Becker strahlte über beide Ohren und der Chef der Wasserschutzpolizei antwortete mit einem: »Wie Sie meinen, Herr Palzki.«

Schliefensang stand nach wie vor neben seinem Chef. »Das Boot steht bereit, Heinz.«

»Danke, Bernd. Dann wollen wir mal, meine Herren. Kollege Schliefensang wird Ihnen gleich eine Rettungsweste geben. Ohne Weste darf niemand an Bord mitfahren. Auch auf dem Wasser hat die Berufsgenossenschaft das Sagen.«

Zu fünft gingen wir nach unten. Auf der schmalen Seite des Gebäudes befand sich der künstlich angelegte Luitpoldhafen. Durch seinen Bau wurde die Parkinsel vor rund 100 Jahren zur Insel. Das knapp 20 Meter lange Polizeiboot mit dem blauen Rumpf und dem weißen Aufbau lag direkt neben der Kaimauer. WSP 17 stand am Bug.

Herr Schliefensang war kurz in der Kajüte verschwunden und hatte, als er zurückkam, drei Schwimmwesten in der Hand. Das Anlegen ging recht fix, der Tragekomfort ließ zu wünschen übrig. Verglichen mit dem einer Krawatte konnte ich aber nicht meckern. Der Motor des Bootes sorgte für eine ziemliche Geräuschkulisse. Der Schiffsführer drückte ordentlich aufs Gas.

»Die 850 PS unter der Haube machen sich deutlich bemerkbar«, meinte Herr Strommeier stolz. »Mit den beiden Turbodieselmotoren erreichen wir in der Spitze über 50 Stundenkilometer. Ich weiß, die Geschwindigkeit ist nichts im Vergleich zu Ihrem Dienstwagen, doch versuchen Sie mal mit ihm, auf dem Rhein zu fahren.«

Die Uferlinie des Luitpoldhafens zog in rasantem Tempo an uns vorbei. Die kalte Luft in der Kajüte ließ mich frieren. Strommeier entschuldigte sich, dass im Moment leider die Heizung ausgefallen sei. Dietmar Becker schien etwas grün im Gesicht zu werden. Im Nu hatten wir den Rhein erreicht und fuhren stromaufwärts. Auf Steuerbord, oder wie ich an Land sagen würde, rechter Hand, lag der überflutete Stadtpark der Parkinsel. Ganze Baumreihen standen mitten im Wasser.

»Schauen Sie sich jetzt diesen Gegensatz an«, rief mir Herr Strommeier zu. »Auf der Mannheimer Seite sehen Sie das Naturschutzgebiet der Reißinsel. Einmalig für diese dicht bebaute Region. Und wenn Sie jetzt Ihren Blick auf das Ludwigshafener Ufer lenken würden –«, er deutete mit seinem Arm nach rechts, »sehen Sie den größten europäischen Binnenumschlaghafen für Gefahrgüter. Denken Sie nicht nur an die Raffinerie, hier gibt es eine Vielzahl mittelständischer Unternehmen, die mit chemischen Gefahrgütern jeglicher Couleur handeln. Ich glaube, dass die Arbeiter nicht immer wissen, mit welchen gefährlichen Stoffen sie umgehen.«

Der Kontrast konnte nicht deutlicher sein. Eine Rheinbreite trennte ein Naturparadies von einem potenziellen Chemiegau.

Gerhard und ich fanden die Fahrt spektakulär. Aus dieser Perspektive wirkte der Rhein, zumal er Hochwasser hatte, gefährlich und unberechenbar. Nach kurzer Zeit kamen wir auch schon zu der Stelle, von wo aus normalerweise die Altriper Rheinfähre nach Mannheim ablegte. Bei dem momentanen Pegelstand musste sie aber eine Zwangspause einlegen und war am Ufer verankert.

»Jetzt passen Sie mal auf«, ertönte Strommeiers Stimme. »Auf der rechten Seite sehen Sie in wenigen Sekunden den offenen Durchgang zum Otterstadter Altrhein. Beachten Sie die starke Strömung und die Strudel, die aufgrund des Deichbruchs noch ausgeprägter sind als sonst.«

Im gleichen Moment wurde das Boot auch schon heftig durchgeschüttelt. Der Schiffsführer bog in einer Rechtskurve in den Altrheinarm ab. Mit offenem Mund betrachteten wir die Misere. Das Restaurant Rheinblick, dort, wo Gerhard und ich letzte Nacht geparkt hatten, war das einzige sichtbare markante Bauwerk. Der Rheindeich zum Marx’schen Weiher wirkte wie ein verlorenes und lang gezogenes Häufchen Erde. Deutlich konnten wir die Ausmaße der drei Deichbrüche erkennen. Jeder Durchgang war mindestens 20 Meter breit und noch immer strömte Wasser in rasantem Tempo nach. Von dem Bagger, den wir vor ein paar Stunden halb versunken gesehen hatten, war nur noch die in die Luft gestreckte Baggerschaufel zu erkennen. Weitere technische Geräte waren nicht mehr vor Ort. Zwei oder drei Beobachter der Berufsfeuerwehr Ludwigshafen konnten wir auf den Resten des Deichs ausmachen.

Bernd Schliefensang hatte sich zu uns gesellt. »So etwas habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Gut, an der Mosel hatten wir auch andere Verhältnisse. Aber trotzdem: Hier kann man deutlich sehen, wie mächtig Wasser ist. Es kann Monate dauern, bis das Hinterland wieder benutzbar sein wird.«

»Da kann ich gut verstehen, dass immer mehr Camper ihre Mietverträge kündigen«, waren die ersten Worte des blassen Studenten, seit wir auf dem Boot waren. »Die Kreisverwaltung als Eigentümer des Naherholungsgebietes prüft seit geraumer Zeit, ob sich das Gebiet noch wirtschaftlich genug betreiben lässt. Und jetzt, wo der Polder kommt, wird die Angst vor dem Wasser in den Köpfen der Leute nicht geringer.«

»Woher wissen Sie so genau Bescheid, Herr Becker?«, fragte ich ihn leicht verwundert.

»Sie lesen zu wenig Zeitung, Herr Kommissar. Ich habe über das Naherholungsgebiet Rheinauen eine Artikelserie in der Tageszeitung platzieren können. Ist noch nicht so lange her. Übrigens, der Betrieb und die Verwaltung der Campinggebiete obliegen seit den 60er-Jahren dem Verein ›Erholungsgebiet in den Rheinauen e. V.‹.«

»Mit dem Betrieb wird’s wohl so schnell nichts mehr werden«, lästerte Gerhard, den der Anblick ebenso wie mich schwer beeindruckte.

»Es ist ja nicht nur die Campinganlage«, plauderte der Student weiter. »Auch die landwirtschaftlich genutzten Flächen in der ganzen Umgebung sind betroffen. Denken Sie nur an den Polder. Ich weiß aus sicherer Hand, dass sich die Grundstückspreise in der Altriper Gegend im freien Fall befinden. Es gibt zurzeit ein wesentlich höheres Angebot als Nachfrage. Die Bauern können froh sein, überhaupt noch etwas für ihr potenzielles Seegrundstück zu bekommen. Wenn der Polder kommt, vermutet man eine weitere Steigung des Grundwassers. Irgendwann wird es nicht mehr möglich sein, die Felder landwirtschaftlich zu nutzen. Für die Kreisverwaltung des Rhein-Pfalz-Kreises könnte es eine Alternative sein, die ganze Campingplatzanlage an einen Investor zu verkaufen, der dann das alleinige Risiko trägt. Das sind aber noch interne Überlegungen, da auch die kreisfreien Städte Ludwigshafen, Speyer und Mannheim Mitglieder des Vereins sind. Aber intern ist es so, dass für strategische Entscheidungen der Landkreis das alleinige Sagen hat. Schließlich liegt das Gelände auf seinem Hoheitsgebiet.«

Wassergeld

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