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KAPITEL 6 Die Dunkelheit

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Zwischen drei Uhr nachts und dem Läuten des Weckers um Sechs, irgendwann im Morgengrauen, zwischen der Dunkelheit und dem Nebel des Schlafes, schien die Verzweiflung so erdrückend, dass der Gedanke an Selbstmord gar nichts Erschreckendes hatte. Selbstmord ist im wirklichen Leben nicht so subtil wie im Film. Albrecht dachte nicht über technische Anforderungen nach, er dachte nur an den Effekt, das Danach. Albrecht musste aber auch feststellen, dass es viele Hürden gab. Der Wunsch, sich umzubringen, ist schnell gefasst, die Überwindung und Umsetzung eine andere Sache. Die größte Hürde war er selbst. Selbstmord ist wider die Natur, die kein anderes Ziel hat, als die Arterhaltung. Sterben darf man nur, wenn man sich fortgepflanzt und der Bestand gesichert ist. Ja, bei Körperzellen gibt es Mechanismen, die nach gewissen Auslösern den eigenen Tod bewirken können. Krebs zum Beispiel, wenn die eigenen Zellen sich gegen den Körper wenden. Nicht vorgesehen war aber, dass der Wirt der Zellen diese Entscheidung selbst traf. Die Natur will Dinge kontrollieren. Der Körper, der Geist, die Vernunft, das Herz – alles sträubte sich dagegen. Natürlich war es nicht schwer, plausible Gründe dafür zu finden, warum nach dem Tod alles besser würde. Man konnte immer Gründe finden. Und egal, wie absurd eine Sache schien, es gab schnell Wege, sie von allen Seiten vorteilhaft darzustellen. Er würde nie wieder alleine sein, er würde nie mehr aufwachen, er würde, er würde… In der Dunkelheit der Nacht, wo die Einsamkeit am Stärksten ist, war diese Lösung gar nicht abwegig. In einer dunklen Nacht erscheint aber auch erklärbar, dass ein vorbeifahrender Schneepflug in Wirklichkeit ein verkleideter Ozeandampfer ist. Und das ist keine höhnische Parabel, sondern eine von Albrechts schlimmsten Nächten. In jener Nacht, wo er zwischen unruhigen Träumen in einem seichten, zerbrechlichen Schlaf lag, wurde er oft aus den Schlaf gerissen. Einmal war er im Traum auf einem Schiff gewesen, das ihn der Sonne näher brachte. Er spürte den Wind auf seinem Gesicht und hörte die Gischt gegen den Bug schlagen. Er ging hinunter aufs Backborddeck, wo man das Dröhnen des Motors hörte. Der Lärm des Motors war so realistisch, dass er nicht daran zweifelte. Diese Vorstellung war real. Er erwachte durch das Blitzen der roten Signallichter, die er für Positionslichter eines Schiffes hielt. Das Motorgeräusch dauerte an. Als sich der Schatten lichtete und er das Geräusch lokalisierte, wurde ihm klar, dass ein Schneepflug vor dem Fenster vorbeifuhr. Er weinte, bevor er wieder in einen unruhigen Schlaf fiel. So verlief die ganze Nacht und viele Nächte danach. Besonders am Morgen wurden die Dinge ins rechte Licht gerückt. Kaum dämmerte der neue Tag, durchströmten die Lebensgeister erneut seinen Körper und die Schatten der Nacht traten zurück wie ferne, undeutliche Gespenster. Auch wenn Albrechts Geist seinen müden Körper austricksen wollte und in seinem Kopf einen finsteren Plan schmiedete, tat sein Körper alles, um es zu verhindern. Es schossen ihm Hormone ein, die er vorher nicht kannte, es gab sogar Tage, an denen er sich zwar seelisch gebrochen, aber körperlich völlig fit fühlte. Er frühstückte, um danach mit seiner Arbeit fortzufahren. Einen listigen Plan, mit dem er Zeit schinden und sich vorbereiten wollte. Er kramte in seinen Zimmern und Kästen herum, begann Dinge wegzuwerfen und auszumisten. Zuerst war es nur ein kleines Müllsäckchen, dann füllte er einen fünfundzwanzig-Liter-Sack und dann einen Fünfziger, alles unter dem Vorwand, die Wohnung zu renovieren. Eine Renovierung, die niemals stattfinden würde. Sich der Dinge zu entledigen, die er nicht mehr benötigte, hatte auch den Vorteil, dass niemand in seinen persönlichen Sachen herumwühlen konnte, wenn er nicht mehr da war. Tatsächlich hatte er in den Achtzigerjahren einmal beobachtet, wie die Müllabfuhr die Gegenstände eines verstorbenen Nachbarn in den Müllwagen leerte. Wenn er genau nachdachte, fiel ihm sogar ein, dass im Krankenhaus die Habseligkeiten von Verstorbenen in kleinen Kisten verschwanden, wenn keine Angehörigen sie abholten. Nur wer durch den Park lief und sich am Ende des Geländes neben der Garage in den Müllraum verirrte, konnte dort ab und zu einige von diesen Kisten finden. Ausgelöscht und vergessen. Das Leben verlor durch den Tod. Er begann sich immer mehr von seinen Habseligkeiten zu entfernen. In gewisser Weise führte das zu einer Reinigung, wie wenn eine Beziehung beendet wird und man damit beginnt, die Wohnung neu zu putzen. Als würden die verräterischen Spuren der Vergangenheit damit entfernt. Eine neue Frisur, ein paar neue Klamotten, die wirkliche Veränderung fand an sich selber statt. Gleichzeitig erfuhr Albrecht durch die Reinigung seiner Räume mehr Beziehung zu der Wohnung und Ablenkung. Er begann sich von seinen Gegenständen zu verabschieden und er fühlte sich gut dabei. Er war dabei, sich zu ordnen. Er war dabei, abzuschließen.

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