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KAPITEL 5 Das dunkle Refugium

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Albrecht fand sich wieder in der Zwischenwelt zwischen Schatten der Erinnerungen und einem Ort, der einst sein Zuhause war. Dunkel von der Dämmerung, kühl von der abgeschalteten Heizung und muffig, weil wochenlang niemand ein Fenster geöffnet hatte, war seine Wohnung selbst wie ein fremder Planet. Als das Raumschiff Albrecht landete, war es kein großer Schritt für die Menschheit, sondern eher der tiefe Fall eines tragischen Schicksals. Seine Wohnung lag nicht weit entfernt von jenem Friedhof in Ober St. Veit, den ich anfangs erwähnte. Auch dieses Wohnhaus gibt es wirklich, ich könnte Ihnen den Straßennamen nennen, aber eigentlich spielt es ja keine Rolle. Die Wohnung war mit sechzig Quadratmetern nicht groß, besaß aber eine angenehme Raumaufteilung. Von der langgezogenen Küche konnte man auf einem kleinen Park blicken. Der Wohnraum und das Schlafzimmer hatten eine angenehme Größe und lagen an einer schwach befahrenen Straße. Die Möbel waren alt und schwer. Mahagoni im Wohnzimmer zeugte von einer Zeit, wo dunkle Möbel und schwere Tapeten mit dicken Blumen modern waren. Albrecht durchschritt mehrmals die Wohnung, versuchte überall Dinge zu finden, die ihm halfen, sich wohlzufühlen. Er fand aber nichts. Das Problem mit der Akzeptanz des Sterbens ist nämlich, dass man sich von allem verabschieden muss, was zu Lebzeiten Bedeutung hatte. Kommt dann etwas dazwischen, kann man nicht einfach zurückgehen und sagen: na schön, dann lebe ich weiter. Im Halbdunkeln wirkte Albrechts Nest durchaus behaglich, nur bei hellem Licht konnte man sehen, dass der Laminatboden an manchen Stellen abgestoßen und die Teppiche zerschlissen waren. Er schaltete überall die Lampen ein und zündete einige Kerzen an. Er stellte fest, dass er manche Gegenstände in der Wohnung suchen musste, weil er vergessen hatte, wo sie aufbewahrt wurden. Er versuchte eine Opern-Schallplatte aufzulegen, doch die schwere Musik brachte ihn zum Weinen. Abba schien unangemessen. Er fand nichts Essbares außer abgelaufene Dosensuppen und Pfefferminztee, den er hasste. Später ging er die Straße hinunter in ein kleines Lokal, aß ein Gulasch, und trank ein Glas kühles Bier. Auch das war eine neue Erfahrung. Albrecht kam noch aus einer Generation, wo man selten ins Restaurant ging. Er warf einen Blick auf den Tresen, wo jener Schlag von Menschen saß, die nicht bei einem Bier bleiben würden, und musste sich eingestehen, dass ihm auch diese Menschen fremd waren. Der nächtliche Spaziergang zurück in die Wohnung beruhigte ihn ein wenig, denn die Gerüche der Stadt, das Rascheln der Bäume und die nächtlichen Lichter der Straßenlaternen wirkten belebend auf seine Sinne. Der erste Schnee fiel und verzauberte die Straße in eine magische Winterlandschaft. Es stimmte ihn melancholisch. Albrecht schlief nicht viel in dieser Nacht, sogar die Geräusche seiner so vertrauten Wohnung beunruhigten ihn. Das Einschalten der Therme, die Wasserbewegung in den Heizkörpern und die Geräusche der anderen Mieter im Stiegenhaus waren unheimlich. Das Öffnen von Türen, verzerrt durch Hall, das Klimpern von Schlüsseln gab seinem Wohnhaus den Charakter einer Strafanstalt. Weggeschlossen vom Leben. Am nächsten Morgen erwachte er benebelt und betrachtete sein neues Leben. Er ging in die Küche, füllte Kaffeepulver in die Filtermaschine und stand dabei, um zu beobachten, wie der Kaffee sich in der Kanne sammelte. Nespresso war ihm kein Begriff, seine Generation hätte niemals so viel Geld für ein Getränk ausgegeben. Die Küche war oft ein Ort der Kommunikation gewesen, des gemeinsamen Kochens. Jetzt war es ein Raum, der noch da war.

Wahrscheinlich verbrachte er Tage damit, jeden einzelnen Gegenstand in seiner Wohnung in die Hand zu nehmen, zu befühlen und zu bewerten. Dinge, an denen man jeden Tag vorbeigegangen war, ohne dass man sie bemerkt hatte, kamen so zur Aufmerksamkeit. Es war unglaublich, was man alles aufbewahrte. Mit den meisten Dingen konnte er nichts mehr anfangen. So entdeckte Albrecht, dass viele seiner Habseligkeiten nicht mehr zu ihm gehörten. Diese Erfahrung warf ihn weg von dem reinigenden Weg der Akzeptanz zurück in eine noch viel tiefere Depression. Verschlimmert wurde die, wenn er Gegenstände fand, die er mochte. An diesem Tag, von dem er gar nicht wusste, wie viele Stunden er hatte oder wie viele ihm fehlten, folgte die erste Nacht, in der Albrecht darüber nachdachte, sich umzubringen.

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