Читать книгу "Wenn Du absolut nach Amerika willst, so gehe in Gottesnamen!" - Heinrich Lienhard - Страница 4

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Ein grosses Buch

Vor uns liegt ein grosses Buch. Es gibt dem Glarner Auswanderer Heinrich Lienhard eine Stimme, der im Jahr 1843 im Alter von 21 Jahren von Bilten in die Vereinigten Staaten auszog, deren Grenzen damals erst wenig über den Mississippi hinausreichten. Zunächst wurde Heinrich Lienhard in Highland, Illinois – einer Schweizer Siedlung östlich von St. Louis –, heimisch, drei Jahre später folgte er jedoch nochmals dem Ruf der Ferne und begab sich 1846 über Land in das vom neu-europäischen Staat Mexiko beanspruchte Kalifornien, wo die indianischen Einheimischen im Landesinnern dank der Abgeschiedenheit der Regionen von den Folgen weisser Besetzung länger verschont geblieben waren als die meisten Völker auf dem übrigen Kontinent.

Kaum angekommen, nahm Lienhard am amerikanischen Krieg gegen Mexiko teil, in dessen Folge die Vereinigten Staaten alle nördlich des Rio Grande gelegenen mexikanischen Gebiete für sich beanspruchten. Im Jahr 1848 wurde Heinrich Lienhard Zeuge des Goldfundes am Südarm des American River knapp fünfzig Meilen nordöstlich des Forts New Helvetia, der Gründung des Schweizers Johann August Sutter, in dessen Dienst der Glarner Einwanderer verschiedenen Tätigkeiten nachging. Die zunehmend gewalttätige Gesetzlosigkeit der das Land überflutenden weissen Goldsucher und Ansiedler bewogen ihn jedoch, in die Heimat zurückzukehren. Vor der Abreise erwarb er in Philadelphia das amerikanische Bürgerrecht. Nach gut drei Jahren verliess er dann die Schweiz erneut, um sich zwei Jahre später in Nauvoo, Illinois, am Mississippi als Farmer endgültig niederzulassen.

In den 1870er-Jahren entschied sich Heinrich Lienhard, seine Erlebnisse für die Nachkommen niederzuschreiben. Seinem Manuskript, das zu den wichtigen Quellen der angloamerikanischen Frühgeschichte Kaliforniens gehört, war aber anfänglich kein Glück beschieden. Frühe deutsch- und englischsprachige Ausgaben verstümmelten sein Werk.

Nach zwei verlässlichen englischsprachigen Editionen, die 1951 und 1961 Texte zum California Trail vorlegten, erschien im Jahr 2000 Heinrich Lienhards Bericht über seine Jugend und die Jahre in Highland erstmals in textgetreuer englischer Übersetzung in dem von John C. Abbott edierten Buch «New Worlds to Seek», basierend auf der Transkription von Christa Landert. Zu diesem Werk gesellt sich jetzt ihre eigene grosse Leistung, die Transkription und Edition von Lienhards Trail- und Kalifornienbericht für die Jahre 1846 bis 1849.

In dieser Ausgabe umrahmt Christa Landert den Text von Heinrich Lienhard mit einer sachkundigen historischen Einleitung und einer eindrücklichen biografischen Skizze. Heute könnte er sich am Erscheinen seines Berichts uneingeschränkt erfreuen, und er müsste nicht wie damals in seinem Alter verfälschende Eingriffe in sein Werk beklagen. Das vorliegende Buch ist eine Musteredition, die dem umfangreichen Text in jeder Beziehung gerecht wird und ihn historisch, biografisch und erklärend dem Leser nahebringt.

Heinrich Lienhards Erinnerungen spiegeln eine willensstarke, grundehrliche und verlässliche Persönlichkeit. Er beobachtet seine Umwelt mit scharfem Blick, lernt von Jugend auf, Erlebnisse zu verarbeiten und an ihnen zu wachsen, und begegnet Herausforderungen mit Mut und Entschlossenheit. Bei Fehlentscheidungen, etwa sich für den Krieg gegen Mexiko anwerben zu lassen, kommt ihm das Schicksal entgegen, und er entrinnt lebensgefährlichen Situationen, da eine schwere Krankheit seinen Einsatz an der Front verhindert.

Lienhard sucht und geniesst die Schönheit der natürlichen Umwelt und ist auch ein furchtloser Jäger, wobei sein Wagemut ihn gelegentlich in Lebensgefahr bringt. Mitmenschen beurteilt er verlässlich und ohne Selbstgerechtigkeit. Den indianischen Menschen begegnet er zwar nicht ohne selbstverständliche Dominanz, bemüht sich aber, die Einheimischen unter den Umständen der weissen Invasion gerecht zu behandeln.

Wie jedes Leben ist auch das von Heinrich Lienhard von den dreifachen Kräften geformt, die Niccolò Macchiavelli virtù, fortuna und necessità genannt hat. Das vorliegende Werk zeigt eindrücklich, wie Lienhard seine Virtù, seine Tatkraft, unter den verschiedensten Umständen entfaltete, auch wie er Fortunas Spiel von Glück und Unglück sich fügend mitspielte und, endlich, wie er die Necessità, das unausweichlich Gegebene bedacht in sein Handeln und Bemühen einflocht.

Dieses bedeutende Buch bietet nicht nur ein facettenreiches Bild der prägenden Lebensjahre eines jungen Glarner Auswanderers und der komplexen historischen Ereignisse einer Eroberung, es ist zugleich ein bleibendes Zeugnis hervorragenden wissenschaftlichen Könnens.

Leo Schelbert, Prof. em. University of Illinois, Chicago



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