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Heinrich Lienhards Erinnerungen und ihr geschichtlicher Hintergrund

Heinrich Lienhard verfasste seine Erinnerungen an die ersten dreissig Jahre seines Lebens in den 1870er-Jahren. Er war Anfang fünfzig, lebte mit seiner Frau Elsbeth und den Kindern in Nauvoo, Illinois, wo er sich 1856 niedergelassen hatte. Er leitet sein Manuskript mit folgenden Worten ein: «Schon oft ging ich mit dem Gedanken um, meine Vergangenheit, das heisst so weit ich mich derselben noch erinnere, nieder zu schreiben, indem ich annehmen darf, dass eine solche Aufzeichnung meiner Erlebnissen wenigstens für meine Kinder, vielleicht für Kindes Kinder einiges Intressen haben würde. Ich maasse mir nicht an, indem ich dieses unternehme, dass es für das allgemeine Publicum geschehe, da ich [mir] nur zu wohl bewusst bin, dass mir zu einem solchen Unternehmen die dazu nöthige höhere Schulbildung leider nicht zutheil wurde; somit wird man möglicherweise nicht selten Fehler in der Satzbildung sowie orthographische Fehler finden, die eines kurigirens bedürften.»

Lienhards Kinder wuchsen in einer vom Glarnerland sehr verschiedenen Welt auf und kannten ihre schweizerischen Wurzeln nur aus Erzählungen der Eltern. Dies dürfte der Grund gewesen sein, weshalb er seinen Aufzeichnungen die Erinnerungen an die eigene, nicht immer einfache Kindheit und Jugend in Bilten voranstellt. Auf diese ganz frühen Reminiszenzen folgen seine erste Reise nach Amerika im Alter von 21 Jahren, die zweieinhalb Jahre in Illinois und 1846 die Reise über den nordamerikanischen Kontinent nach Kalifornien. Dort wollte es der Zufall, dass während seines Aufenthalts Gold entdeckt wurde und er nicht nur erlebnisreiche Jahre verbrachte, sondern 1850 auch mit einem kleinen Vermögen in die Schweiz zurückkehrte, das ihm die Gründung einer eigenen Existenz ermöglichte. Grosszügiger wirtschaften zu können als seine Eltern, war das Ziel, von dem er seit seiner Kindheit geträumt hatte. Deshalb erfüllte er wohl mit Freude, einer gewissen Genugtuung und nicht zuletzt bewundernswerter Ausdauer den Wunsch seiner Kinder, diesen nicht alltäglichen Weg zur Erreichung seines Ziels in Gedanken nochmals zu beschreiten und die Erinnerungen daran schriftlich festzuhalten.

Das Manuskript

Es ist ein eindrückliches Dokument, das einem im Lesesaal der Bancroft Library in Berkeley, Kalifornien, in einer grossen, blauen Archivschachtel ausgehändigt wird. Das Manuskript umfasst 238 ungebundene, einmal gefaltete Schreibbogen, die aufeinandergelegt einen fünfeinhalb Zentimeter dicken Stapel von dicht mit Lienhards Handschrift beschriebenen Blättern ergeben. Aufgrund unterschiedlicher Wasserzeichen und Linierung sind sechs Serien von Schreibpapier erkennbar, deren Bogen zwischen 30,5 und 32 mal 19,5 Zentimeter messen (letztere Angabe mit einer Ausnahme). Sie sind beidseitig hellblau liniert und weisen zwischen 28 und 43 Zeilen auf. Das Papier ist von guter, je nach Serie jedoch leicht unterschiedlicher Qualität, auch hat die Zeit darauf ihre Spuren hinterlassen. Die Blätter sind vergilbt, viele weisen bräunliche Verfärbungen auf, stellenweise auch Flecken. Bei manchen Bogen ist der Falz teilweise, bei etwa zehn Bogen ganz aufgelöst. Auch die Blattränder sind stellenweise beschädigt, jedoch selten so stark, dass der Text davon betroffen wäre. Einige Bogen weisen kleine Risse auf, Bogen 150 ist beinahe ganz durchgerissen.

Auf den ersten dreissig Bogen mit den meisten Zeilen folgte Lienhard beim Schreiben den Linien, bei allen folgenden Bogen wählte er einen engeren Zeilenabstand als den vorgegebenen. Zusätzlich füllte er den leeren oberen Seitenrand regelmässig mit vier bis sechs Zeilen Text, wodurch er pro Seite 10 bis 15 Zeilen dazugewann, sein Schreibpapier also gut nutzte. Links des Textes liess er einen Rand von ein bis zwei Zentimetern frei. Auf diesem führte er gelegentlich den letzten Satz einer Seite zu Ende, brachte kleine Korrekturen an oder fügte in späterer Zeit, wenn er wieder in seinem Manuskript las, einen kurzen Kommentar hinzu. Rechts schrieb er in der Regel bis an den Blattrand. Er gliederte seinen Text weder durch Zwischentitel noch Paragrafen, nur die erste Zeile einer neuen Seite weist ab und zu einen kurzen Einzug auf. Die Bogen sind auf der Vorderseite in der linken oberen Ecke von 1 bis 238 durchnummeriert. Auf Bogen 103 verwechselte er beim Schreiben zwei Seiten und nummerierte danach als Orientierungshilfe die übrigen drei Seiten von 2 bis 4. Einige Bogen enthalten Spuren der Bearbeitung von fremder Hand, darunter Bemerkungen, Inhaltsangaben, Seitenzahlen sowie verschiedene kleine Zeichen. Folgende Tabelle zeigt eine Übersicht (kursiv gesetzte Kapitel entsprechen dem in diesem Buch edierten Text):

Zeit/Bogennummern Bogen Monate Bogen/Monat
Kindheit und Jugend 1822–1843 (1/1–12/3) 13 260 0,05
Reise nach Amerika 1843 (12/3–20/4) 8 3 2,67
Highland 1843–1846 (20/4–51/1) 30 29 1,03
California Trail 1846 (51/1–83/1) 32 6 5,33
Kalifornien 1846–1849 (83/1–160/1) 77 32 2,41
Reise in die Schweiz 1849–1850 (160/1–196/2) 37 7 5,29
Kalifornien 1850 (196/3-223/3) 27 5 5,4
Rückkehr in die Schweiz 1850 (223/3-238) 14 6 2,33
Total Manuskript 238 348 1,46

Der ganze Text ist in deutscher Schreibschrift verfasst, wie Lienhard sie in der Schule gelernt hatte. Für fremdsprachige Wörter, Orts- und Personennamen verwendete er die lateinische Schrift, wobei Ausnahmen und Mischformen häufig sind. Seine Handschrift ist regelmässig, klar und im Ganzen gut lesbar. Schwierig und an einigen Stellen nicht entzifferbar sind Wörter, die er durch Überschreibung korrigierte, vor allem auf diese Weise korrigierte Einfügungen über der Zeile. Die sehr kleinen, oft auf einen kurzen Strich reduzierten Vokale «a», «e» und «o» sind bei sinngemäss nicht eindeutigen Wörtern oft schwer zu unterscheiden, besonders bei der Arbeit mit Fotokopien. Hilfreich ist dagegen Lienhards konsequente Verwendung von i-Punkten und u-Schleifen.

Im Schriftbild lassen sich zwei Arten von Veränderungen feststellen: Der plötzlich feinere Strich verrät eine neue Feder, die kräftigere Farbe neue Tinte, ein über kurze Zeit leicht veränderter Schriftzug eine längere Unterbrechung. Die zweite Veränderung vollzieht sich langsam und weist voraus auf Lienhards Altersschrift: Der zügige, nach rechts gerichtete Duktus weicht einer grösseren, fast aufrechten und weniger regelmässig wirkenden Schrift mit weit ausholenden Bogen und Schleifen. Die langsam abnehmende Zeilenzahl pro Seite (vier bis fünf Zeilen) gegen Ende des Manuskripts bestätigt den optischen Eindruck.

Zu Beginn der 1890er-Jahre bereitete Lienhard sein Manuskript für die von Caspar Leemann geplante Buchausgabe vor. Wohl um seinem Freund die Übersicht zu erleichtern, notierte Lienhard auf dem linken Rand der Vorderseite jedes Bogens stichwortartige Inhaltsangaben zum betreffenden Bogen. Sie stehen quer zum Haupttext und sind bis Bogen 59 mit hellroter Tinte verfasst. Bogen 60, 63 und 64 enthalten je einen Titel mit Bleistift und einer neuen, roten Tinte; auf den Bogen 65 bis 238 sind ursprüngliche Bleistifttitel mit roter Tinte überschrieben. Bogen 73 enthält zusätzliche Inhaltsangaben auf den Seiten 3 und 4, Bogen 127 auf Seite 4. Diese Zusätze weisen auf besonders wichtige Ereignisse hin: auf dem California Trail das Ende des Hastings Cutoff beziehungsweise die Ankunft am Mary’s River, in Kalifornien die Goldentdeckung.

Während Lienhard zur Formulierung der Inhaltsangaben den Haupttext wieder las oder zumindest überflog, brachte er – alles hier Folgende mit roter Tinte – kleine orthografische und stilistische Korrekturen an. Sie zeigen, dass er sich bemühte, Leemann für die Edition von 1898 einen sprachlich möglichst korrekten Text zur Verfügung zu stellen. Neben Seiten ohne Emendationen gibt es Seiten mit über einem Dutzend davon, wobei diese nicht in jedem Fall eine Verbesserung darstellen. Lienhard war damals über siebzig, sein Deutsch war unsicherer und der Einfluss der englischen Sprache grösser geworden, wie sich beispielsweise dort zeigt, wo er «Schäferei» zu «Schäferey» korrigierte. Längere fremdsprachige Dialoge hob er durch Unterstreichung hervor, vielleicht weil er davon ausging, dass sein Freund diese Stellen übersetzen lassen würde.

Lienhards Altersschrift ist zwar immer noch gut lesbar, wirkt jedoch ungelenker und stellenweise etwas zittrig. Besonders gut zeigt sich dies bei dem separaten Inhaltsverzeichnis, das er durch Übertragen der Inhaltsangaben von den Bogen auf vier Einzelblätter erstellte. Von den 238 Angaben sind 71 praktisch wörtlich übernommen, die anderen enthalten Umformulierungen oder Kürzungen, nur deren zehn einen Zusatz. Dieses separate Inhaltsverzeichnis ist deshalb von besonderem Interesse, weil daraus hervorgeht, dass das Manuskript ursprünglich vier oder fünf Bogen mehr als die überlieferten 238 umfasste. Sie enthielten persönliche Familienerinnerungen, und schon auf dem letzten erhaltenen Bogen drückte Lienhard unmissverständlich den Wunsch aus, dass der noch folgende Text von niemandem ausserhalb seiner Familie gelesen werden solle. Um dies zu betonen, strich er auf Bogen 238 die letzten zweieinhalb Seiten durch, ebenso die entsprechenden Inhaltsangaben im separaten Inhaltsverzeichnis. Sie lauten wie folgt: «Bekannt werden mit meiner zukünftigen Frau/Hochzeitsreise/Heimkehr/Maria Einsiedeln/Kaufe in Kilchberg».

Lienhard war ein gewissenhafter Erzähler und dürfte sein Manuskript nicht ohne einen Hinweis zur Zeit und Dauer der Niederschrift abgeschlossen haben. Durch den Verlust der letzten Bogen bleibt heute nur der Versuch, anhand einiger Angaben im Haupttext sowie Randbemerkungen aus späterer Zeit einen gewissen zeitlichen Rahmen zu finden. Da unbekannt ist, wie regelmässig er schrieb und wie viele Bogen pro Monat er füllte, handelt es sich dabei immer nur um eine Schätzung. Ein erster Hinweis findet sich auf Bogen 20, wo Lienhard sich an den Moment Ende November 1843 erinnert, als er das Wort «California» zum ersten Mal hörte. Er schreibt dort, dass seit jenem Abend «über 30 Jahre» verflossen seien. Da er auf Bogen 24 mit Bezug auf die Monate Februar und März 1844 «30 Jahre» nennt, dürfte er gegen Ende 1873 mit Schreiben begonnen haben. Die letzten beiden Hinweise finden sich auf den Bogen 215 und 216, wo er von Erlebnissen im Juni 1850 erzählt und beide Male erwähnt, dass seither «nahezu 27 Jahre» vergangen seien. Das heisst, er war im ersten Halbjahr 1877 auf Bogen 216 (von 242) angelangt. Angenommen, er verfasste die letzten 26 Bogen ohne grössere Unterbrechung, dürfte er seine Schreibarbeit somit nach rund vierjähriger Dauer gegen Ende 1877 abgeschlossen haben.

Die Frage, inwieweit Lienhard sich beim Schreiben auf Tagebücher stützte, lässt sich nur für die Reise nach Kalifornien mit Sicherheit beantworten, da er dort ein Tagebuch ausdrücklich erwähnt. Korns/Morgan, die anlässlich ihrer Untersuchung zu einem Abschnitt des California Trails nach dem Original-Tagebuch forschten, erfuhren von Lienhards Enkelin, dass ausser dem Manuskript weder das Trail-Tagebuch noch andere Notizen überliefert worden seien.

Lienhards Schreibstil zeigt jedoch einen der Genauigkeit und Verlässlichkeit derart verpflichteten Erzähler, dass für mehrere Abschnitte zumindest von tagebuchartigen Notizen als Vorlage ausgegangen werden muss. Nicht nur halten seine Angaben mit geringfügigen Ausnahmen allen Vergleichen mit anderen zeitgenössischen Quellen stand, sondern sein Text enthält auch Abfahrts- und Ankunftsdaten, Namen von Mitreisenden, Schiffen und Hotels, an die er sich selbst bei überdurchschnittlichem Gedächtnis nach dreissig Jahren kaum hätte erinnern können. Sein Manuskript zeigt jedenfalls, dass er über seine Reise in die Schweiz 1849/50 und die letzten Monate in Kalifornien, als er nicht mehr arbeiten musste, ebenso ausführlich berichtet wie über den Trail, so dass ihm vermutlich Notizen zur Verfügung standen. In den Erinnerungen an die Jahre, in denen er arbeitete, beschränken sich präzise Zeitangaben oft auf Feiertage wie den 4. Juli oder 1. Januar, während ungefähre Angaben wie «eines Tages im Monat August» und Einschränkungen von der Art «wenn ich nicht irre» oder «wenn ich mich recht erinnere» relativ häufig anzutreffen sind.


Heinrich Lienhards Manuskript, das heute in der Bancroft Library in Berkeley aufbewahrt wird.

Einer Randbemerkung aus dem Jahr 1901 ist zu entnehmen, dass Lienhard sein Manuskript bei sich zu Hause in Nauvoo aufbewahrte und auch immer wieder darin las. Nach seinem Tod 1903 ging es in den Besitz seines jüngsten Sohnes Adam H. Lienhard über, der es seiner Tochter Vivian Magnuson-Lienhard weitergab. Mrs. Magnusons Wunsch, das Erinnerungswerk ihres Grossvaters sicher und fachgerecht aufbewahrt zu wissen und es trotzdem öffentlich zugänglich zu machen, veranlasste sie 1949, es der Bancroft Library in Berkeley zu verkaufen.

Der geschichtliche Hintergrund

Kalifornien

Bis zum Jahr 1539 der christlichen Zeitrechnung war die Welt Kaliforniens von Kontinuität geprägt. Seine menschlichen Siedlungen haben eine über zehntausendjährige Geschichte und sind älter als in anderen nördlichen Gebieten der westlichen Hemisphäre. In den archäologischen Überresten tritt eine grosse kulturelle Vielfalt zutage, und über hunderttausend Fundorte von Lagerstellen bis zu komplexen Siedlungen und städtischen Zentren bezeugen die Vergangenheit des Landes vor dem weissen Einfall.

Drei geografische Faktoren waren bestimmend für die Geschichte Kaliforniens. Dies waren seine isolierte Lage, das in vielen Regionen milde Klima und der Reichtum seiner Landschaften. An der Küste sorgt das Meer für kühle Sommer, warme Winter und über das ganze Jahr für feuchte Luft. Im grossen Central Valley und in anderen Inlandtälern dagegen sind die Temperaturschwankungen gross, in Wüstengegenden extrem. Am Fuss der Sierra Nevada ist das Klima nebelfrei und in Berggegenden stellenweise dem Alpenklima ähnlich. Der nach Alaska und Texas drittgrösste Staat der Vereinigten Staaten hat eine 2000 Kilometer lange Küste, und die extremen Höhenunterschiede liegen zwischen 86 Meter unter Meer in Badwater im Death Valley und 4418 Meter auf dem Gipfel von Mount Whitney, wobei die beiden Punkte nur knapp hundert Meilen auseinanderliegen.

Die indianischen Völker

Wie andere menschliche Gemeinschaften entwickelten Kaliforniens einheimische Bewohner Lebensformen, die sich den Möglichkeiten von Klima und Bodenbeschaffenheit anpassten. Die Pflanzenwelt wurde durch gezielten Einsatz von Feuer gepflegt und die Tierwelt in ihrem eigenen Habitat genutzt, also Vielfalt, Produktivität und Schutz der Nahrungsquellen bewusst gefördert. Nur im südlichsten Teil und äussersten Südosten wurde Ackerbau getrieben. Die Menschen lebten vom Fisch- und Muschelfang, jagten Rot- und Kleinwild, ohne seinen Bestand zu gefährden, und nutzten auch Insekten zur Ernährung. Eine Hauptnahrungsquelle war die Eichel. Das mit Mörser und Stössel gewonnene Mehl wurde in einer flachen, sandigen Vertiefung oder in einem Behälter ausgebreitet, um die Gerbsäure, das Tannin, auszuschwemmen. Das Mehl wurde entweder in einem Erdofen zu Brot gebacken, oder häufiger wurde daraus in einem Korb, in dem feuererhitzte Steine das Wasser zum Sieden brachten, ein Brei gekocht, der mit Beeren, Nüssen, Fisch- und Fleischstücken angereichert werden konnte.

Handwerklich waren die kalifornischen Indianer in der Flechtkunst von Körben führend. Frauen gruben mit Stöcken nach Wurzeln, deren Fasern sie zum Korbflechten benötigten, weshalb weisse Siedler die einheimischen Leute verächtlich «Diggers» – Gräber – nannten und irrtümlich meinten, sie suchten so nach Nahrung. Jagdgeräte waren unter anderem kunstvoll verfertigte Pfeile und Bogen, Köcher, Körbe und Netze sowie Wurfspiesse mit beweglichen Spitzen, die nicht abbrechen konnten.

Die autonomen und demokratisch verwalteten Gemeinschaften Kaliforniens waren grösstenteils in lockeren Verbänden von mehreren Dörfern organisiert. Sprachlich waren sie äusserst vielfältig. Man unterschied fünf Hauptsprachen, 21 Sprachfamilien und eine grosse Zahl verschiedener, untereinander nicht verständlicher Dialekte. Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Gemeinschaften stärkten wirtschaftliche, soziale, politische und religiöse Bande. Konflikte, die von Grenzverletzungen, Mord oder Diebstahl herrühren konnten, wurden meistens durch entsprechende Entschädigungen beigelegt, Krieg kannten die kalifornischen Indianer kaum. Menschliche Schwächen wie Wettstreit, Aggression, Neid und Rache lebten sie im Spiel aus, an dem sich Spieler wie Zuschauer leidenschaftlich beteiligten. Religiöse Rituale waren nicht auf Gottheiten orientiert, sondern feierten die Grundkräfte des Lebens und suchten deren stets gefährdetes Gleichgewicht zu bewahren oder wiederherzustellen.

Spanien und Mexiko

Von 1542 bis 1602 erforschten mehrere Expeditionen im Auftrag der Regierung Neuspaniens die Küste Kaliforniens. Danach vergingen 167 Jahre bis zur ersten Siedlungsgründung. Dies zeigt zum einen die ausserordentliche Isolation Kaliforniens, zum anderen die Geringschätzung, mit der die Spanier diese entlegene Region beurteilten: Es gebe dort, glaubten sie, weder Gold noch andere Reichtümer, die Küste hatte sich als abweisend und gefährlich erwiesen, und die Reise über Land schien noch bedrohlicher.

Im Jahre 1769 gründeten spanische Franziskaner San Diego de Alcalä, die erste Mission in Oberkalifornien. Insgesamt wurden in den folgenden fünf Jahrzehnten entlang der Küste 21 Missionsstationen errichtet, vier davon mit einem Presidio, einer Garnison mit einer kleinen Besatzungstruppe. Die Beziehung zwischen den Soldaten und den Padres war nie besonders gut, doch waren sie aufeinander angewiesen. Die Mission bestand nicht nur aus einer Kirche, sondern war auch ein landwirtschaftliches Pueblo, in welchem hunderte oder sogar tausende von Indianern zusammengezogen wurden und sämtliche Arbeiten verrichteten.

Theoretisch waren die Missionen Institutionen auf Zeit. Demgemäss hätte jede Mission zehn Jahre nach ihrer Gründung säkularisiert werden müssen. In Wirklichkeit dauerte es jedoch über sechzig Jahre bis zur Säkularisierung. In der Meinung der Missionare waren die Indianer Kinder, deren Geist nicht fähig sei, sich über dieses Niveau zu entwickeln. Sie machten sie in den Missionen zu hilflosen Abhängigen und behielten sie in diesem Zustand, indem sie jedes Detail streng kontrollierten. Kontakte mit Europäern ausserhalb der Missionen wurden unterbunden, kurz, die Missionare vermieden alles, was die getauften Indianer darauf vorbereitet hätte, die Mission je wieder zu verlassen.

Die Register der Missionen zeigen eine erschreckend hohe Sterberate. Eine grosse Zahl von Indianern starb an Krankheiten, gegen die sie nicht immun waren. Ihr Leben beschränkte sich auf die Räume der Mission, wodurch ihnen ihre traditionelle Gesundheitspflege, die sie in ihren Dörfern befolgt hatten – Schwitzhaus, Bad im Fluss, gelegentliches Abbrennen und Erneuern ihrer Wohnstätte etc. –, verwehrt war. Während der Missionsperiode sank die Zahl der einheimischen Bevölkerung zwischen der Bucht von San Francisco und San Diego von 72 000 auf 18 000, was einer Abnahme von über 75 Prozent entsprach.

Die spanische Besiedlung Oberkaliforniens beschränkte sich auf einen schmalen Küstenstreifen. Nur am Colorado River gab es zwei Missionen, die von den Yuma aber nach kurzer Zeit beseitigt wurden. Die einzigen Expeditionen ins Central Valley galten der Rückschaffung geflohener Missionsindianer oder waren reine Strafexpeditionen oder Versuche, gestohlene Pferde und gestohlenes Vieh zur Mission zurückzutreiben. Die häufigen Streifzüge zu den Viehherden der Küstensiedlungen unternahmen vor allem Indianer, die von dorther stammten, aber ins Landesinnere geflüchtet waren, um der Missionierung zu entgehen.

1812 baute die Russian-American Fur Company nördlich von Bodega Bay ein befestigtes Dorf, das sie Fort Ross nannte. Es belieferte die russische Kolonie Sitka in Alaska mit Nahrungsmitteln und bildete das Hauptquartier für die Seeotterjagd in Nordkalifornien. Es diente auch als Zentrum für den Handel zwischen den Russen und Spaniern, den die Regierung zwar verboten hatte, der aber für beide Seiten nötig war und unter freundschaftlichen Beziehungen stattfand.

Mexiko hatte sich 1821 die Unabhängigkeit von Spanien erkämpft und erhielt 1824 eine liberale Verfassung. Die Regierung in Mexico City bestimmte von nun an einen Gouverneur, der «jefe político superior» und «comandante general militar» in einem war. Es gab auch eine Art Legislative, die gewählte «diputación», die aber nur auf Einberufung durch den Gouverneur tagte und auch dann hauptsächlich in beratender Funktion.

Die Gouverneure waren unter anderem befugt, Land an künftige Rancheros zu vergeben, auch an Ausländer, sofern diese bereit waren, sich nach Ablauf eines Jahres einbürgern zu lassen und zum römisch-katholischen Glauben überzutreten. In der Folge verschob sich die eigentliche Macht in Kalifornien nach und nach von den Gouverneuren und Missionaren auf eine kleine Gruppe von Ranchero-Familien, deren Mitglieder in Kalifornien geboren und die verwandtschaftlich verbunden waren.

Gouverneur José Figueroa verkündete 1834 die allgemeinen Bedingungen für die Säkularisierung der Missionen, die unter anderem festlegten, dass die Hälfte des Missionslandes an die Indianer übergehen müsse. Seine Massnahmen wurden aber nicht wirksam durchgeführt. Einige Indianer versuchten zwar, auf dem ihnen zugeteilten kleinen Stück Land zu bleiben, doch keiner behielt es länger als ein paar Jahre. Viele wussten gar nicht, dass sie Anrecht auf Land hatten, und verliessen die Küstenregion, um Anschluss bei indianischen Gemeinschaften im Innern des Landes zu suchen. Diejenigen, die als Vaqueros geübt waren, fanden Arbeit auf privaten Ranchos, in welche das Missionsland nach und nach unterteilt wurde, andere in Dörfern.

1836 gelang es dem jungen Kalifornier und Präsidenten der Diputación, Juan Bautista Alvarado, die Macht über Monterey zu ergreifen und die meisten mexikanischen Beamten abzuschieben. Die Kalifornier riefen ihr Land zum freien und souveränen Staat aus, und zwar für so lange, bis Mexiko dem Zentralismus abschwören würde. Alvarado wurde provisorischer Gouverneur, sein Onkel Mariano Guadalupe Vallejo Militärkommandant. Nach ein paar Jahren waren beide angesichts der anarchischen Zustände in ihrem Land so desillusioniert, dass sie 1842 dem letzten Gouverneur von Kalifornien, General Manuel Micheltorena, ihr Amt zurückgaben. 1843 kam es zu einem erfolgreichen Aufstand gegen Micheltorena, der daraufhin nach Mexiko zurückkehrte. Es war der letzte Versuch Mexikos gewesen, mehr als nominelle Kontrolle über Kalifornien herzustellen. Letzter Gouverneur wurde der Kalifornier Pío Pico, der sein Amt von März 1845 bis Juli 1846 innehatte.

Unter mexikanischer Herrschaft erhöhte sich die Zahl der Ranchos von 20 auf rund 500. Mexikos liberale Landvergabe-Bestimmungen von 1824 und 1828 erlaubten 11 spanische Quadratmeilen1 für einen Rancho (198 Quadratkilometer). Doch selbst diese grosszügige Limitierung wurde nicht immer eingehalten, da ein Ranchero oft mehrere Landzuweisungen erhielt. Auf den Ranchos arbeiteten zwischen zwanzig und mehrere hundert indianische Arbeiter, entweder ehemalige Missionsindianer oder neu aus den indianischen Dörfern rekrutierte Leute. Sie erhielten als Lohn in der Regel nur Essen, dürftige Kleidung und einen einfachen Platz zum Schlafen. Obwohl theoretisch frei, befanden sie sich in Wirklichkeit in einem Zustand der Leibeigenschaft an den Ranchero gebunden, solange dieser es wünschte.

Amerikanische Unterwanderung

Das amerikanische Interesse an Kalifornien begann im späten 18. Jahrhundert, als Händler der Ostküste entdeckten, dass in China ein grosser Markt für Seeotterfelle bestand. Obwohl Spanien Ausländern die Jagd auf die Tiere verbot, besass es nicht die Mittel, sie zu verhindern. Als die spanische Herrschaft in Kalifornien zu Ende ging, waren die Seeotter und Seehunde entlang der Küste beinahe ausgerottet. Das Hauptinteresse der Neuengländer wandte sich nun dem Export von Rinderhäuten und Talg zu. Zu Beginn der 1820er-Jahre liessen sich die ersten englischen und amerikanischen Händler in Monterey nieder. Trotz hoher Importzölle für Fertigwaren machten sie gute Geschäfte: Eine Rundreise mit Waren aus Neuengland nach Kalifornien und mit Häuten und Talg zurück nach Neuengland brachte bis zu 300 Prozent Gewinn. Neben dem wirtschaftlichen Faktor war der Handel auch deshalb bedeutend, weil er über viele Jahre die einzige Verbindung zwischen den Vereinigten Staaten und Kalifornien bildete.

Zusätzlich zum Seehandel begann in den 1820er-Jahren auch der Handel mit Biberpelzen. Die erste Expedition nach Kalifornien unternahm der junge Biberjäger Jedediah Strong Smith im Jahre 1826 mit 17 Leuten. Sie erreichten im November die Mission San Gabriel, die den Amerikanern über mehrere Wochen Gastfreundschaft gewährte. Als Smith im Jahr darauf nach Kalifornien zurückkehrte, verlor er 16 seiner 18 Begleiter bei Auseinandersetzungen mit Mohave-Indianern am Colorado und mit Umpquas in Oregon. Er selbst wurde drei Jahre später auf dem Santa Fé Trail von Comanche-Kämpfern umgebracht.

Nach und nach stieg die Zahl der Neuengländer in Kalifornen. Zu diesen gehörte auch Thomas O. Larkin, der 1832 ein eigenes Geschäft gründete und erfolgreich mit Mexiko und den Sandwich-Inseln Handel trieb. Von den über Land nach Kalifornien Reisenden siedelten sich die meisten im Landesinnern an. Der Erste war John Marsh aus Massachusetts, der zu Hause wegen Waffenhandels mit Indianern zur Verhaftung ausgeschrieben war und 1836 nach Kalifornien floh. 1839 kam Johann Sutter, wie Marsh ein Siedler, der sein Land auf der Flucht vor dem Gesetz verlassen hatte.

Sutter profitierte bei seiner Ankunft vom Streit zwischen Gouverneur Alvarado und Mariano Vallejo, dessen Machtentfaltung Alvarado mit Misstrauen beobachtete. Als er von Sutters Kolonisierungsplänen erfuhr, sah er deshalb die Möglichkeit, seinem Onkel ein starkes Gegenüber entgegenzusetzen und ihn so besser unter Kontrolle zu halten. Er gewährte Sutter nicht nur die mexikanische Staatsbürgerschaft und 11 spanische Quadratmeilen Land, sondern auch den Status eines regionalen Regierungsbeamten im Sacramento-Tal.

Neben dieser langsamen anglo-amerikanischen Unterwanderung hatten auch die Politiker der Vereinigten Staaten den Besitz der mexikanischen Gebiete nördlich des Rio Grande ins Auge gefasst. Im Jahr 1837 offerierte Präsident Andrew Jackson Mexiko 3,5 Millionen Dollar für Kalifornien. Präsident John Tyler bot Mexiko an, die Vereinigten Staaten würden dessen Schulden im Austausch gegen Kalifornien annullieren. Präsident James Polk machte 1844 die Eroberung Kaliforniens zu einem Hauptziel seiner Regierung, das er durch Kauf, Evozieren einer Unabhängigkeitsbewegung gegen Mexiko oder Krieg zu erreichen entschlossen war.

Manifest Destiny

«Das Jahr der Entscheidung 1846» nannte Bernard de Voto sein Buch über die Emigranten auf dem California Trail. Kaum ein anderes Jahr eigne sich besser, meint er, die persönliche Erfahrung der Menschen als nationale Erfahrung darzustellen. Tatsächlich fiel die endgültige Eroberung des Kontinents durch die Vereinigten Staaten zeitlich mit dem Jahr zusammen, in dem die bis anhin grösste Zahl von Auswanderern aus den USA an die Westküste Nordamerikas zog. Nur einen Tag nach dem Aufbruch der Emigranten bei Independence, Missouri, erklärten die Vereinigten Staaten Mexiko den Krieg mit dem Ziel, die Provinz Oberkalifornien am Pazifik zu erobern. So bewegten sich 1846 auf dem California Trail die Karawanen der Planwagen nach Westen, während parallel dazu im Süden US-amerikanische Truppen marschierten.

Die Vereinigten Staaten waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von der Atlantikküste westwärts bis an den Mississippi vorgedrungen. Die einheimischen Völker wurden teils durch erzwungene und für sie wertlose Verträge, teils durch verlustreiche kriegerische Auseinandersetzungen ihres Landes beraubt und die Überlebenden immer weiter nach Westen gedrängt. Anfang 1845 zeigte die Landkarte Nordamerikas bereits drei US-Staaten westlich des Mississippi. Louisiana, Arkansas und Missouri waren als erste aus dem riesigen Gebiet zwischen dem Mississippi und den Rocky Mountains hervorgegangen, das die USA 1803 im sogenannten Louisiana-Handel Napoleon abgekauft hatten. Südwestlich dieser ehemals französischen Kolonie bis zum Pazifik erstreckten sich die drei mexikanischen Provinzen Texas, Neu-Mexiko und Kalifornien.

Obwohl die Prärie und Grosse Ebene zwischen Mississippi und Rocky Mountains lange als unfruchtbar und deshalb ungeeignet für weisse Siedler betrachtet wurde, stand die Politik der Vereinigten Staaten in den 1840er-Jahren ganz im Zeichen der Westexpansion. Mit der 1844 erfolgten Wahl von James K. Polk zum neuen Präsidenten der USA gewannen die Expansionisten in der Regierung die Oberhand und bestimmten die Ereignisse der kommenden Jahre. Polk hatte ehrgeizige Ziele und liess keine Zweifel darüber aufkommen, dass er auch vor Krieg nicht zurückschrecken würde. Das Leitwort für seine Politik lieferte ihm der Herausgeber einer Zeitschrift, John L. O’Sullivan, der im Sommer 1845 seinen berühmten Artikel mit dem Titel «Annexation» veröffentlichte. Es handelte sich dabei um ein angriffiges Plädoyer für die Annexion von Texas durch die USA und die «offenkundige Bestimmung» («Manifest Destiny») des amerikanischen Volkes, sich über den gesamten nordamerikanischen Kontinent auszubreiten. In dieser Formulierung habe der Autor, so De Voto, in «einem der bedeutendsten je geprägten Sätze» die damalige Überzeugung und Stimmung des amerikanischen Volkes treffend zusammengefasst.

Präsident Polk erfüllte seine Versprechungen und die in ihn gesetzten Erwartungen in einer einzigen Amtsperiode wie kaum ein anderer Präsident vor und nach ihm. Ein erstes Ziel war die Aufteilung des «Oregon Country» genannten Gebiets zwischen dem 42. und 54. Breitengrad sowie dem Grat der Rocky Mountains im Osten und dem Pazifik im Westen. Es wurde seit 1818 von England und den USA gemeinsam verwaltet («Joint Occupation»), da die Grenzziehung zwischen den beiden Staaten umstritten war. In den 1820er- und 1830er-Jahren nahm das Interesse an Oregon in den USA zu, denn im fruchtbaren Willamette Valley hatten sich Missionare niedergelassen, die in Briefen und Artikeln über ihre Arbeit mit den einheimischen Indianern, über das milde Klima und den fruchtbaren Boden berichteten. Ihre Schilderungen hatten zur Folge, dass sich ab 1841 jedes Frühjahr Wagenkarawanen von Emigranten, begleitet von grossen Viehherden, über einen zweitausend Meilen langen, schwierigen Trail den Weg nach Oregon bahnten. 1845 lebten fünftausend Amerikaner südlich des Columbia River. Unterstützt von den Anhängern der Manifest-Destiny-Politik in Washington, verlangten sie von Präsident Polk die Annexion Oregons. 1845 einigten sich die USA und Grossbritannien in einem Kompromiss auf den 49. Breitengrad als Grenze, und im Sommer 1846 wurde der Vertrag unterzeichnet.

Ein Hauptgrund für die Kompromissbereitschaft Polks in der Oregon-Frage war seine auf den Südwesten des Landes gerichtete Eroberungspolitik. Die mexikanische Republik hatte nach ihrer Gründung 1824 während einiger Jahre amerikanischen Siedlern grosszügige Landzuweisungen gewährt mit dem Ziel, die wirtschaftliche Entwicklung der Provinz anzukurbeln und zu fördern. Obwohl diese freizügige Politik 1830 offiziell eingestellt wurde, hatte sie unerwünschte Folgen, denn die Zahl amerikanischer Siedler war bis zum Jahr 1835 auf 35 000 gestiegen. 1836 erklärten diese Texas zur unabhängigen Republik und beantragten die Aufnahme in die Union der Vereinigten Staaten. Das Risiko eines Kriegs mit Mexiko sowie der Widerstand gegen die Ausdehnung der Sklaverei zögerten einen Entscheid der US-Regierung allerdings hinaus, doch ein zweiter Antrag wurde 1845 angenommen. Mexiko hatte die Unabhängigkeit der Republik Texas nie anerkannt und immer gewarnt, eine Annexion durch die USA würde als Kriegserklärung aufgefasst. Deshalb führte der Beschluss der USA zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen, und beide Staaten begannen mit Kriegsvorbereitungen.

Der Verlust der Provinz Texas hatte einen neuen Konflikt zur Folge, indem Texas den Rio Grande als seine West- und Südgrenze bezeichnete, Mexiko hingegen den weiter nördlich fliessenden Nueces River. Zwischen den beiden Flüssen lag dadurch ein umstrittener Streifen Land von hundertzwanzig Meilen Breite. Beide Staaten entsandten im Sommer 1845 Truppen in die Gegend, und in den folgenden Monaten verstärkte Präsident Polk den Druck auf die mexikanische Regierung. Er war jedoch überzeugt, seine Ziele auf dem Verhandlungsweg erreichen zu können.

Nachdem die mexikanische Regierung Verhandlungsbereitschaft signalisiert hatte, schickte Präsident Polk im November 1845 seinen Sonderbevollmächtigten John Slidell nach Mexiko City, um Grenzverhandlungen aufzunehmen. Slidell war ausserdem ermächtigt, der mexikanischen Regierung ein Kaufangebot zu unterbreiten. Wenn Mexiko die Rio-Grande-Grenze anerkennen würde, übernähmen die USA die mexikanischen Schulden gegenüber amerikanischen Gläubigern. Des Weiteren sollte Slidell der Regierung die Summe von fünfundzwanzig Millionen Dollar für die Abtretung von Kalifornien anbieten. Doch als Slidell in Mexiko eintraf, war die Regierung gestürzt worden, und die neuen Machthaber weigerten sich, ihn zu empfangen. Präsident Polk erhielt diese Nachricht am 13. Januar 1846 und liess darauf seine Truppen vom Nueces an den Rio Grande vorrücken. Gleichzeitig bereitete er eine Kriegserklärung vor mit der Begründung, Mexiko weigere sich, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen und Verhandlungen aufzunehmen. Doch die mexikanische Regierung lieferte ihm kurz darauf einen besseren Grund. Am 25. April überschritten mexikanische Truppen den Rio Grande und schlugen einen kleinen Verband amerikanischer Soldaten in die Flucht. Am 13. Mai 1846 erklärte der Kongress den Kriegszustand zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko.

Die Kriegshandlungen dauerten knapp ein Jahr und endeten mit der Wiedereinnahme von Los Angeles durch US-Truppen am 10. Januar 1847. Am 2. Februar 1848 unterzeichneten Vertreter beider Staaten den Vertrag von Guadalupe Hidalgo. Mexiko musste seine Provinzen Kalifornien und Neu-Mexiko an die Vereinigten Staaten abtreten und den Rio Grande als Grenze von Texas anerkennen. Die USA sollten dafür fünfzehn Millionen Dollar bezahlen sowie die Forderungen amerikanischer Gläubiger gegenüber Mexiko erfüllen. Die Vereinigten Staaten erweiterten ihr Gebiet mit dieser Regelung um die heutigen Staaten Kalifornien, Arizona, Nevada, Utah sowie Teile der Staaten Wyoming, Colorado und Neu-Mexiko. Mit Ausnahme von Alaska, Hawaii und einigen später vorgenommenen Grenzberichtigungen hatten die USA damit ihre heutige Ausdehnung erreicht.

Der California Trail

Heinrich Lienhard und seine Freunde waren sich 1845 einig, dass sie die Mississippi-Gegend verlassen wollten, um mehr von der Welt zu sehen, aber ohne sich dabei den Gefahren einer langen Seereise auszusetzen. 1846 war für die jungen Männer der perfekte Zeitpunkt, eine Reise über Land nach Kalifornien anzutreten. Einerseits hatten im vorangehenden Jahr Emigranten erstmals bewiesen, dass dies mit Wagen möglich war, anderseits versprach ein Trail, der erst im Entstehen war, eine abenteuerliche Reise. Über die mexikanische Provinz am Pazifik wussten sie wenigstens so viel, dass der Schweizer Johann Sutter dort ein Fort und viel Land besass. Sie hatten von seinen Berichten gehört, in denen er den fruchtbaren Boden und das angenehme Klima Kaliforniens rühmte und um Siedler warb. Das war zwar nicht viel, aber doch mehr, als die erste Emigrantengesellschaft wusste, die 1841 versuchte, Kalifornien mit ihren Wagen auf direktem Weg nach Westen zu erreichen.2

Diese Auswanderergruppe von 1841 umfasste rund fünfzig Personen und ging, nach ihrem Captain John Bartleson benannt, als «Bartleson Party» in die Geschichte des Trails ein. Die Leute wussten damals über ihr Reiseziel lediglich, dass es im Westen lag und dass sie bis zu den Rocky Mountains zwei Trails folgen konnten: dem Handelstrail nach Santa Fé in Neu-Mexiko oder dem Pelzhändlertrail über Fort Laramie und von dort weiter nach Westen durch das Oregon Territory. Sie hatten aber Glück, denn kurz vor ihrer Abreise trafen sie eine kleine Gruppe von Missionaren, die nach Fort Hall (im heutigen Staat Idaho, damals Teil des Oregon Territory) reisen wollte und der sie sich anschliessen durften. Unter der Führung des bekannten Mountain Man Thomas Fitzpatrick folgten sie den Flüssen Platte, Nord-Platte und Sweetwater, überquerten die Rocky Mountains via South Pass und erreichten am westlichen Fuss des Gebirges den Green River. Hier trafen sie mehrere Trapper, die ihnen erklärten, dass es unmöglich sei, Wagen nach Kalifornien zu bringen, worauf einige der Emigranten umkehrten. In den kommenden Jahren folgten bis auf die Westseite der Rocky Mountains alle Emigranten dieser Route.

Die Bartleson-Gesellschaft und Missionare bahnten sich in den folgenden Tagen mühsam einen Weg durch schwieriges Gelände bis zum Bear River, dem sie mehrere Tage gemeinsam folgten. Bei Soda Springs zweigte Fitzpatrick mit den Missionaren nach Westen ab, während die Emigranten sich südwärts wandten und das Bear Valley hinunterzogen. Ihre Gruppe hatte sich inzwischen auf dreiunddreissig Leute reduziert, denn einige waren den Missionaren nach Fort Hall gefolgt. Die Fortsetzung der Reise erwies sich als äusserst schwierig und kompliziert, da niemand das Gelände kannte und Reiter es erkunden mussten, während die Gruppe wartete. Sie kamen zum Nordufer des Grossen Salzsees und zogen dann zwischen dem westlichen Rand der Grossen Salzwüste (Great Salt Lake Desert) und Pilot Range nach Süden. Am Südende der Gebirgskette passierten sie den später von Frémont benannten Pilot Peak und setzten ihren Weg nach Südwesten fort. Ihre Tiere waren inzwischen so erschöpft, dass sie die Wagen nach und nach zurücklassen mussten, die letzten sechs im Gosiute Valley. Dort fanden die Emigranten von 1846 letzte Überreste davon. Sie überquerten an unbekannter Stelle die Ruby Mountains und erreichten schliesslich den Mary’s River [Humboldt River], dem sie bis zu seiner Senke folgten. Obwohl sie in der Folge zu weit nach Süden gerieten, schafften sie es noch, die Sierra Nevada vor Wintereinbruch zu überqueren.

Die Bartleson-Gesellschaft hatte damit als erste amerikanische Emigrantengruppe auf direktem Weg nach Westen Kalifornien über Land erreicht, allerdings ohne eine günstige Route gefunden zu haben und unter Zurücklassung der Wagen. Unter ihren Mitgliedern befanden sich Leute, deren Namen noch heute bekannt sind. Einer von ihnen war der Deutsche Charles M. Weber, der nach der Goldentdeckung ein Vermögen erwirtschaftete und die Stadt Stockton gründete, ein anderer war der US-Amerikaner John Bidwell (weshalb die Gesellschaft in der Literatur auch «Bidwell-Bartleson-Party» genannt wird), der nach seiner Ankunft mehrere Jahre für Sutter arbeitete. Nach der Goldentdeckung kaufte er im oberen Sacramento-Tal den grossen Rancho Chico und gründete später die gleichnamige Stadt.

1842 waren keine Wagen nach Kalifornien unterwegs, aber rund ein Dutzend Männer der Bartleson-Gesellschaft kehrten in die Vereinigten Staaten zurück. Unter ihnen befand sich Joseph B. Chiles, der einem Freund in Kalifornien versprochen hatte, dessen Familie nachzuholen.

Ende Mai 1843 machte sich Chiles mit einigen Familien und jungen Männern wieder auf den Weg nach Kalifornien. Westlich von Fort Laramie traf er den bekannten Mountain Man Joseph R. Walker, der 1833/34 eine Expedition nach Kalifornien geleitet hatte. In der Hoffnung, gemeinsam einen besseren Weg als 1841 zu finden, engagierte ihn Chiles als Führer für seine Gruppe. Bis zum Green River folgten sie dem Trail von 1841, zogen dann aber, nachdem sie den Fluss durchquert hatten, etwa drei Tagesetappen weiter nach Südwesten. Hier hatte inzwischen James Bridger, ein anderer bekannter Mountain Man, zusammen mit einem Partner einen Handelsposten errichtet. Fort Bridger (im heutigen Staat Wyoming) lag auf halbem Weg zwischen Fort Laramie und Fort Hall und entwickelte sich in den kommenden Jahren zu einer von den Emigrantengruppen geschätzten Zwischenstation. Anders als zwei Jahre vorher ging Chiles diesmal bis nach Fort Hall. Hier teilte sich die Gruppe auf, da nicht genügend Lebensmittel für alle vorhanden waren. Chiles ritt mit dreizehn Männern weit nach Nordosten bis Fort Boise (an der Grenze zwischen den heutigen Staaten Idaho und Oregon), zweigte dort nach Südwesten ab, umging die Sierra Nevada an ihrem Nordende und traf Mitte November in Sutters Fort ein. Der Winter war jedoch bereits zu weit fortgeschritten, um der Wagengruppe, die sich bei Fort Hall nach Südwesten gewandt hatte, entgegenzureiten, wie es mit Walker vereinbart worden war.

Walker folgte wahrscheinlich einem alten Trapper-Trail bis zum Mary’s River, anschliessend dem Fluss bis zur Senke und von dort weiter nach Süden, vermutlich in umgekehrter Richtung der Route folgend, die er 1834 bei seiner Rückkehr in den Osten gewählt hatte. Ende November waren die Zugtiere so erschöpft, dass die Wagen östlich der Sierra Nevada zurückgelassen werden mussten. Im Dezember überquerten er mit den Emigranten die Berge, und nach einem weiteren Monat erreichten sie die ersten Siedlungen in Kalifornien. Walkers Gruppe hatte weitere fünfhundert Meilen des künftigen California Trails zurückgelegt. Es fehlten nun noch die letzten 250 Meilen, das heisst eine Route von der Senke des Mary’s River direkt nach Westen (statt Süden).

Die späte Ankunft der Chiles-Gesellschaft 1843 hatte zur Folge, dass 1844 die Emigranten in den USA ihre Reise nach Kalifornien ohne neue Informationen in Angriff nehmen mussten. Die Stevens-Gesellschaft, benannt nach Elisha Stevens, setzte sich aus mehreren Familien, einer Anzahl junger Männer und etwa fünfzehn Kindern zusammen, die mit elf Wagen reisten. Als Führer hatten sie Caleb Greenwood engagiert, einen alten Mountain Man mit über dreissig Jahren Erfahrung im Westen. Stevens selbst und ein Mitreisender namens Isaac Hitchcock waren ebenfalls ehemalige Trapper; ihre Erfahrungen beschränkten sich allerdings, wie sich später herausstellte, auf das Gebiet der Rocky Mountains, deren Überquerung für Wagen keine besonderen Schwierigkeiten bot.

Gemeinsam mit den Oregon-Emigranten brachen sie bei Council Bluffs im Iowa Territory auf. Diese Route entlang dem Nordufer des Platte River wurde später als «Mormon Trail» bekannt, da sie 1847 auch von den Mormonen gewählt wurde. Nach der Überquerung der Rocky Mountains wagten sich die Leute vor Erreichen des Green River auf eine Abkürzung, von der Hitchcock gehört hatte. Sie verlief vom Little Sandy am westlichen Abhang der Rocky Mountains in gerader Richtung nach Westen zum Bear River und vermied den weiten Bogen nach Südwesten und zurück nach Nordwesten. Gemäss Hitchcock war die Abkürzung 25 Meilen lang, weshalb die Leute keine Wasservorräte mitnahmen. Dies brachte sie in grosse Schwierigkeiten, denn die Strecke war in Wirklichkeit 43 Meilen lang und führte durch wüstenähnliches Land ohne Wasser und Gras. Immerhin erreichten sie, wie geplant, den Bear River und somit den Anschluss an den Oregon Trail. In Zukunft wählten die meisten Emigranten diesen sogenannten Greenwood Cutoff, später auch Sublette’s Cutoff genannt, denn er verkürzte den Trail um etwa 85 Meilen, was fünf bis sechs Tagesetappen entsprach. Lienhards Text wird zeigen, dass 1846 die Entscheidung für oder gegen diese Abkürzung für die Emigranten mit Ziel Kalifornien von grosser Bedeutung war.

Stevens zog weiter bis Fort Hall, drehte dort nach Südwesten ab und folgte dann dem Mary’s River auf Walkers Spuren. Bei der Flusssenke wurde beraten. Hier waren sowohl Bartleson als auch Walker südwärts gegangen, doch gab es da eben auch die Möglicheit, einen direkten Weg nach Westen zu suchen. Schliesslich fanden sie einen Indianer namens Truckee, der ihnen im Sand aufzeichnete, dass fünfzig bis sechzig Meilen weiter westlich ein Fluss mit Bäumen und gutem Gras zu finden sei. Drei ihrer Männer ritten darauf mit Truckee als Geisel bis zur bezeichneten Stelle und fanden seine Angaben bestätigt. Der vierzig Meilen lange Wüstenabschnitt zwischen Flusssenke und Truckee Meadows (bei der heutigen Stadt Reno, Nevada) war künftig eine von allen Emigranten gefürchtete Etappe des Trails. Steven folgte nun den vielen Windungen des Flusses, den sie im Andenken an ihren Führer «Truckee» nannten, bis an den östlichen Fuss der Sierra Nevada. Am 14. November kamen sie zu einer Stelle, wo der Fluss sich verzweigte; sie lag bei der Mündung des heutigen Donner Creek, ungefähr eine Meile westlich der heutigen Stadt Truckee. Wieder ging es um die Frage: nach Westen oder nach Süden? Sie beschlossen, dass eine Reitergruppe von sechs Leuten dem Flusslauf nach Süden folgen sollte, um zu versuchen, unbehindert von Wagen möglichst rasch Sutters Fort zu ereichen. Von dort aus würden sie der Hauptgruppe, die einen direkten westlichen Weg über die Berge suchen wollte, zu Hilfe kommen.

Die Hauptgruppe mit den Wagen kam nach wenigen Meilen zum heutigen Donner Lake, wo sie vor der unüberwindbaren Wand der schneebedeckten Sierra Nevada standen. Als es ihnen nicht gelang, einen Durchgang zu finden, beschlossen sie, sechs ihrer Wagen am See zurückzulassen, wobei drei Männer sich bereit erklärten, diese den Winter über zu bewachen. Unter grössten Anstrengungen und mit Hilfe von langen Ketten – Lienhard wird dasselbe Vorgehen im Detail beschreiben – gelang es den Leuten, die restlichen fünf Wagen über die verschneiten Felsen zu hieven. Stewart bezeichnet diesen Moment als die eigentliche Erschliessung des California Trails.

Der Abstieg über die zerklüfteten Felsen der Westseite der Berge war ein weiteres schwieriges und gefährliches Unterfangen. In der Stevens Party wurde hier das zweite Kind auf dieser Reise geboren, auch fiel zu dieser Zeit rund ein Meter Schnee. Wieder trafen die Leute eine Entscheidung: Ein Teil der Gruppe würde mit den Wagen hier campieren und den Frühling abwarten, während siebzehn Männer den Abstieg wagen wollten. Diese erreichten Sutters Fort eine Woche später und fanden dort auch die Reitergruppe, die wenige Tage vorher im Fort eingetroffen war.

Der tiefe Schnee verunmöglichte vorerst eine Rückkehr in die Berge. Erst am 20. Februar machte sich Dennis Martin, dessen Vater bei den Frauen zurückgeblieben war, mit Schneeschuhen auf den Weg ins Camp. Er fand dort schlechte Bedingungen vor, aber alle hatten überlebt, auch die beiden Babys. Martin vergass auch nicht, den am Donner Lake zurückgebliebenen jungen Moses Schallenberger abzuholen. Dieser war im Dezember allein bei den Wagen zurückgeblieben. Die drei Männer hatten nämlich bald realisiert, dass ihre Lebensmittel nicht für den ganzen Winter ausreichen würden und alles Wild in tiefere Regionen abgewandert war. Sie verfertigten deshalb Schneeschuhe, um weiterzugehen, doch Schallenberger war krank und die Anstrengung für ihn zu gross. Er kehrte allein an den See zurück und verbrachte den ganzen Winter in einer kleinen Hütte bei den Wagen, wo Martin ihn Ende Februar fand. Am 1. März 1845 erreichten die letzten Mitglieder der Stevens Party ihr Ziel.

1845 ritt Caleb Greenwood mit seinen zwei Söhnen von Kalifornien nach Fort Hall in der Absicht, Emigranten nach Kalifornien zu führen. Ganz in seinem Sinn war deshalb auch der Auftrag, den Sutter ihm mitgegeben hatte, nämlich Emigranten mit Ziel Oregon für Kalifornien umzustimmen. Augenzeugen berichteten später, dass Greenwood den Ankommenden eindringlich die Gefahren schwieriger Flussüberquerungen und feindlicher Indianer auf dem Weg nach Oregon geschildert und ebenso überzeugend die Vorteile Kaliforniens wie grosszügige Landvergabe durch Sutter, gutes Klima, Reichtum an Wild und fischreiche Flüsse hervorgehoben habe. Sein grösster Trumpf war wohl die Tatsache, dass 1844 Wagen die Sierra überquert hatten, denn er erreichte, dass etwa 50 Wagen nach Südwesten abbogen. Dies bedeutete, dass 1845 erstmals eine Gruppe von rund 250 Emigranten in Kalifornien eintraf – fünfmal mehr als im Jahr zuvor. Auf der Westseite der Sierra Nevada kam den Leuten von Sutters Fort eine Hilfskolonne mit Lebensmitteln entgegen, wie Greenwood es ihnen versprochen hatte.

Die Entwicklung des Trails war 1845 zwar noch nicht abgeschlossen, doch in den Vereinigten Staaten nahm der Informationsfluss hinsichtlich Kalifornien beträchtlich zu. Lansford W. Hastings’ Führer über Oregon und Kalifornien war erschienen, und der Autor reiste umher in der Absicht, Siedler für Kalifornien zu gewinnen, das seiner Meinung nach ebenso wie Texas von den Vereinigten Staaten annektiert werden sollte. John C. Frémonts grosser Bericht mit Karten über seine zweite Expedition (1844–1845) nach Oregon und Kalifornien wurde veröffentlicht, der ganz der Idee des Manifest Destiny verpflichtet war und auf grosses Interesse stiess. Auch die in der Presse erscheinenden Briefe erfolgreicher Siedler sowie die regelmässigen Berichte des amerikanischen Konsuls in Monterey, Thomas O. Larkin, verfehlten ihre Wirkung nicht.

John D. Unruh nennt für das Jahrzehnt von 1840 bis 1850 folgende Zahlen zur Emigration:3

Jahr Kalifornien Oregon
1840 13
1841 34 24
1842 125
1843 38 875
1844 53 1475
1845 260 2500
1846 1500 1200
1847 450 4000
1848 400 1300
1849 25 000 450
1850 44 000 6000

Bis 1845 zog Oregon weitaus mehr Siedler an als Kalifornien. Dies änderte sich 1846 zur Zeit des Kriegs gegen Mexiko und der Politik des Manifest Destiny. Der Rückgang in den folgenden beiden Jahren dürfte zumindest teilweise auf das tragische Schicksal der Donner-Gesellschaft zurückzuführen sein, die im Winter 1846/47 in der Sierra Nevada eingeschneit wurde. Ab 1849 reflektieren die Zahlen den Goldrausch in Kalifornien. In dieser Zeit veränderte nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität der Reisenden die Situation auf dem Trail in dramatischer Weise, besonders für die einheimischen Indianer. Die Massen von Glücksrittern, die ab 1849 den California Trail überfluteten, bestanden zu einem grossen Teil aus schwer bewaffneten, schiessfreudigen Abenteurern. Anders als die Siedlerfamilien der frühen Jahre, die Konflikte mit einheimischen Indianern nach Möglichkeit zu vermeiden suchten, bahnten sich diese Männer ihren Weg hastig und rücksichtslos über den Kontinent nach Westen.

Etwas von der tiefsitzenden Angst der Emigranten vor den Indianern ist auch in Lienhards Text immer wieder spürbar. Besonders die Indianer im Grossen Becken, die keine Pferde besassen, kaum bekleidet waren und oft um Essen baten oder nur versteckt am Wegrand die vorbeiziehenden Wagenkolonnen beobachteten, wurden von vielen Weissen verachtet und bei Begegnungen entsprechend unfreundlich oder sogar aggressiv behandelt. So kam es schon vor dem Goldrausch zu tödlichen Zwischenfällen auf beiden Seiten. Unruh, der sich in seiner Untersuchung auf zahlreiche Trail-Tagebücher stützt, kommt jedoch zum Schluss, dass selbst in späteren, kritischen Jahren die meisten Begegnungen friedlich verliefen, solange die Emigranten den Einheimischen mit Zurückhaltung und Respekt begegneten. Tatsache ist, dass alle Reisenden im Westen, ob Jäger, Trapper, Forscher, Missionare oder Pelzhändler und in den ersten Jahren auch noch Emigranten, einheimischen Indianern ungezählte Hinweise betreffend Route sowie Gras- und Wasserstellen verdankten und über viele Jahre grosszügige Hilfe erhielten, wenn immer sie benötigt wurde.

Viele Leute auf dem Trail waren sich Mitte der 1840er-Jahre der politischen Dimension ihrer Reise bewusst und vertrauten darauf, dass Kalifornien bald Teil der USA würde. Edwin Bryant, Autor eines Buchs über den California Trail, verliess wie Lienhard den Indian Creek in Missouri am 12. Mai 1846 und erfuhr bereits drei Tage später vom Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen den USA und Mexiko. Er notierte dazu, dass diese Nachricht seines Wissens keinen der Mitreisenden zur Umkehr bewogen habe. Dies vermochten damals auch Leute wie James Clyman nicht, die den Emigranten auf dem Trail entgegenkamen und Schauergeschichten über Kalifornien verbreiteten, wie aus Lienhards Aufzeichnungen und aus Tagebüchern anderer Emigranten hervorgeht. 1846 war das Jahr, in dem auf dem California Trail ein gewisser Gegenverkehr einsetzte. Die Rückkehrer, meistens kleine Reitergruppen mit Packtieren, waren entweder enttäuschte Auswanderer auf dem Weg nach Hause oder Männer, die zurückkritten, um sich den Emigranten als Führer anzubieten. Manche kehrten auch in die Staaten zurück, um ihre Familie zu besuchen oder sie nach Kalifornien zu holen.

Stewart schreibt, dass 1846 eine Art Ferienstimmung auf dem Trail geherrscht habe. Die Leute seien voller Hoffnungen und Erwartungen gewesen. Viele waren wohlhabende Farmer mit grosser Familie, nicht selten mit Bediensteten wie Fuhrmann und Dienstmagd unterwegs. Bekannte Namen von Politikern, Künstlern und Autoren verraten, dass der Ruf Kaliforniens als ein wildes, unwirtliches Land sich zu verändern begann. Die böse Unterstellung, wer die Tafel bei der Trail-Verzweigung nach Oregon beziehungsweise Kalifornien lesen könne, biege nach Oregon ab, galt zumindest für das Jahr 1846 nicht. Gemäss Stewart lag «Literatur in der Luft», und tatsächlich war Lienhard 1846 nur einer von vielen Tagebuchschreibern auf dem California Trail.

Besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang der Kartograf T. H. Jefferson. Er veröffentlichte 1849 in New York seine vierteilige Karte, zusammen mit einem 11-seitigen Begleittext mit nützlichen Erläuterungen. Über Jefferson ist wenig bekannt, und seinem Rat nach zu schliessen war er auch nicht besonders kontaktfreudig: «Vermeide wenn möglich jede Partnerschaft», schreibt er in seinem Begleittext. «Besorge dir deine eigene Ausrüstung und erwarte, selbst für dich sorgen zu müssen. Das einzige Ziel, das durch einen Zusammenschluss erreicht wird, ist gegenseitiger Schutz vor den Indianern.»

Mehrere Trailabschnitte sind auf Jeffersons Karte zum ersten Mal festgehalten. Er war weniger ein theoretischer als praktischer Kartograf. So sind gewisse Längen- und Breitengrade ungenau, doch in allem anderen war er ein gewissenhafter und minutiöser Zeichner. Neben den üblichen Angaben wie Daten, Tagesetappen, Distanzen und Lagerstellen notierte er Details wie die genaue Anzahl Windungen eines Flusses, Furtstellen, verschiedene Arten von Quellen, Hinweise auf die Bodenbeschaffenheit, Weidestellen, erste und letzte Begegnung mit Bisons, besondere Felsformationen und Gräber am Wegrand. Zusammen mit dem Begleittext führt seine Karte alles auf, was künftigen Emigranten die Reise erleichtern konnte. Einzig in der Region der Grossen Salzwüste weist sie Ungenauigkeiten auf, was verständlich ist, weil die Anstrengungen der Reise keine täglichen Notizen mehr gestatteten und er sich deshalb auf ältere Karten verlassen musste. Da Lienhard und Jefferson über die ganzen zweitausend Meilen nahe beieinander reisten, gelegentlich sogar am gleichen Tag dieselbe Etappe zurücklegten, eignet sich Jeffersons Karte vorzüglich als Beilage zu seinem Text.

Zu dieser Edition

Heinrich Lienhard wünschte in seinen einleitenden Bemerkungen, dass sein Text im Falle einer Veröffentlichung korrigiert würde, da ihm die «zu einem solchen Unternehmen» nötige Schulbildung nicht zuteil geworden sei. Dieser Wunsch konnte ihm leider nicht erfüllt werden, denn die originale Orthografie vermittelt so viel von seiner Persönlichkeit und ist so sehr Teil seines lebhaften Erzählens, dass man sie auf keinen Fall missen möchte. Hinzu kommt, dass es keinen Grund gibt, sein Deutsch zu verbessern. Es war noch immer fliessend und orthografisch so korrekt, dass der Text problemlos lesbar und verständlich ist. Abweichungen vom heutigen Standarddeutsch tragen höchstens zum Charme des sprachlichen Ausdrucks bei und bedürfen nur in seltenen Fällen «eines kurigirens». Die möglichst authentische Wiedergabe des Textes war deshalb ein Hauptanliegen während der Transkriptionsarbeit.

Für eine Publikation gibt es gewisse Kriterien, die der Leserfreundlichkeit dienen und die es deshalb zu beachten gilt, umso mehr, als dies auch dem Anliegen des Autors entgegenkommt. Das Transkribieren ist dabei immer ein Abwägen zwischen den beiden Anliegen «Originaltext» oder «Leserfreundlichkeit». Eine «richtige» Lösung gibt es in Zweifelsfällen oft nicht, das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass man an einem Tag so entscheidet und am anderen Tag in einem ganz ähnlichen Fall wieder anders entscheiden möchte. Lienhards Erinnerungen weisen unzählige Stellen auf, die dieses Abwägen erforderten. Sie können nicht alle aufgelistet werden, doch einige der wichtigsten Leitlinien, die sich daraus im Verlauf der Textbearbeitung ergeben haben, seien nachstehend erwähnt. Sie gelten auch für alle Lienhard-Zitate ausserhalb des Haupttextes.

– Lienhard unterteilt seinen Text weder in Kapitel noch in Abschnitte. Die hier vorgenommene Gliederung in Kapitel, Unterkapitel und Abschnitte stammen von der Herausgeberin.

– Lienhards Interpunktion wird, wo möglich, übernommen, sonst aber – im Hinblick auf Leserfreundlichkeit – ergänzt und berichtigt. Dies gilt vor allem für eine sinnvolle Gliederung durch Kommas, aber auch, wo nötig, für alle anderen Satzzeichen.

– Unterschiedliche Schreibweise gleicher Wörter ist häufig anzutreffen und wird belassen, Ausnahmen werden angemerkt.

– Wörter in in eckigen Klammern sind Ergänzungen der Herausgeberin.

– Abkürzungen werden, sofern sie verständlich sind, übernommen. Das «u» mit Schleife anstelle von «und» wird hingegen durchweg aufgelöst.

– Die Verwendung lateinischer Schrift bei Namen und fremdsprachigem Text wird nicht gekennzeichnet.

– Lienhard verwendet nur das unter die Zeile gezogene «J» für den Buchstaben «I». Die Transkription unterscheidet zwischen «I» und «J».

– Lienhard verwendet für Doppel-s durchweg das Eszett (ß). Im Druck wird Doppel-s geschrieben.

– Hochgestellte Buchstaben wie «c» bei «Mc» oder «r» bei «Mr.» werden auf der Zeile geschrieben. Dies gilt auch für Zahlen und Daten mit hochgestellten Buchstaben.

– Lienhard umschifft die Klippen der Gross- oder Kleinschreibung bei dafür geeigneten Buchstaben oft mit einer Zwischengrösse, zum Beispiel bei «alle». In solchen Fällen wird das betreffende Wort dem gleichen Wort in unmittelbarer Umgebung angepasst; fehlt ein solches oder ist es ebenfalls unklar, wird die heutige Schreibweise gewählt.

– Personen- und Ortsnamen schreibt Lienhard oft nach Gehör. Im gedruckten Text wird die richtige Form beim ersten Vorkommen angemerkt, Lienhards Schreibweise jedoch durchweg beibehalten. Ausnahmen werden angemerkt.

– Deutsch-englische Interferenzen sind zahlreich. Zum Beispiel schreibt Lienhard gelegentlich «weil» anstatt «während», beeinflusst vom englischen «while» (während). Wo die Vermischung eindeutig ist, wird «while» durch «während» in eckigen Klammern ersetzt.

– Eindeutige Flüchtigkeitsfehler werden stillschweigend korrigiert, so beispielsweise «Grobschied» zu «Grobschmied», «Glodgräber» zu «Goldgräber», «gegeglaubt» zu «geglaubt». Dazu gehören auch Versehen wie doppelte Schreibung eines Wortes, irrtümliche Streichung, Versehen infolge Zeilenwechsels und Ähnliches.

– Bei Korrekturen Lienhards durch Überschreibung wird die orthografisch korrekte Variante übernommen. Meistens ist es die ursprüngliche Form.

– Versehentlich unvollständige Korrekturen Lienhards werden stillschweigend angepasst. So wird zum Beispiel im Satz «Ich rieth ihm von dieser Idee Glauben ab» «dieser» zu «diesem» abgeändert. Wenn eine solche Berichtigung nicht nur einzelne Buchstaben, sondern ein ganzes Wort erfordert, steht dieses in eckigen Klammern.

– Syntaktische Versehen des Autors, die den Lesefluss unterbrechen (zum Beispiel ein falsch platziertes Verb), werden berichtigt und mit «Satz (leicht) korrigiert» angemerkt. Diese kleinen Änderungen dienen der Leserfreundlichkeit, und es werden dabei nur Wörter aus Lienhards Originalsatz verwendet. Eine erforderliche Hinzufügung wird immer in eckige Klammern gesetzt.

Frühere Editionen

Zwischen 1898 und 2000 sind fünf Teileditionen basierend auf Lienhards Manuskript erschienen, die erste in der Schweiz, die anderen vier in den Vereinigten Staaten. Es sind dies folgende Werke:

1. Californien unmittelbar vor und nach der Entdeckung des Goldes. Bilder aus dem Leben von Heinrich Lienhard von Bilten, Kanton Glarus, in Nauvoo, Nordamerika. Ein Beitrag zur Jubiläumsfeier der Goldentdeckung und zur Kulturgeschichte Californiens, herausgegeben von Caspar Leemann, 1898.

2. A Pioneer at Sutter’s Fort, 1846–1850. The Adventures of Heinrich Lienhard, übersetzt und herausgegeben von Marguerite Eyer Wilbur, 1941.

3. The Journal of Heinrich Lienhard, July 26–September 8, 1846, in: West from Fort Bridger. The Pioneering of Immigrant Trails Across Utah, 1846–1850, herausgegeben von J. Roderic Korns und Dale L. Morgan, 1951. Revised and Updated by Will Bagley & Harold Schindler, 1994, 113–184.

4. From St. Louis to Sutter’s Fort, 1846, übersetzt und herausgegeben von Erwin G. und Elisabeth K. Gudde, 1961.

5. New Worlds to Seek. Pioneer Heinrich Lienhard in Switzerland and America, herausgegeben von John C. Abbott, 2000.

Californien unmittelbar vor und nach der Entdeckung des Goldes

Caspar Leemann (1824–1899), Lehrer von Beruf, war ein Nachbar und Freund Lienhards, als dieser von 1851 bis 1854 in Kilchberg wohnte. «Californien …» erschien 1898 und erfuhr 1900 einen Neudruck. Das Buch beginnt mit dem California Trail und endet mit Lienhards Abreise aus Kalifornien 1850, ohne die Reise in die Schweiz 1849/50 (ab New York). Leemann war in seinem Bemühen, einen möglichst grossen Teil des Manuskripts zu veröffentlichen, gezwungen, massive Kürzungen vorzunehmen. Er reduzierte Lienhards Text auf rund einen Drittel seines Umfangs, wobei er oft mehrere Manuskriptseiten in wenigen Sätzen zusammenfasste. Aber auch den ausgewählten Text veränderte er in Vokabular, Stil und Inhalt fortlaufend nach seinem eigenen Geschmack, so dass sein Buch über weite Strecken eine Art verkürzte Nacherzählung von Lienhards Manuskript ist.

Leemann schreibt in seinem Vorwort zur Textauswahl, er habe dem Manuskript all das entnommen, «was allgemeines und besonders kulturelles Interesse hat». Auslassungen einzelner Episoden überbrückt er in der Regel im Haupttext mit Bemerkungen folgender Art: «Meine übrigen Erlebnisse in meiner Hütte und dem Garten waren nicht derart, dass die Mitteilung derselben mit allen Details grosses Interesse hätte», oder: «In den folgenden Tagen ereignete sich auf unserer Weiterreise nichts, was allgemeines Interresse für die Leser hätte.» Einen Teil von Lienhards Schilderungen über Sutter lässt er mit folgender Begründung weg: «Leider kamen auch noch andere Unrühmlichkeiten aller Art zum Vorschein, über die ich aus Pietät für sein Andenken und aus Rücksicht auf das sittliche Gefühl des Lesers stillschweigend hinweggehen will.» Er zögert auch nicht, Lienhards Absicht in ihr Gegenteil zu verkehren, beispielsweise dort, wo dieser ausdrücklich darauf hinweist, dass er an dieser Stelle den Ereignissen vorgreift, um die Geschichte seines Freundes und dessen zukünftiger Frau zu Ende zu führen, Leemann aber den Rest der Geschichte übergeht mit der Bemerkung: «Ich verlasse hier die beiden hoffnungsvoll sich Liebenden für einige Zeit, um nicht in der Zeitrechnung beim freundlichen Leser eine Verwirrung in der Reihenfolge der Ereignisse herbeizuführen.»

Leemann streute immer wieder auch eigene Passagen mit Gedanken zum berichteten Geschehen ein, oft belehrende, prahlerische oder religiös gefärbte Zusätze, die weder Lienhards Art noch Überzeugung entsprachen. Alle Ergänzungen sind in der Ichform verfasst, wobei Leemanns oft betont moralisierende Ausdrucksweise Lienhard später viel Kritik einbrachte. Lienhard erzählt wohl viel über die Missstände zur Zeit des beginnenden Goldrausches und äussert auch seine Empörung darüber, allerdings nie in den teils kruden, teils scharf verurteilenden Worten Leemanns. Über die Männer in den Minen schreibt Lienhard: «Die Gesichter eines grossen Theiles der Goldgräber hatten damals so gierige Ausdrücke, und viele ihrer Physiognomien schienen so verdächtig und zweideutig, dass man wohl daran that, immer gut auf seiner Hut zu sein.» Bei Leemann lautet die Stelle: «Einen eigenthümlichen Eindruck machten die Physiognomien der meisten Goldgräber auf mich. In der That hätten ja mit Recht viele dieser Menschen an den Galgen gehört.» Wo Lienhard bei seiner Abreise aus Kalifornien – die ihm nicht leichtfiel – bedauernd feststellt: «Wären nur die Gesetze des Landes und dessen Zustände geregelter, ja, ich könnte mir sagen, dann bliebe ich hier», schreibt Leemann: «[…] wenn nicht durch die Entdeckung des Goldes der Abgott Mammon aus dem paradiesischen Californien für Jahrzehnte eine teuflische Lasterhöhle gemacht hätte.» Es ist zugleich der Schlusssatz seines Buches.

Unerklärlich sind die zahlreichen Transkriptionsfehler von deutlich lesbaren Wörtern, da Leemann als ehemaliger Lehrer Ende 19. Jahrhundert zweifellos sowohl die lateinische als auch die deutsche Schrift beherrschte. Er transkribiert «Coyote» als «Cagota», «Florida Indianer» als «Florian Indianer», «Missions Reben» als «Missoury-Reben» etc., und aus «schreckte der Esel gewaltig» wird «schnarchte der Esel gewaltig». Nicht um Lesefehler kann es sich handeln, wenn beispielsweise aus «French Brandy» «French oder Brandy» wird oder aus einer einstelligen eine zweistellige Zahl. So steht im Buch kurz nacheinander zweimal «60» statt «6», womit gesagt wird, Lienhard beziffere seine Unterhaltskosten im Fort auf 60 (statt 6) Dollar pro Tag.

Neben den sprachlichen Veränderungen ging durch das viele Kürzen und Weglassen von Text auch oft der inhaltliche Zusammenhang verloren, und es kam zu sinnstörenden Verwechslungen. Ein bekanntes Beispiel, das gelegentlich noch heute zitiert wird, ist die Stelle im Buch, wo (gemäss Leemann) Heinrich Lienhard von sich behauptet, er habe August Sutter für dessen neu gegründete Stadt den Namen «Sacramento City» (die heutige Hauptstadt Kaliforniens) empfohlen. Der Vergleich mit dem Manuskript zeigt, dass die Stelle dort gekürzt und abgeändert ist, wobei Ortsnamen verwechselt wurden. Leemann lässt der irrtümlichen Stelle auch noch eine dieser Bemerkungen folgen, wie sie bei Lienhard nirgends zu finden sind: «Dafür kann ich mir allerdings […] sagen, dass Sakramento City ihren Namen meiner Wenigkeit verdankt.»

Heinrich Lienhard war sechsundsiebzig Jahre alt, als Leemanns Buch erschien. Es war zweifellos eine schwierige Zeit für ihn, seinen mit grosser Sorgfalt verfassten Text in dieser Weise entstellt vor sich zu sehen und durchzulesen. In seinem persönlichen Exemplar4 finden sich in zittriger Altersschrift viele kleine Korrekturen in der Form von Streichungen und Randbemerkungen wie «Irrthümlich», «Mistake», «Nicht wahr», «nicht richtig erzählt» etc. Er korrigierte auch Namen von Freunden und notierte kurze Erklärungen von der Art «Eine Slough ist kein Jungle» oder «In California gab es keine Buffalos mehr». Auf Seite 11 schrieb er: «Mein Freund Leemann hat zimmlich viele Ihrrthümer gemacht, den schlimsten, dass er schrieb, ich habe mich im Intressen für die Mexikanische Regierung gegen die Vereinigten Staaten anwerben lassen, es ist gerade das Gegentheil davon der Fall.» Sein Fazit auf der letzten Seite drückt Enttäuschung und Resignation aus: «Ich habe die voran gedruckten Zeilen zimmlich durchgelesen und finde leider zimmlich Vieles, was nicht ganz mit dem Manuskript recht übereinstimmt, welches ich bedaure.»

Leemanns Edition erfuhr in den USA mehrere (Teil-)Übersetzungen. Im Jahre 1933 befasste sich Reuben L. Spaeth in seiner Master-Arbeit anhand von «Californien …» mit Heinrich Lienhard.5 Spaeths Arbeit umfasst einen 25-seitigen Kommentar sowie die vollständige englische Übersetzung des Buches, die jedoch unveröffentlicht blieb. 1939 erschien eine kleine Publikation unter dem Titel «I Knew Sutter», eine Arbeit von Germanistik-Studierenden, die einen kurzen Ausschnitt aus «Californien …» übersetzt hatten.6 Ein Jahr später widmete Jean Paul von Grueningen in «The Swiss in the United States» Heinrich Lienhard einen Beitrag unter dem Titel «An Early Migration to New Helvetia».7 Von Grueningen führte darin Leemanns 25 Kapitelüberschriften auf und verfasste einen biografischen Kommentar mit übersetzten Zitaten aus «Californien …», der zum Teil demjenigen von Reuben Spaeths Master-Arbeit entspricht.

A Pioneer at Sutter’s Fort, 1846–1850

Marguerite E. Wilbur stand 1930 kurz vor der Herausgabe ihrer Übersetzung von Leemanns Buch, als sie auf der Suche nach biografischem Material erfuhr, dass sich Lienhards Manuskript in Familienbesitz in den USA befinde. Lienhards Sohn Adam H. Lienhard stellte es ihr daraufhin zur Verfügung, und 1841 erschien ihr Buch «A Pioneer at Sutter’s Fort». Es umfasst Lienhards Aufenthalt in Kalifornien von 1846 bis 1850, ohne die Reise in die Schweiz 1849/50. Obwohl Wilburs Bemerkung auf der Titelseite «From the original German Manuscript» hinsichtlich Textbearbeitung und Übersetzung einige Fragen offenlässt, gilt das Buch bis heute als originalgetreue Wiedergabe von Lienhards Text. Dies ist jedoch nur in beschränktem Mass der Fall.

Wilbur sah sich angesichts von über hundert Manuskriptbogen wie Leemann gezwungen, massive Kürzungen vorzunehmen. Von ihren Auslassungen merkt sie rund 80 an, nennt deren ungefähren Umfang (von einigen Zeilen bis zu 13 Bogen) und gibt kurze Begründungen von der Art: «Unwichtige Details auf den Bogen 122 und 123 über Abecks früheres Leben und seine eigene Krankheit wurden ausgelassen»; «Einige irrelevante Details über Dürrs Aufenthalt in Fort Laramie auf Bogen 149 und 150 wurden ausgelassen»; «Auslassung auf Bogen 157 über die Schwierigkeiten, Gold zu verstecken»; «Bogen 131, 132 und 133 wurden weitgehend ausgelassen. Diese beschreiben das Niederbrennen von Lienhards Hütte [es war die Hütte der Indianer], seine Unterstützung des deutschen Deserteurs, Schwierigkeiten mit seinen indianischen Arbeiterjungen (‹servants›), Dieberei der Indianer, Spiele der Indianer und Beschreibungen der in dieser Umgebung lebenden Tiere».

Der aus dem Manuskript übernommene Text folgt dort dem Original, wo er Wilburs Editionsziel entspricht. Die Übersetzung ist sehr frei und verkürzt den Originaltext im Verlauf des Übersetzens nach Möglichkeit weiter. Dazu gehört unter anderem, dass Sätze, in denen Lienhard sich Gedanken zu einem erzählten Ereignis macht oder seine Meinung darlegt, weggelassen sind. Wilburs eigene Ergänzungen, mit denen sie fehlenden Text überbrückt, sind oft ungenau. Auch bei ihr geht durch die Auslassungen gelegentlich die Übersicht verloren, und die Folgen sind wie bei Leemann Verwechslungen verschiedenster Art. Unzutreffend übersetzte Wörter lassen auf Transkriptionsprobleme schliessen. So wird zum Beispiel Lienhards «Zoffingen» [Zofingen] zu «Zollfinger», und wo er gut lesbar «Sturzenecker» schreibt, korrigiert Wilbur dies aufgrund einer amerikanischen Quelle richtig zu «Sturzenegger», merkt dann aber an: «Lienhard nennt ihn ‹Hurzenwecker›.»

«A Pioneer at Sutter’s Fort» reflektiert den fatalen Umstand, dass Wilburs Editionsziel nicht mit Lienhards Schreibintention übereinstimmte, ja dieser geradezu entgegengesetzt war. Sie erläutert ihre Prioritäten in der Einleitung wie folgt: «Viele Abschnitte erwiesen sich von geringem historischem Wert und wurden in der folgenden Übersetzung weggelassen. […] Langatmige Beschreibungen von Tieren, von Landschaften, von Flora und Fauna, Lienhards persönliche Stimmungen und Gefühle sowie unbedeutende alltägliche Ereignisse, die nichts zum Hauptthema beitrugen, wurden weggelassen. Alle Erwähnungen von Männern und Ereignissen im Zusammenhang mit der kalifornischen Geschichte wurden vollständig beibehalten.»

Lienhard hatte jedoch weder die Absicht, noch erhob er den Anspruch, über die Geschichte Kaliforniens zu berichten, wenigstens nicht in dem Sinn, wie Wilbur dies vorschwebte. So übergeht sie sämtliche 13 Bogen, auf denen Lienhard über seine indianischen Nachbarn im oberen Sacramento-Tal – Nachkommen und Vertreter jahrtausendealter Kulturen Kaliforniens – berichtet, desgleichen die meisten anderen Textstellen, in denen er von seiner Zusammenarbeit mit den indianischen Kindern und Jugendlichen erzählt, die ihm Sutter als Gehilfen zur Verfügung stellte. Lienhard schrieb persönliche Erinnerungen, und es versteht sich, dass sein «Hauptthema», wenn denn überhaupt eines, er selbst, seine Interessen und Erlebnisse waren. Mit anderen Worten, im Zentrum seines Erzählens stand all das, was Wilbur nicht interessierte: Lienhards Freude an der Natur, die reiche Flora und Fauna Kaliforniens, die Indianer und ihre Lebensweise, seine Schweizer Freunde und Bekannten, denen er in einer Reihe von eindrücklichen Porträts ein Denkmal setzt, sein treuer Hund Tiger, sein Pferd Jonny, das wie er selbst die Freiheit über alles liebte, und schliesslich die vielen kleinen alltäglichen Freuden und Leiden bei seiner Arbeit in und um Sutters Fort. All dies aus einem Erinnerungswerk wegzukürzen, ist paradox. Letzteres gilt auch für die Tatsache, dass Wilbur, nachdem alles Persönliche getilgt war, ausführt, ein «besonderer Reiz» von Lienhards Bericht sei seine «merkwürdige Distanz» als Erzähler, indem er «mehr wie ein neugieriger Zuschauer erscheine als wie ein aktiver Teilnehmer am Tun und Treiben der Zeit».

In einer Besprechung von Wilburs Werk machte Erwin E. Gudde8 klar, dass er wenig von Lienhards Kalifornienbericht hielt.9 Der Horizont des Autors sei zu begrenzt, als dass dieser einen signifikanten Beitrag zur Geschichte leisten könnte. Er interessiere sich nur für sich selbst und für seine Kontakte zu anderen Pionieren. Die von Wilbur erwähnte «Distanz» sei nicht mehr als seine Abscheu vor den Frontier-Lastern Alkohol, Frauen («Indian Squaws») und Spielen. Er zeige keine Anzeichen von Objektivität und Fairness, und Männer, die er nicht gemocht habe, so zum Beispiel Frémont und Sutter, habe er mit unerbittlichem Hass verfolgt. Im Zusammenhang mit dem Tod eines von Lienhard erwähnten Indianermädchens schreibt Gudde, Lienhard unterstelle Sutter Vergewaltigung und Körperverletzung mit Todesfolge («manslaughter»). Wenn Gudde zitiert, über welche Wege Lienhard von den Hintergründen dieses Vorfalls vernommen hatte, um ihn als unglaubwürdig, «empfindsam und schwatzhaft» («sensitive and gossipy») darzustellen, spricht die Textstelle immerhin insoweit für die Verlässlichkeit des Autors, als er nicht einfach behauptet, sondern ausdrücklich und genau die Quelle seiner Information offenlegt.

Lienhard wird mancherorts nicht verziehen, dass er in seinen Erinnerungen durchaus nachvollziehbar beschreibt, wie sein Idealbild von Sutter während der Zeit, als er für ihn arbeitete, langsam Risse bekam. Tatsache ist, dass jedermann, der sich länger im Fort aufhielt, und auch bekannte Personen ausserhalb wie Bidwell, Vallejo und Larkin wussten, dass von den Kindern und Jugendlichen, die Sutter sich aus den Bergen zur Arbeit und Weitervermittlung zwecks Schuldentilgung bringen liess, nicht alle jungen Indianerinnen nur nähen und kochen lernten. Bloss wurde darüber nicht offen gesprochen, geschweige denn von einfachen Leuten wie Lienhard darüber geschrieben. Sutters Einfluss war zu gross, als dass man dies gewagt hätte, zumal es sich «nur» um Indianerinnen handelte.

Die Verlässlichkeit von Lienhards Manuskript, so Gudde, sei sogar dort äusserst zweifelhaft, wo der Autor als Augenzeuge berichte. Als Beispiel erwähnt er die Tage nach der Goldentdeckung und dürfte sich dabei auf die bekannte Textstelle beziehen, wo Lienhard erzählt, wie die wichtige Neuigkeit ins Fort gelangte, als nämlich der Schweizer Witmer, Sutters Wagenmeister, vor den Augen der ungläubigen Anwesenden aus einem schmutzigen Lappen eine ganze Anzahl kleiner Goldkörner hervorkramte. Die im Originaltext detailliert erzählte, fröhliche Szene übersetzte Wilbur in der üblich verkürzenden Form, wobei sie mehrere Personen verwechselte, unter anderem Witmer mit Sutter.10 Die Schilderung ist in der Tat ziemlich «verwirrend», nur wünschte man sich, Gudde hätte wenigstens für dieses eine Beispiel einen kurzen Blick ins Manuskript geworfen. Er kritisiert auch Wilbur für die zahlreichen Auslassungen (über deren Inhalt er sich bei Leemann informierte) und Ergänzungen, ebenso bemängelt er die Irrtümer in den Anmerkungen. Doch obwohl Letztere gravierende Transkriptionsprobleme verraten, kommt er zum Schluss, Wilburs Textbearbeitung erscheine ihm als Ganzes gut ausgeführt.

Guddes Buchbesprechung prägte die Rezeption von Lienhards Manuskript besonders in Kalifornien bleibend, umso mehr, als er selbst an seiner Überzeugung festhielt und gewisse Behauptungen in späteren Werken wiederholte. Aus heutiger Sicht stellt sich die Frage, ob einer derart herabsetzenden Beurteilung eines Autors als Mensch und Erzähler nicht schon damals wenigstens ein kurzer Vergleich mit dem Manuskript hätte vorausgehen sollen. Sowohl Leemann als auch Wilbur verfolgten in ihren Editionen spezifische eigene Interessen, rissen dazu den Originaltext auseinander, veränderten diesen massiv und setzten mit selektiver Themenauswahl Schwerpunkte, die ihn nicht nur entstellten, sondern als persönlichen Erinnerungsbericht seiner Essenz beraubten.

Wilbur veröffentlichte acht Jahre nach «A Pioneer at Sutter’s Fort» eine «romantische Biographie» Sutters unter dem Titel «John Sutter, Rascal and Adventurer».11 Sie schöpfte dafür Lienhards Erinnerungen nochmals aus und betonte deren Bedeutung als Quelle zu Sutter, womit sie allerdings nicht zur Rehabilitierung des Manuskripts beitrug. Der englische Historiker John A. Hawgood beurteilte ihren Roman mit folgenden Worten: «This book, though claiming to be based on source material, manuscripts, and letters, is the worst type of fictionised biography, beginning with Sutter’s thoughts at the age of ten. It is full of errors.»12

West from Fort Bridger

J. Roderic Korns und Dale L. Morgan veröffentlichten 1951 ihre Untersuchung «West from Fort Bridger», die 1994 in Buchform erschien. Ihr Hauptinteresse galt dem Hastings Cutoff, einer angeblichen Abkürzung zum Grossen Salzsee und über die Grosse Salzwüste. Lienhard gehörte zu den Emigranten, die 1846 diese Route als Erste ausprobierten, weshalb Korns/Morgan den betreffenden Manuskript-Abschnitt (Bogen 67/1 bis 73/4) übersetzten und in ihre Auswahl von Texten aus Tagebüchern, Briefen und Karten aufnahmen. «West from Fort Bridger» gilt heute als klassisches Werk über die Erschliessung der westlichen Trails und enthält unter anderem auch Aufzeichnungen von James Clyman, Edwin Bryant, James Frazier Reed sowie einen Beitrag über T. H. Jeffersons Karte.

Roderic Korns und Dale Morgan waren die Ersten, die Lienhards gewissenhafte Genauigkeit als solche erkannten und überaus schätzten. Sie betonen den bedeutenden Beitrag, den er mit seinem Bericht zur Rekonstruktion dieses Trail-Abschnitts geleistet hat, und ihre Übersetzung entspricht, wie zu erwarten, dem Originaltext. Lienhards zuverlässige tägliche Aufzeichnungen, so Korns/Morgan, füllten eine wichtige Lücke in der Chronologie der einzelnen Etappen und zeigten auch, wie die Geschichte der Donner-Gesellschaft anders hätte verlaufen können.13 Sein Text kläre zudem Fragen im Zusammenhang mit Jeffersons Karte und gewähre neuen Einblick in Hastings’ Absicht, als er auf dem Trail die Emigranten abfing, um sie auf die neue Route umzulenken. Korns/Morgan legten ihrem Buch eine neue, detaillierte Karte der Region Salzsee und Salzwüste bei. Sie zeigt eine erstmals von Lienhard und seinen Mitreisenden gewählte, in gerader Linie westlich verlaufende Route vom Bear River im südwestlichen Wyoming bis zu den Needles an der Grenze zum heutigen Utah. Sie nennen die Abkürzung «Lienhard-Mormon Cutoff», da diese im folgenden Jahr auch von den Mormonen gewählt wurde.

Ihre biografischen Angaben entnahmen Korns/Morgan der Einleitung von «A Pioneer at Sutter’s Fort», weshalb sie einige Ungenauigkeiten aufweisen. Die Bemerkung, Lienhard schreibe den Namen «Hoppe» in der Form «Hapy» oder «Hapi», trifft nicht zu und stammt aus Leemanns Buch, wo Lienhard diesen in seinem Exemplar denn auch mehrmals korrigierte. Im Manuskript schrieb er immer «Hopy», wie der Name im Englischen wohl ausgesprochen wurde. Jacob D. Hoppe kam aus Maryland, hatte deutsche Vorfahren und sprach gemäss Lienhard auch noch ganz gut Deutsch. Sie reisten bis im September zusammen auf dem Trail, und Hoppe war zeitweise Captain der Gesellschaft. Die Feststellung von Korns/Morgan, Wilburs Übersetzung werde Lienhards Text über seine Zeit in Kalifornien voll und ganz gerecht, ist unzutreffend.

From St. Louis to Sutter’s Fort, 1846

Die Wertschätzung von Lienhards Manuskript durch Korns/Morgan dürfte 1951

Erwin G. Guddes Neugier für Lienhards Bericht über den California Trail geweckt haben. 1961 erschien sein Buch «From St. Louis to Sutter’s Fort», die Übersetzung des California Trails (Bogen 51/1–83/1). Er folgt dabei Lienhards Text, allerdings mit der Tendenz, dessen Ausführlichkeit etwas einzugrenzen. Die Übersetzung enthält kleine Kürzungen und mehrere ungenau übersetzte Stellen, ebenso einige Verwechslungen. Guddes betont einfach gehaltener Sprachduktus hat einen eher distanziert wirkenden Stil zur Folge, zudem scheint ihm Lienhards trockener Humor entgangen zu sein. Es dürfte deshalb eher am Sprachstil des Übersetzers liegen, wenn dem englischen Text «a certain lack of freshness in the narration»14 zugeschrieben wird, und weniger daran, dass es sich um eine Aufzeichnung aus späterer Zeit handelt, wie dies der Rezensent von Guddes Buch vermutet.

Gudde bezeichnet in seiner Einleitung Lienhards Trail-Abschnitt als «einen der drei klassischen Berichte der grossen Westmigration von 1846». Obwohl nach seinen Worten die Versuchung, auch den Rest des Manuskripts zu übersetzen, gross gewesen sei und Freunde ihm dies auch empfohlen hätten, habe er sich nicht dazu entschliessen können. Um dies zu begründen, greift er auf seine Buchbesprechung von 1942 zurück und wiederholt seine dortige Kritik an Lienhard zum Teil wörtlich. Die Reise nach Kalifornien, meint er, sei bei weitem der interessanteste und wertvollste Teil des Manuskripts. Der «über den weiten, offenen Raum des Trails ziehende» Lienhard scheine ein «anderer Mann» zu sein als der Lienhard in Sutters Fort nach der Goldentdeckung.

Es ist bedauerlich, dass sich Gudde nach zwanzig Jahren von neuem auf Wilbur berief und seine Kritik, wiederum ohne Verifizierung, wiederholte. Zwar hatte er bei seiner Übersetzung des Trail-Abschnitts den grossen Unterschied zu «A Pioneer at Sutter’s Fort» erkannt, führte diesen jedoch auf den Autor zurück, der sich in Kalifornien völlig verändert habe. Dabei liess Gudde ausser Acht, dass Lienhard seine Erinnerungen dreissig Jahre später verfasste und es aus dieser zeitlichen Distanz kaum möglich gewesen wäre, in ein und demselben Manuskript zwei qualitativ derart unterschiedliche Texte zu schreiben. Hinzu kommt, dass sich die letzten anderthalb Seiten seines Buches mit den ersten zwei von Wilburs Buch überschneiden und die Texteingriffe, die Letztere von Beginn an vornahm, nicht zu übersehen waren.

New Worlds to Seek

John C. Abbotts Buch «New Worlds to Seek» ist die englische Übersetzung von Lienhards Kindheit und Jugend in der Schweiz, seiner ersten Reise nach Amerika und seines Aufenthalts von 1843–1846 in der Schweizer Siedlung Highland, Illinois (Bogen 1–51/2). Die Zeit in Highland, damals noch unter dem Namen «Neu-Schweizerland» bekannt, schliesst mehrere Abstecher in die benachbarten Staaten und Fahrten auf dem Mississippi ein. Das Buch endet an der Stelle, wo Guddes «From St. Louis to Sutter’s Fort» beginnt.

John Abbott (1921–2005) war während einundzwanzig Jahren Direktor der Lovejoy Library (Southern Illinois University, Edwardsville), wo er später die Leitung der Abteilung «Special Collections» übernahm. Dort widmete er sich vor allem der Erweiterung einer Sammlung von Quellen und Literatur zu Illinois und dem Mississippi-Tal. Daneben beteiligte er sich an mehreren ins Englische übersetzten Editionen von Berichten der Gründer und frühen Siedler Neu-Schweizerlands. Abbott war deshalb ein ausgezeichneter Kenner des geografischen und siedlungsgeschichtlichen Hintergrunds von Lienhards Text über die Jahre in Illinois.

Vertraut im Umgang mit Manuskripten, legte er Wert darauf, den Autor und sein Werk möglichst authentisch zu vermitteln. Er erkannte zu Beginn seiner Arbeit, dass die Transkription, die ihm als Vorlage dienen sollte, über weite Strecken nicht Lienhards Originaltext entsprach. Sein grosses Verdienst ist, dass er sich daraufhin entschloss, die ganze Transkription neu zu bearbeiten. Obwohl seine Deutschkenntnisse begrenzt waren, machte er sich mit der deutschen Schreibschrift vertraut und zog zur Übersetzung eine zweisprachige Mitarbeiterin bei.

Zwei Anmerkungen sollen hier kurz erwähnt werden. Der Name von Lienhards Aargauer Reisekamerad Heinrich Thomann wurde zwar brieflich kommuniziert, dessen Schreibweise in der Anmerkung aber versehentlich als «Thomman» angegeben.15 Die zweite Anmerkung betrifft ein Leseversehen. Lienhard schreibt: «Warte, Kerl, dich werde ich in das Staatskosthaus nach Alton schicken!» Die Übersetzung lautet: «Just you wait fellow, I’ll send you to the government courthouse at Alton!» Lienhard meinte mit «Staatskosthaus» natürlich Gefängnis (penitentiary), was irrtümlich mit «government courthouse» (staatliches Gerichtsgebäude) übersetzt wird. In einer Anmerkung erklärt Abbott dazu: «The Madison County Courthouse was in Edwardsville; Alton was the site of the State Penitentiary.» Lienhard wusste dies offensichtlich und formulierte es dementsprechend korrekt.16

Abbott ist mit «New Worlds to Seek» ein schönes Buch zu verdanken, das Lienhard und seinen Text auf überzeugende Art präsentiert. Es biete, schreibt Lienhards Urenkel John Henry im Vorwort, auch späteren Generationen seiner Familie die willkommene Möglichkeit, nicht nur über die frühe Zeit am Mississippi mehr zu erfahren, sondern auch über die von Fernweh geprägten Jugendjahre seines Urgrossvaters, der in Amerika ein freies, selbstbestimmtes Leben suchte und vom Zufall begünstigt auf unerwartete Weise fand.

1 Die Landzuweisungen erfolgten in der Regel in spanischen Quadratmeilen, wobei 1 Quadratmeile (spanisch «legua») rund 18 Quadratkilometern entsprach.

2 Die folgenden Ausführungen zur Entwicklung des Trails stützen sich vor allem auf George R. Stewart, The California Trail. An Epic with Many Heroes (1962/1971).

3 John D. Unruh, The Plains Across. The Overland Emigrants and the Trans-Mississippi West, 1840–1860 (1982), 84.

4 Es handelt sich dabei um 25 ungebundene Druckbogen mit Bleistiftnotizen von Lienhards Hand. Das Dokument gelangte 1983 aus Familienbesitz an die Bancroft Library in Berkeley, Kalifornien.

5 Reuben Louis Spaeth, Heinrich Lienhard in California, 1846–1850. Master’s Thesis, University of California, Berkeley 1933. Ein Exemplar dieser Arbeit ist in der Bancroft Library vorhanden.

6 Heinrich Lienhard, I knew Sutter. Translated from the Original German by Students of German at C. K. McClatchy Senior High School. Sacramento: The Nugget Press, 1939.

7 John Paul Von Grueningen (Hrsg.), The Swiss in the United States. Madison, Wisconsin: Swiss-American Historical Society 1940; Reprint: San Francisco: R and E Research Associates, 1970.

8 Erwin E. Gudde (1889–1969) war gebürtiger Deutscher, emigrierte als junger Mann in die USA und lehrte von 1923 bis 1956 Germanistik an der University of California in Berkeley.

9 Erwin G. Gudde, Review of Books, in: The Pacific Historical Review, XI, 2 (June 1942), 233.

10 Wilbur, Pioneer at Sutter’s Fort, 116–117; Manuskript 127/3–128/1.

11 Wilbur, Marguerite Eyer. John Sutter, Rascal and Adventurer (A New Romantic Biography). New York: Liveright Publishing Corp., 1949.

12 John A. Hawgood, John Augustus Sutter. A Reappraisal, in: Arizona and the West, IV, 4 (Winter 1962), 345, Anm. 2.

13Vom tragischen Schicksal der Donner-Gesellschaft wird weiter unten im Text ausführlicher die Rede sein (siehe Seite 250ff.).

14 Henry H. Clifford, Buchbesprechung, in: California Historical Society Quarterly, XLI (September 1962), 259f.

15 Abbott, New Worlds to Seek, 232, Anm. 24.

16 Manuskript 31/3/22; New Worlds to Seek, 139 und 236, Anm. 40.



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