Читать книгу Spur der Geier: Die großen Western von Heinz Squarra - Heinz Squarra - Страница 6

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„Hängt ihn!“, schrie die keifende Stimme durch die kleine Stadt. „Ich würde nicht so viele Umstände machen!“

„Ja, hängt ihn!“, stimmte eine zweite Stimme zu, die wie die erste unverkennbar einer Frau gehörte.

Chaco, das Halbblut, stand am vergitterten Fenster im Gefängnis von Maricopa Wells und blickte hinaus.

Auf der Plaza wallten noch Morgennebel. Im Osten war die Sonne gerade aufgegangen und schickte lange Strahlen über die flachen Hausdächer, unter denen die grauen Schwaden rasch verschwanden. Eine Anzahl Männer und Frauen, von Halbwüchsigen unterstützt, trugen Bänke um den Brunnen zusammen und stellten sie in Reihen auf.

Der Schmied hatte sich einen langen, schwarzen Tuchmantel angezogen und ein dickes Buch mit goldenen Rändern und schwarzem Deckel unter den Arm geklemmt. Der Mann gab Anweisungen wegen der Sitzordnung und sagte, was ihm passte und was ihm missfiel.

Die resolute Emmely Hickok, die Vorsitzende des Frauenvereins, scharte die anderen Mitglieder ihrer Liga mit herrischen Bewegungen um sich zusammen und sagte mit Donnerstimme: „Muss denn dieser Aufwand wirklich sein wegen dem Halunken?“

„Nein!“, riefen sie vielstimmig.

„Tut, was ich euch sage!“, befahl der Schmied, dem beim Sprechen der Kautabak aus dem Mund spritzte.

„Du hast uns gar nichts zu sagen, Josh Hennessy“, sagte Emmely Hickok.

„Ich bin der Richter!“, brüllte der Schmied. „Sie sagen gefälligst Euer Ehren zu mir, Madam!“

Emmely Hickok hatte schon eine barsche Erwiderung auf der Zunge, besann sich aber anders und sagte leise zu den Frauen: „Lassen wir ihm den Spaß. Aber so ein Halunke wie dieses Halbblut muss an den Galgen. Da lassen wir nicht locker.“

Wahrend die Frauen wie hörig nickten, rückten die Männer unter Führung von Marshal George Peck die restlichen Bänke zusammen.

„Ja, so ist es richtig“, lobte der Schmied, hüstelte gekünstelt und schlug sein Gesetzbuch auf. Er verstand vom Gesetz soviel wie eine Klapperschlange von der Anhänglichkeit eines Hundes, aber das störte weder ihn selbst noch eine andere Person in der kleinen Stadt.

Marshal George Peck, ein mittelgroßer, breitschultriger Mann von achtunddreißig Jahren, ging

auf den Richter und Schmied zu.

„Wenn so alles in Ordnung ist, können wir den Gefangenen ja holen. Euer Ehren?“

„Ja, holt ihn“, befahl der Richter und klappte das Buch so heftig zu, dass es knallte.

Der Marshal ging mit einem halben Dutzend Männern auf sein Office zu. Chaco sah sie kommen und trat vom vergitterten Fenster zurück. Er war nicht gefesselt und hatte doch keine Chance, weil sie zu viele waren und weil nirgendwo in der Stadt ein Pferd zu sehen war, auf das er sich hätte schwingen können, wäre es wirklich möglich gewesen, sie zu überlisten oder gar auszuschalten.

Die Tür des Office flog auf und knallte donnernd gegen die Wand.

Chaco sah glimmende, von Hass erfüllte Augen und Gesichter. Sie waren alle gegen ihn, aufgehetzt von dieser resoluten Frau, die draußen lautstark verlangt hatte, dass man ihn hängen sollte.

„Es geht alles nach Recht und Gesetz zu“, erklärte der Marshal, als hätte er Chacos Gedanken erraten können.

„Wisst ihr denn, was das ist, Recht und Gesetz?“, fragte das Halbblut verächtlich.

„Der Richter hat ein Gesetzbuch.“

„Hoffentlich kann er wenigstens lesen, was darin steht.“

Marshal Peck zog den Schlüssel für die Gefängnistür aus der Tasche. Die anderen Männer

schoben sich wie eine Mauer hinter seinem Rücken und rechts und links von ihm zusammen. George Peck steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn um. Hart schabte Eisen über Eisen. Die Tür schwang auf.

„Raus!“, bellte der Marshal.

„Ihr müsst erst mal Platz machen“, entgegnete Chaco. Er suchte immer noch nach der Lücke, durch die er entwischen konnte, obwohl draußen kein Pferd stand.

Marshal Peck trat weiter zurück und winkte den anderen, und sie schoben sich etwas auseinander.

„Na los“, kommandierte Peck. „Das Gericht wartet schon.“

Chaco verließ die Zelle und wurde sofort von einem halben Dutzend Händen gepackt. Sie stießen ihn vorwärts, so dass er mit dem Marshal zusammenprallte. Peck fluchte und trat zurück.

Chaco riss die Arme herum und war frei. Er sprang auf den zu, der zwischen ihm und der Tür war und donnerte ihm die Faust gegen den Hals. Der Mann stöhnte und prallte gegen die Wand. Die anderen brüllten entsetzt und wütend und als wollten sie sich gegenseitig anfeuern. Sie fielen alle über das Halbblut her und schlugen auf ihn ein. Chaco packte einen Mann und schleuderte ihn wie einen Spielball gegen die anderen. Aber auch hinter ihm waren Männer aus Maricopa Wells, und einer hatte den Revolver in der Hand und schmetterte ihn auf den Kopf des Halbbluts.

Chaco taumelte in die Faust des Marshals hinein, die ihn wie ein Hammer traf. Er sah Sterne vor seinen Augen zerplatzen, und seine Knie gaben nach. Schlagartig brach er zusammen und lag verkrümmt zwischen den Männern.

Marshal Peck rieb zufrieden brummend über seine Faust und schaute die anderen beifallheischend an. Aber keiner sagte etwas. Einer ging in die Zelle, holte den Wassereimer, der noch halb gefüllt war und leerte ihn über dem Halbblut aus.

Chaco hatte nur benommen auf dem Boden gelegen. Das kalte Wasser brachte ihn vollends in die Gegenwart zurück. Er wurde erneut gepackt und auf die Beine gestellt. Fäuste trafen ihn in den Rücken und trieben ihn aus dem Office hinaus.

Lautes Raunen ging durch die Menge, die rund um die Plaza noch entfernt von den aufgestellten Bänken stand.

„Hängt ihn!“, rief die keifende Frauenstimme.

„Ruhe!“, befahl der Richter barsch. „Wenn es keine Ruhe gibt, verlege ich die Verhandlung in den Saloon und schließe die Öffentlichkeit aus!“

Chaco wurde über die Veranda geprügelt, die Treppe hinunter und über die Straße zur Plaza. Geriet er aus der Richtung, packten ihn die Fäuste und zogen ihn auf den rechten Weg zurück. So brachten sie ihn bis zu der Bank, die dem Richter und Schmied am nächsten stand. Erst dort ließen sie von ihm ab.

„Setzen!“, befahl der Schmied, dessen Augen wie die eines Fisches glitzerten.

Chaco ließ sich auf die Bank nieder. Fürs erste war er zufrieden, dass sie ihn in Ruhe ließen. Rechts und links von ihm setzten sich Männer. Der Marshal nahm mit den übrigen hinter ihm Platz, so dass sie ihn jederzeit in Griffnähe hatten.

„Setzt euch“, bestimmte der Richter, an die Frauen und Halbwüchsigen gewandt, die noch im Hintergrund verharrten.

„Ich beschuldige ihn, ein hundsgemeiner Halunke und Kindesentführer zu sein“, sagte Emmely Hickok keifend, während sie sich setzte und ihrem Mann winkte. „Du setzt dich hierher zu mir.“

Fitzgerald Hickok, sechsundfünfzig Jahre alt und eine traurige, unter dem Pantoffel stehende Gestalt, ließ sich neben seiner resoluten Frau nieder.

„Und einen Tisch für mich!“, schimpfte der ehrenwerte Richter. „Einen Tisch und einen Stuhl, zum Donnerwetter. Oder soll ich vielleicht die ganze Zeit stehen?“

Zwei Männer rannten zum Saloon und holten einen Tisch, und der dicke Wirt kam mit einem Stuhl hinterher.

„Na also“, sagte der Schmied hüstelnd, als man den Tisch vor ihm abstellte. Er legte sein dickes Buch darauf, nahm dem Keeper den Stuhl ab und setzte sich. Tabak kauend blickte er in die Runde.

Wieder setzte drohendes Murmeln ein.

„Hängt ihn!“, rief Emmely Hickok.

Der Richter schlug mit der Faust auf den Tisch. „Also, die Verhandlung ist eröffnet. Emmely Hickok, was bringen Sie gegen den Angeklagten vor?“

Die resolute Frau sprang auf. „Er ist ein hundsgemeiner Kindesentführer. Jawohl, das ist er. Schreiben Sie das auf, Hennessy. Und dafür muss er gehängt werden.“

Zustimmendes Gebrüll erhob sich.

Die Sonne war inzwischen etwas höher gestiegen, hatte die restlichen Morgennebel aufgelöst und die Hitze verstärkt.

Der Richter schlug mit der Faust auf den Tisch, aber weil das nichts nützte, nahm er das Buch und hieb es so lange auf die Platte, bis die Frauen verstummten.

„Das ist ja wie in einem Affenhaus!“, schimpfte der Richter. „Emmely Hickok, Sie werden auf der Stelle Euer Ehren zu mir sagen. Ist Ihnen das klar?“

„Er soll gehängt werden, zum Teufel. Er hat das mir anvertraute Kind aus meinem Haus entführt und ist damit geflohen.“

„Und er hat einige der braven Männer mit seinen Fäusten verletzt!“, rief eine andere Frau keifend. „Brave Männer, die nichts weiter als ihre Pflicht taten und dem Marshal halfen, ihn wieder einzufangen. Es ist ein Wunder, dass er den kleinen Jungen nicht getötet hat!“

„Hängt ihn!“, rief Emmely Hickok wieder, und der ganze Haufen stimmte lautstark ein.

Der Richter schmetterte das Buch auf den Tisch, bis ihm die Arme schmerzten und sein Kopf hochrot wie eine reife Tomate aussah. Er vermochte sich kein Gehör mehr zu verschaffen. Schließlich stand der Marshal auf, zog seinen Revolver und schoss in die Luft.

Das Donnern des Schusses ließ die Frauen zusammenfahren und verstummen. Alle setzten sich. Pulverrauch wehte über der Menge dahin.

„Ich werde wohl oder übel die Öffentlichkeit ausschließen müssen“, brummte Richter Josh Hennessy und schlug abermals mit dem dicken Buch auf den ramponierten Kneipentisch, dem verschütteter Whisky, Kugeln, Fäuste und Sporenräder ohnehin bereits beträchtlich zugesetzt hatten.

„Also, Angeklagter, Sie haben gehört, was gegen Sie vorgebracht wird“, redete der Richter weiter. „Der Marshal und seine tapfere Posse haben Sie eingefangen und Sie haben Männer zu verletzen gewagt, die nur ihre Pflicht taten. Was haben Sie hundsgemeiner Halunke zu Ihrer Verteidigung noch vorzubringen?“

„Sie lügt“, sagte Chaco. „Jellico ist der Sohn meines Freundes. Ich habe ihn nur weggeholt.“

Emmely Hickok begann schallend zu lachen und wurde von allen Frauen und dem größeren Teil der Männer unterstützt.

Marshal Peck feuerte abermals aus seinem Revolver in die Luft.

„Macht endlich Schluss mit dem Palaver!“, schrie eine ältere Frau. „Sonst hängen wir ihn selbst auf!“ Alle Frauen erhoben sich. Im aufflammenden Gebrüll gingen die Worte des Richters unter. Marshal Peck schoss in die Luft, aber auch er vermochte die wütende Menge nicht mehr zu bändigen. Der Richter musste auf seinen Tisch steigen und mit den Armen fuchteln. Aber es dauerte Minuten, bis endlich Stille eintrat, und das auch nur, weil Emmely Hickok sagte: „Lasst Euer Ehren nur reden! Mal sehen, ob noch etwas Vernünftiges dabei herauskommt. Bitte, Euer Ehren, Sie haben das Wort.“

„Ich verurteile ihn zum Tode!“, rief der Richter. „Jawohl, zum Tode durch den Strang verurteile ich ihn kraft meines Amtes als Friedensrichter dieser Stadt. Und In drei Tagen soll er hängen!“

„Bravo!“ Emmely Hickok schlug die Hände über dem Kopf klatschend zusammen.

Die anderen Frauen lachten, klatschten und hüpften, so dass es schien, als wäre ein Volksfest ausgebrochen.

„Schaffen Sie ihn ins Gefängnis. Marshal“, befahl der Richter, der vom Tisch kletterte.

Chaco wurde von der Bank gezerrt. Erneut schlugen sie auf ihn ein, prügelten ihn die Straße hinunter zum Office, die kurze Treppe zur Veranda hinauf und ins Haus des Marshals hinein. Mit Hieben und Tritten beförderten sie ihn in die Zelle. Die Tür klappte metallisch scheppernd zu. der Schlüssel drehte sich leise kreischend um und wurde von George Peck abgezogen.

„Also, in drei Tagen“, erklärte der Marshal an seine Helfer gewandt. „So lange wird es ja jeder noch aushalten. Verzieht euch jetzt.“

„Mir wäre wohler, wir hätten ihn gleich aufgeknüpft“, erwiderte einer der Männer.

„Er kann uns doch nicht mehr entwischen“, gab der Marshal zurück. „Soll er vielleicht durch die Stäbe kriechen, Holler?“

„Ich weiß nicht, Marshal. Jedenfalls traue ich dem Frieden erst, wenn wir ihn ein paar Fuß unter der Erde haben.“

Die anderen murmelten zustimmend.

,,Der Richter hat gesagt, in drei Tagen“, sagte der Marshal barsch. „Es müssen schließlich Vorbereitungen getroffen werden. Jeder, auch so ein verdammter Bandit, hat Anspruch auf eine ordentliche Hinrichtung. Ware ja gelacht, wenn wir uns das nicht leisten würden. Also, nun verschwindet.“

Murrend zogen die Männer ab.

Chaco ging unruhig in der Zelle auf und ab. In der Stadt wurde es langsam still, und der Staub, der in der Straße zwischen den Gebäuden stand, senkte sich.

Auf der Plaza wurden die Bänke weggeräumt. Der Friedensrichter eigener Gnaden lief noch in seinem schwarzen Tuchmantel mit gewichtigen Schritten umher, das schwarze Buch mit den goldenen Blatträndern unter den rechten Arm geklemmt.

Chaco wandte sich ab und ging zur anderen Wand, erneut zum Zellenfenster und wieder zur anderen Wand. Es gab kein Entrinnen mehr.

Spur der Geier: Die großen Western von Heinz Squarra

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