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Pflicht

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Die Pflichten, die dem Menschen als sozialem Wesen aufgegeben sind, werden praktiziert, aber nicht reflektiert. Wer seine religiösen Pflichten verletzt, konnte wegen Asebie angeklagt werden und galt als Atheist. Es gab auch einen vorsätzlichen Atheismus. So leugnete ein der Sophistik nahestehender Diagoras aus Melos (letztes Drittel des 5. Jh.s v. Chr.) die Existenz der Götter schlechthin und bestritt die mit den Eleusinischen Mysterien verbundenen Pflichten. Später gab es ganze Kataloge von Atheisten. Selbst das hat nicht zu einer generellen Bestimmung des Pflichtbegriffes geführt. Weder die ethischen, jeweils der konkreten Fragestellung eines Dialoges unterworfenen Diskurse Platons noch die Ethik des Aristoteles haben den Charakter einer deontologischen Ethik im strengen Sinne, die dem Menschen Pflichten auferlegte. Wohl durchzieht die Frage, wie man leben soll, die meisten Dialoge Platons. Aber es geht dabei nicht um strenge moralische Verpflichtungen, sondern darum, dass ein moralisch gutes Leben zum Glück, zur Eudaimonie, führt. Noch ausdrücklicher ist die Ethik des Aristoteles eine Glücksethik. Aristoteles schreibt dem Menschen nicht vor, die von ihm ausführlich beschriebenen Tugenden wie Gerechtigkeit, Tapferkeit, aber auch gesellschaftliche Gewandtheit sich als Pflichten anzueignen, sondern sieht in ihrer Verwirklichung die Möglichkeit, ein glückliches, erfülltes Leben zu führen.

Entsprechend gibt es nur ganz wenige Zeugnisse über das Befolgen von Pflichten im konkreten Sinn. Gewiss gibt es Beschreibungen von berufsbezogenen Pflichten im konkreten Vollzug. Ein Beispiel dafür ist der hippokratische Eid, der dem angehenden Arzt berufsbezogene Pflichten in Auftreten und Handeln auferlegt. Aber es handelt sich dabei um eingegrenzte Pflichten für eine Personengruppe. Die Pflicht als solche kommt am ehesten in den Blick bei Demokrit: „Die Pflichten (wörtlich: „was man tun muss“) für das Gemeinwesen (für die Polis) soll man unter allen für die größten halten“ (Frgm. 252). Und Theophrast, der Schüler und Nachfolger des Aristoteles, hat einen ganzen Pflichtenkanon aufgestellt (Frgm. 253 bei Fortenbaugh), in dem von der Sorge für Frau und Kind, für die alt gewordenen Eltern, von der Achtung der Gesetze die Rede ist. Wer das alles missachte, der habe die Gepflogenheiten der Gerechtigkeit verletzt. Es mag ein Zufall unserer fragmentarischen Überlieferung sein, dass es so wenige Zeugnisse für den Bereich der Pflicht gibt. Vielleicht aber ist es kein Zufall, dass das Zeugnis Demokrits weit entfernt vom Zentrum des politischen Lebens in Athen und der Pflichtenkanon Theophrasts aus einer Zeit nach dem Höhepunkt der Poliskultur stammen. Man sieht die Probleme besser aus einer Distanz.

Von großer Bedeutung ist es nun aber, dass im Hellenismus zwei wirkungsmächtige Philosophenschulen entstehen, deren eine – die Schule Epikurs – umfassend die differenziert analysierte Lust zum Ziel des Menschen erheben, während die andere – die Stoa – zu einer Ethik der Pflicht gelangt, wenn auch nicht sofort.

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