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Solidarität

Nachdem man jahrelang nichts mehr davon gehört hat oder hören wollte, erinnert man sich in den letzten Jahren plötzlich wieder der Werte. Kaum eine politische Aussage, in der nicht auf die Rückbesinnung auf die Werte, die Orientierung an den Grundwerten, auf tragende Wertgebäude usw. verwiesen wird. Beileibe nichts gegen eine solche Besinnung. Nur, ich habe manchmal den Eindruck, diese Berufung auf die Werte ist da und dort schon zu einer recht inhaltslosen Floskel geworden. Ganz selten nämlich versucht man auch konkret zu sagen, was man denn unter einem Wert zu verstehen habe und welche Werte überhaupt gemeint sind. Nach wie vor scheut man sich noch vor konkreten Aussagen. Da müsste man sich festlegen und würde sich allen möglichen Angriffen aussetzen. Aber man will halt möglichst viele, am liebsten alle erreichen. Und die, so glaubt man, erreicht man nur, wenn man möglichst allgemein, das heißt aber dann auch oft: unverbindlich ist. Deshalb wird unter allen Werten am liebsten die Solidarität beschworen.

Solidarität - das klingt modern und anspruchsvoll, sagt aber auch wenig aus. Wer im Lexikon nachblättert, findet darin folgende Definition: »Zusammengehörigkeitsgefühl von Individuen oder Gruppen (in einem sozialen Ganzen) …

Von der Soziologie wird Solidarität allgemein als ein Zustand gedeutet, in dem sich eine Vielheit als Einheit verhält, wobei dieses Verhalten in der Regel durch störende Eingriffe von außen motiviert ist.« (Meyers Enzyklopädisches Lexikon).

Was bedeutet das genauer? Sicher, dass man zusammenhält, sich gemeinsam etwas ausdenkt, erarbeitet und durchsetzt. Solidarität war einmal in sich progressiv gebenden Kindersendungen ein beliebtes Lern-und Erziehungsziel. Man versuchte den Kleinen beizubringen, sie würden sich gemeinsam auch gegen die bösen Erwachsenen behaupten können, gemäß dem Schillerwort: »Vereint ist auch der Schwache mächtig.«

Ein wenig problematischer wird es schon, wenn man weiter fragt, wogegen oder wofür man solidarisch sein soll. Beim Wogegen stand jahrelang die Gesellschaft als Hauptgegner fest. Von dieser unkritischen Verteufelung ist man zwar ein wenig abgekommen, aber wofür man sich gemeinsam einsetzen soll, bleibt weiterhin doch recht unklar. Solidarität an sich ist also etwas durchaus Wertneutrales, und erst an dem Wofür gewinnt sie ihren Wert, möglicherweise aber auch ihren Unwert. Auch Einbrecher, Mörder und Terroristen können schließlich solidarisch ein Verbrechen planen und durchführen. So kommt es eben in erster Linie darauf an, ob das Ziel gut oder schlecht ist. Und dieses Gut oder Schlecht erfordert eine klare Wertaussage.

Freilich, meist wird dieses Zusammenhalten, Zusammenstehen etwas Wertvolles sein. Dann nämlich, wenn man sich für den andern als Menschen, als Freund oder Nächsten einsetzt, wenn man zu jemandem steht, für jemanden da ist. Da gäbe es auch eine Reihe wohlbekannter wertvoller Haltungen wie Freundschaft, Treue, Nächstenliebe. Aber für viele klingen diese Begriffe offensichtlich zu altmodisch. Da hört sich Solidarität schon besser an. Gerade aber zwischen Nächstenliebe und Solidarität besteht ein großer Unterschied. Nirgends ist der Begriff der Nächstenliebe großartiger verdeutlicht als im Gleichnis vom Barmherzigen Samariter. Hier geht es nämlich nicht um eine gemeinsame Aktion, ein Durchsetzen von Ideen usw., hier geht es schlicht und einfach um den andern, der einen braucht, für den man da zu sein hat. Und damit offenbart sich auch der tiefere Gehalt jeder Besinnung auf Werte. Jeder Wert entscheidet sich an der Grundhaltung, die man dem Nächsten gegenüber einnimmt. Auf diesem zentralen Gebot des Christentums müssen im letzten alle Werteinstellungen gründen. Wer in den Werten nur etwas Starres, Überzeitliches sieht, der läuft sogar Gefahr, zu einem Prinzipienreiter zu werden, der geradezu unmenschlich handeln kann. Auch wenn Erich Kästners »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es«, etwas provokativ klingen mag – richtig ist, dass das Entscheidende nicht eine theoretische Wertbetrachtung, sondern die Tat ist, zu der gerade wir, du und ich im Augenblick durch den Nächsten herausgefordert werden. Meister Eckehart hat das sehr deutlich gesagt: »Immer ist die wichtigste Stunde die gegenwärtige. Immer ist der wichtigste Mensch der, der dir gerade gegenübersteht. Immer ist die wichtigste Tat die Liebe.«

Weil ich dem Leben vertraue

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