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Fortschritt

Noch vor ein paar Jahren war er einer der für Parteiprogramme unerlässlichen Begriffe. Auch in allen möglichen Plänen und Programmen tauchte er auf: der Fortschritt. Im Namen des Fortschritts, hieß es da oft, ist dieses oder jenes unerlässlich. Begriffe wie »fortschrittfeindlich«, oder »nicht progressiv« galten geradezu als Schimpfwörter.

Seit ein paar Jahren hat sich nun eine interessante »Tendenzwende« vollzogen. Zu viele negative Begleiterscheinungen des Fortschritts hatten nachdenklich gemacht, und die oft gedankenlose Fortschrittsgläubigkeit ist einer doch recht skeptischen Einstellung diesem gegenüber gewichen. Longoni hat dieser Skepsis recht eindrucksvoll so Ausdruck verliehen: »Die moderne Formel für die Entwicklung der Menschheit lautet: Fortschritt gleich Lärm plus Umweltverschmutzung plus Krebs, multipliziert mit Isolation.«

Da und dort besteht nun sogar die Gefahr, dass das oft blinde Fortschrittsvertrauen einer wiederum recht kurzsichtigen Fortschrittsfeindlichkeit gewichen ist. Gleichbleibend bei diesem einseitigen Für oder Wider ist, dass man sich hier wie dort keine oder viel zu wenig Gedanken über Begriff und Wesen des Fortschritts macht.

Zunächst ist der Fortschritt an sich weder gut noch schlecht, er bedeutet lediglich eine Veränderung. Nun kann man bekanntlich von einem schlechteren in einen besseren, aber auch von einem besseren in einen schlechteren Zustand voranschreiten. Tatsache ist aber auch, dass jedes Fortschreiten ein Weggehen von einem gewohnten Standort bedeutet und somit auch ein Wagnis darstellt.

Wegschreiten allein, auch wenn es mit immer moderneren Mitteln der Fortbewegungstechnik geschehen mag, bedeutet aber beileibe noch keine Verbesserung. Außerdem ist eine Verbesserung auf dem einen Gebiet oft mit Verschlechterungen auf anderen Gebieten verbunden. Alberto Sardi meint hierzu humorvoll: »Den Fortschritt erkennt man daran, dass die Flüge kürzer werden, die Auffahrten zum Flughafen immer länger.«

Diese Problematik hat sich besonders im Bereich der oft recht fadenscheinigen Umweltverbesserung gezeigt. Auch hätte man sich darüber im Klaren sein müssen, dass es auf verschiedenen Gebieten eben keinen Fortschritt geben wird. Liebe, Treue, Freundschaft usw. sind nicht dem Fortschritt unterworfen. Allenfalls die Bedingungen mögen sich geändert haben.

Ein großer Irrtum der Fortschrittsgläubigkeit war auch, dass man glaubte, die Vervollkommnung der Mittel und Methoden würde automatisch eine Verbesserung der Ergebnisse mit sich bringen. Recht sarkastisch meint St. Lec: »Ist es ein Fortschritt, wenn ein Kannibale Messer und Gabel benutzt?« Und Thornton Wilder verweist auf da Problem des Fortschritts, wenn er sagt: »Unter Fortschritt versteht man eher das Tempo als die Richtung.« Und ähnlich formuliert John B. Priestley: »Leute, die den Fortschritt nur um der Bewegung willen haben möchten, kommen mir vor wie Autos mit Motoren, aber ohne Lenkrad.«

In der Tat kann eine Gefahr der Fortschrittsgläubigkeit darin bestehen, dass man vor lauter Voranschreiten übersieht, dass es nicht nur eine horizontale Richtung gibt und man in einem blinden »Weiter« Wesentliches übersieht. So sagt Joseph Roth: »Der Begriff Fortschritt allein setzt bereits die Horizontale voraus. Er bedeutet ein Weiterkommen und kein Höherkommen«, und Christian Morgenstern warnt sogar: »Alles Vorwärts der Menschen geht auf Kosten ihres Einwärts.«

Wichtig ist die Einsicht, dass vollkommenere Methoden allein ebenso wenig ein besseres Leben bedeuten, wie mehr Wissen schon mehr Sinnerfüllung bringt.

Wie gesagt, muss aber auch davor gewarnt werden, den Fortschritt und alles, was damit zusammenhängt, zu sehr zu verteufeln. Zweifelsohne haben die Naturwissenschaften und die Technik enorme Erfolge erzielt, die sich für den Menschen sehr positiv auswirken können, vor allem, wenn er noch mehr als bisher lernt, das neue Wissen auch vors Gewissen zu bringen. Die medizinische Forschung kann als exemplarisch für diesen Fortschritt gelten. Aber gerade hier zeigt sich heute eine ganz wesentliche Neubesinnung. Die Medizin versucht sich heute wieder mehr vom reinen Spezialistendenken wegzubewegen, zurück zu einer größeren Orientierung am ganzen Menschen. Und mit diesem »Zurück« ist gesagt, dass Fortschreiten auch eine Rückbesinnung sein kann. In bloßer Rückschau, starrem Beharren an Gegenwärtigem und blindem Losrennen in die Zukunft werden wir den Weg zur Bewältigung der Probleme unserer Zeit nicht finden. Fortschritt im Sinne seiner Bemühung um eine bessere Welt bedeutet ein Lernen aus der Vergangenheit, ein sinnvolles Gestalten der Gegenwart und eine vertrauensvolle Hinwendung an die Zukunft und ihre Aufgaben. Fortschritt heißt Bewegung, aber auch Mut zum Standpunkt. G. K. Chesterton sieht den wahren Fortschritt darin, dass man »nach der Stelle ausschaut, auf der man stehenbleiben kann.«

Weil ich dem Leben vertraue

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