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KAPITEL 2

EIN KURZER UMWEG: BAROU

Bevor ich meine Reise weiter beschreibe, ist aber erst einmal Barou dran, mein Hund!

Auch wenn der Esel als Erster an die Reihe kam, weil er für so viele Leute am wichtigsten ist – für mich ist und bleibt Barou mein treuster Wegbegleiter. Barou, den ich als zwei Monate alten Welpen im Tierheim von Lausanne aufgegabelt habe. Barou, der ausgesetzt wurde, weil er überflüssig war. Nicht nötig auf dieser Welt.

Ja, da hat aber jemand anders entschieden. Barou ist für ganz viele eine Eingangstür geworden. »Oooooh, ist das aber ein schöner Hund! Darf ich ihn streicheln?« Ja, das dürfen sie alle. Immer! Egal, ob Kind oder Erwachsener. Egal, ob in der Metro-Hütte, im Zelt oder unterwegs. Egal, ob im Tipi mitten auf dem Gefängnisgelände, umgeben von beeindruckenden Mengen Stacheldraht: der Gefangene, der seit Jahren kein Tier hat streicheln können und weinend und wortlos den Kopf in Barous weiches Fell begräbt. Das behinderte Kind, das ihn fast zerquetscht in seiner liebevollen Umarmung. Das ängstliche Kind, das in der entferntesten Ecke vom Tipi hockt, aber immer näher zu dem Hund rückt, zuerst die Finger, dann die Hand nach ihm ausstreckt und sich schließlich überhaupt nicht mehr von ihm trennen kann: »Vor dem kann ich nicht Angst haben!«

Sie alle dürfen ihn streicheln, mit ihm spielen, ihn rufen und kommen lassen, mit ihm Verstecken spielen. Es ist, als ob er wüsste, was von ihm erwartet wird, und auch, wie wichtig er ist. Manchmal steigt ihm das allerdings zu Kopf …

Im Tipi und im jeweiligen Winterquartier hat er seinen eigenen Platz, wo er bleiben muss. Denn manchmal hat jemand Angst vor Hunden, und jeder muss sich wohlfühlen können. Barou bleibt dort meist auch liegen, er weiß, dass meine Augen ziemlich regelmäßig auf ihn gerichtet sind. Aber er weiß auch, dass Augen sich manchmal schließen. Beim Beten lockt die Versuchung, sich vorsichtig nach vorne zu schlängeln, immer ein Stückchen weiter, bis er da angelangt ist, wo er sein will: meistens zu Füßen eines Kindes, das in freudiger Gemeinschaft mit allen anderen Anwesenden von meinem Gebet absolut nichts mehr mitkriegt und nur noch quietschend vor Vergnügen den Wuschi-Ball auf dem Boden beobachtet, der, alle vier Pfoten in der Luft, der Streicheleinheiten harrt, die er erfahrungsgemäß bekommen wird.

»Barou, ga onmiddellijk op je plaats!« – »Geh sofort an deinen Platz!« reicht zwar, um ihn seufzend und mit Märtyrerblick zu seinem Platz zurückkehren zu lassen. Der rote Faden ist dann allerdings hoffnungslos verloren.

Aber alles hat ein Ende, auch Andachten. Barou weiß, dass er am Ende aufstehen und eine Begrüßungstour machen darf. Nur, wann ist das Ende? Kein noch so gelangweilter Gottesdienstbesucher kann wetteifern mit der freudig-gespannten Erwartung des Endes, die meinem Hund innewohnt. Zu Anfang der EEC-Zeit irrt er sich noch ein paar Mal, springt wedelnd auf, wenn etwas mehr geredet oder gelacht wird. Aber nein: »Barou, op je plaats!«

Dann findet er heraus, dass ein etwas nachdrücklich gesagtes »Amen« eine gute Chance hat, das so ersehnte Ende anzukündigen. Aber nein: »Barou, op je plaats!« – gibt es doch mehrere Amen in der Liturgie. Also sucht er weiter und findet eine Hoffnung, die niemals täuscht: den Einschaltknopf des elektrischen Klaviers. Da darf er dann endlich aufstehen, wedeln, ohne jedes Schamgefühl im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, winseln, bellen, Knie abschlecken und … singen.

Ja, Barou singt. Viele Leute sagen, ich hätte einen sprechenden Hund, so ausdrucksvoll ist alles an ihm. Aber zusätzlich hat er sich etwas ausgedacht, das ich sofort – und vergeblich – versucht habe zu unterdrücken. Von Anfang an gingen meine Proteste jämmerlich unter in der allgemeinen Begeisterung: »Oh, er singt! Er macht mit! Ein frommer Hund!« Der Anlass dieser Begeisterung ist eine Art unbeschreibliches Heulen, wobei tatsächlich mehrere Töne »erklingen«. Man stelle sich hierbei eine lachende Schnauze vor, zu mir heraufschauende Augen, die zu sagen scheinen: »Ja, hier kannste nix machen!« – voilà Barou!

Wenn wir abends schlafen gehen, wartet er vor dem Eselwagen, bis ich fertig bin: Das Bett machen mit dem Hund im Wagen ist nicht ratsam, die drei Quadratmeter reichen gerade nur eben für unsere beiden Liegeplätze. Aber dann bricht auch hier der ersehnte Augenblick an: »Barou, spring!« Mit einem Riesensprung segelt er über die Kutscherkiste, taucht kopfduckend durch die Türklappe und landet auf seine Decke. Streckt sich aus, grunzt in tiefer Zufriedenheit über sein Hundedasein und schläft ein.

Oft werde ich nachts jäh geweckt durch ein paar ausschlagende Hundepfoten gegen meinen Kopf oder Bauch: 1 Meter 50 Breite sind nicht viel, und Barou scheint oft und heftig zu träumen. Aber sogar traumlos schlafend rollen wir öfter aufeinander: Ich betone zwar immer nachdrücklich, dass ich ein flaches Grundstück für meinen Eselwagen brauche, weil es sich nun mal horizontal besser schläft. Aber die hilfreichen Leute, die mir meine Wochenendwiesen suchen, gucken da nicht so genau. Also gilt auch hier: »Barou, op je plaats!« Vorwurfsvoll seufzend und stöhnend zieht er sich dann wieder in seine Ecke zurück.

Witzig eigentlich, wie gut er gehorcht. Das hat natürlich was mit Erziehung zu tun; mit den vielen Stunden, die ich mit ihm in der Hundeschule verbracht habe. Wenn man die ersten zwei Jahre genug Zeit in seinen Hund investiert, hat man ein ganzes Hundeleben Freude daran. Denn viel Zeit (und zwar »Primetime«, nicht nur so ein bisschen nebenher, wenn alles andere, Wichtigere erledigt ist), gemischt mit konsequent liebevoller Erziehung, bringt den wahren Gehorsam hervor. Nicht die ängstlich-unterworfene Karikatur, sondern das Original, den Vertrauensgehorsam. Der Hund gehorcht, weil sich das für ihn lohnt (Kekse oder manchmal Wurst), weil es Spaß macht (man wird ausführlichst gelobt) und weil ein Hundeherz nach einer gewissen Zeit irgendwie spürt, dass es so in Ordnung ist – Frauchen oder Herrchen weiß, was sie/er tut.

Und das ist so wichtig, denn unterwegs, beim chaotischen Straßenverkehr, muss der Hund sofort gehorchen – nicht zuerst nachdenken, ob ihm das wohl passt. Seine Zukunft liegt im Gehorsam. »Platz!« ist für ein Hundeherz zwar nicht immer einfach und ganz bestimmt nicht immer wünschenswert. Aber das Tier weiß: An diesem Platz ist es sicher. Es ist sein Platz. »Op je plaats!« Da lässt sich’s leben! Und da geht’s los: der Startpunkt für alle kommenden Abenteuer!

Wie schwierig haben wir Menschen es oft, diesen Vertrauensgehorsam zu Gott zu finden. Das hat wohl was mit Erziehung zu tun; zu wenige Stunden investiert in die Wie-wird-man-richtig-Mensch-Schule. Die ängstlich-unterworfene Gehorsamskarikatur scheint eine eigentümliche Anziehungskraft auszuüben. Dabei sagt Jesus doch: »Ich nenne euch nicht Sklaven, denn ein Sklave weiß nicht, was sein Herr tut« (Johannes 15,15) und fügt fast sehnsüchtig hinzu: »›Freunde‹ nenne ich euch.« Aber wenn diese Freundschaft ihm so wichtig ist, wo kommt denn bloß unsere Angst her?

Ich habe mal eine Studie über den Ausdruck »die Furcht des Herrn« angefertigt, weil mir auffiel, dass er bei uns Irritation oder Angst hervorruft, während er in der Bibel mit Freude assoziiert wird. In den biblischen Zusammenhängen geht es immer um die Stellung des Menschen gegenüber Gott und darum, dass beide an ihrem Platz sind. Dann stimmen die Verhältnisse, dann blüht die Gemeinschaft wieder auf. Da, wo Gott als solcher anerkannt wird, freut er sich – und der Mensch auch: Er kann aufatmen, leben, sich verwirklichen. Und da, wo der Mensch einfach Mensch ist und nicht in den Wahn verfällt, er sei allmächtig und müsse sein Leben alleine hinkriegen; da, wo er den Glauben riskiert: »Es ist okay, Gott weiß, was er tut«, da ist er sicher.

»Op je plaats!« Da lässt’s sich leben! Und da geht’s los: der Startpunkt für alle kommenden Abenteuer!

Die Wanderpfarrerin

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