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2.1.2 Entdeckung und Präzisierung des Marketing-Entscheidungsproblems

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Lange Zeit wurde die Entdeckung von Marketing-Entscheidungsproblemen lediglich als Kontrollproblem verstanden, denn Veränderungen in der Unternehmensumwelt schlagen sich früher oder später in routinemäßig erfassten Daten des Rechnungswesens und der Absatzstatistik nieder.

Diese Denkhaltung birgt zwei Gefahren: Zum einen verkürzt sich durch die recht späte Problementdeckung die verbleibende Reaktionszeit zur Abwehr einer sich anbahnenden Krise. Zum anderen werden auf diesem Wege oft nur Bedrohungen für das Unternehmen erkannt. Günstige Marktgegebenheiten, deren Ausnutzung zu einer höheren Zielerreichung als vorgesehen führen können, werden auf diese Weise kaum erfasst.

Man denke etwa an Online-Händler wie z. B. Amazon, Baur, Otto oder Zalando, die nicht erst dann aktiv werden, wenn Besuchshäufigkeiten oder Bestellvolumina zurückgehen. Stattdessen sind sie permanent mittels branchenübergreifendem Technologie- und Marktscouting, Wettbewerbsanalysen sowie Musterkennung auf der Suche nach Alternativen zur Verbesserung ihres Angebots. Die so entwickelten Alternativen werden dann mittels Kundenbefragungen und -beobachtungen sowie Online- Experimenten in mehrstufigen Prüf- und Auswahlprozessen präzisiert, ausgewählt und implementiert (siehe z. B. Baier und Rese 2020b für eine beispielhafte Umsetzung bei Zalando). Abbildung 6 (in Anlehnung an Baier et al. 2019, S. 63) visualiert diese Entdeckung und Präzisierung von Marketing-Entscheidungsproblemen sowie deren Überführung in Marktforschungsaktivitäten in einem mehrstufigen (hier: siebenstufigen) sog. Site Engineering-Prozess am Beispiel des Baur-Versands in Burgkunstadt, eines Teils der Otto-Gruppe. In der Abbildung sind Marktforschungsaktivitäten zur Abgrenzung grau hinterlegt.


Abb. 6: Entdeckung und Präzisierung von Marketing-Entscheidungsproblemen

Auch bei Herstellern der Konsum- und Industriegüterindustrie sind derartige iterative Entdeckungs- und Präzisierungs- sowie Prüf- und Auswahlprozesse weit verbreitet und werden dort etwa im Rahmen der Neuproduktentwicklung als Stage-Gate-Prozesse, neuerdings auch als Agile Stage-Gate-Prozesse genutzt (Cooper 1990; Cooper und Sommer 2016): Ausgangspunkt ist die systematische Suche nach möglichst vielen erfolgversprechenden neuen Produkt- und/oder Vermarktungsalternativen. Deren iterative Konkretisierung, Prüfung und Auswahl wird dann iterativ durch Marktforschungsaktivitäten unterstützt (siehe z. B. Ulrich et al. 2020 für einen umfassenden Überblick).

Wie bereits angedeutet, kommen im Zusammenhang mit der Konkretisierung von Alternativen neben traditionellen Ansätzen zur Markt- und Absatzprognose auch Instrumente der Frühaufklärung zum Einsatz, die in der Marktforschungsliteratur schon länger diskutiert werden (vgl. Ansoff 1976, Müller-Merbach 1977, Kühn und Walliser 1978, Hahn und Krystek 1979, Rieser 1980; Böhler 1983, Ulrich et al. 2020, S. 35-54). Sie sollten im Idealfall schon auf mögliche Alternativen hinweisen (z. B. Einführung von Sprachassistenten im Kundendialog oder nicht, Alternativen für ein neues Produkt oder eine neue Vermarktungsstrategie), da der Entscheidungsträger aufgrund seines geringen Informationsstandes oft nicht in der Lage ist, die Entscheidungsaufgabe selbst zu konkretisieren. Die Marktforschung hat deshalb die Aufgabe, durch explorative Forschung mittels Sekundärforschung und/oder Expertengesprächen die Hintergründe aufzudecken bzw. Hinweise für die Abwehr der Bedrohung oder für die Chancennutzung zu liefern.

Hilfreich ist in dieser Situation heute aber vor allem auch die Analyse der umfassend vorliegenden internen Datenbestände (z. B. Kundenbeschreibungen, Kaufhistorien, Clickstreams, Kommentare und Beschwerden) mittels immer ausgereifterer Verfahren der Datenanalyse ( Kap. 3 und 7) sowie Auswertungen weiterer, vor allem über das Internet zugänglicher Informationen (u. a. branchenübergreifende Studien, Vergleiche, Berichte, Nachrichten, Patente und andere Veröffentlichungen, Kundenbewertungen des eigenen Angebots und des Angebots der Konkurrenz in sozialen Netzwerken oder in Online-Shops). Man spricht heute angesichts der vielfach datengetriebenen Möglichkeiten, so eine Aufklärung umzusetzen, je nach Schwerpunkt auch von »Data Mining«, »Knowledge Discovery in Databases«, »Marketing Analytics« oder auch »Marketing Intelligence« (siehe z. B. Wedel und Kannan 2016 für einen einführenden Überblick sowie Kap. 6 und 7). Aufgabe ist es jedenfalls oft, das Marketing-Entscheidungsproblem hinsichtlich möglicher Alternativen zu konkretisieren und daraus ein (Markt-)Forschungsziel und einen Informationsbedarf abzuleiten.

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