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„… und man begann mit der Anlage von Städten: Romanisierung und Romanisation

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Die Römer entwickelten im Laufe der Zeit eine immense Virtuosität auf der Klaviatur der Maßnahmen, mit denen man sich fremde Völker Untertan machen konnte. Seit dem ersten Ausgreifen im nächsten Umfeld Roms im 5. Jahrhundert v. Chr. nutzten die Römer jede Gelegenheit, diese Maßnahmen anzuwenden und deren Wirksamkeit auf die Probe zu stellen, Rückschläge waren dabei nicht ausgeschlossen. Die Mittel, mit denen man fremden Völkern begegnete, reichten von der physischen Vernichtung bis zur Gewährung autonomer Strukturen in einem bestimmten Rahmen. Diese Maßnahmen lassen sich in Germanien und Gallien ebenso beobachten wie anderswo im Römischen Reich.

Caesar ließ beispielsweise 54 v. Chr. die aufständischen Eburonen, ein germanischer Stamm, der in der Eifel siedelte, vollständig ausrotten. Manche andere Stämme wurden in die Sklaverei geführt, andere komplett umgesiedelt. Ebenso ist aber festzustellen, dass nach und nach die eroberten Gebiete mit Instrumenten der Selbstverwaltung versehen wurden. Zumindest Teilen der nichtrömischen Bevölkerung war ein sozialer Aufstieg nicht verwehrt, manchen wurde das römische Bürgerrecht zuerkannt. Ziel dieser Politik war es, die Bevölkerung an das Römische Reich zu binden. Hintergrund aller Maßnahmen war stets das Bestreben der Römer, in den eroberten Gebieten Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten: Nichts war für Rom gefährlicher, als wenn diese beiden Grundprinzipien römischer Herrschaft gestört waren.

Der römische Historiker Cassius Dio schildert anlässlich seiner Beschreibung der Varusschlacht im Jahre 9 n. Chr. die Verhältnisse in Germanien, wie sie sich ihm darstellten. Dabei geht er auf die planmäßige Anlage von Städten in den Gebieten rechts des Rheins ein:

Und römische Soldaten lagen dort in Winterquartieren, und man begann eben mit der Anlage von Städten. Die Barbaren selbst passten sich den neuen Sitten an, gewöhnten sich an die Abhaltung von Märkten und trafen sich zu friedlichen Zusammenkünften. Doch hatten sie noch nicht ihre alten Gewohnheiten, ihre angeborenen Sitten, ihr früheres ungebundenes Leben und die Macht vergessen, wie sie vom Waffenbesitz kommt. Daher fühlten sie sich, solange sie diese Sitten nur allmählich und sozusagen nebenher unter genauer Überwachung verlernten, weder durch den Wandel in ihrer Lebensart gestört, noch merkten sie, wie sie andere wurden. Als jedoch Quinctilius Varus Statthalter der Provinz Germanien wurde und in Wahrnehmung seines Amtes sich auch mit den Angelegenheiten dieser Volksstämme befasste, da drängte er darauf, die Menschen rascher umzustellen, und erteilte ihnen nicht nur Befehle, als wenn sie tatsächlich römische Sklaven wären, sondern trieb sogar von ihnen wie von Unterworfenen Steuern ein.

(Cassius Dio, Römische Geschichte, 56, 18, 2–4; übers. Otto Veh)

Aus der Rückschau präsentiert der römische Historiker eine treffsichere Beschreibung des Vorgangs, der in der Forschung als Romanisierung oder Romanisation bezeichnet wird. Ungeachtet aller Diskussionen um diesen Begriff bleibt festzuhalten, dass Cassius Dio für die Zeit um Christi Geburt bei den Germanen die Übernahme römischer Lebensweise feststellt, die in der Gründung von städtischen Siedlungen nach reichsweit gültigen Mustern gipfelte. In ähnlicher Art und Weise postuliert Tacitus die Adaption römischen Lebensstils für Britannien in der Zeit der Statthalterschaft seines Schwiegervaters Agricola, wobei er allerdings die Einteilung in Unterworfene und Sieger explizit hervorhebt:

„Denn damit sich die zerstreut lebenden, unzivilisierten und deshalb leicht zu kriegerischen Unternehmungen neigenden Menschen durch Annehmlichkeiten an Frieden und Ruhe gewöhnten, ermahnte er [Agricola, d. Verf.] sie persönlich und half ihnen mit öffentlichen Mitteln, Tempel, Marktplätze und Häuser zu errichten. (…) Das hatte zur Folge, dass die Menschen, die gerade noch nichts von der römischen Sprache wissen wollten, nunmehr dringend nach Beredsamkeit verlangten. Bald galt es sogar als vornehm, sich ein Aussehen wie das unsre zu geben, und man trug häufig die Toga; allmählich verfiel man auch lockenden Lastern, wie sie Säulenhallen, Bäder und erlesene Gastmähler bieten. Und das nannten die Unerfahrenen Kultur, wo es doch nur ein Stück Knechtschaft war.

(Tacitus, Agricola 21, 1f., Übers. Alfons Städele)

Beide Quellen umschreiben mit eigenen Worten das Konzept der Romanisierung, das im späten 19. Jahrhundert aufkam und zunächst als Konzept zur Erklärung des ökonomischen, geistigen, kulturellen und politischen Wandels in den Provinzen des Römischen Reiches verstanden wurde. Noch Mommsen fasste den Begriff vorwiegend unter fortschrittsoptimistischen Prämissen auf. In den 1950er-Jahren des 20. Jahrhunderts kam der Begriff der Akkulturation ins Spiel, der sich allerdings deshalb als problematisch erwies, weil in ihm die Tatsache, dass jeder Austausch eindeutig von Rom dominiert wurde, keine Berücksichtigung fand. Die Kriterien zur Beschreibung des Phänomens variierten und drehten sich um die Begriffe Munizipalisierung, Bürgerrecht, Wandel politischer und gesellschaftlicher Institutionen, soziale Mobilität, Wirtschaftsleben und Identität. Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts fand der Begriff Romanisation Eingang in die Diskussion. Man ging nun verstärkt davon aus, dass die römische Zentralmacht lediglich an der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in den eroberten Gebieten interessiert war, der Antrieb für die beobachtbaren Akkulturationsprozesse aber vorwiegend von lokalen Eliten ausging und gefördert wurde.

Eine zentrale Rolle bei diesen Prozessen spielte zweifellos die Etablierung von Städten als einem probaten Mittel zur kulturellen Durchdringung der eroberten Gebiete und deren Bindung an das Römische Reich. Die damit einhergehende Befriedung diente in erster Linie politischen Zwecken. Mittlerweile gelang es, die reichsweite Entfaltung derjenigen Kultur, die wir als spezifisch römisch ansehen, chronologisch enger zu fassen. Diese kulturelle Durchdringung ging nicht automatisch in zeitlich direkter Folge auf die Einrichtung einer Provinz vonstatten, sondern vollzog sich im gesamten Reich etwa in den ersten Jahrzehnten vor und dem ersten Jahrhundert nach Christi Geburt, wobei auch die römisch-italische Kultur signifikante Änderungen erfuhr. Dieses Konzept bedeutet, dass etwa die aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. stammenden Funde, die in Obergermanien gemacht wurden, Ausdruck einer kulturellen Entwicklung sind, die schon lange abgeschlossen war. Insofern entstand in der Übernahme und Sicherung der römischen Herrschaft in einem Spannungsfeld zwischen aktiver und zielgerichteter Politik der Römer ein dynamischer Prozess, der den Willen gesellschaftlich maßgeblicher Gruppen beinhaltete, die lateinische Sprache, römische Kultur, einen bestimmten Lebensstil und religiöse Praktiken zu adaptieren, woraus sich die lokalen Identitäten entwickelten.

ZUM RÖMISCHEN STADTBEGRIFF

Oppidum, Civitas, Municipium, Colonia. Für die Bezeichnung städtischer Siedlungen standen in römischer Zeit einige Begriffe zur Verfügung, die jeweils auf ein Charakteristikum der betreffenden Siedlung zurückgriffen. Der von Caesar zur Kennzeichnung keltischer stadtähnlicher Siedlungen benutzte Begriff Oppidum greift die aus republikanischer Zeit stammende Auffassung auf, nach der ein Oppidum zunächst eine Fluchtburg, später allgemein Städte und Burgen aller Art bezeichnete. Eine Civitas ist am ehesten als Gemeinde mit einem Zentralort zu umschreiben, vergleichbar der griechischen Polis. Die Siedlungsstruktur im römischen Südwestdeutschland bestand aus einer Vielzahl solcher Civitates mit teils beachtlicher Ausdehnung. Ein Municipium bezeichnete seit der augusteischen Zeit eine Gemeinde, deren Einwohner römische Bürger waren. Dieser rechtliche Aspekt lag ursprünglich auch den Kolonien zugrunde, deren Bewohner grundsätzlich das römische Bürgerrecht besaßen. Während der frühen Kaiserzeit wurden Kolonien vorwiegend als Veteranenkolonien gegründet, später wurde die Bezeichnung Kolonie als Ehrentitel aufgefasst. Velleius Paterculus hebt den rechtlichen Aspekt bei der Herrschaftsausübung durch das Römische Reich hervor: „Es erscheint mir nicht unpassend, in diesem Zusammenhang gleichzeitig einzufügen, wie das Bürgerrecht immer großzügiger vergeben wurde und Rom dadurch wuchs, dass es anderen Völkern Anteil an seinem Recht einräumte.

(Velleius Paterculus 1, 14, 1, übers. Marion Giebel)

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