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Kapitel 3

Auch Richard war in der Partei wie mittlerweile fast alle Männer hier im Dorf. Er war schon vor 1933 eingetreten und keiner dieser charakterlosen Feiglinge, die keine eigene Meinung hatten und irgendwann der breiten Masse gefolgt waren. Als sie sich kennen gelernt und 1936 geheiratet hatten, war sie stolz darauf, einen so guten Fang gemacht zu haben. Einen Mann, der in der Öffentlichkeit etwas galt und als dessen Frau man sich sehen lassen konnte.

Am Tag ihrer Hochzeit war in der Zeitung sogar ein Hinweis auf die Trauung erschienen. Nicht unter den standesamtlichen Nachrichten, sondern im Lokalteil der Stadt. Das war keineswegs üblich, sondern hing damit zusammen, dass Richard schon seit Jahren Parteimitglied war. Der Artikel war nicht besonders gut geschrieben und es war die Rede von der Familie als Keimzelle des Volkes und als Voraussetzung für den Fortbestand der deutschen Rasse.

Sie wollte Richard nicht heiraten, um dem Führer Kinder zu schenken, sondern weil sie ihren Mann von Herzen liebte. Und obwohl ihr der Artikel nie so recht gefallen hatte, war sie doch stolz auf ihn. Ihr Name hatte zuvor noch nie in einer Zeitung gestanden, deshalb hatte sie den Artikel ausgeschnitten und zu den Hochzeitfotos in die Zigarrenkiste gelegt, in der mittlerweile auch die Feldpostbriefe lagen.

Richard hatte regelmäßig von der Front geschrieben und sie hatte die Briefe auch Kurt vorgelesen, obwohl er damals erst einige Monate alt war und wohl kaum etwas davon verstehen konnte. Ihr Kind kam zur Welt, als Richard schon in Frankreich war und erst später, als er im Herbst 1941 zwei Wochen Fronturlaub hatte, konnte er seinen Sohn zum ersten Mal auf den Arm nehmen.

Richard schrieb, dass es ihm gut ging und sie erfolgreich nach Westen vorrückten. Dass er sich hervorragend mit den Kameraden versteht, sie gut verpflegt werden und er bestimmt bald wieder nach Hause kommt. Damals war sie noch erleichtert, dass wohl doch alles nicht so schlimm war und Richard in absehbarer Zeit zurück sein würde.

Sie hatte die Briefe in die Zigarrenkiste in der Küchenschublade gelegt, damit sie sie bei Gelegenheit wieder hervorholen konnte. Und obwohl sie mittlerweile jedes einzelne Wort auswendig kannte, zog sie das verknitterte Papier noch Monate und Jahre später immer wieder heraus, weil ihr die Worte von Richard Kraft und Hoffnung gaben.

Weil er schon lange in der Partei war und sowohl im eigenen Dorf als auch in den benachbarten Ortschaften sehr geschätzt wurde, hatte ihr Mann sehr bald einen verantwortungsvollen Posten innerhalb der Ortsgruppe. Die Menschen hörten auf ihn und dennoch schimpfte Richard manchmal über diejenigen, die allem Anschein nach nur Parteimitglied wurden, weil es gerade opportun war. Die anscheinend versuchten, in der Partei nach oben zu kommen, weil sie es im Berufsleben zu nichts gebracht hatten.

Über den Führer jedoch hatte sie von ihrem Mann nie ein negatives Wort gehört. Auch nicht während seines Heimaturlaubs, als Richard nach knapp zwei Jahren in Frankreich wieder nach Hause kam. Er war anders als sonst und nicht mehr so gesprächig wie früher. Er vermied es, ihr von den Ereignissen an der Front zu berichten. Wohl deshalb, damit sie sich nicht allzu viele Sorgen machte, wenn er zwei Wochen später wieder zurück musste.

Es beunruhigte sie, wenn er in Gedanken weit weg war, ins Leere oder aus dem Fenster schaute und sich dabei auf die Lippen biss. Das hatte er schon immer getan, wenn ihn irgendetwas sehr beschäftigte. Es verletzte sie, wenn sie Richard dann in den Arm nehmen wollte und er sie stattdessen zurückwies. Sie konnte nur ahnen, dass die Ereignisse an der Front ihre Vorstellungskraft bei weitem überstiegen. Es schien ihr fast so zu sein, als ob Richard nicht getröstet werden wollte, weil er der Meinung war, diesen Trost aus welchem Grund auch immer nicht mehr verdient zu haben.

Richard war um die Mittagszeit zu Fuß aus der Stadt gekommen, wo er gegen elf Uhr mit dem Zug angekommen war. Er hatte seinen Fronturlaub im letzten Brief angekündigt, konnte aber nicht auf den Tag genau sagen, wann er wiederkommen würde. Nun stand er plötzlich da, in Uniform, frisch rasiert und den schweren Rucksack neben sich auf der Straße.

Sie hatte die Zeit am Nachmittag, in der Kurt noch einmal schlief, für einen Einkauf genutzt und kam eben die Hauptstraße entlang zum Haus zurück. Es lag in der Seitenstraße, die hinunter ins Tal führte, und schon von weitem sah sie ihren Mann auf sie warten. Als sie ihn vor dem Haus stehen sah, merkte sie, wie ihre Knie weich wurden und sie nicht mehr in der Lage war, auf ihn zuzugehen und ihn zu umarmen.

Stattdessen ließ er den Rucksack stehen, rannte nicht, sondern ging mit entschlossenem Schritt auf sie zu und in seinem Gesicht erkannte sie die Liebe, die er für sie empfand. Weinend fielen sie sich um den Hals und küssten sich, als ob ihr Wiedersehen nur eine Einbildung sei oder Richard im nächsten Moment wieder fort müsste.

Richard hätte ohne weiteres den Schlüssel nehmen können, der immer rechts oben am Haustürrahmen hing. Sie war froh, dass er draußen gewartet hatte, weil sonst Kurt vielleicht wach geworden wäre. Der Kleine kannte seinen Vater bisher nicht und wäre mit der Situation wahrscheinlich überfordert gewesen.

Als Kurt kurz darauf aufwachte, konnte Richard seinen Sohn zum ersten Mal auf den Arm nehmen und fing dabei sogar an zu weinen. Kurt saß mit verschlafenen Augen auf seinem Schoß und bemerkte davon nichts. Sie saßen zu dritt am Küchentisch und für einen Augenblick fühlten sie sich wie eine ganz normale Familie.

Als Richard eingezogen wurde, war sie bereits im neunten Monat schwanger. Sie wussten damals nicht, ob es ein Junge oder ein Mädchen werden würde. Für den Vornamen Kurt hatte sie sich entschieden, weil ihr eigener Vater so geheißen hatte. Wäre es ein Mädchen geworden, hätte es nach ihrer Mutter Karla heißen sollen.

Kurt war Anfang des Jahres ein Jahr alt geworden und fing bereits an, mit unsicheren Schritten langsam in der Küche herum zu stapfen. Als Richard nach Hause kam, konnte Kurt bereits “Mama” sagen. Er schien so stolz darauf zu sein, dass er ständig und scheinbar ohne Grund mit lauter Stimme nach ihr rief.

Sie hatte damals versucht, Kurt auch beizubringen, seinen Vater mit “Papa” anzusprechen. Er lernte dieses Wort während der zwei Wochen nicht und es dauerte noch eine ganze Weile, bis er anfing, von seinem Vater zu sprechen. Wie sollte er auch über einen Mann reden, den er nur von dem Hochzeitsfoto kannte, das im Wohnzimmer neben dem Schrank hing.

Karla kam im Sommer 1942 zur Welt. Sie hatte ihren Vater nie gesehen und auch sie hatte zu dem Bild an der Wand nie einen Bezug finden können. Für die Kinder war der Mann auf dem Foto ein Fremder, mit dem sie keine Erinnerungen verbanden und den sie deshalb auch nicht vermissen konnten.

Sie hatte sich immer bemüht, der scheinbaren Gleichgültigkeit ihrer Kinder entgegenzuwirken. Sie konnte nachvollziehen, dass man nur dann etwas vermissen kann, wenn man es kennen gelernt und lieb gewonnen hatte. Es war beinahe so, als ob Kurt und Karla nie einen Vater gehabt hätten. Mit dem sie zusammen spielen und lachen konnten. Der sie ihn den Arm nahm und liebevoll küsste. Sie hatte diese Erinnerungen an Richard, die sie sozusagen am Leben hielten, den Kindern schienen sie völlig zu fehlen.

Wenn Kurt und Karla bereits im Bett waren, stellte sie sich manchmal vor, dass alles so war wie früher. Manchmal ertappte sie sich dabei, dass sie mit Richard sprach, als ob er direkt neben ihr stand. Sie erzählte ihm von den Dingen, die sie heute zu tun gehabt hatte. Fragte ihn, ob er auf dem Feld gut vorangekommen ist. Und hörte ihn reden, als ob es diesen Krieg niemals gegeben hätte und er nach wie vor bei ihr war.

Später fiel es ihr immer schwerer, den Kindern von Richard zu erzählen. Am Anfang hatte sie ihnen immer gesagt, dass er die beiden unheimlich lieb hat und dass es ihm gut geht. Dass er bald wiederkommt und sie dann wieder beisammen sein werden. Mittlerweile fing sie dabei an zu weinen, weil sie sich nicht mehr sicher war, ob sie selbst noch daran glauben konnte.

Bei der Laterne wolln wir stehn

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