Читать книгу Meerestiere - Iris Antonia Kogler - Страница 7

Оглавление

Sonja und Richard

Sonja betrachtete ihr Alter, das sich in feinen Linien auf ihrer Haut abzeichnete, im Spiegel. Seit vielen Jahren praktizierte sie regelmäßig Yoga und Pilates, sie versuchte, sich fit zu halten, aber mit dreiundsechzig war man einfach nicht mehr jung. Sie war schlank geblieben, worüber sie sehr froh war, aber was sie störte, war das Hin- und Herschieben der Haut, wenn sie sich eincremte. Ihre Haut war schon immer trocken gewesen, und nun rächten sich die vielen Sonnenbäder der letzten Jahrzehnte. So war das früher, man war an den Stand gegangen und verschwendete keine negativen Gedanken darüber, ob das stundenlange Sonnenbaden gesund sei oder nicht. Obwohl man damals schon wusste, dass in der Ozonschicht ein Loch klaffte. Dieses war nicht so einprägend wie das Waldsterben, denn schließlich lebten im Wald viele putzige Tiere, die alle ihr Zuhause verlieren würden, wenn es den Wald bald nicht mehr gäbe. So ein heimatloses Reh war viel bildhafter als ein Loch in einer unsichtbaren Ozonschicht.

Richard stand in der Küche und bereitete das Frühstück vor. Sie hörte, wie er den Oberschrank öffnete, eine der kleinen Glasschüsseln hervorholte und auf die Anrichte stellte. Sogar das Abreißen des Küchenpapiers hörte sie deutlich, ihre Ohren waren noch erstaunlich gut und auch ihre Augen. Nur zum Lesen brauchte sie eine Brille. Richard öffnete den Kühlschrank, schloss ihn wieder, und wenige Sekunden später hörte Sonja das Aufschlagen der Eier. Sie wusste genau, dass Richard die Eierschalen auf das bereit gelegte Küchenpapier legte und hörte kurz darauf das Zuschlagen der Schranktür, hinter der sich der Mülleimer versteckte. Biomüll, Plastik, Restmüll und Altpapier. Sie legte Wert auf Ordnung. Die Kaffeemaschine gab ein Schnauben von sich, wie immer, wenn sie durchgelaufen war. Richard deckte den Tisch, und Sonja wusste, dass er ihre Lieblingstasse auf den Tisch stellte. Würde sie plötzlich eine andere Tasse bevorzugen, er würde trotzdem immer diese eine neben ihren Teller stellen, denn Richard war ein Gewohnheitstier. Sonja zog sich an und lief die Treppe herunter ins Wohnzimmer mit der offenen Küche. Richard saß schon am Tisch, die Zeitung lag aufgeschlagen vor ihm. Eine Angewohnheit, die sie immer nervte, wenn sie selbst nichts nebenher zu lesen fand. Die Tageszeitung las sie ungern, sah sich dafür aber jeden Abend zwei Mal die Nachrichten im Fernsehen an. Sie kam sich ignoriert vor, wenn er beim Frühstück hinter der Zeitung verschwand und sie sich nicht in eine Illustrierte vertiefen, das Fernsehprogramm studieren oder an ihrem Handy herum tippen konnte.

„Freust du dich schon auf das Wochenende?“, fragte sie, um ihn von seiner Zeitung wegzulocken. „Natürlich.“ „Was meinst du, wie lange werden wir brauchen?“ Richard schaute sie über den Zeitungsrand an. „Haben wir doch gestern alles schon nachgeschaut. Knapp drei Stunden.“ Er versenkte seinen Blick wieder in die Zeitung und nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse, auf der in verblassten Buchstaben sein Name stand.

„Vielleicht geraten wir in einen Stau?“ Sonja schnitt ein Stück Gurke in dicke Scheiben. „Das wäre sehr unschön.“

Richard gab das Zeitunglesen auf. Er faltete sie zusammen, öffnete die Butterdose und bestrich sein Brötchen damit.

„Mag sein.“ Er griff nach der Marmelade und verteilte sie auf einer oberen Brötchenhälfte, nahm wieder die Butter zur Hand und ging mit dem marmeladenbeschmierten Messer hinein. Sonja sah die roten Ränder in der Margarine und auch, wie ein Krümel von Richards Brötchen in ihr landete. Die Ordentlichkeit ihres Mannes war definitiv nicht so ausgeprägt wie die ihre, zumindest nicht, was das Frühstück anging.

„Hast du deine Schwimmsachen eingepackt?“

Richard brummte bejahend.

„Was ist mit deinem Bademantel? Es gibt dort zwar welche, aber du liebst ja deinen eigenen Bademantel. Hast du ihn eingepackt?“

Richard brummte bejahend.

„Ich bin auf die Saunalandschaft gespannt. Es gibt dort eine Kräutersauna. Für dich gibt es aber auch eine finnische Sauna.“ Richard brummte. Sonja sah ihn an. „Du liebst doch finnische Sauna.“ Richard sah auf.

„Klar“, sagte er. „Mochte ich schon immer.“

„Ja, ich weiß.“ Sonja nahm die Butter und führte ihr Messer um die mit Marmelade kontaminierten Stellen herum. „Ich glaube, ich werde noch ein großes Handtuch mitnehmen.“

„Die werden doch im Hotel gestellt“, antwortete Richard.

„Manchmal sind mir die Hotelhandtücher aber zu dünn.“ Sonja faltete eine Käsescheibe in der Mitte zusammen und legte sie auf ihre untere Brötchenhälfte. „Ich könnte neue Handtücher kaufen. Isabell hat sich jetzt neue Bettwäsche gekauft, eine mit einem wirklich schönen Muster. Ein ganz dunkles Grün.“

Richard sah auf.

„Woher weißt du, wie das Grün auf Isabells neuer Bettwäsche aussieht?“

„Sie hat es mir am Telefon erzählt.“

Sonja und ihre Tochter Isabell telefonierten fast alle drei Tage miteinander.

„Aha“, sagte Richard und schielte auf seine Zeitung.

„Es sind verschiedene Grüntöne, mit einem sehr schönen Muster.“ Richard schlug seinem Ei den Kopf ab und suchte den Tisch nach dem kleinen Salzstreuer ab. Er stand hinter dem Orangensaft auf Sonjas Seite, so dass er ihn nicht sehen konnte.

„Ich hätte Lust, das Bad umzuräumen.“

„Was stimmt mit unserem Bad nicht?“ Richard hob die Salami hoch. „Hast du den Salzstreuer gesehen?“

Sonja gab ihm den Salzstreuer. Richard fiel gar nicht auf, dass sie die ganze Zeit wusste, wo das Salz stand. Das ärgerte sie. Das war typisch für ihn.

„Nimm nicht so viel Salz, das ist nicht gesund für dich.“

„Da kommt kaum etwas raus.“ Richard schüttelte den Salzstreuer über seinem Ei aus. Sonja hörte das Salz auf den Teller rieseln. Sie beobachtete ihn weiter. Wie furchtbar er das Ei aß! Nicht der Löffel wurde zum Mund geführt, sondern der Löffel mit dem Ei wurde über den Teller gebeugt ausgeschlürft. Dieses Geräusch konnte Sonja einfach nicht überhören, auch nach so vielen Jahren nicht. Genauso gut könnte er den Löffel auch weglassen. Sonja überlegte, ob sie im Leben etwas verpasst habe. Vielleicht wäre eine Affäre sinnvoll gewesen, einfach, um frischen Wind in ihrem Leben zu spüren.

„Die Rosen sehen toll aus“, sagte Richard und blickte aus dem Fenster in den Garten zu einem Rosenstrauch, der dort erst seit zwei Tagen stand.

Verblüfft sah Sonja Richard an, der wieder die Zeitung zur Hand nahm. Sie verstand nicht, warum er ein Kompliment machte, sich aber nicht darum kümmerte, ob es sie freute oder nicht.

„Wirklich?“

Richard sah auf.

„Ja. Ich finde, sie haben eine tolle Farbe. Ganz anders als die anderen im Garten. Gefällt mir.“ Sonja lächelte ihren Mann an, der ihr einen kurzen Blick zuwarf, bevor er sich wieder in den Zeitungsartikel vertiefte.

Eine halbe Stunde später spülte Richard das Geschirr ab, und Sonja packte die letzten Sachen ein. Sie nahm die Gießkanne von der Fensterbank und begann, die Blumen im Haus zu bewässern. Richard stand in der Küche und sah ihr zu.

„Warum musst du jetzt noch die Pflanzen gießen?“

„Weil sie Wasser brauchen.“

„Ja, aber warum jetzt. Warum hast du das nicht gestern erledigt?“

„Weil ich sie erst Vorgestern gegossen habe.“

„Verstehe ich nicht“, sagte Richard. „Warum musst du die Pflanzen genau dann gießen, wenn wir los wollen?“

„Weil ich sie vorgestern erst gegossen habe, und weil sie in der Sonne stehen und es dort sehr warm ist.“

„Warum gibst du ihnen nicht einfach mehr Wasser?“ Richard hob eine Tasche an.

„Weil sie dann nasse Füße bekommen.“

Richard sah sie an, überlegte, versuchte, Topfpflanzen mit nassen Füßen zu kombinieren und lief hinaus zum Auto, wo er die Tasche auf dem Rücksitz verstaute. Als er die hintere Autotür schloss, blickte er auf die Straße und zog den Bauch ein. Sonja zupfte einen Ableger von einer Grünlilie ab und beobachtete Richard, der zurück zum Haus kam. Er lief in die Küche, holte den Müllbeutel aus dem Eimer und lief wieder hinaus. Sonja zupfte einen weiteren Ableger ab. Die Studentin von gegenüber kam in ihr Blickfeld. Sie hielt einen Gartenschlauch in der Hand und wässerte den Rasen. Ein Regenbogen zeigte sich im Wassernebel, zart schimmerte er neben der Studentin, die leicht ihren Oberkörper zurücklehnte und in den Himmel sah. Sonja stellte die Ableger der Grünlilie in ein Glas und füllte es mit Wasser. Richard kam zurück.

„Haben wir Altpapier, das in die Tonne muss?“ Er sah in den Pappkarton, in dem sie das Papier sammelten und hob die Brötchentüte hoch, die als einziges darin lag.

Sonja beobachtete das Wasser, das sie aus der Gießkanne auf die Pflanzenerde goss. Sie fand es erstaunlich, wie langsam man Wasser auf Erde schütten konnte, und beobachtete genau, wie es in der Blumenerde versickerte. Sie entschied, die Grünlilien nach weiteren Ablegern abzusuchen. „Soll ich schon mal deine Handtasche ins Auto bringen?“

„Nein, ich will noch eine rauchen“, antwortete sie.

Richard ging hinaus und setzte sich ins Auto. Er programmierte das Navigationsgerät, wofür er erstaunlich viel Zeit brauchte. Eindrucksvoll, wie weit nach oben er seine Augen verdrehen konnte, um in den Rückspiegel zu schauen, ohne den Kopf zu heben. Sonja drückte die Zigarette aus und rief Isabell an, um ihr zu sagen, sie würden jetzt abfahren. Dann ging sie aus dem Haus, und noch während sie die Haustür abschloss, startete Richard den Wagen. „Warum trödelst du so?“, fragte er, als sie einstieg.

„Ich habe noch mit Isabell telefoniert, und du warst doch beschäftigt.“

Richard runzelte die Stirn und fuhr rückwärts aus der Einfahrt. Als sie an der Studentin vorbeifuhren, hob Sonja lächelnd die Hand zu einem Gruß.

„Kennst du sie?“, fragte Richard.

„Oh, natürlich, sie wohnt ja schon seit beinahe vier Monaten gegenüber. Wir sprechen viel über ihren Alltag. Sie ist sehr redselig, ich habe das Gefühl, ich weiß alles, was sie so treibt. Kleines Plappermäulchen, aber sehr sympathisch.“

Richard bog um die Ecke und nahm den Weg zur Autobahnauffahrt.

Meerestiere

Подняться наверх