Читать книгу Das neue Leben / Maxi I - Isabel Tahiri - Страница 6

IV

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Heute bin ich Neunzehn geworden.

In der Morgendämmerung sind wir aufgebrochen und haben schon ein gutes Stück Weg hinter uns gebracht. Unser Ziel ist der große Haselnussstrauch, den wir aus der Ferne gesehen hatten. Ich habe noch nie einen Spatzen gesehen, ob sie wohl freundliche Wesen sind? Während wir wandern schauen wir uns gründlich nach Nahrung um. Jeder hat schon etwas gefunden, Nahrung gibt es wirklich überreichlich. Der größte Fund ist wohl der Maiskolben mit seinen vielen goldgelben Körnern gewesen. Daran haben wir uns so richtig satt gegessen.

Plötzlich hören wir lautes Gebell, wir sehen uns panisch um, die Hunde sind auf dem Weg. Wir laufen blitzschnell auseinander und suchen uns ein Versteck. Ich verliere die anderen aus den Augen. Einer der Hunde rennt direkt auf mich zu. Mir bleibt fast das Herz stehen. In letzter Sekunde finde ich an der Mauer, hinter einem Stein, eine kleine Nische. Ich quetsche mich hinein und halte den Atem an. Hoffentlich kommt keiner der Hunde hierher. Kaum bin ich selbst halbwegs in Sicherheit, sehe ich Cito. Er rennt, schlägt Haken und Purzelbäume. Er versucht seinen Verfolger, es war der große Weiße, abzuschütteln.

Ich bete für Cito, denn ich will meinen Freund nicht verlieren. „Bitte MUS, zeig ihm einen Ausweg, irgendein Schlupfloch, in dem er verschwinden kann.“

Da bleibt der Hund unerwartet stehen und sieht sich um, er schnüffelt noch eine Weile aufgeregt herum, dann dreht er sich weg.

Er geht offenbar neuen spannenden Beschäftigungen nach. Die anderen Hunde folgen ihm, er scheint der Anführer zu sein.

*

Cito musste den Hund von Maxi ablenken, er rannte ihm direkt vor die Nase. Und dass, lenkte ihn ab. Er schnappte nach Cito, der sofort einen Haken schlug. Er lief nach links, machte einen Salto und rannte dann nach rechts. Der Hund folgte ihm hechelnd. Er brauchte dringend ein Versteck, aber in diesem Tempo war es schwer, sich richtig umzuschauen. Er musste auf den Zufall hoffen. Verdammt, der Hund war schnell. Cito schlug noch einen Haken. Er rannte ins erstbeste Gebüsch, und auf der anderen Seite wieder hinaus. Der Hund ließ sich einfach nicht abschütteln. Da, wenn er es bis zu diesem Steinhaufen schaffen könnte, wäre er in Sicherheit. Er mobilisierte all seine Kräfte und rannte blitzschnell in diese Richtung, als der Hund nach ihm schnappte. Plötzlich spürte er einen scharfen Schmerz im rechten Hinterbein, er überschlug sich und flog in eine dicht mit Blättern bewachsene Hecke. Dort blieb er kraftlos liegen. Wenn der Hund ihm folgte, sollte er ihn eben fressen, er konnte nicht mehr.

Überraschenderweise ließ der Hund unvermittelt von ihm ab und trottete davon. Mühsam zog er sich unter der Hecke hervor, versuchte aufzustehen, aber es gelang ihm nicht. Der Schmerz übermannte ihn, und er fiel in Ohnmacht.

*

Von Cito ist nichts zu sehen. Hat MUS ihn gerettet? Hat er es geschafft, oder habe ich ihn verloren. Das will ich mir lieber gar nicht erst vorstellen, ich muss ihn finden, aber ich wage mich noch nicht aus meinem Versteck. Da höre ich Amo rufen, die Gefahr sei vorüber und wir sollen rauskommen.

Während ich mich auf den Weg zu den Anderen mache, schaue ich mich immer wieder nervös um. Aber alles bleibt ruhig. Die Hunde sind wirklich weg.

Amo und Berti sehe ich, doch wo ist Cito? Wir rufen laut nach ihm. Als keine Antwort kommt, meint Amo, wir sollen ausschwärmen und ihn suchen.

Ich bin schon eine Weile unterwegs, als ich seine Gestalt reglos neben einer Hecke liegen sehe. Vorsichtig nähere ich mich. Oh, bitte sei nicht tot. Da höre ich ein leises Stöhnen. Er lebt, MUS sei Dank. Ich rufe nach den anderen und berühre Cito an der Stirn.

Er macht die Augen auf. „Er hat mich beinahe erwischt, hat mir das Bein verletzt, Maxi, ein oder zwei Tage werde ich nicht laufen können“. Ich untersuche sein verdrehtes Hinterbein, es knirscht und Cito stöhnt auf.

„Gebrochen“, sage ich. Während ich das Bein berühre, wird mir auf einmal sehr warm, meine Hände beginnen zu glühen.

„Das tut gut, was machst Du da?“ Will Cito wissen.

„Ich weiß es nicht, meine Hände sind ganz heiß und glühen schwach.“ Es ist irgendwie unwirklich, aber ich kann die Hände auch nicht wegnehmen. Eine Weile sitze ich da und lasse meine Hände auf Citos Bein liegen. Es erscheint mir richtig. Da ich meinen Eingebungen neuerdings immer folge, bleibe ich auch jetzt reglos sitzen. Ich sehe und fühle gleichzeitig, wie der Knochen heilt. Es ist ein klein wenig unheimlich. Dennoch fühlt es sich vertraut an. Wo kommt das plötzlich her? Offenbar bin ich eine Heilerin, noch ein Talent. Ich habe gerade verstanden, dass ich vorausschauende Träume habe, und nun das. Ich denke darüber nach, die Gaben melden sich anscheinend immer, wenn ich sie brauche.

Sie kann heilen!“ Amo ist erstaunt. „Die alte Feldmaus hat recht gehabt, sie kann alles, was man braucht. Ich bin sehr stolz auf dich, Maxi“. Auch die anderen haben sich inzwischen genähert und lächeln.

Berti klopft mir auf die Schulter. „Da kann mir ja gar nichts mehr passieren.“ Jetzt grinse auch ich, die Hitze verschwindet aus meinen Händen und Cito versucht aufzustehen. Er ist noch ein wenig wackelig auf den Beinen, aber er kann wieder gehen.

Er wirkt erleichtert. „Es tut fast nicht mehr weh, Danke Maxi, mit einem gebrochenen Knochen, hätte ich hier draußen auch sterben können. Zumindest hätte ich Euch aufgehalten.“

„Schon gut, Cito.“ Mir ist das gerade etwas unangenehm. „Habe ich sehr gerne getan, ich wusste nicht, dass ich heilen kann. aber das ist eine sehr praktische Gabe, die MUS mir da verliehen hat.“ Danke, MUS.

Berti hat bei der Suche nach Cito eine kleine Erdhöhle entdeckt, dahin führt er uns nun. Cito humpelt noch ein wenig, aber der Bruch scheint geheilt zu sein.

Im Stillen danke ich MUS nochmals für diese neue Gabe, sie beschenkt mich reichlich. Man sagt, wem Mus viele Gaben schenkt, den hat sie für etwas Besonderes vorgesehen. Ich bin nicht sicher, ob mir das alles gefällt, aber so, wie es aussieht, habe ich ja wohl kaum eine Wahl. Und Heilen ist wirklich eine sehr befriedigende Gabe.

*

Wir ruhen uns erst mal richtig aus. Die Erdhöhle ist gemütlich und warm, ich schlafe schon, kaum dass ich die Augen schließe. Ich träume wieder vom Bambuswäldchen. Diesmal sehe ich alles aus der Vogelperspektive. Der kleine Wald steht unter mir, neben einem Hügel, an dem das Haus sich anlehnt. Das Areal ist mit großen Holzstämmen umrandet. Der See liegt innerhalb dieses Gebietes, das mir ziemlich groß erscheint. Er schimmert golden in der Abendsonne, die alles in ein warmes Licht taucht. Außerhalb sehe ich die Hunde, die mir gar nicht mehr so bedrohlich erscheinen. Und mit einem Mal wird es mir klar, das ist ein wirklich geschütztes Gebiet. Die riesigen Tiere halten sich vor der Umzäunung auf und machen keinen Versuch, sie zu überwinden. Eine echte Zuflucht.

Ich erwache ausgeruht und zufrieden, mein Traum hat mir gezeigt, dass wir nur unbeschadet an den See gelangen müssen. Als ich das den Anderen erzähle, sind sie begeistert. Das ist eine sichere Möglichkeit zu überleben, sollte es zur Katastrophe in der alten Stadt kommen.

Wir beratschlagen, wie wir weiter vorgehen sollen.

„Ich glaube daran, dass MUS mir diese Möglichkeit aufgezeigt hat, um alle zu retten, das Gebiet um den See ist sehr groß. Also eine Menge Platz für uns. Was denkt Ihr, sollen wir alle zusammen uns erst mal dort umsehen oder teilen wir uns auf? Zwei gehen zurück, um den Stadtbewohnern diese Möglichkeit anzubieten und die anderen gehen zum Seegebiet und bereiten schon mal ein paar Unterkünfte vor.“

„Ich weiß nicht,“ meint Amo, „ob wir uns trennen sollen, aber andererseits hört sich diese Lösung sehr vernünftig an.“

„Ich gehe zurück, Amo, du musst die Priesterin begleiten und beschützen,“ sagt Berti, „Kommst Du mit mir, Cito? Zwei Mäuse sind eindeutig sicherer unterwegs.“

*

Tara stand auf dem weichen Moosteppich am Eingang zur Höhle der Quelle des Lebens. Tränen liefen über ihre Wangen, ein Teil der Stadt war gerade eingestürzt. Schuld daran war eine Maschine, die ein großes Loch gegraben hatte. Sie sah, wie die Mäuse versuchten, panisch zu fliehen, viele lagen reglos herum. Fast meinte sie, ihre Schreie zu hören. Ich muss helfen, schoss es ihr durch den Kopf. Sie hatte zwar nicht die Gabe schwere Verletzungen zu heilen, war aber imstande Wunden dazu zu bewegen, sich zu schließen. Tara könnte die Panik mildern und ein bisschen Ordnung in dieses Chaos bringen, das sie von hier aus beobachten konnte. Das wäre wenigstens etwas! Sie hörte ein Geräusch und drehte sich um. Custos stand hinter ihr. „Du willst zurück und helfen, hab ich recht?“

„Ja, Custos, ich muss. Ich kann doch nicht hierbleiben, und die Mäuse ihrem Schicksal überlassen. MUS würde das nicht verstehen und ich würde mich schämen.“

Er nickt. „Aber Du gehst nicht allein, Du wirst Hilfe brauchen. Ich werde Anorex bitten, Dich zu begleiten.“ Tara nickte dankbar.

*

Seit ich Cito geheilt habe, werde ich von meinen Gefährten anders wahrgenommen, das habe ich schon gemerkt, aber Priesterin nennt man mich zum ersten Mal. Es ist ein wenig seltsam, aber dennoch kommt es mir richtig vor, ja, ich bin eine Priesterin.

„Ich gehe gern mit Dir zurück,“ meint Cito, „mein Bein schmerzt zwar immer noch etwas und das würde den Rückweg erst mal verlangsamen, so richtig rennen kann ich noch nicht, aber wenn wir erst morgen aufbrechen, wird es gehen.“

„Ich kann heute Abend noch einmal meine Hände auflegen, Cito, das hilft Dir vielleicht.“ Sage ich und er lächelt mich dankbar an.

„Super Cito, das finde ich klasse, wenn Maxi Dir noch mal hilft, sollten wir zurechtkommen.“ Berti freut sich aufrichtig. „Ich traue uns zu, andere zu überzeugen diese Reise auf sich zu nehmen, außerdem möchte ich unsere Familie herholen. Selbst wenn uns keine Maus folgen sollte, finde ich es herrlich hier und möchte für immer bleiben.“

Ich erinnere sie an unser Vorhaben. „Eigentlich wollen wir heute noch zum Haselstrauch, ich hätte Dich gerne auch dabei, Berti. Cito kann sich hier in der Höhle ausruhen, während wir unterwegs sind.“

„Das ist eine gute Lösung, Maxi, Cito kann sich ausruhen, und wir erkunden den Hasel.“ Amo ist leicht zu überzeugen.

Auch Cito nickt. „Gut, dann bin ich morgen auch bestimmt wieder fit.“

Mir fallen Bertis Worte wieder ein. Insgeheim denke ich genauso, zurück in die Stadt will ich auch nicht mehr, hier gefällt mir alles viel besser. Obwohl ich zugeben muss, in meinem kurzen Leben natürlich nicht die ganze Stadt gesehen zu haben. Und die Hundegefahr ist keine mehr, oder besser gesagt, hält sich in Grenzen, sobald wir den See erreicht haben.

Wir verabschieden uns von Cito, der sich ausruhen soll und machen uns auf den kurzen Weg zum Haselnussstrauch. Er bietet einen imposanten Anblick, sehr hoch gewachsen, beinahe riesig. Schon von weitem kann man sehen, dass er von vielen Vögeln bewohnt ist. Ständig fliegt eine Schar auf oder verschwindet im Strauch. Und sie machen ein Riesengeschrei, man könnte annehmen, sie streiten sich unentwegt, aber ich glaube, sie sind von Natur aus so laut.

*

„Daniel, du verflixter Bengel, kannst Du nicht einmal machen, was man Dir sagt?“ Sein Vater rief schon wieder nach ihm, den ganzen Tag hatte er irgendwelche Arbeiten für ihn zu erledigen. Daniel war wütend, warum musste immer er alles machen, er hatte doch auch noch Geschwister, aber von denen verlangte Vater nichts, nur von ihm. Er flog hinüber und landete auf einem Ast, der direkt gegenüber dem seines Vaters war.

„Ich will nicht immer nur allein alles machen, Vater, warum müssen meine Geschwister nichts tun?“ Fragte er.

„Weil Du mein Nachfolger werden sollst. Ich versuche Dir beizubringen, wie man ein Anführer wird.“ Antwortete sein Vater.

„Mit dem Wegräumen von toten Ästchen, lerne ich, wie man Anführer wird, Vater? Das ist doch lächerlich!“ Sagte Daniel in höhnischen Tonfall.

„Reiß Dich zusammen, mein Freund, so darfst Du nicht mit mir reden.“ Sein Vater regte sich jetzt richtig auf. „Du bist immer noch mein Sohn, und musst mir gehorchen. Du bist fast erwachsen und benimmst Dich wie ein Kind, wundere Dich also nicht, wenn man Dich wie eins behandelt.“ Dann flog er einfach weg.

Daniel konnte nicht mehr sagen, was ihn bewegte. Das machte ihn zornig. Aber so war sein Vater, er sagte, was er zu sagen hatte, und flog dann davon, bevor einem eine Antwort einfiel. Das ärgerte Daniel immer wieder.

Von seinem Ast aus sah er, wie zwei Mäuse sich seinem Zuhause näherten. Er pfiff nach seinen Freunden und zusammen flogen sie hinunter, und landeten auf den unteren Ästen. Diese Mäuse würden sie jetzt mal ordentlich aufmischen.

*

Beim Näherkommen erkennt man gleich, das es Spatzen sind, genau, wie Custos sie beschrieben hat. Als wir den Strauch erreichen, fliegen sofort ein paar davon auf die unteren Äste.

„Was wollt Ihr hier? Das ist unser Zuhause!“ Der da spricht, ist ein relativ großer Spatz, mit einem braunen Fleck über dem Auge. Er plustert sich auf, vielleicht, um noch größer zu wirken.

„Hallo, ich bin Maxi, eine Priesterin der MUS. Meine Begleiter und ich sind auf der Suche nach einer neuen Heimat, als wir diesen Strauch sahen, hielten wir es für eine gute Idee, mal nachzuschauen ob es hier einen Platz für uns gibt.“

„Ihr seid wohl neu hier, Priesterin, ha, was seid Ihr denn für welche. So was gibt es bei uns nicht. Weibchen sind zum Eierlegen und für die Kinder da und fertig. Bei uns werden nur die Männchen Priester. Und was ist MUS, ein komischer Name für einen Gott.“ Der ist ja richtig gemein und so überheblich.

„Von mir aus kann jeder an den Gott glauben, der ihm gefällt. Wir wollen keinen Streit. Dürfen wir uns mal umsehen?“

Jetzt flatterte er aggressiv mit den Flügeln. „Nein, verschwindet! Das ist unser Zuhause, wo kämen wir denn hin, wenn wir jede hergelaufene Maus hier wohnen lassen würden.“

MUS, gib mir Kraft. Ich versuche, freundlich zu bleiben. „Also gut, dann werden wir wieder gehen. Wir holen uns nur noch rasch ein paar Nüsse und verschwinden wieder.“ Ich senke den Kopf um an einer Haselnuss zu nagen, da fühle ich plötzlich einen schmerzhaften Schlag an meinem Kopf. Ich schaue nach oben und sehe gerade noch wie der Anführer der Bande wieder weg flattert. Amo wirft sich auf mich, um mich mit seinem größeren Körper vor weiteren Angriffen zu schützen.

Berti schreit: „So ein Dreckspatz, wir haben Dir doch gar nichts getan.“

„DAS SIND UNSERE NÜSSE!“ Brüllt Brauner Fleck. „Keiner rührt die an.“

Es ist zwecklos mit denen noch weiter zu reden, das fühle ich. Bis jetzt habe ich nur freundliche Mäuse und einen uninteressierten Igel getroffen, im Moment bin ich mit dieser Aggression überfordert.

Amo scheint das zu bemerken. „Komm, Maxi, wir gehen zurück zu Cito, wir müssen uns um Deine Verletzung kümmern“. Berti lässt sich nur widerstrebend wegziehen. Noch eine ganze Weile hören wir das Geschrei der Spatzen auf unserem Rückweg.

*

Meine Wunde ist nicht besonders tief. Sie hat auch nur wenig geblutet, was mir wirklich zu schaffen macht, ist die ungerechte und gemeine Art dieser Spatzen. Wir haben ihnen nichts getan und sie freundlich angesprochen. Dennoch haben sie uns angeschrien und mich sogar verletzt. So ein Verhalten kenne ich bis jetzt noch nicht. Wenn ich genau darüber nachdenke, wirkt es sehr befremdlich auf mich. Spatzen scheinen ein aggressives Volk zu sein. Das hat Custos nicht erwähnt. Auch Mäuse streiten manchmal, aber eigentlich sind wir ein friedliches Völkchen. Bei uns wird viel Wert auf Harmonie und liebevollen Umgang gelegt. Auf so etwas hätte mich nichts vorbereiten können.

Cito regt sich ziemlich auf, als wir es ihm erzählen. „So wie es aussieht ist das eine unangenehme Truppe. Tut Deine Stirn sehr weh?“ Fragt er mich.

„Nein, mich schmerzt eher diese Aggression, als die kleine Wunde. Vielleicht sollte ich versuchen sie zu heilen. Ich weiß ja nicht mal, ob das bei mir selbst auch funktioniert.“ Ich lege meine Hand auf die Wunde und spüre sofort die Wärme, die davon ausgeht. Es ist wirklich angenehm. Cito hat es ja auch als wohltuend empfunden. Wieder fühle ich, wie die Wunde sich schließt. Auch der leichte Kopfschmerz verschwindet sofort, ich kann es also, auch bei mir selbst. Danach nehme ich mir vor, das Erlebte, vorerst zu vergessen, es ist vorbei.

Wieder bin ich um eine Erfahrung reicher.

Jetzt kümmere ich mich auch gleich noch um Citos Bein, es scheint ihm zu gefallen. Auf einmal knurrt mein Magen, ich habe Hunger und den anderen ergeht es ebenso. Nach dem Essen legen wir uns hin, um am nächsten Tag richtig ausgeruht zu sein. Von dem Vorfall mit den Spatzen redet niemand mehr.

Mein Schlaf ist völlig traumlos. Ich erwache erfrischt und voller Vorfreude auf den Tag. Wenn alles nach Plan verläuft, werde ich heute Abend schon einen Blick auf unser neues Zuhause werfen können. Cito hat keine Schmerzen mehr, das freut mich, trotzdem bitte ich ihn, sein Bein noch ein wenig zu schonen.

An diesem Morgen trennen wir uns. Berti und Cito wollen auf dem schnellsten Weg zurück in die Stadt, und ich kann es kaum erwarten, den See zu erreichen. Die Sonne geht gerade auf, als wir uns von ihnen verabschieden. Jetzt sind nur noch Amo und ich zusammen unterwegs zum See.

*

„Komm Cito, wir sollten aufbrechen.“ Sagte Berti. Cito warf einen letzten Blick auf Maxi, er würde sie schrecklich vermissen, sie war ihm wirklich ans Herz gewachsen. Er winkte ihr noch einmal zu, bevor er sich umdrehte und Berti folgte.

*

Da wir nun nur noch zu zweit unterwegs sind, haben wir natürlich viel Gelegenheit, uns zu unterhalten.

„Was hat Du denn damals im Gang vor unserer Höhle gemacht?“ Frage ich Amo. Er lächelt. „Oh, eigentlich wollte ich Josselyn besuchen und Euch mal anschauen.“

Ich kichere. „Du hast uns ganz schön erschreckt.“

„Das tut mir leid Maxi, ich bin halt ziemlich groß und die Gänge sind klein...“ Er lacht laut. „Wer hätte damals gedacht, dass wir zwei jetzt allein unterwegs sind, um eine neue Heimat zu erkunden.“

„Ja, aber ich bin froh, dass Du da bist. Meinst Du Berti und Cito schaffen es ein paar Leute zu überzeugen?“

„Na ja, wie ich die anderen Mäuse in der Stadt so kenne, wird das nicht einfach sein. Sie leben in eingefahrenen Bahnen und mögen keine Veränderungen. Die Jungs werden es nicht leicht haben, jemanden zu überzeugen, Maxi.“

Um den Haselstrauch machen wir einen großen Bogen und laufen in Richtung See. Auf einmal bemerke ich einen merkwürdigen kleinen Hügel in der Ferne, er sieht aus, als ob er nicht dort hingehöre. Mein Gefühl sagt mir, dass ich es mir unbedingt anschauen soll. Als wir näher kommen, erkennen wir in dem Hügel einen großen Spatzen, der reglos am Boden liegt. Sein Flügel sieht übel aus, ganz verdreht und voller Blut.

„Ist er tot?“ Fragt Amo.

„Ich bin mir nicht sicher, aber es fühlt sich nicht so an.“ Ich meine es ernst, tief in mir drin spüre ich, dass der Spatz noch am Leben ist. Ob das auch zu den Gaben einer Heilerin gehört? Scheint so, aber wenn ich seine Lebenskraft spüren kann, vielleicht ist es ja auch möglich ihn zu heilen. Bisher habe ich nur Cito und mich geheilt, wir sind beide Mäuse, was, wenn meine Gabe bei Spatzen gar nicht funktioniert? Der Spatz stöhnt leise, er leidet bestimmt große Schmerzen.

Wie selbstverständlich lege ich meine Hände auf den verletzten Flügel.

Ich fühle, wie die Wärme mich durchströmt und der Heilungsprozess beginnt.

Ich sehe vor meinem inneren Auge, wie der Knochen gerade zusammenwächst und die Muskeln sich wieder anheften. Es sind schwere Verletzungen, die Heilung nimmt einige Zeit in Anspruch. Es dauert lange, eine gefühlte kleine Ewigkeit, aber während die Wunden heilen, vergesse ich alles. Die Welt um mich herum, auch Amo, entzieht sich meiner Wahrnehmung. Nur das Blut, das Fleisch und die Knochen sind im Moment wichtig für mich. Zum Schluss schließt sich die Haut, wäre das Blut nicht zu sehen, man könnte nicht mehr erkennen, dass der Flügel gebrochen gewesen ist.

Als alles geheilt ist, komme ich mir so vor, als erwache ich aus einem tiefen Schlaf. Befriedigung durchströmt mich, ich habe es geschafft. Aber es hat mich auch erschöpft, nicht so sehr das Heilen selbst, sondern die Konzentration, die ich dafür aufbringen musste. Bei Cito habe ich mich nicht so erledigt gefühlt, vielleicht ist das nur bei Geschöpfen einer anderen Art? Ich habe keine Ahnung, aber ich sinke ausgelaugt auf den Boden und schließe kurz die Augen.

„Danke, das hätte ich jetzt nicht erwartet.“ Die Stimme kenne ich doch, es ist Brauner Fleck. Bei dieser Menge an Spatzen, die im Haselnussstrauch leben, fällt mir ausgerechnet er vor die Füße.

„Ich wusste nicht, ob ich deinen Flügel heilen kann, ich habe es einfach versucht.“

Er räusperte sich. „Danke nochmal, ich möchte mich für mein Verhalten vorhin entschuldigen, ich hatte Streit mit meinem Vater und es an Dir ausgelassen.“ Ich schaue ihn nur an. „Mein Vater wäre stinksauer, wenn er wüsste, wie ich euch behandelt habe. Spatzen sind eigentlich friedliche Wesen. Wir streiten schon mal lautstark, aber wir verletzen in der Regel niemanden.“

Das ist ja ein Kind, eher ein Jugendlicher, das war mir nicht klar, ich hatte vorher noch nie mit diesem Volk zu tun. Da er größer ist als ich, habe ich ihn wie einen vernünftigen Erwachsenen behandelt. Nun wird mir manches klar.

„Was ist passiert? Wie wurdest du verletzt?“ Frage ich.

„Ich habe nicht aufgepasst und bin voll gegen die Mauer geflogen, dumm, ich weiß, aber ich war so wütend.“ Er macht ein zerknirschtes Gesicht.

„Warum?“

„Mein Vater behandelt mich immer noch wie ein kleines Kind, dabei bin ich längst flügge. Und egal, was ich zu ihm sage, er hört mir nicht zu.“

Amo mischt sich ins Gespräch. „Also abgesehen von Deiner Wut, sie gibt Dir nicht das Recht, die Priesterin eines anderen Volkes zu beleidigen. Und anzugreifen, erst recht nicht. Ich glaube Dein Vater weiß, warum er Dich so behandelt. Und was macht Maxi, sie hilft Dir, ohne zu fragen, sie heilt Dich, ohne nachzudenken. An ihr kannst Du Dir mal ein Beispiel fürs Leben nehmen. Ich fasse es nicht, das Du es gewagt hast meine Tochter schlecht zu behandeln.“

„Amo, es ist gut, er hat sich ja entschuldigt.“ Sage ich. „Können wir nicht einfach noch einmal von vorne anfangen. Also, ich bin Maxi, Priesterin der MUS. Das ist Amo,...“ Ich schlucke kurz, er hatte es eben zum ersten Mal gesagt, mich zum ersten Mal Tochter genannt. „...mein Vater und wer bist Du?“

„Ich heiße Daniel Spatz, mein Vater ist der Anführer der Spatzen im Haselstrauch.“ Er lächelt vorsichtig.

„Schön, Dich kennen zu lernen.“ Ich stehe auf und setze mich auf die Hinterbeine. Er ist groß, wenn ich den Kopf noch lange so weit in den Nacken legen muss, ist das unangenehm. Dann lächle ich ebenfalls.

„Wollt ihr mit zu uns nach Hause kommen und ein paar Haselnüsse essen?“ Daniel lädt uns zum Essen ein?

„Das ist sehr nett von Dir, aber wir wollen heute noch an unserem Ziel ankommen. Ein andermal gern. Wir müssen dann auch los, bis bald Daniel“ Ich drehe mich um und will gehen.

Er hüpft ein paar Schritte in unsere Richtung. „Nein, geht noch nicht, bitte. Bei Euch habe ich mich das erste Mal ganz normal gefühlt. Das war schön.“

Ich schaue ihn an. „Wir müssen wirklich gehen,“ sage ich in sanften Ton, „wir wollen zum See. Das wird vielleicht unsere neue Heimat. Weißt Du, unsere Stadt könnte zerstört werden. Und ich möchte so viele wie möglich retten. Dafür brauchen wir eine Zuflucht. Aber wenn alles klappt, werden wir Nachbarn und Du kannst uns immer besuchen.“

*

Berti und Cito liefen von Deckung zu Deckung, ein paar hohe Grashalme, ein kleines Gebüsch oder eine Pflanze, alles war ihnen recht. Sie kamen sich schnell vor, Citos Bein behinderte ihn kaum. Allerdings war es im Moment nicht ganz so belastbar wie sonst. Sie hatten schon zwei Pausen eingelegt, damit Cito sich etwas ausruhen konnte.

„Geht es wieder? Meinst Du, wir schaffen es noch, bevor es dunkel ist, zu Custos zu kommen? Wenn nicht sollten wir uns jetzt einen Schlafplatz und etwas zu essen suchen.“ Fragte ihn Berti.

Cito überlegte kurz, bevor er antwortete. „Laufen könnte ich noch, aber im Dunkeln zur Höhle hochklettern? Ich weiß nicht, vielleicht wäre es besser, das erst morgen früh zu versuchen.“

„Ja, das habe ich mir gedacht. Und außerdem habe ich Hunger, Du nicht?“

Cito nickte.

„Bleib hier, ich habe vorhin jede Menge Gänseblümchen gesehen, und Löwenzahn. Ich hole uns etwas davon, Du ruhst Dich aus!“ Berti verschwand und Cito schaute sich nach einem Unterschlupf für die Nacht um.

Im nahen Gebüsch fand er, geschützt unter Blättern, eine Mulde. Sie war groß genug für Berti und ihn, und es war ja nicht so kalt, für eine Nacht würde es gehen. Er legte sich hin und wartete auf Berti. Wie es Maxi jetzt so geht, dachte er. Hoffentlich ist alles in Ordnung. Er vermisste sie.

Als er Berti kommen sah, einen Berg Blumen und Blätter hinter sich herziehend, pfiff er leise, um auf sich aufmerksam zu machen.

Berti drehte sofort in seine Richtung ab. Cito sah aufmerksam zu, wie Maxis Bruder die Nahrung transportierte, clever, er hatte einen langen Halm um alles geschlungen, und zog sie einfach hinter sich her.

Nach dem Essen kuschelten sie sich zusammen in die kleine Mulde und schliefen praktisch sofort ein.

Ohne Störung verbrachten sie die Nacht.

Das neue Leben / Maxi I

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