Читать книгу Das neue Leben / Maxi I - Isabel Tahiri - Страница 7

V

Оглавление

Heute bin ich Zwanzig geworden, Priesterin, Prophetin und Heilerin.

Noch zweimal müssen wir uns, wegen der Hunde, verstecken. Aber sie kündigen sich mit ihrem Gebell immer lautstark an, so dass genug Zeit bleibt, ein Versteck zu finden. Außerdem gibt es an diesem Mauerabschnitt eine Menge Löcher, in die man schnell mal hineinspringen und sich verbergen kann. In wirklicher Gefahr sind wir daher nie.

Endlich sehe ich die Wand aus Baumstämmen, dahinter liegt das Land, das MUS mir im Traum gezeigt hat. Wir laufen eine Weile daran entlang und entfernen uns dabei von der schützenden Mauer. An einer Stelle hängen Efeuranken bis zum Boden, das eignet sich bestimmt ausgezeichnet, um darüber zu klettern. Ein Stück weiter ist eine kleine Lücke zwischen den Pfosten. Ich quetsche mich hindurch und stehe mitten in einem Wald aus Efeu.

„Maxi,“ ruft Amo, „Das ist zu eng hier für mich, ich versuche an den Ranken, die wir vorhin gesehen haben hinauf zu klettern, ok?“

Ich sage ja und schaue mich dann nach einem Pfad um. Aber es scheint hier keinen zu geben. Ich beschließe, querfeldein in Richtung See zu laufen. Ich kann das Wasser deutlich riechen, also wird es nicht schwer sein, den Weg zu finden. Erst ist es ein bisschen eng, ich muss mich durch die Ranken drücken, aber dann bilden die Efeuranken, in dem sie sich erheben, ein grünes Dach über mir. Alles hier ist in ein milchig grünliches Licht getaucht. Man hat ein unwirkliches, fast schon unheimliches Gefühl. Der Boden ist sandig und mit trockenen, abgestorbenen Blättern übersät. Es raschelt bei jedem Schritt, aber auch wenn man sich nicht bewegt, denn hier unter dem Efeu herrscht anscheinend reges Leben. Ich sehe einige Heuschrecken, eine Kolonne Ameisen und ein paar Raupen.

Kurz darauf stehe ich endlich am Wasser. Ich nehme versuchsweise einen Schluck, es schmeckt angenehm, leicht süßlich. Leider kann ich dennoch nicht wirklich etwas von der Umgebung sehen, da das Efeu ins Wasser hinein ragt und mir den Blick versperrt. Ich werde wohl an den Ranken hinauf klettern müssen. Gegenüber des Wasserfalls komme ich nach oben, von hier habe ich einen fantastischen Blick über das ganze Gelände. Der See ist fast oval, das Wasser herrlich klar, es schwimmen rotgoldene Fische darin. Auf der gegenüberliegenden Seite erhebt sich der untere Teil eines Baumstammes mit seinen Wurzeln, der von einem Berg umgeben ist, der bis an die Mauer reicht. Und dann sehe ich es - das Bambuswäldchen aus meinem Traum.

Es erstreckt sich vom Rand des Berges bis zum Palisadenzaun und sieht mit seinen gefiederten Blättern wunderschön aus. Ich kann mich gar nicht satt sehen. Ein großes Glücksgefühl durchströmt mich, alle meine Sinne sagen mir, ich bin in meiner neuen Heimat angekommen.

*

Am nächsten Morgen brauchten Cito und Berti nicht lange, um zur Mauer zu kommen. Sie kletterten zum Eingang hinauf und folgten dem Tunnel der Maus, bis in Custos´ Reich. Dieser saß allein neben der Quelle und machte einen betrübten Eindruck, Anorex und Tara schienen nicht da zu sein.

„Tara ist zurückgegangen, die Katastrophe ist schon eingetreten, es sieht furchtbar aus von hier. Ich habe Anorex gebeten, sie zu begleiten.“ Erklärt Custos, auf ihre Nachfrage.

„Was machen wir denn jetzt? Sollen wir trotzdem hingehen?“ Cito war sich etwas unsicher.

„Wir gehen und helfen natürlich!“ Sagte Berti im Brustton der Überzeugung. „Jede helfende Maus zählt, es hat Verletzte und Tote gegeben, wir müssen helfen!“ Cito, und auch Custos nickten.

„Ja, aber seid vorsichtig, dort unten sind sie bestimmt alle ganz kopflos. Nicht, dass euch auch noch etwas zustößt.“ Ermahnte sie Custos. Die beiden Jungmäuse nahmen noch einen Schluck aus der Quelle und machten sich auf den Weg zur Stadt, oder was noch von ihr übrig war.

*

Eine Maus winkt mir von der Spitze des Berges aus zu. Amo, mein Vater, ist auch schon da. Ich deute auf den Bambuswald und er nickt, wir werden uns dort treffen. Ich schaue mich in Ruhe weiter um. An der linken Seite des Berges fließt ein Bach, der mit einem Wasserfall endet, das Wasser fällt leise rauschend in den See. Es ist ein murmelndes, beruhigendes Geräusch. Bevor das Wasser nach unten fließt, durchläuft es eine steinerne Mulde, so dass ein kleiner Badeteich entstanden ist. Pflanzen und Gräser säumen den Bach. Es gefällt mir sehr, wie eigentlich alles was ich hier sehe. Ich kenne ja nur die Stadt, eigentlich nur einen kleinen Teil davon, aber das hier kommt mir dagegen wie ein Paradies vor.

Das Ufer gegenüber des Berges ist flach und grasbewachsen. Vereinzelt erheben sich Pflanzen und hohe Gräser. Ich sehe Strandhafer, Haferschmiele, rotes Straußgras, Reitgras und Löwenzahn, Gänseblümchen, Taubnessel und Brennnessel. Auch ein großes Distelgewächs kann ich erkennen. Ich bin froh, dass ich bei den Beschreibungen der Pflanzen aufmerksam aufgepasst habe. Die Mauer ist mit wildem Wein bewachsen, es hängen zum Teil kleine Trauben daran. In der linken Ecke gibt es einen weiteren Teich, doch der ist fast völlig zugewachsen und mit Unrat gefüllt. Daher ist er für mich im Moment eher uninteressant, aber vielleicht kann man eines Tages etwas daraus machen. Aber das ist jetzt nicht wichtig, ich muss weiter zu Amo.

*

Als Berti und Cito von der Mauer kletterten, stießen sie keine fünf Mauslängen entfernt, auf Josselyn und ihre Töchter.

„Mama, was machst Du denn hier?“ Berti wunderte sich.

„Wir waren draußen, wie immer, seit Ihr fort seid, als plötzlich die Stadt einstürzte, sollten wir vielleicht zurückgehen? Du stellst vielleicht Fragen, Berti. Wie ich sehe, geht es Dir gut. Nur zur Information, uns auch!“ Sie schaute ihren Sohn ins Gesicht, auf dem sich ein kläglicher Ausdruck breitmachte.

„Aber, Mama, ich hatte Euch einfach nicht hier erwartet.“

Josselyn drückte ihren Sohn liebevoll an sich und lächelte ihm zu. „Schon gut, aber was machen wir jetzt, habt Ihr drüben was gefunden?“

„Ja, Maxi und Amo kundschaften es gerade aus. Wie wäre es, wenn Ihr nach oben zu Custos, so heißt die Maus, die hier lebt, klettert und dort auf mich wartet? Dann können wir später zusammen zu Maxi gehen.“

„In Ordnung, so machen wir es. Bist Du sicher, dass wir dort willkommen sind?“

Berti nickt, er war sich ganz sicher.

Dann verabschieden sie sich, dem jungen Mann war im Übrigen ein Stein vom Herzen gefallen, seine Familie war unversehrt. Zusammen mit Cito lief er in Richtung Stadt davon, während seine Mutter und Schwestern zur Höhle hinauf kletterten.

*

Ich überlege, ob ich mir einen Weg über den Bach suchen soll, entscheide mich aber dann, lieber am flachen Ufer entlang zu gehen, um den Anblick noch eine Weile zu genießen. Wenn man jetzt auch noch genügend Wohnraum fände oder Höhlen graben könnte, wäre das ganze Perfekt für einen Neuanfang.

Da fällt mir ein, Anorex hat ein Haus am See erwähnt, ich schaue mich um, aber eigentlich kann damit nur der alte Baumstumpf gemeint sein. Sonst ist hier nichts Auffälliges. Wenn das so ist, würde man möglicherweise gar keine Höhlen graben müssen. Das werde ich mir später ansehen. Ich höre auf zu spekulieren und genieße das letzte Stück zum Bambuswäldchen, während die Sonne gerade dabei ist, unterzugehen.

*

Als die beiden jungen Männchen die Stadt erreichten, herrschte dort das völlige Chaos. Die Abenddämmerung brach gerade herein, die Menschen hatten die Maschinen abgestellt und waren weg. Überall rannten Mäuse herum, scheinbar ziel- und planlos.

Cito entdeckte Tara am hinteren Zaun und sie liefen geradewegs auf sie zu.

Als diese aufschaute und die beiden sah, wirkte sie fast erleichtert.

„Gut, dass Ihr da seid, wir brauchen jede Menge Mäuse, um die Trümmer wegzuräumen. Es könnten noch viele verschüttet und verletzt sein. Dann wären sie nicht in der Lage, sich selbst auszugraben.“ Sie kümmerte sich weiter um die Verletzten, schickte Berti und Cito aber gleich zu Meister Karl, der die Bergungsaktion leitete.

Es wurde eine lange Nacht, und die meisten, die sie fanden waren tot, oder so schwer verletzt, dass nur ein Heiler mit einer größeren Gabe ihnen vielleicht noch helfen könnte. Sie schleppten die Schwerverletzten aus dem Gefahrenbereich zu Tara, die ihr Bestes versuchte. Viele starben trotzdem, es war frustrierend.

Berti entwickelte einen neuen Plan.

„Geh zurück, Cito, organisiere alles, wir bringen die, die auswandern möchten zur Mauer. Dort kann uns Custos sagen was ihr weiter geplant habt. Hier kannst Du nicht mehr viel helfen und als Verbindungsmann erreichst Du vielleicht was.“

Cito zog ab und Berti half weiter bei der Suche und dem Transport der Verletzten.

Tara war vollkommen erschöpft, als gegen Morgen endlich Medicus auftauchte. Er kam gerade von einer Reise zurück und hatte nichts davon mitbekommen. Er begann sofort damit, die Leute zu heilen, aber obwohl seine Gabe stark ausgeprägt war, würde er weitere Hilfe benötigen. Alles konnte er gar nicht alleine schaffen. Es fehlten andere Heiler, offenbar waren diese tot oder woanders beschäftigt.

Es war zum Verzweifeln.

Dann kam eine Maus angelaufen, man hatte Tabitha, die Hohepriesterin, gefunden und sie ins Heim der Einsiedlerin gebracht. Medicus geriet in helle Aufregung, er mochte Tabitha sehr gerne, sorgenvoll ging er sofort mit.

Das wirkte auf Berti wie ein Zeichen, sie konnten hier nichts mehr tun, zumal schon die ersten Menschen wieder aufgetaucht waren. Er beschloss, dass es Zeit war, ebenfalls zurückzugehen.

*

Kurz darauf treffe ich auf Amo, der am Rand des Wäldchens steht.

Ehrfürchtig und staunend betreten wir ihn. Das Licht fällt mir als Erstes auf, es ist anders, weich und samtig im Eingangsbereich und selbst tief drinnen ist es nicht ganz dunkel. Es herrscht ein angenehmes Dämmerlicht, ich fühle mich sofort geborgen und sicher, für mich, der ideale Tempelplatz.

Unvermittelt gähne ich ausdauernd.

Amo grinst mich an. „Ich bin auch müde, Maxi, so eine Besichtigungstour strengt mehr an, als man denkt.“

„Ja, Amo, diese vielen neuen Eindrücke und Gerüche, vielleicht sollten wir hier ein bisschen schlafen, hier ist es schön.“ Wir legen uns in eine der natürlichen Mulden, von denen es hier einige gibt. Ich kann, obwohl ich sehr müde bin, nicht gleich einschlafen und lasse meine Gedanken schweifen. Geht es allen gut? Sind Mutter, Bella und Joana in Sicherheit? Werden Berti und Cito etwas erreichen? Ich hoffe es, Bitte, MUS, lass alle gesund und munter sein. Dann denke ich nichts mehr und schlummere ein.

„Du bist angekommen, Maxi.“ Höre ich eine Stimme in meinem Kopf. „Und Du hast mir ein schönes grünes Heim ausgesucht. Willkommen in Deiner neuen Heimat.“ MUS spricht zu mir? Es muss so sein, ich schlafe und doch höre ich die Stimme von MUS, klar und deutlich, wie, wenn sie neben mir stünde. Sie besucht mich in meinem Traum. Ich spüre deutlich, wie sie mir über den Kopf streicht, und schrecke hoch. Ich schaue mich um, aber ich bin allein und Amo schläft.

Es war keine Einbildung, da bin ich mir sicher.

*

Anorex hatte sich von Tara verabschiedet, er konnte nichts mehr tun. Zwei Nächte lang hatten sie Steine weggeräumt, Löcher gegraben und nach verletzten Mäusen gesucht. Gefunden hatten sie fast nur Tote. Er war wirklich froh, dass die Priesterin ihn weggeschickt hatte, es belastete ihn, so viele Leichen.

Laut Tara hätte man das vermeiden können, aber niemand hatte auf sie gehört. Schnell erreichte er die Mauer und kletterte nach oben.

Als er die Höhle erreichte, traute er seinen Augen nicht, an der Quelle saß das schönste Mädchen, das er je gesehen hatte. Sehr jung und, wie es schien, sehr traurig, sie weinte bitterlich.

„Was hast du?“ Fragte er laut und das Mädchen erschrak und sprang auf.

Sie schaute ihn aus verweinten, großen Augen an. „Wer bist Du?“

„Mein Name ist Anorex, ich lebe hier. Aber ich habe bis jetzt dort unten mitgeholfen.“ Er zeigt auf das Trümmerfeld.

Sie folgte seinem Arm mit den Augen. „Ich heiße Joana, ich bin mit meiner Mutter und meiner Schwester hier. Wir warten auf Berti, das ist mein Bruder. Er ist auch irgendwo da unten.“

Er konnte gar nicht damit aufhören, sie anzuschauen, erst als sie ihm einen fragenden Blick zuwarf, erkannte er, dass sie eine Antwort von ihm erwartete.

„Äh, Berti? Den kenne ich, ist der nicht im Land jenseits der Mauer?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, er wollte dort unten helfen. Wir warten auf seine Rückkehr.“ Joana betrachtete Anorex, er war zierlich und nicht besonders groß, seine Augen gefielen ihr.

Anorex lächelte sie freundlich an. „Ja, viel kann man dort nicht mehr ausrichten, er wird bald wieder da sein. Möchtest Du etwas essen?“ Er wollte auf jeden Fall noch mehr Zeit mit ihr verbringen, aber sie schüttelte den Kopf.

„Custos hat uns schon bewirtet, ich will hier auf Berti warten.“ Joana fand Gefallen an Anorex, er war nett und gutaussehend, hoffentlich blieb er noch einen Moment.

„Kann ich mit Dir warten?“ Konnte er etwa Gedankenlesen, ihr Herz klopfte heftiger.

„Wenn Du möchtest, Anorex, gerne.“ Er würde also noch ein bisschen bei ihr bleiben.

*

Die zierliche Maus, die sie so erschreckt hatte, war kaum größer als Joana, aber richtig süß. Ihr Herz klopfte so laut, dass sie befürchtete, er könne es hören. Jetzt setzte er sich unbeholfen neben sie auf den Stein, neben der Quelle. Er war nicht sehr breit, sie saßen also dicht beieinander. Joana wurde von seiner Nähe überwältigt und sprang auf.

„Ich muss nach meiner Mutter sehen, bitte verzeih.“ Und stürmte hinaus.

*

Als ich erwache ist es dunkel, Amo hat inzwischen ein paar Samen gesammelt, die wir gemeinsam essen. Noch ein Schluck Wasser aus dem See und wir brechen auf in Richtung Baumstamm. Es ist nicht weit, ich bin gespannt, ob er sich zum Wohnen eignet. Da hören wir es laut platschen, etwas ist vom Ufer in den See gesprungen. Ich habe nichts gesehen, was war das? Vielleicht lebt schon jemand hier und meine Zukunftsträume werden sich nicht erfüllen.

Wir treten ans Ufer um nachzusehen. Eine kleine grüne Kreatur schwimmt an der Oberfläche. „Hallo?“ Rufe ich. „Wer bist Du?“

„Na Du bist jedenfalls eine Maus, das sehe ich, was macht ihr hier?“ Spricht die Kreatur. „Hab schon ewig keine Mäuse mehr gesehen.“

„Wir sind auf der Suche nach einer Zuflucht hierhergekommen, ich bin Maxi, das ist Amo, mein Vater.“ Stelle ich uns vor.

„Ich bin Willi Frosch, wir heißen alle Frosch, wir Frösche, also Willi.“ Er taucht kurz unter und schwimmt dann näher ans Ufer. „Nun, Ihr stört mich nicht, oder fresst Ihr vielleicht Insekten? Nein? Dann könnt Ihr hier genauso wohnen wie ich auch, das ist ein freies Land.“

„Wo wohnst Du denn?“ Frage ich. „Lebst Du schon lange hier?“

„Ja, schon eine ganze Weile. Ich lebe unter dem Wasserfall. Ganz am Anfang hab ich noch ein paar von euer Sorte gesehen, aber schon lange keine einzige mehr.“

„Weißt Du, was mit den anderen passiert ist?“ Fragt Amo.

„Nein, komisch eigentlich. Sie haben nie mit mir gesprochen und eines Tages waren sie einfach weg. Ich muss jetzt auch los, sonst werde ich nicht mehr genug Insekten fangen können bevor es ganz dunkel ist und werde nicht satt.“ Damit taucht er unter und verschwindet. Es lebt also noch jemand hier, aber wir würden uns nicht aneinander stören, das ist erfreulich.

*

Willi war eigentlich schon satt, aber er hatte heute keine Lust zum Reden, deshalb hatte er die Mäuse angeschwindelt. Interessant war es aber schon, so lange hat keiner mehr im Baumstumpf gewohnt. Ob sie bleiben werden? Da er der einzige Frosch weit und breit war, durfte er mit den wenigen Lebewesen, die mit ihm reden wollten, eigentlich nicht so achtlos umgehen. Aber er tat sich mit neuen Leuten immer schwer, war er doch eher schüchtern veranlagt. Willi würde sie eine Weile beobachten, auf Frösche achtete sowieso keiner, dann brachte er vielleicht den Mut auf, es noch einmal zu versuchen. ...oder vielleicht auch nicht, er hatte sich schließlich an sein Leben als Einsiedler gewöhnt, wer brauchte da schon jemanden zum Reden.

*

Wir machen uns auf den Weg zu diesem Baumstumpf. Als wir näher kommen, sehen wir, das die Rinde einige Löcher hat. Amo vermutet, es könnten früher Bienen darin gewohnt haben.

„Ob sie noch da sind?“ Frage ich.

„Nein, wenn da Bienen wären, würde alles leicht vibrieren, aber es ist vollkommen ruhig,“ erklärt Amo „aber ob jemand anderes hier wohnt kann ich nicht sagen. Nach dem ersten Geruchstest, scheint keiner hier zu sein, wir sollten dennoch vorsichtig sein. Lass mich vorgehen und warte einen Moment bis ich dich rufe, das ist sicherer.“ Ich nicke und Amo schlüpfte unter einer Wurzel hindurch ins Innere.

Kurze Zeit darauf ruft er nach mir. „Das musst Du dir ansehen.“

Ich folge ihm hinein. Drinnen war nicht ganz dunkel, wie erwartet, denn durch die Löcher fällt das Licht des aufgehenden Mondes. Es erfüllt die Halle, anders kann ich den großen beinahe kreisrunden Raum nicht nennen, mit mildem Licht. Staunend blicke ich mich um, hier ist es sauber und trocken. Es riecht leicht nach abgestandener Luft, aber wenn wir hier ein bisschen fegen und einen ordentlichen Eingang graben, wird die Luft bald wieder frisch riechen. Wir könnten auch ein paar duftende Gräser in unsere Schlafmulden bringen, dadurch wird sich der Geruch deutlich verbessern. Andere Lebewesen rieche ich nicht, daraus schließe ich, dass der Baumstamm schon länger leer steht.

Weiter oben sieht man im schimmernden Licht des Mondes kleine Ausbuchtungen. Wir klettern über geschickt angebrachte Holzbalken nach oben und stellen fest, das es natürliche Vertiefungen und Plateaus des ursprünglichen Baumes sind. Wie kleine Wohneinheiten, es gibt mindestens zehn oder zwölf davon, genau kann ich das im Moment nicht sehen. Hier könnten bestimmt einige Familien leben.

Wir beschließen, den Rest der Nacht zu verschlafen, es scheint hier drinnen sicher und geschützt zu sein. Bei Tageslicht werden Amo und ich dann alles gründlicher untersuchen. In einer größeren Mulde legen wir uns gemeinsam zur Ruhe.

Ich träume von dem Baumstumpf. Aber er ist nicht leer und verlassen, wie wir ihn gefunden haben, sondern voller Mäuse, die mal hierhin, mal dorthin laufen. Sie bringen Vorräte in den Bau, fegten den Boden, legen die Nester neu mit Gräsern und Vogelfedern aus. Am Rand eine Nestes mit fünf Kindern sitzt ein Vater und erzählt Geschichten. Die Mutter kommt hinzu und säugt die Kleinen. Es sieht so normal aus. Das habe ich noch nie gesehen, beide Eltern bei der Brutpflege.

Das kommt auch in keiner Geschichte vor, die meine Mutter uns erzählt hat.

Nur durch Amos Wunsch danach, habe ich mir damals überlegt, wie so etwas sein würde. Während ich zusehe, fühle ich, dass es sich richtig anfühlt. Ich werde dafür sorgen, dass es in unserer Zukunft so sein wird. Vater, Mutter und Kinder zusammen.

Ich treibe weiter durch den Baumstamm und kann zusehen, wie die Treppenbalken hereingezerrt und günstig angelehnt und verkantet werden. Es sieht sehr stabil aus. Dann sehe ich eine große Vorratskammer und in der Ecke daneben... ...irgendetwas ist da, ich kann es nicht erkennen. Bevor ich näher kommen kann erwache ich mit einem Ruck.

Ich setze mich auf und sauge tief die Luft ein, keine ungewöhnlichen Gerüche, keine Geräusche. Amo liegt friedlich im Schlaf. Ich bin mir nicht sicher, warum ich aufgewacht bin, ich wäre gerne länger in meinem Traum geblieben. Das war auf jeden Fall kein Zukunftstraum, mir kam er eher vor, wie einer aus der fernen Vergangenheit. Ach, ich kann es mir nicht erklären, aber von früher habe ich noch nie geträumt. Vielleicht betrifft es doch unsere Zukunft, auch wenn ich niemanden erkannt habe. Mit diesem Gedanken schlafe ich wieder ein.

Das neue Leben / Maxi I

Подняться наверх