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Erster Theil
V

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Oblomow, Edelmann von Geburt, Collegiensecretär von Rang, lebt seit zwölf Jahren beständig in Petersburg.

Früher, als seine Eltern noch am Leben waren, hatte er weniger Räume, nahm nur zwei Zimmer ein und begnügte sich mit dem einen Diener Sachar, den er sich aus dem Gut mitgebracht hatte. Doch nach dem Tode des Vaters und der Mutter war er der einzige Besitzer von dreihundertfünfzig Seelen, die er in einem der entlegensten Gouvernements, beinahe in Asien, geerbt hatte. Er bekam jetzt statt fünf, sieben bis zehn Tausend Rubel Jahresrente, und sein Leben spielte sich von nun an in einem andern, größeren Rahmen ab. Er mietete sich eine größere Wohnung, fügte zu seinem Dienstbotenetat einen Koch hinzu und hielt sogar eine Zeitlang ein Paar Pferde. Damals war er noch jung und wenn man auch nicht behaupten kann, daß er lebhaft war, war er doch wenigstens lebhafter als jetzt; er war noch von verschiedenen Bestrebungen erfüllt, hoffte immer auf etwas, erwartete viel vom Schicksal und von sich selbst, bereitete sich immer zu einer Laufbahn, zu irgendeiner Thätigkeit vor – vor allem natürlich innerhalb seiner Amtsstellung, die ja auch das Ziel seiner Reise nach Petersburg war. Dann hatte er vor, auch in der Gesellschaft eine gewisse Rolle zu spielen. Endlich, in der entfernten Perspective des Überganges der Jugend in ein gesetztes Alter, schwebte seiner Phantasie ein verlockendes, glückliches Familienleben vor. Aber ein Tag folgte dem anderen, die Jahre flogen hin, der Flaum um sein Kinn wurde zu einem struppigen Bart, die strahlenden Augen verwandelten sich in zwei trübe Punkte, die Gestalt rundete sich, das Haar begann unbarmherzig auszugehen, er vollendete sein dreißigstes Jahr, und er war auf keinem einzigen Gebiete auch nur um einen Schritt nach vorwärts gerückt und stand noch immer an der Schwelle seiner Laufbahn, dort, wo er sich vor zehn Jahren befunden hatte.

Das Leben zerfiel in seinen Augen in zwei Hälften: die eine davon setzte sich aus Arbeit und Langeweile zusammen; die zweite aus Ruhe und friedlicher Fröhlichkeit. Infolge dessen machte ihn seine wichtigste Laufbahn – das Amt – in der ersten Zeit auf eine sehr unangenehme Weise stutzig.

Er war in dem Innern der Provinz inmitten der sanften und gefühlvollen Sitten und Gebräuche der Heimat aufgewachsen, kam im Laufe von zwanzig Jahren nicht aus den Umarmungen der Verwandten, Freunde und Bekannten heraus, und war so von Familiensinn durchdrungen, daß er sich auch sein künftiges Amt in der Art irgendeiner Familienbeschäftigung vorstellte, etwa in der Form des trägen Notierens der Einkünfte und Ausgaben, wie sein Vater es that. Er glaubte, die Beamten irgendeines Ortes bildeten einen intimen, innigen Familienkreis, der sich unermüdlich um die Ruhe und das Vergnügen seiner Mitglieder sorgte, daß der Dienst in dem Amt durchaus keine obligatorische Gewohnheit wäre, an die man sich täglich zu halten hätte, und daß nasses Wetter, Hitze oder einfach eine Verstimmtheit immer eine genügende und gesetzliche Ursache wären, um nicht ins Amt zu gehen. Aber wie sehr kränkte es ihn zu sehen, daß mindestens ein Erdbeben sich einstellen müßte, damit ein gesunder Beamter nicht ins Amt zu gehen brauchte; in Petersburg kommen aber leider keine Erdbeben vor, eine Überschwemmung könnte zwar auch als Hindernis dienen, doch auch das passiert selten.

Oblomow wurde noch nachdenklicher, als vor seinen Augen Pakete mit der Aufschrift »eilig« und »sehr eilig« vorbeiflimmerten, als man ihm allerlei Erkundigungen und Excerpte auftrug und zweifingerdicke Hefte vollzuschreiben befahl, die man wie zum Hohn Notizen nannte.

Außerdem mußte alles sehr schnell gehen, alle hatten es so eilig und gönnten sich gar keine Ruhe; so wie sie mit einer Sache fertig waren, stürzten sie mit einem wahren Ingrimm über eine andere her, als ob gerade diese die Hauptsache wäre, wenn sie aber damit fertig waren, verfiel auch sie der Vergessenheit und es wurde eine dritte Angelegenheit vorgenommen und so gieng es bis in die Unendlichkeit fort! Ein paarmal weckte man ihn in der Nacht und ließ ihn »Notizen« schreiben oder man holte ihn, wenn er auf Besuch war, durch einen Boten ab – und das wieder der Notizen wegen. Das alles erweckte in ihm große Angst und Langeweile. »Wann soll man denn leben? wann leben?– flüsterte er bange.

Als er noch zu Hause war, hatte er gehört, der Chef sei der Vater seiner Beamten, und machte sich eine sehr rosige Vorstellung von demselben, indem er ihn fast für einen Verwandten ansah. Er dachte sich, er sei ein zweiter Vater, der nur für das eine lebt, wie er seine Beamten mit und ohne Ursache ununterbrochen belohnen könnte und der sich nicht nur um ihre Bedürfnisse, sondern auch um ihre Vergnügungen sorgt. Ilja Iljitsch dachte, der Chef müßte sich in die Lage seines Beamten so hineinversetzen, daß er ihn besorgt fragen würde, wie er in der Nacht geschlafen habe, warum seine Augen trüb seien und ob er Kopfschmerzen habe? Doch er war gleich am ersten Tag seines Dienstes bitter enttäuscht. Mit der Ankunft des Chefs begann ein Hin- und Herrennen, ein Trubel, alle wurden verwirrt, stießen einander um, manche zupften sich ihre Kleider zurecht, in der Befürchtung, nicht anständig genug auszuschauen, um sich dem Chef zu zeigen.

Oblomow bemerkte späterhin, daß das alles darauf zurückzuführen war, daß es Chefs gab, welche in dem bis zur Blödsinnigkeit erschrockenen Gesicht des Beamten, der ihnen entgegenrannte, nicht nur Achtung sich gegenüber, sondern auch Diensteifer und manchmal sogar Begabung sahen. Ilja Iljitsch brauchte sich vor seinem Chef nicht so zu fürchten, da dieser ein gutmüthiger Mensch mit angenehmen Manieren war, er hatte noch nie jemand Böses gethan, die Beamten waren vollkommen zufrieden und wünschten sich nichts Besseres. Niemand hatte ihn jemals etwas Unangenehmes sagen, schreien oder lärmen gehört; er verlangte nie etwas, er bat immer. Er bat eine Angelegenheit zu erledigen, er bat, man möchte ihn besuchen, er bat auch, man möchte sich verhaften lassen. Er duzte nie jemand, er sagte zu allen Sie, jedem einzelnen Beamten und allen zusammen. Doch alle seine Untergebenen wurden in seiner Anwesenheit befangen; sie beantworteten seinen freundlichen Blick nicht mit ihrer eigenen, sondern mit einer fremden Stimme, mit welcher sie sonst niemals sprachen. Auch Ilja Iljitsch wurde plötzlich befangen, ohne zu wissen weshalb, wenn der Chef ins Zimmer trat, und auch verlor er seine eigene Stimme und bekam eine andere, dünne und häßliche, sobald der Chef ihn anredete.

Ilja Iljitsch stand auch trotz des gutmüthigen, nachsichtigen Chefs sehr viel Angst und Langeweile im Dienste aus. Gott weiß, was aus ihm geworden wäre, wenn er einen strengen und anspruchsvollen Vorgesetzten über sich hätte! Oblomow blieb mit Mühe und Noth zwei Jahre lang im Amt; vielleicht würde er auch noch ein drittes ertragen haben, um einen höheren Rang zu kommen, aber ein besonderer Fall nöthigte ihn, den Dienst früher zu verlassen. Er schickte eines Tages ein wichtiges Papier statt nach Astrachanj nach Archangelsk. Die Sache kam ans Licht; man begann nach dem Schuldigen zu suchen. Alle anderen erwarteten neugierig, der Chef würde Oblomow kommen lassen und ihn ruhig und kühl fragen, ob er das Document nach Archangelsk fortgeschickt habe, und alle waren darauf gespannt, mit welcher Stimme Ilja Iljitsch ihm antworten würde. Einige meinten, er würde gar nicht antworten, die Stimme würde ihm versagen. Beim Anblicke der andern wurde Ilja Iljitsch selbst von Angst erfaßt, trotzdem er zugleich mit allen anderen wußte, der Chef würde sich auf einen Verweis beschränken; doch sein eigenes Gewissen war viel strenger als die zu erwartende Rüge. Oblomow wartete die verdiente Strafe nicht ab, sondern gieng nach Hause und schickte ein ärztliches Attest.

Dieses Attest lautete: »Ich, der Gefertigte, bezeuge mit der Beidrückung meines Siegels, daß der Collegiensecretär Ilja Oblomow mit Herzverfettung und der Erweiterung der linken Herzenskammer behaftet ist (Hypertrophia cordis cum dilatatione ejus ventriculi sinistri), und außerdem ein chronisches Leberleiden hat, (Chepatitis), das sich gefährlich zu entwickeln droht und sowohl die Gesundheit als auch das Leben des Kranken schädigen könnte; die darauf hinweisenden Anfälle werden wohl durch den täglichen Amtsdienst verursacht. Darum halte ich es, um diesen krankhaften Anfällen vorzubeugen und dieselben zu beschwichtigen, für nothwendig, Herrn Oblomow den Dienst vorläufig zu verbieten und ihm überhaupt das Vermeiden jeder geistigen Arbeit und jeder Thätigkeit vorzuschreiben.«

Doch das half nur für einige Zeit: er mußte ja einmal wieder gesund werden – und dann folgte wieder das tägliche Versehen seines Amtes. Oblomow konnte das nicht länger ertragen und suchte um seine Entlassung an. So schloß seine amtliche Thätigkeit, um niemals wieder aufgenommen zu werden.

Seine gesellschaftliche Laufbahn wollte ihm besser gelingen. In den ersten Jahren seines Aufenthaltes in Petersburg, in seiner ersten Jugend, belebten sich seine ruhigen Gesichtszüge häufiger, die Augen leuchteten lange vor Lebensfeuer, ihnen entströmten Strahlen von Licht, von Hoffnung und von Kraft. Er regte sich wie die andern auf, hoffte, freute sich über jede Kleinigkeit und litt auch um einer jeden Kleinigkeit willen. Doch das war schon lange her, noch in jener zarten Periode, in welcher man in jedem Nebenmenschen einen aufrichtigen Freund sieht, sich fast in jede Frau verliebt und bereit ist, einer jeden Hand und Herz anzubieten, was manche auch erfüllen, um dann das ganze übrige Leben darüber zu trauern. In diesen seligen Tagen fielen auch Ilja Iljitsch nicht wenig weiche, sammtene, ja selbst leidenschaftliche Blicke aus den Augen der Schönen zu, außerdem sehr häufig ein vielversprechendes Lächeln, zwei, drei unprivilegierte Küsse und noch mehr freundschaftliche Händedrücke, die bis zu Thränen schmerzten.

Er ließ sich übrigens niemals von den Schönen gefangennehmen, war niemals ihr Sclave, und nicht einmal ihr sehr fleißiger Anbeter, schon deshalb nicht, weil mit der Annäherung an Frauen viel Scherereien verbunden sind. Oblomow beschränkte sich häufiger auf ein Anbeten aus der Ferne, in ehrerbietiger Entfernung. Das Schicksal führte ihn selten in der Gesellschaft mit einer Frau so zusammen, daß er für ein paar Tage aufflammen und sich verliebt halten konnte. Infolge dessen entwickelten sich seine Liebesverhältnisse nicht zu Romanen. Sie blieben gleich im Anfang stehen und ließen sich an Unschuld, Einfachheit und Reinheit von der Liebe irgendeiner erwachsenen Pensionärin nicht überbieten.

Am meisten mied er jene bleichen, traurigen Jungfrauen, die größtentheils schwarze Augen haben, in denen sich »die qualvollen Tage und nicht ganz schuldlosen Nächte« wiederspiegelten, Jungfrauen, mit von niemand gekannten Leiden und Freuden, mit blauen Ringen unter den Augen, Jungfrauen, die immer etwas anzuvertrauen und zu sagen haben und die, wenn es dazu kommt, erbeben, in plötzliche Thränen ausbrechen, dann den Hals des Freundes plötzlich mit den Armen umschlingen, ihm lange in die Augen, dann auf den Himmel schauen und sagen, daß ihr Leben von einem Fluch bedroht sei und manchmal in Ohnmacht fallen. Er wich ihnen ängstlich aus. Seine Seele war noch rein und jungfräulich; sie erwartete vielleicht ihre Liebe, ihre Zeit, ihre pathetische Leidenschaft und später hörte sie mit den Jahren scheinbar warten auf und verzweifelte.

Ilja Iljitsch verabschiedete sich noch kühler von dem Haufen seiner Freunde. Gleich nach dem ersten Brief des Dorfschulzen von den Rückständen und der Mißernte vertauschte er seinen nächsten Freund, den Koch, mit einer Köchin, verkaufte dann die Pferde und schickte dann seine übrigen »Freunde« fort.

Fast nichts übte auf ihn eine genügende Anziehungskraft aus, um ihn aus dem Hause herauszulocken, und er setzte sich mit jedem Tage immer mehr und ständiger in seiner Wohnung fest.

Zuerst fiel es ihm schwer, den ganzen Tag angekleidet zu verbringen, dann wurde er zu faul auswärts zu speisen, außer bei sehr nahen Bekannten, meistens bei ledigen Kameraden, bei denen man die Cravatte ausziehen und die Weste aufknöpfen durfte, es sich sogar »bequem« machen und eine Stunde lang schlafen konnte. Bald wurden ihm auch die Abende lästig. Er mußte einen Frack anziehen und sich täglich rasieren. Er hatte irgendwo gelesen, nur die Morgendünste wären gesund, während die Abenddünste schadeten, und begann sich vor Nässe zu fürchten. Trotz allen diesen Grillen gelang es seinem Freunde Stolz, ihn unter Menschen zu bringen, aber Stolz verreiste oft aus Petersburg nach Moskau, nach Nischnij-Nowgorod, in die Krim und auch ins Ausland, und ohne ihn gab sich Oblomow gänzlich seiner Abgeschlossenheit und Einsamkeit hin, aus welcher ihn nur etwas Außerordentliches, das sich vom gewöhnlichen Gang seines Lebens scharf abhob, aufscheuchen konnte; doch etwas Ähnliches kam nicht vor und war auch nicht vorauszusehen.

Außerdem war zu ihm mit den Jahren eine kindische Schüchternheit zurückgekehrt, und weil er die verschiedenartigen äußeren Erlebnisse nicht mehr gewohnt war, erwartete er von allem, was außerhalb der Sphäre seines äußeren Lebens lag, Gefahr und alles Böse.

Ihn erschreckte z.B. nicht der Riß im Plafond seines Schlafzimmers. Er hatte sich daran gewöhnt; es fiel ihm auch nicht ein, daß die stets eingeschlossene Luft seines Zimmers und das beständige Zuhausesitzen für seine Gesundheit beinahe verderblicher waren, als die nächtliche Feuchtigkeit, und daß die tägliche Überfüllung des Magens eine Art von progressivem Selbstmord bedeutete. Doch er hatte sich daran gewöhnt und fürchtete das alles nicht. Doch Bewegung, Leben, viele Menschen und Trubel waren ihm etwas Ungewohntes. Er fühlte sich in der Menschenmenge beengt, er stieg mit der schwankenden Hoffnung, glücklich ans Ufer zu gelangen ins Boot, und erwartete, wenn er im Wagen fuhr, die Pferde würden scheu werden und umschmeißen. Manchmal überfiel ihn eine nervöse Angst. Er fürchtete sich vor der ihn umgebenden Stille und wußte oft selber nicht, warum es ihn kalt überlief. Es kam vor, daß er ängstlich in eine dunkle Ecke schielte, in der Erwartung, seine Phantasie würde ihm einen Streich spielen, und ihm eine übernatürliche Erscheinung zeigen.

Das war das Ende seiner gesellschaftlichen Laufbahn. Er wies mit einer trägen Handbewegung alle seine Jugendhoffnungen von sich, die ihn betrogen hatten oder die er betrogen hatte, all die zarten, traurigen und lichten Erinnerungen, die manchen das Herz noch im Alter klopfen machen.

Oblomow

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