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Das war vor vier Jahren, und ich arbeitete inzwischen für den STAR. Mein Vertrag ermöglichte mir sogar gelegentlich noch was für den Westdeutschen Rundfunk zu machen, so dass der Kontakt zu den ehemaligen Kollegen erhalten blieb. Nur meine Sendung Wesensart wurde nach einem Jahr wegen der gesunkenen Quoten eingestellt und meine Nachfolgerin musste gehen.

Die Zuschauer hatten das Magazin so sehr mit meiner Person verbunden, dass die junge Carla keine Chance hatte, der Sendung neues Profil zu geben. Was ich sehr bedauere, denn sie ist wirklich ein journalistisches Talent, und ich hoffe, sie kann sich bei dem Privatsender, zu dem sie gewechselt ist, durchsetzen.

Gleich zu Beginn meiner Tätigkeit beim STAR erhielt ich bereits einen Medienpreis für meine außergewöhnlichen Reportagen, aber solchen Ehrungen stehe ich grundsätzlich skeptisch gegenüber, und es ist einfach nicht meine Art mich feiern zu lassen.

In den Tagen nach unserer ersten Begegnung im Theater dachte ich zwar noch gelegentlich an die Frau, doch nicht mit dem brennenden Herzen des jungen Philipp, der es vor über zwanzig Jahren nicht abwarten konnte seine Vera wiederzusehen und die Wochenenden herbeisehnte.

Ein paar Tage später rief mich meine Exfrau an und meinte, ich müsste mich mal wieder um meine Tochter kümmern, sie schotte sich von ihr ab, und das läge daran, dass sie einen neuen Freund habe, der große Dominanz ausübe.

„Er ist ein Jahr älter. Vielleicht redest du mal mit ihr. Außerdem lassen ihre schulischen Leistungen nach.“

Wir trafen uns in größeren Abständen in Osnabrück vor ihrem Haus, das sie von den Eltern bekommen und in dem wir viele Jahre zusammen gewohnt hatten. Ich wollte es nicht mehr betreten, denn gelegentlich traf sie sich dort mit einem Mann, dem ich nicht unbedingt begegnen wollte. Nicht etwa aus Angst vor dem Vergleich, sondern ich neige dazu, derartigen Situationen aus dem Weg zu gehen. Sie können alle Beteiligten nur unnötig in Verlegenheit bringen.

Ich glaube, es fiel Annabel damals schwer, sich mit einer Lage abzufinden, die für sie nicht absehbar gewesen war.

Nicht einmal für ihren Vater, der nach dem Versagen keine neuen Ansatzpunkte finden konnte, das Geschehene unwirksam zu machen.

„Ohnmacht“, sagte sie später, „ist das richtige Wort, was ich damals empfunden habe. Ohnmacht und Wut. Ich weiß noch genau, ich bin in mein Zimmer rauf und hab mich eingeschlossen. Ich hab gegen mein Bett getreten und mich immer wieder gefragt, ob ICH vielleicht was falsch gemacht habe. Ich hab geheult und mir die Arme blutig gekratzt. Mam’ und du, das gehörte für mich immer zusammen, verstehst du?“

Wie kann man einem pubertierenden Mädchen den Lauf der Welt erklären und dass die Dinge manchmal so und nicht zu ändern sind. Dass Leben wehtut, und man es manchmal einfach nur aushalten muss.

„Bist du zufrieden mit deiner Situation?“, fragte ich Vera im Auto vor dem Haus sitzend, „ich meine ...“

Wir hatten uns eine Weile nicht gesehen, und Vera arbeitete immer noch als Lehrerin an einem Gymnasium.

„Zufrieden ...? Ja, ... nein, ich weiß nicht. Manchmal schon, ... im Großen und Ganzen, ja doch. Annabel macht mir Sorgen.“

„Deshalb bin ich hier.“

Vera legte den Kopf leicht schräg gegen die Seitenscheibe und sprach nach vorn, ohne mich anzusehen. Sie trug eine schwarze Jeans, ein hellblaues Twin-Set und die Haare zum Zopf gebunden, was ihr ein strenges Aussehen gab.

„Ich komme zurzeit nicht an sie ran. Dieser Daniel, mit dem sie seit zwei Monaten geht, - mein Gott, sagt man das überhaupt noch so? - dieser Daniel beherrscht sie geradezu. Und alles, was er macht, ist toll.“

„Ist das nicht irgendwie normal?“, fragte ich, „ich meine, dieser Junge ist der erste Freund, mit dem sie länger zusammen ist. Da hat alles, was mit ihm zu tun hat, oberste Priorität, oder? Annabel ist fünfzehn. Denk mal zurück, wie das bei uns war.“

Vera wollte nicht zurückdenken. Sie machte einen erschöpften Eindruck und wollte die Lösung all ihrer Probleme.

„In der Schule ist es auch anstrengend“, sagte sie, „die Kids werden immer schwieriger. Neulich habe ich tatsächlich zwei Zwölfjährige erwischt, die in der Klasse mit Messern herumhantierten.“

„Die Gewaltbereitschaft und Verwahrlosung unter Jugendlichen scheint immer mehr zuzunehmen“, sagte ich.“

„Manchmal möchte ich auf der Stelle alle Brocken hinschmeißen, Hans bitten, mich an die Hand zu nehmen und irgendwo mit mir ein neues Leben anzufangen.“

„Ich weiß, was du meinst“, sagte ich nach einer Weile, während leichter Nieselregen uns die Sicht nach vorn in die Allee verdarb, in der ich mal zuhause gewesen war.

Jahrelang war ich mit dem Auto aus der Garage nach rechts abgebogen und hatte die Auffahrt zur nahen Autobahn genommen. Ich hatte im Wegfahren die Nachbarn gegrüßt, nach dem Nachhausekommen den Rasen gemäht, Annabel Geschichten erzählt, und was so selbstverständlich gewesen war, erschien mir heute so weit weg, als sei es nie geschehen.

„Wenn es doch nur so einfach wäre“, sagte ich, „aber ich werde Annabel fragen, ob wir uns nicht am Wochenende sehen können.“

„Mutter hat Krebs“, sagte Vera nach einer kurzen Pause, „ein schwarzes Melanom auf dem Rücken. Sie wird erstaunlich gut damit fertig. Vielleicht besser als der alte Herr.“

So nannte meine Exfrau (offiziell waren wir noch verheiratet) ihren Vater, der bei aller geschäftlichen Tüchtigkeit nur schwer mit privaten Problemen umgehen konnte. Schon gar nicht mit Krankheit.

„Tut mir wirklich leid“, sagte ich, glaubst du, es wäre gut, wenn ich sie mal anrufe? Ich meine …“

„Warum nicht?“, sagte Vera, „sie hat dich eigentlich immer ganz gern gemocht.“

„Im Gegensatz zum alten Herrn.“

„Stimmt“, sagte Vera, „Mutter mochte immer deine Gelassenheit, mit den Dingen umzugehen. Ich übrigens auch.“

„Oh ...“

Es war das erste Mal seit unserer Trennung, dass ich sie so reden hörte.

„Wahrscheinlich willst du mir jetzt sagen, dass ich das früher nicht zum Ausdruck gebracht habe“, meinte Vera, „oder dass der alte Herr mit deiner Lebenseinstellung nicht viel anfangen konnte. Ja, stimmt schon, und zum Schluss seid Ihr ja auch manchmal mächtig aneinander geraten.“

„Dein Vater tut sich schwer“, sagte ich, „mit Dingen wie Scheidung, Trennung, persönlichem Leid, familiärem Unglück. Für ihn hat die Welt klar zu sein. Man geht seinen Weg, steht zu seinen Entscheidungen und führt sie zuende, mit allen Konsequenzen. Sein Lebensmotto: Wer A sagt, muss auch B sagen.“

„Dein Urteil war mir eigentlich immer wichtiger als seins“, sagte Vera, „aber du hast ja alles kaputt gemacht.“

Es entstand eine kleine Pause, weil ich nichts zu meiner Rechtfertigung sagen konnte oder wollte. Es hätte nichts geändert an dem, was geschehen war, und eine erneute Auseinandersetzung zu dem Thema schien mir unangebracht.

„Er meint auch, ich müsste wieder in geordneten Verhältnissen leben.“

„Und?“, fragte ich, „willst du das auch? Vielleicht heiraten?“

Vera zögerte mit ihrer Antwort und meinte, dass sie es selber nicht wisse. Dass sie zurzeit ganz schön durch den Wind sei und Zeit zum Nachdenken brauche und überhaupt.

„Aber unabhängig davon“, sagte sie, „wäre es wohl an der Zeit, über unsere Scheidung zu reden. Das hat jetzt nichts mit Hans zu tun. Ich meine …“

„Ich weiß, was du meinst“, antwortete ich. „Es wäre halt, … Klarheit in die Verhältnisse bringen.“

Für einige Sekunden entstand ein betroffenes Schweigen, diese Nachdenklichkeit, die sich in Jahren angesammelt hatte und jetzt mit wenigen Worten zu Entschlossenheit wandelte.

„Einmal“, sagte ich, fast versöhnlich der neuen Aussicht gegenüber, „hat mich dein Vater zur Seite genommen, - in der Fabrik, weißt du, als Annabel unterwegs war, - hat seinen Arm um mich gelegt, mit einer ausholenden Bewegung sein Feinkostimperium gezeigt und gesagt: Das alles wollte ich meinem Schwiegersohn eines Tages übergeben, wenn es schon meine Tochter nicht will, und deshalb hätte ich mir einen Betriebswirt oder Ähnliches für Vera gewünscht. Nimm das jetzt nicht persönlich.

Ich weiß, hab ich geantwortet, und er hat gesagt, dass ich es mir immer noch überlegen kann, mein Leben neu auszurichten, und dass es nicht viele gäbe, die solch eine Chance ausschlagen würden. Als ich ihm sagte, dass ich lieber schreiben würde, lag in seinem Blick das ganze Unverständnis, das er mir von Anfang an entgegengebracht hat. Du weißt selbst, dass er jede Gelegenheit genutzt hat, dich gegen mich aufzubringen.“

„Und du weißt genau, dass er damit keinen Einfluss auf mich hatte“, sagte Vera, „aber was soll’s, das ist alles Vergangenheit, und im Moment macht mir Mutter zu schaffen. Da tritt sowieso alles andere in den Hintergrund.“

„Natürlich“, antwortete ich, „und ich wünsche deiner Mutter und dir die Kraft, das durchzustehen.“

Mach’s gut“, sagte sie nach einer Pause, legte ihre Hand kurz auf meine und stieg aus dem Auto aus. „Wir hören voneinander.“

„Grüß deine Mutter“, sagte ich, „ich werd mir mal Zeit für sie nehmen.“

„Das wird sie sicher freuen.“

Ich sah Vera nach bis sie im Haus verschwunden war. Warum hatte ich nicht alles so kommen sehen? Oder hatte ich es gesehen und nur nichts tun können? Oder hatte ich es gesehen und nichts tun wollen oder es vielleicht sogar darauf angelegt?

Manchmal kann man schon in Unruhe über sich selbst und sein Leben geraten.

Das Glück meines Lebens

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