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Einleitung: Legitimation durch Reform und Expansion

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Katharina II. herrschte mehr als drei Jahrzehnte über das Russische Imperium. Als Sophie Friederike Auguste von Anhalt-Zerbst in Stettin am 2. Mai 1729 geboren, bestieg sie 1762 den Thron Russlands an der Seite Peters III. Sie stürzte ihn keine sechs Monate später, um ohne jeden dynastischen Anspruch und unter Ausschluss ihres Sohnes Russland zu regieren. Ihre Zeit als Kaiserin gilt wie sonst nur die Peters I. als eine Periode herrschaftlicher Reform und außenpolitischer Expansion, die beide gleichermaßen imperiale Größe und Russlands Aufstieg zur Weltmacht bedeuteten.

Legitimation durch eine aufgeklärte und gute Regierung sowie durch eine Vergrößerung des Reiches waren die Leitlinien ihres herrscherlichen Selbstverständnisses bis zu ihrem Tode 1796.1 Das vorliegende Buch will diesen Leitlinien folgen. Zugleich soll es ein Beitrag zu einer politischen Biografie der Kaiserin im Kontext der Geschichte Russlands ihrer Zeit sein. Gesellschaftliche Strukturmerkmale des Zarenreiches wie Leibeigenschaft und geringe Urbanisierung, die Transformation der petrinischen Dienstgesellschaft und die Herrschaftsform der Autokratie sowie Multiethnizität und Multireligiosität werden ebenfalls Gegenstand sein, denn alle diese Bereiche waren Felder ihres herrscherlichen Handelns.

Katharina als Herrscherin ist hierbei im europäischen Vergleich zu sehen. Nicht selten wird sie als typische Vertreterin des viel diskutierten aufgeklärten Absolutismus gesehen und hier etwa mit Friedrich II. und Joseph II. oder aber dessen Mutter Maria Theresia verglichen.2 Zwar wissen wir heute, dass der Anspruch, absolut zu herrschen, in weiten Teilen bloßer Anspruch blieb, denn weder konnten die Herrscherinnen und Herrscher in der Fläche auf ihre ganz unterschiedlich verfassten Untertanenschaften zugreifen, noch konnten sie dies ohne die Herstellung eines Konsenses mit den Eliten tun, der immer wieder ausgehandelt werden musste; doch schon die Formulierung des Anspruchs und dessen Akzeptanz im zeitgenössischen Diskurs waren politikrelevant.3 Insofern diente (höfische) Repräsentation immer auch der kommunikativen Untermauerung eines herrscherlichen Anspruches.

Die Unterschiede zwischen den europäischen Herrscherinnen und Herrschern lagen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in den repräsentativen und kommunikativen Strategien und in den Ressourcen, die hierfür zu Gebote standen. Katharinas Handeln hier im Vergleich darzustellen, ist deshalb interessant, weil sie anders als etwa Maria Theresia auch eine ›kommunikative Expansion‹ betrieb, indem sie sich mit ihren Briefen und Werken in die République des Lettres Europas einzuschreiben suchte.4

Damit sind die außenpolitischen Dimensionen ihrer Regierung und die internationale Verflechtung des Russischen Imperiums in Europa angesprochen. Die beiden Kriege gegen das Osmanische Reich mit ihrer jeweils folgenden Südexpansion und die drei Teilungen Polens, aber auch der Bayerische Erbfolgekrieg mit Russlands gestärkter Position im Reich, der Krieg gegen Schweden und die Französische Revolution heben ihre Herrschaft auf eine europäische Ebene. Expansion in Konzepte aufgeklärter Herrschaft zu integrieren, war eine Herausforderung, die sie annahm. Territoriale Expansion und geopolitische Einflussnahme waren für sie als Felder politischen Handelns ebenso bedeutsam wie die ›gute‹ Regierung des Imperiums und sollten dazu dienen, Russland Akzeptanz als europäischer Macht zu verschaffen.

Katharina sah sich als beispielgebende Herrscherin im Zeitalter der Philosophen, die ihre Herrschaft durch Lektüre von staatsrechtlicher und ›aufgeklärter‹ Literatur untermauerte. Bildung, Transfer von Kultur und Wissenschaft dienten ihr als Mittel der Modernisierung des Reiches5 und der Rationalisierung von Politik und Verwaltung. Die Schere zwischen dem Anspruch, den die Kaiserin selbst erhob, und den sozialen Spannungen, die sich etwa in dem größten Volksaufstand der russischen Geschichte unter Emeljan Pugačev (1773–1775) entluden, war ihrem Handeln eingeschrieben.6 Ebenso bedeutsam ist der Umstand, dass aufgrund ihrer langen Regierungszeit sowie vor dem Hintergrund der Französischen Revolution und der Entwicklungen der ›Sattelzeit‹7 ihre Art, Herrschaft auszuüben, schon vor ihrem Tod als ›vergangen‹ erschien.

Als sie 1796 starb, schrieb ein Zeitgenosse vielsagend, dass Katharina ›der Große‹ gestorben sei.8 Er zollte damit einer Regierung Tribut, deren Mittel und Strategien all jene Elemente aufwiesen, die Erfolg versprachen – und jene waren männlich konnotiert. Zugleich setzte mit dem Tod Katharinas ein Nachleben ein, das die öffentliche Wahrnehmung bis heute prägt und in dem Sensationslust und Kolportage die Frage nach ihrem politischen Handeln im klassischen Sinne oft in den Hintergrund treten ließen. Ihre Affären, ihre Favoriten, die in der europäischen Öffentlichkeit diskutierte Libertinage bei Hofe9 und nicht zuletzt die Ermordung ihres Gatten Peter haben Generationen immer wieder neu fasziniert, sodass diese Elemente der Biografie nicht selten aus dem politischen Kontext gelöst wurden.10 Durch ihre freie, unkonventionelle Lebensweise hat Katharina als Person immer fasziniert. Auch diese Elemente hatten in jedem Falle eine politische Qualität und interessieren in dieser Sicht, wenngleich sie nicht im Zentrum stehen, auch im vorliegenden Buch.11

Gegenstand dieses Buches ist die politische Dimension ihres Lebens – ihre Reformen und die von ihr vorangetriebene Expansion des Russischen Imperiums an sich, aber auch deren Inszenierung zur Erlangung von Geltung und Prestige. Zugleich geht es um die Diskussion der von ihr selbst aufgestellten Maxime, dass man den Herrscher an das Recht binden müsse – in einer dem Reich angemessenen Weise.12 Ein solcher Anspruch als Leitmaxime ist seit den Thronfolgemanifesten, mit denen sie ihre Thronbesteigung und den Sturz Peters III. begründete, ihre Legitimationsstrategie gewesen.

Wie gut kannte sie ›ihr‹ Reich und seine multireligiöse und multiethnische Untertanenschaft? Auch das Imperium als Herausforderung und Kategorie für herrscherliches Handeln wird darzustellen und in die Erörterung miteinzubeziehen sein.13 Eine allumfassende Biografie Katharinas II. ist nicht angestrebt und wohl auf absehbare Zeit unmöglich. Noch immer schlummern ungesehene Handschriften Katharinas in den Archiven und zugleich ist eine Unzahl von Publikationen über sie erschienen. Während sie in der Sowjetunion kaum im Zentrum des Interesses historischer Forschung stand und stehen durfte, hat man sich ihr in postsowjetischer Zeit intensiv und vor allem mit Blick auf die Hofgeschichte zugewandt. Dies bedient das Interesse an Personengeschichte einerseits, anderseits das Interesse an einer Erzählung der russischen Geschichte, die das Imperium im territorialen und im Sinne der Geltung ›groß‹ macht.14

In jedem Fall steht dieses Buch auf den Schultern von Riesen. Nach wie vor ist Isabel de Madariagas Russia in the Age of Catherine the Great15 in der Verbindung von biografischem Ansatz und Zeitpanorama unübertroffen. Dies gilt sowohl für die Detailliertheit der Darstellung als auch für den umfassenden Zugriff. Andere Autoren wie John T. Alexander und Simon Dixon betonten eher die Herrscherin in ihren persönlichen Beziehungen und ihrer höfischen Umwelt – Themen, die auch im postsowjetischen Umfeld neue Konjunkturen erlebten und erleben.16 Jüngst fügte Francine-Dominique Liechtenhan durch die Nutzung päpstlicher Archive neue Sichtweisen hinzu.17

Feststeht, dass jede Generation von Katharina II. und ihrer Herrschaft neu fasziniert ist, sie aber anders liest und deutet.18 Kategorien historischer Größe verändern sich; das Russische Imperium wird gerade am Beginn des 21. Jahrhunderts neu konzeptualisiert und natürlich auch immer aus der jeweiligen Gegenwart heraus verstanden. Ich folge hier einem Ansatz, der die Kulturgeschichte des Politischen mit einer Gesellschaftsgeschichte Russlands zusammenbringt und dabei die Perspektive der Herrscherin in den Mittelpunkt stellt. Diese speiste sich im Falle Katharinas aus einem sich über Jahrzehnte hinweg entwickelnden Koordinatensystem, das sich schon in ihrer Großfürstenzeit ausprägte und erst recht in ihrer Regierung fortentwickelte.

Es ging ihr um Legitimation und Legitimität durch gute Herrschaft. Diese wurden befördert durch das öffentlichkeitswirksame Reden und Handeln. Hinzu traten das Implementieren und die Umsetzung von Reformen einer Herrscherin, die bereit war, oder es doch zumindest so postulierte, sich selbst an das Recht zu binden. Und es ging bei ihrem Handeln in den Kategorien des internationalen Prestiges auch um Geltung durch Expansion.

Katharina II. war nicht die erste Kaiserin von Russland. Peter I. hatte seine Frau Katharina I. nicht nur zur Kaiserin krönen lassen und selbst 1722 den Imperatortitel angenommen, um die von ihm beanspruchte Bedeutung zu unterstreichen; seine Frau folgte ihm in Amt und Titel nach.19 Kaiserin Anna, Peters Nichte, regierte Russland zehn Jahre, Elisabeth, Peters Tochter, regierte Russland 20 Jahre.20 Weibliche Herrschaft war also ein der Untertanenschaft des Imperiums wie den europäischen Mächten vertrautes Phänomen und wurde weder in Russland noch an den europäischen Höfen in Zweifel gezogen. Auch der legitimatorische Bezug auf Peter I., den Katharina immer wieder suchte, war insbesondere von Elisabeth ubiquitär genutzt worden.

Was Katharina von ihren Vorgängerinnen unterschied, war ihr enormes Arbeitspensum, ihr Interesse auch am Funktionieren von Staat und Gesellschaft insgesamt, ihre Liebe zum Detail und nicht zuletzt ihre Bildung und ihr Intellekt. Letztere bildete sie erst in Russland aus und zwar in jenen langen Jahren als Großfürstin an der Seite ihres Mannes, des Großfürsten Peter, der als Gottorfer Herzog Karl Peter Ulrich landfremd war wie sie selbst. Russland, seine Gesellschaft, die Hauptstadt, der Hof und die mit ihnen verbundenen Lebenswelten waren ihnen beiden unbekannt. Beide aber befassten sich auf ganz unterschiedliche Weise mit jenem Land, in dem sie den Rest ihres Lebens verbringen sollten.

Katharina die Große

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