Читать книгу VIRDULA Endlosgeschichten Band 3 - Jay H. Twelve - Страница 6

1. DIE ERSCHÜTTERNDE ERKENNTNIS DES PRIESTERS DONOVAN

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An diesem herrlichen Morgen wachte Priester Donovan nass geschwitzt auf, nicht nur wegen der Tropenhitze auf der Insel Palau, der Feuchtigkeit und des Lichts der aufgehenden Sonne. Seit man ihn vor dreieinhalb Monaten aus dem feuchten, kalten Irland in das feuchte, warme Palau entsandte, liefen die neu installierten Klimaanlagen in allen Räumlichkeiten auf vollen Touren, in denen er sich tagsüber aufhielt. Das war das einzige brauchbare Zugeständnis seiner Brüder im Glauben, ihm das Leben auf der Insel erträglicher zu machen.

Der Priester Donovan musste dafür auf viele Bequemlichkeiten seiner Diözese in Irland verzichten. Er war sein Leben lang ein geselliger Sonderling. Einer, der sich überall wo er ohne Vorwarnung versetzt wurde, wie ein Mundharmonika spielendes Chamäleon anpassen konnte. Eben diese Mundharmonika, die er wie ein Virtuose spielte, war sein Zaster und Laster zugleich. Sein Zaster insofern, dass er rein privat den Kindern Musikunterricht erteilte. Abends sorgte er in der Ortskneipe für beste Stimmung gegen Freibier und Whisky.

Sein Laster dagegen pflegte er auf vielseitige Weise. Als Beichtvater für Jugendliche und Erwachsene war er stets auf dem neuesten Stand seiner sündigen Schäflein. Wo geholzt wird, fallen auch einige Späne für den geilen Ziegenbock ab. Der lustige Priester Donovan war diesbezüglich nicht wählerisch. Er widmete sich den Müttern zur Hauptmahlzeit und den Töchtern zum Nachtisch. Diesbezüglich machte er sich nie Gewissensbisse. Als uneheliches Kind einer ihm unbekannten Nonne träumte er oft, seinem Erzeuger in Kardinalsrobe begegnet zu sein. So weit entfernt von der Wahrheit lagen diese Träume nicht. Immerhin kannte er ja nur solche hochgestellten Hochwürden, die ihn von einer zur anderen Sonderschule begleiteten. Ihn in vielerlei Künste des geheimen Lebens unterrichteten, ihm das Onanieren beibrachte, sich gelegentlich selbst im Duett befriedigten und allerlei nützliche Überredungskünste einstudierten. Priester Donovan erlebte schon früh die Hölle auf Erden, daher glaubte er nicht einen Augenblick daran, dass es woanders ein Paradies geben könnte.

Er konnte sich genauso wenig einen gütigen Gottvater im Himmel vorstellen, zumindest nicht, so lange sein Erzeuger und seine Erzieher auf dieser Erde das Sagen haben. Den Teufel dagegen kannte er in vielerlei Versionen persönlich. Er war sich dessen ziemlich gewiss, einer der Söhne von ihnen zu sein, die ihn durchs Leben begleiteten. Er war sich auch einer weiteren Tatsache sicher, dass das teuflische an diesen Verführern die er kannte, ihre dreiste Inanspruchnahme des Prädikats „Heilig“ führte. Den Glaubensgemeinden vorenthaltene, verschlagene Gesinnung, stand im großen Widerspruch zu dem was er sich unter dem Heiligtum jemals vorstellen konnte. Auch diese unmissverständliche Erkenntnis störte ihn nicht im Geringsten. Schließlich müssen auch die Teufel ihren Prinzipien treu bleiben, sonst wären sie keine Teufelchen nicht wahr? Wer ist schon das was er vorgibt zu sein?

Priester Donovan setzte sich auf die Bettkante streifte durch seine verschwitzte Haarpracht, wischte die feuchte Hand am Bettlaken ab. Der Albtraum setzte ihm wieder einmal heftig zu. Er zog sein nasses Nachthemd aus und schmiss es quer durch den Raum in Richtung Badezimmer. Abgestützt auf seinen wulstigen Schenkeln verharrte er eine Weile in Gedanken vertieft. Seine Kindheit bestand aus lauter Verkettungen von Albträumen im Wachzustand oder Schlaf. Er wusste nie was schlimmer war.

Mit den Jahren nahmen die gruseligen Träume mehr und mehr ab. Seine Ausbilder kannten viele wirksame Methoden, dagegen zu steuern. Seelsorger Brauchtum nannte man es in seiner Branche. Eines aber konnte er nie verstehen, worauf er stets eine plausible Antwort suchte: Warum macht man Waisenkinder zu allererst zu seelischen Wracks, um sie im Nachhinein jahrzehntelang seelisch zu heilen. Des Teufels Wege sind unerforscht, diese ernüchternde Erklärung reichte ihm persönlich nicht. Er vermarktete diesen Lehrsatz wann auch immer er seiner Gläubigergemeinde keinen reinen Wein einschenken konnte. Allerdings benutzte er das Wort „Teufel“ nie.

„Reiß dich zusammen Junge“, sagte er laut, klopfte sich auf die Knie und stand auf. Er schwankte splitternackt durch den Raum, bückte sich nach dem Nachthemd, ging ins Badezimmer, warf das Hemd in den Wäschekorb und stieg unter die Dusche. An das lauwarme Wasser aus der kalten Wasserleitung konnte er sich in den Tropen nicht gewöhnen. Eine eiskalte Dusche wäre heute von Nöten, ihn aus diesem Albtraum wach zu rütteln. Er machte sich einen Gedächtnisknoten die Handwerker zu beauftragen, einen extra Wasserboiler für eiskaltes Wasser zu installieren. Sein Budgetrahmen war längst nicht erschöpft.

„Ausgerechnet diese Nutte musste mir im Traum erscheinen“, flüsterte er erregt, während er seine Genitalien einseifte. Von dieser bestimmten sehr umstrittenen Nutte erzählten ihm seine Ausbilder sehr wenig. Aus welchem Grund auch immer waren die Ausbilder stinksauer auf dieses Weib. Er selbst kannte sich bei den Herren bestens aus, konnte aber beim besten Willen und durch Nachforschungen keine Hurenhaftigkeit an diesem Weib entdecken. Er selber war Kaufmann genug um zu wissen, was Werbesprüche oder Warenkataloge alles versprechen, insbesondere solche Kataloge, die nur heiße Luft anpriesen.

Schon lange wunderte er sich, wie seine Firma so viele Jahrhunderte so viel Vermögen zusammenraufen konnte, in dem sie geweihte Briefchen für teures Geld verkauften und der Kundschaft dafür einen Platz im himmlischen Paradies versprach. Priester Donovan war durch und durch aufgeklärt, abgebrüht und abgehärtet. Nichts wunderte ihn mehr, bis auf die Erscheinung dieser Frau in seinem Traum.

„Das war ein echter Hammer“, musste er sich beim Abtrocknen vor dem Spiegel gestehen. „Dieses Weib hat Mumm, das muss man ihr lassen.“ In diesem Moment wurde ihm plötzlich klar, dass er von einer Frau sprach, die älter als seine Firma war. Der Traum schien so realistisch, dass er ihn in die Wirklichkeit hineingetragen hatte. Trotz der feuchten Wärme seines Badezimmers bekam er Gänsehaut. Ein seltsames mulmiges Kältegefühl machte sich in seiner Magengrube bemerkbar. Priester Donovan wickelte schleunigst das Badetuch um seine Hüfte, eilte barfuß durch das Schlafzimmer in den Wohnraum, öffnete den Getränkeschrank, griff nach der ersten Flasche, entkorkte sie und nahm einen kräftigen Schluck um seinen Durst zu löschen. Dieser Fusel brannte wie Feuer die Speiseröhre hinunter, traf den leeren Magen wie eine Bombe. Dieser hastige Schluck vermochte nicht im Geringsten sein mulmiges Gefühl zu lindern. Als er die Flasche zum zweiten Schluck zu Munde führte, explodierte sein Mageninhalt mit solch einer Heftigkeit, dass er seine Hand, die Flasche und den Getränkeschrank damit überschüttete. Eh er begriff was mit ihm passierte, gaben seine Knie nach. Die Hand konnte die Flasche nicht mehr halten, er sank mit ihr zu Boden. Erstaunlicherweise erlebte er alles bei vollem Bewusstsein, sah was ihm soeben passierte ganz klar, allerdings war er unfähig seinen Körper zu kontrollieren. Statt Panik empfand er ein Glücksgefühl bis dahin unbekannter Tiefe. Die Lähmung dauerte nur wenige Sekunden und doch überkam ihn das Gefühl der Zeitlosigkeit.

Der Kälteklumpen in seinem Magen löste sich allmählich auf. Er merkte dass ihm seine Pobacken vom Aufprall weh taten. Der Gestank und der verschüttete Alkohol vermischten sich, er schimpfte über sich und sein Missgeschick. So machte er zunächst einen Versuch sich auf den Bauch zu legen. Mit ein wenig Mühe drehte er seinen Körper um, versuchte so auf die Knie zu kommen. Er richtete sich auf, dass er den Tischrand mit den Händen packen konnte. Kniend verharrte er einige Sekunden in dieser Pose, bis er es endlich schaffte, sich auf die noch wackeligen Beine zu stellen.

Was seine Aufmerksamkeit sofort weckte war ein dickes, in Altleder gebundenes Buch. Bis auf eine Blumenvase, dem Kristallaschenbecher und dem Buch lag nichts weiter auf dem Tisch. Er erblickte sein blasses Gesicht auf der aus feinem Edelholz polierten spiegelglatten Tischplatte. Automatisch legte er die Hand auf das Buch, als wollte er es wegwischen. Ohne eine Sekunde zu rätseln schoss es ihm durch den Kopf, dieses Buch hatte er noch nie gesehen. Eine Erklärung dafür wie es auf den Tisch gelangte fand er nicht.

Gestern Abend saß er hier mit vier Männern zusammen. Vor dem Schlafengehen lüftete er den Raum vom starken Zigarettenrauch, räumte den Tisch auf und schloss auch die Tür hinter den Gästen zu. Außerdem war er gegen zwei Uhr wach geworden, taumelte in die Küche um ein Glas Wasser zu trinken. Anschließend ging er ins Bad um das viele Bier das er mit den Männern getrunken hatte, loszuwerden. Er war sich definitiv sicher, das Buch lag zu diesem Zeitpunkt nicht auf dem Tisch.

Auf diesem Buch lag ein gefaltetes Blatt Papier. Vorsichtig nahm er das Blatt in die Hand und las die handgeschriebene Nachricht:

„Bruder Donovan,

in Ergänzung zu meiner Unterweisung von heute morgen, lies bitte dieses Buch sorgfältig durch. Es beinhaltet Beweismaterial über den von dir geäußerten Zweifel, hinsichtlich der Bruderschaft. Nimm bitte zur Kenntnis, dass dieses Buch nur für dich wahrnehmbar ist. Du kannst dieses Buch jederzeit in Anwesenheit dritter Personen aufschlagen und die im Buch dargebotenen Sachverhalte vorlesen. Für die Anwesenden bleibt dieses Buch unsichtbar. Hier steckt kein Zauber eines außerirdischen Wesens dahinter. Es handelt sich lediglich um ein neues technisches Verfahren, materielle Dinge von einem zum anderen Ort mittels Quantenenergie zu transformieren. Nur die dafür sensibilisierten Menschen sind in der Lage, ein auf diese Weise erzeugtes Hologramm wahrzunehmen. Bilde dir bitte nicht ein, ein auserwählter oder erleuchteter Priester zu sein. Dir wird der Zugang zu diesen Informationen deswegen eingeräumt, weil du im Auftrag einer extrem destruktiven Interessengemeinschaft tätig bist. Welche Schlussfolgerungen du aus dem Beweismaterial gewinnst, wozu du es anwendest, überlasse ich deiner freien Entscheidung.“

M.M.

PS. „Bevor du anfängst zu lesen, wäre eine Reinigung des Raumes angebracht, es stinkt fürchterlich, und zieh dir etwas an.“

Priester Donovan las die Notiz mit geöffnetem Mund und erstarrtem Unterkiefer zum wiederholten Male. Er drehte sich regungslos zum Fenster, erwartete im Ernst die Gestalt der M.M. zu entdecken. Was er durchs Fenster erblickte waren im Wind tanzende Palmwedel und die Sonne, die ihn vom hellblauen Himmel anstrahlte. Trotzdem eilte er zum Fenster zog hastig die Vorhänge zu. Ohne groß zu überlegen löste er das Badetuch von der Hüfte, ging in die Knie und begann den beschmutzten Boden zu reinigen. In diesem Moment der Erkenntnis befürchtete er im Ernst, dass sein Darmmuskel versagte.

Es dauerte mehr als eine halbe Stunde ehe er so weit war, sich endlich mit einem heißen Tee an den Tisch zu setzen. Das Fenster stand jetzt weit geöffnet, zusätzlich lief der Deckenventilator auf vollen Touren. Dennoch wollte er sich eilig vergewissern, ob nicht doch irgendwelche Spuren von nächtlichen Eindringlingen Richtung Strand zu sehen waren. Beruhigt ging er zurück in sein schmuckes Häuschen.

So saß er nun entspannt am Tisch diesmal in ziviler Kleidung, ohne Symbole seiner Glaubenskongregation. Unbeachtet dessen, dass er ein abgebrühter Profi war, fühlte er sich in der gewöhnlichen Straßenkleidung wesentlicher wohler, als in der schwarzen Soutane mit dem Quäntchen weißer Kragenpracht. Er war immer der Ansicht, dieses Quäntchen weißer Stoff war das Symbol für den Restbestand der Unschuld seiner Bruderschaftsgesinnung. Das Taubengrau der Nonnenkleidung und das klein bisschen weiß am Adamsapfel galt für den Knaben Donovan als Symbol der Verlogenheit schlechthin. Er bekam mehr Prügel von diesen Weibern als er zählen konnte. Am meisten hasste er den Ring der Hochwürden, dessen Härte er oft spürte. Den Mief der verkorksten Männlichkeit, den sie in ihrer unmittelbaren Umgebung verbreiteten, trotz mehrfach überzogener Röcke. Wer auch immer der Modeschöpfer seiner Bruderschaft gewesen sein mag, muss wohl entsetzlich viel Hass auf die Mutterkirche gehabt haben. Eines musste man diesem Modeschöpfer dennoch lassen, dass er wohl ein ehrlicher Mensch gewesen sein mag. Die Auswahl der Farben Schwarz, Purpur, Rot und Taubengrau offenbarte vortrefflich die Gesinnung dieser verlogenen Moral. Die zivile Kleidung im Tropenkaki gab dem Priester Donovan das Gefühl, dem satanischen Einfluss beinahe entronnen zu sein. Irgendwo in einem der vielen Klöster die er durchlaufen musste, kritzelte einer seiner Kommilitonen einen Spruch an die schmutzige Toilettenwand:

„Wer die eigene Seele zutiefst hasst, kleidet sich in den Farben der Toten.“ Darunter schrieb jemand anderes seinen Kommentar:

„Wer dem Teufel in den Arsch schaut, darf schwarz tragen. Ein klein wenig weiß ist erlaubt.“

Priester Donovan war sich zum ersten Mal bewusst, welche befreiende Wirkung die Zivilkleidung in diesem Moment auf ihn ausübte. Er las die sonderbare Notiz noch einmal durch. Schlussendlich faltete er den Zettel so klein es ging zu einem Würfel zusammen und steckte ihn in die Brusttasche.

Er traute sich nicht das dicke Buch anzufassen. Nicht weil er eventuell vor alten Büchern Ehrfurcht hatte. Die alten nach Schweiß und Bleitinte stinkenden Wälzer hasste er wie die Pest. Vielmehr zwang ihn der Scharfsinn eines abgebrühten Sprengstoffexperten, unerwartete Geschenke mit Vorsicht zu behandeln. Daher beugte er sich zum Rand des Buches und schnüffelte wie ein Hund daran. Unverkennbar vernahm er den intensiven Duft von Jasmin. Sein von Paranoia befallenes Hirn entwickelte sofort einen sehr abwegigen Gedanken. Er konnte sich durchaus vorstellen, dass ein abgebrühtes Weib wie die M.M. das Nitroglyzerin mit Jasminblüten zur festen Masse gemischt hat, damit niemand einen Verdacht schöpft. Er setzte sich wieder hin und las den Titel, der in Goldschrift ins Altleder eingeprägt war:

„Die Aktivitäten des Opus Dei im Dienste der illuminierten Idioten“ Darunter drei Namenskürzel: M.M./J.P./M.P.

Wer M.M. ist wusste er schon aus dem Traum. Die Kürzel J.P. und M.P. blieben ihm ein Rätsel. Kurz entschlossen stand er auf, ging in die Küche, suchte das längste Messer das er finden konnte. Ohne sich hinzusetzen schob er ganz behutsam das Messer unter den Buchdeckel. Von Anfang bis Ende kein spürbarer Widerstand zu bemerken. Mutig hob er den Deckel mit der Messerspitze leicht an, bückte sich um darunter zu schauen. Nichts Verdächtiges konnte er entdecken. Entspannt setzte er sich hin. Mit den Fingerspitzen hob er die äußere Ecke langsam hoch. Verblüfft stellte er fest, dass er gar kein Gewicht des Deckels wahrnehmen konnte. Erst dann fiel ihm ein, das Buch sei ein Hologramm dessen, was woanders als Materie existierte. Irgendein neumodischer Hokuspokus der Elektroniker oder ähnliches, versuchte er das Phänomen zu erklären.

Die erste Seite des Buches war schneeweiß. Lediglich in der Mitte stand ein kurzer Hinweis in Goldbuchstaben, eine Art Gebrauchsanweisung wie folgt geschrieben:

„Die Bilddarstellungen mit dem Zeigefinger der linken Hand leicht berühren. Nicht erschrecken, die Bilder werden dann lebendig.“

Auf einmal vor Neugierde gepackt vergaß Priester Donovan jede Vorsicht und blätterte die Seite um. Auf der linken Seite stand ein kurzer Text, diesmal in blauer Farbe gedruckt:

„Soeben erhielten wir die chiffrierte Anweisung von H.K. Washington DC. Die in Rabaul vorhandenen unterirdischen Tunnel (von den Japanern 1942-1944 für militärische Zwecke ausgegraben) als geeignetes Depot für Sprengstoff zu verwenden. Die Zielpersonen befinden sich noch im Simson Hafen und warten auf die Ankunft eines befreundeten Kapitäns - Stopp -

Altes Munitionsdepot der Japaner siehe Skizze auf der rechten Seite -stopp-

Zeitzünder sind schon im braunen Koffer am Flughafen in der gecharterten Maschine geladen - Stopp -

Nehmen Sie nur leichtes Gepäck mit - Stopp -

Abflugzeit 17. Mai 1967 um 13 Uhr - Stopp -

Alle weiteren Instruktionen im braunen Koffer enthalten - Stopp -

Wünsche gute Reise - Stopp -

Admiral A.J.

Priester Donovan las den Text dreimal durch, um sich der Tragweite dieser Anweisung voll bewusst zu werden. Erst dann betrachtete er die rechte Seite des Blattes.

Die ganze Seite zeigte einen Ausschnitt einer Seekarte, die das Hafenbecken sowie Umgebung von Rabaul in feinen kaum sichtbaren Linien darstellte. Dagegen war das unterirdische Tunnelnetz das die Japaner im zweiten Weltkrieg mit Hilfe von Tausenden Kriegsgefangenen und von sonst wo angeschleppten, versklavten Menschen ausbuddeln ließen, mit dicken braunen Linien gekennzeichnet.

Die Eingänge in das Tunnelnetz symbolisierte ein kleiner schwarzer Kreis, aber die Munitionsdepots, bzw. potentielle Sprengladungen waren mit X-Kreuzen in roter Farbe markiert. Ihm fiel sofort auf, dass die roten Kreuzchen einen Halbkreis rund um die Stadt und den Hafen bildeten.

Priester Donovan verstand eine Menge von subversiven Techniken sowie die enorme Zerstörung der angeordneten Sprengladungen. Nacheinander gezündet, in einem Zeitabstand von wenigen Sekunden als Kettenreaktion gedacht, brächte diese gigantische Menge an Zeug die ganzen umliegenden Berge zum Abrutschen. Die Zerstörung der Stadt mit dem Hafen wäre die Folge.

Vor seinen geistigen Augen vollzog sich gerade solch ein Szenario. Vor Schreck wurde ihm wieder mulmig im Kopf und Bauch. Er hatte noch nie von der Existenz dieser unterirdischen Tunnel gehört, genauso wenig von der Stadt und der Insel, auf der er demnächst ein großes Unheil anrichten sollte. Er kannte sich sehr gut in Europa, Nordafrika, Zentralamerika aus. Von Rabaul hatte er noch nie etwas gehört. Sogar das Archipel Palau auf dem er seit drei Monaten auf einen Einsatz wartete, war ihm vorher unbekannt. Was ihn am meisten zu schaffen machte, war die Erkenntnis, dass man ihn für diesen Auftrag auswählte.

„Das soll also meine letzte Reise und letzte Dienstleistung in meiner Karriere sein“, flüsterte er leise, als fürchtete er dass jemand mithörte.

In seiner erfolgreichen Laufbahn in der Bruderschaft brachte er so manches Gebäude zum Einsturz, aber eine ganze Stadt zu begraben, das ging auch über sein Vorstellungsvermögen weit hinaus. Er kannte sich in der Geschichte des römischen Reiches aus, deren unersättlicher Drang, die ganze Welt zu beherrschen. Römisches morbides Verlangen nach monumentalem Größenwahn. Abschlachten, Zerstören, neue Symbolbauten in noch gigantischeren Formen zu errichten, deren krankhaftes Bedürfnis die seelische Schäbigkeit durch Gigantomanie zu ersetzen.

Priester Donovan bekam immer das große Kotzen wenn er vor dem Petersdom stand und das Ausmaß dieses Gebäudekomplexes betrachtete. Er fragte sich, wie auch viele seiner aufgeklärten Brüder, wie viel Raum braucht der Satan um sich großartig und erhaben zu fühlen? Ob Synagogen, Moscheen oder andere Schurkentempel. In ihrem Größenwahn sind alle Teufel dieser Erde gleich.

Eine weitere Erkenntnis die diesen Größenwahn ergänzte, raubte ihm den Atem. Der gigantische Tunnel auf dieser von aktiven Vulkanen umzingelte, kaum jemandem bekannten Insel. Er kannte viele geheime Tunnel, Bunkerbauten, Burgen und Wehranlagen der Welt. Welchen kolossalen Zwist dem männlichen Wahn innewohnte, Burgen und Verkriechlöcher zu bauen, um ihre beschissenen Ärsche im Schutz zu wissen, gewaltiges Waffenarsenal aufzutürmen, um seinesgleichen in die Hölle zu jagen. Der männliche Größenwahn, sein Hass auf die eigene Seele ist unermesslich. Wenn es überhaupt einen Gottvater im Himmel gäbe, dann muss es sich wohl um einen ausgestoßenen irrsinnigen Geist handeln, der seine krankhaften Perversitäten durch den männlichen Wahnsinn ausleben lässt.

Eine andere Erklärung für den abscheulichen Plan der Japaner einen Tunnel in Rabaul zu bauen und jetzt durch seine Auftraggeber die Sprengladungen platzen zu lassen, konnte er in diesem Moment nicht begreifen. Das Ausmaß der Perversität des teuflischen Denkens, scheint beispiellos zu sein. Während eine konstruktive Gattung Mann-Mensch die Zivilisation immer von neu aufbaut, sogar großzügig für die heiligen Teufel bombastische Tempel errichtet, grübelt die andere Gattung Mann-Teufel wie sie sich gegenseitig ihre Tempel zerstören, um noch größere danach zu errichten.

Die ganze Kulturlandschaft der sogenannten Zivilisation besteht aus Ruinen vorausgegangener Schlachten der Wahnsinnigen. Wie ausgeschlagene, abgebrochene Zähne betrunkener Schläger erheben sich die Kulturgüter, doch niemand nimmt sie als Mahnung wahr. Er, Donovan wusste es besser. Es reichte ein einziger Teufel in der Kutte irgendeiner verfluchten Sekte, um den nach Ruhm süchtigen Männern das Hirn zu waschen. Diese Blödmänner glaubten an alles und jeden, der ihnen Ruhm und Reichtum auf Erden und Seelenheil im Himmel versprach.

- Wo das Wissen nicht Zuhause ist, zieht der Glaube ein

- Wo sich der Glaube einnistet, zahlt er keine Miete

- Dreist wie er ist, reißt er sich Haus und Hof unter den Nagel

- Arrogant wie er ist, weigert er sich vehement dem Wissen Zutritt zu gewähren

- Dumm wie er ist, weiß er nicht, dass das Zuhause des Wissens die Unendlichkeit des Universums ist

- Blind wie er ist, wünscht er sich alle wären blinder als er

- Sündig wie er ist, redet er jedem die Sünde ein

- Machtgierig wie er ist, möchte er alle beherrschen

- Habgierig wie er ist, versucht er alle über den Tisch zu ziehen

- Verlogen wie er ist, handelt er im Namen einer- oder mehrerer Gottheiten, dessen Existenz er nicht nachweisen kann

- Destruktiv wie er ist, verleitet er die Gläubigen Kriege gegen Ungläubige zu führen

- Verlassen kann er sich auf die Gutgläubigkeit der Unwissenden.

- Seinen Machtanspruch baut er auf die Vollmachten der Gutgläubigen

- Die Summe aller Vollmachten der unwissender Gläubigen ergibt das Wesen Gott

- Das Wesen Gott ist immer auf dem gleichen Wissensstand, wie die unwissenden Gutgläubigen.

- Angst ist die Wiege der Unwissenden durch den Glauben

eingeschläfert, der Wahrheit entzogen, von falscher göttlicher Gerechtigkeit betrogen,

vom Verwalter des Glaubens beraubt,

von halbwegs Wissenden ausgelacht,

von Weisen beweint,

von Andersgläubigen erschlagen,

von Ungläubigen zu Grabe getragen.

- Mein Name ist Glaube, jetzt wisst ihr was ich will.

Priester Donovan fiel die Erkenntnis wie Schuppen von den Augen, dass er soeben eine Verwandlung vom Saulus zum Paulus durchlebte.

„Nein, nein, nein“, rief er laut. „Der Saulus ist ein Chamäleon das nach Bedarf mal Paulus, mal Saulus sein kann, in der Regel jedoch ein Saul-Paulus ist.“

Über diese Definition musste er so herzhaft lachen, dass es bis zum Strand hin zu hören war. Dieses befreiende Lachen löste das mulmige Gefühl in seiner Magengegend auf. Jetzt als neugeborener Zivilist Donovan wischte er sich die Lachtränen aus den Augen. „Wenn alle Saul-Paulusse nachempfinden könnten wie gut es mir tut, ein Ex Saul-Paulus zu sein,“ dachte er weiter.

Erleichtert streckte er mutig den Zeigefinger seiner linken Hand und berührte das Bild auf der rechten Buchseite. Die Seekarte löste sich Augenblicklich auf, dafür erschienen viele kleine Bildquadrate. Der erleuchtete Donovan berührte vor Freude weitere Bilder und musste erneut herzhaft Lachen. Dieses M.M. Weib schien wahrlich den Sinn für Humor nicht verlernt zu haben.

Als er sich etwas beruhigt hatte, betrachtete er die einzelnen Bilder genauer. Das erste Bild zeigte in der oberen linken Ecke einen dicht mit Tropenpflanzen bewachsenen Felsvorsprung. Es geschah etwas merkwürdiges, worauf er nicht vorbereitet war. Das Gebüsch teilte sich vor seinen Augen und eine mittelgroße Öffnung im Felsen wurde sichtbar. Nicht nur das, er empfand sich leibhaftig vor diesem Loch zu stehen, den Duft der Pflanzen zu riechen, die zahlreichen Insekten von der Nase wegzuscheuchen. Ehe er begreifen konnte wie ihm geschah, trat er mutig in den Tunnel ein.

Die elektrische Beleuchtung aus der Kriegszeit hing verrottet an der Decke. Als wenn von ihm selbst ein Licht ausstrahlte, erhellte es den Tunnel um ihn herum. Drinnen fühlte es sich feuchtwarm an, es stank sehr stark nach Altöl und Eisenrost. Donovan durchlief den Tunnel in rasender Geschwindigkeit ohne es recht wahrzunehmen. Plötzlich stand er vor einem geöffneten Tor aus Stahlplatten, getarnt aus felsigem Material. Ohne zu zögern spazierte er durch das Tor. Keine zehn Schritte weiter stand ein Pritschenwagen mit drei U-Boot Torpedos beladen. Eine endlose Reihe von ähnlichen Ladungen entdeckte er weiter im Tunnel. Allein diese Sprengkörper nacheinander gezündet, hätten den Berg zum Zittern bringen müssen. Er erinnerte sich an die Seekarte auf der sechsundzwanzig solcher Depots markiert waren. Donovan zweifelte keine Sekunde daran, welche zerstörerische Kraft unter der Erde rund um die Bucht von Rabaul auf den entscheidenden Moment wartete.

Es wunderte ihn nicht, weshalb diese Depots von den alliierten Mächten in den Tagen und Monaten unmittelbar nach dem Krieg unerwähnt blieben. Donovan kannte sich sehr gut aus in der Psyche dieser Saul-Paulusse. Es ist völlig unerheblich zu wem sie sich formell bekennen, welcher Flagge sie folgen, welchen Herren sie dienen. Sie sind alle untereinander austauschbar. Mögen sie sich wie große Helden feiern, sich als Befreier der Menschheit präsentieren, sich noch so viele wertlose Blechmedaillen an ihre Brust hängen, sie sind und bleiben professionelle Killer im Dienste des Bösen.

Der Teufel dagegen ist ein feiges Chamäleon. Er kleidet sich gern im Mäntelchen der Geistlichkeit, ein Mann des Gottes, einer der immer da ist wo die Tugend der verlogenen Moral den Bauch streichelt. Einer der das Heil predigt, aber Unheil anstiftet. Einer der weiß, dass es keinen Gott außer ihm geben darf. Zumindest keinen gütigen Gott, sonst hätte er ihn, den Teufel, gar nicht erschaffen.

Der Ex-Priester Donovan wanderte im Geiste von einem zum anderen dieser unheilbringenden Waffendepots. Ihm dämmerte es langsam, warum er vom fernen Irland nach Palau versetzt worden war. Er als Sprengstoffexperte des Opus Dei, gerissen, verschwiegen und ohne jegliche Skrupel. Die Organisation Opus Dei, eine untergeordnete Spezialeinheit seines Vereins, dessen Wirtschaftszweig jeden Auftrag des Luziferimperiums erledigt, gegen einen hohen Obolus, versteht sich.

Eigenartigerweise wagte sich niemand zu fragen, wozu der himmlische Vater Geld auf solch abscheuliche Art und Weise durch Einsatz abgebrühter Krimineller eintreiben muss. Wozu braucht Gott Geld? Wenn er ein wahrhaftiger, allmächtiger, allwissender, allgegenwärtiger gütiger Gott ist, hätte er seinem Stellvertreter auf Erden ganze Berge von Goldmünzen für sein Erdendasein zur Verfügung stellen können. Schließlich wäre das im Vergleich an der Masse des Universums gemessen, einem Mückenschiss gleich gewesen. Sollte der auserwählte Papst tatsächlich der Stellvertreter Gottes auf Erden sein, müsste er sich nicht mit so einem kriminellen Pack abgeben. Der Teufel dagegen schon, sonst wäre er kein Teufel, wenn er es nicht täte.

In diesen Grübeleien versunken durchwanderte Donovan die sechsundzwanzig Waffendepots. So plötzlich wie er in den ersten Tunnel im Geiste einmarschierte, wachte er wieder in seinem Wohnzimmer auf Palau auf.

Sein Blick fiel auf das zweite Bild der Buchseite. Es zeigte eine Luftaufnahme von der Bucht, der Stadt und den umliegenden Siedlungen unterhalb der Berge. Er sah die Umgebung als Groß- und Detailaufnahme zugleich. Eine pulsierende Stadt voller Leben, Menschen, die ihrer täglichen Arbeit nachgingen, Kinder die auf der Straße Fußball spielten, Frauen mit Einkaufstüten, Fischer die ihre Netze flickten, Schiffe die ihre Ladung löschten. Er konnte fast jedem dieser friedlichen Menschen ins Gesicht sehen, ihre Worte hören, den Schweiß der Gegenwart riechen. Er war mitten unter ihnen und über ihnen zugleich.

Als er das Bild mit dem Zeigefinger berührte, explodierte das Bild vor seinen Augen. Auch sein Wohnzimmer löste sich in dieser Explosion mit dem Bild auf. Er sah und spürte wie die Erde erbebte, die Menschen von Schocklähmung erstarrten. Die Häuser in sich zusammenbrachen, ehe die Berge wie eine braune Lawine auf die Siedlungen hinunter donnerten.

Donovan spielte mit den Kindern mit dem Ball, er sah das bebende Ende und den Horror der totalen Zerstörung auf ihn zukommen. In diesem Moment begriff er die Konsequenzen seines letzten Auftrages. Ihn packte die schiere Wut vor Entsetzen seiner eigenen Tat und Dummheit. Er schrie aus voller Brust: „Verfluchtes Lumpenpack, ihr sollt alle in der Hölle schmoren.“ Dieser befreiende Schrei brachte ihn in die Wirklichkeit seines Palau Daseins zurück. Sein ganzer Körper bebte vor Entsetzen seine eigene Exekution zu erleben.

„Opus Dei, das Werk Gottes“, schrie Donovan in Rage. „Tilge durch dein Leben als Apostel den zähen Unrat“, zitierte er den Gründer der Sekte, Josefmaria Escriva. „Entzünde die Wege der Erde mit dem Feuer Christi.“

„Du dämlicher Abschaum des Abschaums aller Irrsinnigen, die sich dem Namen Christi wie mit Klopapier bedienen, und jede noch so abscheuliche Tat damit rechtfertigen. Wenn das das Werk Gottes sein soll, die Erde um die friedfertigen Leute in Rabaul anzuzünden, dann hast du dir einen falschen Sprengstoffexperten ausgesucht“, hämmerte Donovan wie wild auf den Tisch.

„Wie wäre es wenn ich die Katakomben vom Vatikan mit diesen Torpedos bestücke. Ha, was sagst du dazu ? Den zähen Unrat sollte ich vernichten, aber diesmal im Sinne eines gerechten Gottes. Den gerechten habt ihr ans Kreuz genagelt, ihr tragt ihn immer um den Hals, damit er eure Ungerechtigkeiten hilflos anschauen muss. Euch werde ich das Pulver unterm Arsch platzen lassen.“

Der Ex Priester Donovan schrie den Jahrzehnte aufgestauten Groll aus der Seele. Die erzürnte Reaktion auf das Resultat seiner Mission in Rabaul war im höchsten Maße angebracht. Der im Zorn erwähnte Gedanke, den Vatikan in die Luft zu jagen, war jedoch weniger empfehlenswert. Logisches Denken und vernünftiges Handeln unter extrem hirngewaschenen Gläubigen aller Religionen sind selten zu finden, insbesondere unter den Zöglingen des Opus Dei.

Diese Menschen waren - oder sind - jahrzehntelang dem Kadavergehorsam durch brachiale Torturen, demütigende Erziehungsmethoden ausgesetzt. Insbesondere Kinder, die hinter Klostermauern gezeugt wurden, dort zur Welt kamen und das Unglück hatten, nicht gleich nach der Entbindung lebendig begraben zu werden. Später durch die Mühlen perversester Psychopathen-Züchtiger jeder menschlichen Würde beraubt, die die Welt hinter den Mauern nur unter dem Begriff Sodom und Gomorrha kannten, nie einen Tropfen Muttermilch oder zärtliche Umarmungen erfahren durften, den Hass auf die eigene Seele als Muss empfanden, eben solchen Menschen ist Vernunft und Liebe zur Menschheit gründlich ausgetrieben worden.

Wer von extrem masochistisch veranlagten Menschen schon als Kind mehrfach mit einer fünfzackigen Peitsche traktiert wurde, täglich den Dornengürtel um die Hüfte und Oberschenkel ertragen musste, der weiß, mit welchen Irrsinnigen die religiöse Gemeinde Christi beglückt wurde. Nichts, absolut nichts erniedrigt eine Menschenseele so gründlich, wie der extreme Masochismus religiös Verwirrter, unter den selbst ernannten, auserwählten Söhnen eines Gottes, dessen angebliche Gesetze nicht nachvollziehbar sind, die aber einem jungen menschlichen Hirn durch bestialische Tortouren eingetrichtert werden.

Der irrsinnige selbsterkorene Oberguru Josefmaria Escriva war so eine Kreatur, dessen Lehrsätze abertausende von labilen Hirnen wie ein wütender Tornado in kontrollierten Irrsinn getrieben haben. Kontrollierbar in sofern, dass diese bedauernswerten Menschen den Rest der Menschheit als Produkt der Irrlehre betrachteten, sich selbst jedoch als die einzigen von Gott auserwählten zornigen Retter der Menschheit empfanden.

Wer auch immer dieser Kreatur den Namen Josefmaria gab, ahnte nicht, welche verheerenden Folgen diese Namensnennung an dem labilen Charakter des jungen Escriva anrichten sollte. Die Geschichte von Josef und Maria, die der blühenden Phantasie verkorkster Klosterhocker entsprungen war, beeinflusste den Knaben Escriva so sehr, dass er diesen Wahn hin zum Big Business entfalten wollte. Dieser hochintelligente, jedoch hirnverdrehte Junge muss inzwischen eine Menge schmutziger Wäsche bei der Kurie gewaschen haben, bevor er auf die Idee kam, die Oberschurken in die Erpresserzwinge zum Mitmachen zu bewegen. Die Erpressbarkeit muss ein gigantisches Ausmaß angenommen haben, wenn sie sich dem Willen eines irrsinnigen Menschenhassers beugte.

Der Ex-Priester Donovan der in diesem Irrsinn aufgewachsen war, der jetzt diesem Kadavergehorsam aufgekündigt hatte, brannte lichterloh in der entsetzlichen Erkenntnis seiner eigenen Taten. Das Pendel drohte von einem Extrem in ein anderes zu schwingen.

Es ist das Pendel der Schurken aller Zeiten, aus dem die Spirale der Gewaltanwendung geboren wird. Der Ursprung des Wahns der Männer, der das Vakuum des Unwissens mit schwachsinnigen Glaubenslehren aufzufüllen versucht. Worauf sich die Verkünder des schurkischen Glaubens immer verlassen konnten, ist die Gutgläubigkeit der unwissenden Menschen, deren uraltes Verlangen es ist, nach dem Sinn des Lebens zu suchen. Daher ist der unwissende Gläubige für jeden Unsinn manipulierbar. Wenn die Kleriker behaupten im Namen eines Gottvaters zu handeln, dann meinen sie damit immer die Summe aller Vollmachten der Gutgläubigen, die in ihrem Sinn erstellten Interessen manipulieren zu dürfen.

Ex-Priester, Ex-Bombenleger, jetzt erleuchteter Zivilist Donovan war sich diesen unumstrittenen Fakten voll bewusst. Vor seinen geistigen Augen durchlief er eine kurze Szene seines erlebten Traumes. Dieses Weib M.M. lachte ihm ins Gesicht und verkündete:

„Schmiede nie Rache Donovan, lach die Schurken aus, mach sie lächerlich. Zeige der Menschheit, dass diese Irrsinnigen ins Irrenhaus gehören. Milde gesagt deren Ausbildungszentren und Klöster sind im wahrsten Sinne des Wortes bereits Irrenhäuser. Die Schurken wissen es nur nicht.“

Diese Worte klangen noch lange in seinen Ohren, als er sich mit dem sonderbaren Buch entspannt im Sessel bequem machte.

Das nächste Bild zeigte eine Landschaft, die sich bis zum weißen Strand ausbreitete. Unter einem schattenspendenden Baum am Felsen angelehnt, standen drei Männer in lockerer Freizeitkleidung. Donovan berührte das Bild mit dem Zeigefinger und bekam eine Vergrößerung der Szene unter dem Baum. Auch diesmal versetzte er sich im Geiste unmittelbar neben die Männer. Er spürte die Hitze, das Rauschen der Blätter im Wind, den Duft des Meeres.

Die Gesichter der Männer wirkten angespannt, das Gespräch vermittelte Uneinigkeit über den Sachverhalt den sie erörterten. Donovan lauschte jedes Wort mit großem Interesse. Er erkannte einen Herrn sehr gut, die anderen zwei jedoch nicht. Alle drei Männer Mitte fünfzig, schienen von anstrengenden Berufen und Aufgaben die sie bewältigen mussten, schon frühzeitig ergraut.

Donovan kannte den Wortführer. Ein hagerer Mann mit verbissenem Blick, schmalen Lippen, die sich im Zorn zu dünnen nach unten gebogenen blassen Streifen formten. Ein Peiniger wie kein anderer. Er kannte viele, eine endlose Liste aus seinem eigenen erbärmlichen Leben. Bei der Betrachtung dieses Mannes empfand Donovan zuerst einmal keine Angst, weil noch immer in seinen Ohren die beruhigenden Worte des Weibes M.M. erklangen:

„Angst ist die Wiege der Unwissenden, die durch Glauben eingelullt die Wahrheit abschirmen, von falscher göttlicher Gerechtigkeit betrogen, vom Verwalter des Glaubens beraubt, von halbwegs Gläubigen ausgelacht, von anders Gläubigen erschlagen, von Ungläubigen zu Grabe getragen, von Weisen beweint.“

Donovan, durch diese Denksprüche ermuntert, horchte genau zu, worüber sich die drei Männer so aufgeregt stritten:

„Was sie nicht sagen verehrter Herr Premierminister. Wen juckt es schon ob Sie wiedergewählt werden“, belehrte ihn der hagere Mann den Donovan sehr gut kannte. „Wenn Sie wiedergewählt werden wollen dann sehen sie zu, dass die Affäre schleunigst vom Tisch kommt.“

Dem dritten Mann der gerade in die Auseinandersetzung einspringen wollte, kam der aufgeregte Premierminister jedoch zuvor:

„Wovon reden Sie überhaupt Mann. Ich hatte keine Ahnung wohin der Tanker unterwegs war.“

Der unverkennbare australische Akzent dieses Mannes verriet Donovan, wo das Gespräch gerade stattfand. Er erkannte jetzt den aufgeregten Mann. Noch gestern als er in dem Restaurant saß und im The Sydney Morning Herald eine wichtige Neuigkeit las, konnte er auf dem kleinen Bild den Premierminister nicht deutlich erkennen. Er las den Artikel interessiert weiter, in dem das Militär und die Polizei Rettungsboote einsetzten, um die Bucht abzusuchen, in der zuvor der sportliche Premierminister früh morgens schwimmen ging und spurlos verschwunden blieb. Erst jetzt wurde ihm bewusst, die Auseinandersetzung die er soeben beobachtete, passierte erst vor wenigen Tagen.

„Oh jetzt machen Sie mal einen Punkt Exzellenz. Die Affäre habt ihr beide angezettelt und werdet sie auch schleunigst bereinigen. Eine handvoll Immigranten aus dem Wege zu schaffen ist eine Sache, eine ganze Stadt samt Bevölkerung in Schutt und Asche zu bomben ist mit mir nicht zu machen”, protestierte der Premierminister energisch. Für einen Politiker in einem Protektorat der Queen, undenkbar.

„Das ist keine Bitte, das ist ein Befehl. Wenn Sie aussteigen wollen, steigt ein anderer für Sie ein”, verkündete der hagere Mann verbittert und wandte sich an den dritten Mann:

„Admiral übernehmen Sie den Auftrag und führen Sie ihn zu Ende. Mein Mann in Palau wartet auf ihre Instruktionen. Das war’s für heute meine Herren.“

Ohne einen Blick dem überraschten Premierminister zu schenken, drehte sich der hagere Mann um und ging weg. Daraufhin ergriff der Minister den Admiral am Ärmel.

„Dieser arrogante Popanz ist wahnsinnig geworden. Knallen Sie ihn einfach ab und die Affäre ist ausgestanden”, flüsterte er aufgeregt.

„Nichts ist ausgestanden so lange unsere Männer im Knast sitzen und wie die Kanarienvögel singen. Wir haben ein sehr teures Schiff samt Mannschaft und einen Kampfjet verloren. Haben Sie das vergessen Herr Premierminister?“

„Weder ich noch Sie haben die Affäre eingebrockt Admiral. Dieser arrogante Teufel und sein Killerkommando ließen sich wie Truthähne einfangen.“ Der Minister mimte den Truthahn, flatterte mit den Armen und tanzte um den Admiral.

„Das Mädchen hätte man viel unauffälliger beseitigen können, Unfall oder sonst wie. Stattdessen schickt dieser Wahnsinnige ein ganzes Team ins Hotel. Plumper ging’s wohl gar nicht. Von da an nahm die Spirale des Wahnsinns ihren Lauf und endete mit weiteren Verhaftungen. Ihnen Admiral fiel die Knallidee mit dem Gastanker ein, eine ganze Insel in die Luft zu sprengen. Das oberste Gesetz der Verhältnismäßigkeit der Mittel habt ihr zwei sträflich vernachlässigt. Weshalb Sie die Mayflower bombardiert haben ist mir ein Rätsel. Ich bin zu der Überzeugung gekommen, den obersten Rat zu bitten, euch beide in die Pensionierung zu verabschieden. Ihr tickt ja wohl nicht mehr richtig.“

Der Premierminister lachte spöttisch auf, laut genug um auf fünfzig Meter gehört zu werden. Im Laufschritt eilte er die Böschung hinauf, drehte sich noch einmal um und zeigte dem Admiral den Mittelfinger. Eine Geste die den verdutzten Admiral zum Platzen brachte. Er zischte durch die Zähne:

„Verfluchter Aussie, du lebst nicht lang genug um deinen Mittelfinger noch krumm zu kriegen.“ Damit schien das Schicksal der beiden Versager besiegelt zu sein.

Auch der makaber belustigte Donovan streckte einen Finger und berührte das vorletzte Bild auf der Buchseite.

Das Bild zeigte die gleiche Bucht, jedoch im Morgengrauen mit schäumender Brandung am Strand. Lärmende Kakadus flatterten herum oder saßen in den Kronen der Eukalyptusbäume. Er beobachtete einen Mann der hinter den Dünengipfeln auftauchte. Mit Tauchermaske in einer Hand und Schwimmflossen unter dem Arm geklemmt ging ein einsamer Schwimmer in Richtung Strand. Donovan erkannte ihn sofort und hielt den Atem an. Er ahnte schon was demnächst passieren wird.

„Wie kann der Mann so leichtsinnig sein“, flüsterte er erschrocken. „Ohne Bodyguards sollte ein Minister nicht mal alleine aufs Klo gehen.“

Der morgendliche Schwimmer lief die Böschung hinunter, setzte sich auf den nassen Sand und zog die Schwimmflossen an. Als er damit fertig war richtete er sich hoch, klopfte den Sand von seiner Badehose ab, drehte sich noch einmal in Richtung Böschung um und schritt rückwärts gehend in die schäumende See. Der Schwimmer stand jetzt bis zur Hüfte im Wasser. Er tauchte die Taucherbrille einige male ins Wasser, ließ sie abtropfen und war im Begriff sie aufzusetzen. Er kam aber nicht dazu. Ehe der Schwimmer den Blubb hören konnte, platzte sein Hinterkopf wie eine angeschossene Wassermelone. Erstaunlicherweise setzten seine Hände den Vorgang mit der Brille fort, als wenn nichts geschehen wäre. Die Knie gaben zuerst nach und der leblose Körper fiel rückwärts ins Wasser. Die schneeweiße Brandung färbte sich rosa über die stark behaarte Brust und Bauch des toten Mannes.

Ein zweiter Schwimmer im Taucheranzug rannte die Böschung hinunter, sprang im Laufschritt ins Wasser, packte den leblosen Körper unter die Arme und zog ihn in die Brandung hinaus. Der Schwimmer bemühte sich die erste Welle mit dem leblosen Körper im Schlepptau durchzuschwimmen, dann half ihm die starke Strömung weiter. Er schwamm gute fünfzig Meter weit hinaus, langsam weil er auf Schwimmflossen verzichtete. Er musste wohl auch seine Waffe im Gebüsch liegen gelassen haben, weil ein zweiter Blubb keine zwanzig Zentimeter neben seinem Kopf einschlug. Der Schwimmer merkte es nicht einmal, als ein weiterer Schuss den Bauch des leblosen Körpers im Schlepptau traf. Der dritte Schuss ließ die schwarze Schwimmerkapuze des Mannes aufplatzen. Das Blut der beiden leblosen Körper zeichnete einen rosaroten Streifen hinter sich, als ihre Körper allmählich von der Strömung ergriffen auseinander drifteten.

Das Bild wechselte jetzt zur bewaldeten Böschung. Ein hagerer dritter Mann war damit beschäftigt die Gewehrhülsen aufzusammeln und Fußspuren mit einem Eukalyptuszweig zu verwischen. Als er damit fertig war zeichnete er mit dem Gewehrlauf zwei kleine Kreuze in den Sand, bückte sich nach unten und spuckte zweimal drauf.

„Schmort in der Hölle ihr Dummköpfe“, flüsterte er als er zurück ging. In einer Hand das Gewehr in der anderen Hand den Eukalyptuszweig. Schließlich verschwand der hagere, grauhaarige Mann im Morgengrauen hinter den Büschen.

„Ich wünschte ich hätte scharfe Fotos von der Szene oder Filmmaterial mit Tonaufnahmen gemacht. Danach würde ich den Scheißkerl an ein Brett wie einen giftigen Käfer annageln“, versuchte Donovan sein Entsetzen in Worte zu fassen.

Noch nie zuvor wurde dem abgebrühten Profikiller und Bombenleger Donovan so kristallklar bewusst, bei welchem schizophrenen, verlogenen Verein er sein ganzes Leben verlebt hatte.

Die Geschichte des römisch - katholischen - jüdischen Reiches ist eine endlose Kette von schizophrenen, obszönen Exzessen jeder denkbaren Art. Nichts, aber auch gar nichts haben diese Männer unerprobt ausgelassen. Alleine die Hexenjagdperiode füllt ganze Bibliotheken von unbeschreiblichen Leidensgeschichten unschuldiger weiblicher Seelen. Dreiviertel aller kirchlichen Gebäude sind durch Beschlagnahme von Wertgegenständen der Hexerei beschuldigten Menschen finanziert worden. Er der Ex-Killer Donovan kannte die Zahlen und Summen, die alleine durch sein Einwirken nach Rom geflossen waren. Er war sich absolut sicher, dass mindestens zwanzigtausend seinesgleichen dabei sind, Milliarden an Geldern auf jede denkbare krumme Weise in die Tresore des Vatikans zu schaufeln.

Donovans kochende Galle hatte lange Übungszeit. Selbst als kleiner Junge, Hausgeburt einer unbekannten Nonne und einem bekutteten Freier, der es bei ihr stellvertretend für den Bräutigam Christi, zwischen den mageren Schenkeln getrieben hat. Selbst ein Kuckucksei-Sprössling, der Peitsche statt Streicheleinheiten erdulden musste, selbst zur Bestie gedrillt, selbst zum Tötungswerkzeug missbraucht, selbst als Teufelssoldat gegen die Ahnungslosen ins Schlachtfeld gezogen. Nicht eine einzige Sekunde seines Lebens konnte der abgerichtete Dobermann Donovan die Präsenz eines gütigen Gottes unter den Gemäuern dieser römischen Teufel erfahren.

Donovan kannte auch andere, zum Schein konkurrierende bekuttete Vereinsbrüder, solche die Turbane trugen, oder sich kleine Käppchen aufsetzten und sonstige heilige Schurken dieser Erde. Diese und jene die subtilere Züchtungsmethoden für ihre kleinen und großen Dobermänner anwandten. Sie alle kämpfen um die Ehre eines Gottes den es nur deswegen geben muss, so lange der letzte Raubritter unter den ahnungslosen Menschen sein Unwesen auslebt.

Für Aufgeklärte wie Donovan galt seit langem die Erkenntnis: Nur ein perfider Teufel konnte einen gütigen Gott erfinden, sich mit seinen unerfüllbaren Versprechungen schmücken, sich als Gottesmann unter die Menschen mischen, die unerfüllbare Gesetze erfinden, unvorstellbare Gräueltaten an der Menschheit in seinem Namen verrichten, im eigenen Haus unstrafbar Sodom und Gomorrha auskosten, die Menschheit als ewig Sündige abstempeln, unsagbare Reichtümer in seinem Namen als Blutzoll kassieren, sich selbst als unfehlbar deklarieren, die Menschheit in ein globales Sklaventum degradieren.

Donovans Lieblingsspruch war: Wer sich im Namen Gottes vom Teufel den Kopf rasieren lässt, dem ist das Sklavenschicksal einprogrammiert.

Andererseits kannte er auch viele fürsorgliche bekuttete Gutgläubige, die genauso veräppelt wurden, wie die gutgläubigen Zivilisten. Nicht jeder Sizilianer ist unbedingt ein Mafiosi, nicht jeder Mafiosi ist unbedingt ein Sizilianer. So verhält es sich in allen Dingen des menschlichen Wirkens, so auch bei den Klerikern.

Donovan kannte sich aus bei den Popanzen die gerne Peperoni und Knallerbsen züchten, damit die Menschheit niemals in paradiesische Gewässer geriet. Wer sollte ihnen sonst die Mogelpackung himmlischen Paradieses zum teuren Preis verkaufen? Hier die Hölle auf Erden, über den Wolken das Paradies, das ist der Formel-1 Rennwagen des Bösen jeglicher Sorte.

Donovan erfuhr die Wahrheit aus erster Hand. Das Kürzel J.P. erst jetzt ging ihm ein Licht auf, es musste Joshua Pantera, bekannt als Jesus Christ gewesen sein, der ihn im Traum so ausführlich aufgeklärt hatte, das der gütige Gott nicht im Himmel sitzt, sondern in jeder menschlichen Seele ist. Dort wird dieses göttliche Wesen vorübergehend durch anhaltende Doktrin der Kleriker unterdrückt. Man muss diese kindlichen Horrorbücher wegräumen und sich der ernsthaften aufgeklärten Literatur der Erwachsenen, nämlich dem bewussten Gott-Mensch-Wesen zuwenden. Noch in seinem Inquisitionsprozess schrie Galilei: „Und die Erde ist doch eine Kugel.”

Donovan dichtete auch seinen letzten Befreiungsschrei, noch bevor dieser Satan auch seine Seele platzen ließ: „Der Mensch ist das wahre Gottwesen im Universum. Ein singulärer himmlischer Gott ist der erbärmliche Sklave des Pluralen Satans auf Erden.“

„Kein schlechter Spruch für einen Ex-Dobermann des Satans“, flüsterte ihm die M.M. zu. Wahrlich ein trefflicher Spruch, der jedem aufrichtigen Zivilisten gut zu Gesicht und Seele stehen werde. Der erleuchtete Donovan beendete seine tiefsinnigen Grübeleien und entschied das letzte Bild auf der Buchseite mit dem Zeigefinger zu berühren.

Das Bild zeigte jetzt den Yachthafen von Rabaul, samt Promenadenpier aus der Vogelperspektive. Vier stattliche Segelyachten dicht beieinander lagen am Pier vertäut. Auf der zweiten Yacht einem alten Schoner wimmelte es von fleißigen jungen Menschen, die damit beschäftigt waren einen Mast aufzurichten. Er war so sehr von der Szene fasziniert, dass er gar nicht merkte wie das Bild allmählich größer wurde. Erst als er die Gesichter der jungen Menschen an Deck deutlich erkennen konnte, sah er die Veränderung. Jetzt dämmerte es ihm welchen Zweck der Auftrag seines Meisters haben sollte. Er betrachtete die Gesichter der jungen Menschen ganz genau. Er, der Ex-Dobermann kannte sich in der Kunst bestens aus, menschliche Charaktere einzuschätzen. Beim besten Willen konnte er nicht einen Hauch von Böswilligkeit bei diesen jungen Menschen entdecken.

Ein völlig anderes ihm bis dahin unbekanntes Gefühl durchströmte seine Brust. Er wünschte sich so sehr einer dieser Jungs zu sein. Unter gewöhnlichen, sorglosen Menschen aufgewachsen zu sein, sich dem Leben jeden Morgen zu erfreuen. Er kannte aus seiner Kinderzeit nur abgemagerte blasse Gesichter der Nonnen, deren flüsternde Stimmen jedoch scharf wie Rasiermesser waren. Ihr vor Enthaltsamkeit vorzeitig ergrauter Geist, deren Zielstrebigkeit es war, die innere Armut ihrer eigenen Kinderzeit auf die wehrlosen Waisenkinder zu übertragen.

Donovans Ausbilder oder Zuchtmeister behaupteten, stets im Dienste eines gütigen Gottes, im Sinne seiner Gesetze zu handeln. Er erkannte keinen Funken Liebenswürdigkeit in den Peitschenhieben. Genauso wenig konnte er begreifen, wozu ein gütiger Gott gehorsame Sklaven brauchte. Nach seiner kindlichen Logik sollte ein liebender Gott den Kindern lauter kleine Nettigkeiten wünschen. Harte Peitschenhiebe vor dem Schlafen, ungenießbare Nahrung, Züchtigung jeglicher Art und zu jeder Tages und Nachtstunde, schmerzhafte Tortouren, statt lieb gemeinter Nettigkeiten. Der gütige Gott kann nur ein Teufel sein, der sich unter falschem Namen in die Welt der kleinen Kinder eingeschlichen hat. Die Priester und Nonnen die ihn traktierten, waren für Donovan die Handlanger dieses Satans.

Bei der Betrachtung der Szene die sich auf dem Deck abspielte, erledigten die jungen Menschen in Harmonie und Freude ihre Arbeit. Sie taten es ohne einen grimmigen Zuchtmeister, der mit einer Peitsche daneben stand. Was er sah, ließ ihm vor Freude eine Gänsehaut den Rücken hinunter laufen. Der erschütternde Gedanke, diesen Hafen samt friedlichen Menschen im Feuer einer gigantischen Explosion für immer auszulöschen, war auch für den Ex-Killer Donovan dann doch zu viel. Wer auch immer sich solch einen abscheulichen Plan ausdachte, kann unmöglich ein geheilter Diener eines gütigen Gottes sein. Während er diese verschwitzten, strahlenden Gesichter der Jugend an Deck des Schoners beobachtete wurde ihm plötzlich klar, dass diese jungen Menschen genau das Gegenteil dessen verkörperten, was seine Zuchtmeister und Auftraggeber vorgaben zu sein. Die schiere Angst seiner Auftraggeber etwas preisgeben zu müssen, musste etwas mit den jungen Leuten zu tun haben. Der einzige Weg dies herauszufinden, sollte ihn zwangsläufig direkt zu diesen Menschen führen.

In diesem Moment vernahm Donovan die Zurufe aus seinem Vorgarten. Er klappte das Buch zu und ging ans Fenster. Unten am Gartenzaun stand ein junger Priester, unentschlossen die kleine hölzerne Tür zu öffnen. Donovan öffnete das Fenster und rief ihm zu:

„Was gibt’s Bruder? Hast du eine Nachricht für mich?“ Der Priester zog einen braunen Umschlag aus der Tasche und hielt ihn hoch, ohne ein Wort zu sagen. Donovan schloss das Fenster, wohl wissend, das er es nie mehr öffnen wird. Sein ganzes Erwachsenenleben bestand aus Warterei auf solche braunen Umschläge. Damit sollte auch sein Aufenthalt auf der Insel Palau zu Ende gehen, genauso wie in vielen anderen Orten oder Ländern zuvor, in denen er lebte. Dieser braune Umschlag jedoch war der letzte auf den er gewartet hatte. Seine Auftraggeber ihrerseits, er seinerseits hatten sich entschieden, jeder aus unterschiedlichen Beweggründen und Erwartungen.

Donovan lief die Treppe hinunter öffnete die Haustür und ging zum wartenden Priester. Dieser streckte die Hand mit dem Umschlag über das Gartentor. Sobald Donovan den Umschlag zwischen den Fingern hatte, drehte sich der Priester wortlos um und ging. Für ihn war das eine unmissverständliche Geste, die er schon so oft erlebte. Der junge Priester wusste von wem die Nachricht kam. Nicht nur das sich beide vor solchen bekutteten Männern fürchteten, sie verabscheuten zutiefst diese Bruderschaft, weil sie genau wussten was sie taten. Sie trösteten sich gegenseitig mit frommen Sprüchen in der Hoffnung, ihre Schäflein erfahren nie etwas davon. Was das Volk nicht weiß, macht es nicht heiß. Ein frommer Spruch mit katastrophalen Konsequenzen für viele Menschen.

Donovan blieb im Untergeschoss, ging in die Küche um nach einem Messer zu suchen. Rückte den Stuhl etwas zur Seite, setzte sich an den Tisch um den versiegelten Umschlag zu öffnen. Er war sich dessen gewiss, dass der Marschbefehl des Bischofs genau mit dem Bilderbuch der M.M. oben im Wohnzimmer übereinstimmte. Lediglich ein Flugticket wäre die Ergänzung zum Inhalt des Bilderbuches gewesen. Er nahm den Inhalt aus dem Umschlag und legte alles auf den Tisch. Es waren mehrere zusammengefaltete Seiten, deren Text mit einer uralten Schreibmaschine dicht geschrieben war, dazu noch einige Fotos. Auf der ersten Seite stand folgender Satz von Hand in lateinisch geschrieben:

„Instruktionen sorgfältig lesen und sofort verbrennen.“

Weitere Seiten beinhalteten im Wesentlichen die Wegbeschreibung, eine Karte der unterirdischen Tunnel nebst Waffendepots. Diese waren bei weitem nicht so informativ wie die Bilder im Buch der M.M. Ein Flugticket war nicht dabei, dafür eine Telefonnummer einer Chartergesellschaft. Kein Hinweis auf den braunen Koffer. Wozu auch ? Er könnte wetten, dass der Koffer im Flugzeug auf ihn wartete.

Die verbliebene Zeit bis zum Abflug war sehr knapp bemessen. In der Küche konnte er kein Papier finden das er stellvertretend für die Instruktionen verbrennen konnte. Diesmal lag es ihm sehr fern diesen verheerenden Auftrag zu erfüllen. Zum ersten Mal in seinem Leben fand er den Mut eine gravierende Entscheidung in Selbstverantwortung zu treffen. Daher suchte er im Obergeschoss nach irgendeinem Bündel Papier das er verbrennen konnte. Als er ins Wohnzimmer kam wunderte er sich bis auf einen braunen Umschlag den Tisch leer vorzufinden. Der Zettel und das Bilderbuch waren verschwunden. Der Umschlag den er hier oben auf dem Tisch vorfand, war absolut identisch mit dem, den er zuvor in der Küche öffnete. Sogar das rote Wachssiegel war abgebrochen.

„Donnerwetter dieses M.M. Weib denkt an alles“, flüsterte er sichtlich erleichtert. Er fing an sofort zu packen. Viel hatte er nicht mitgebracht, bis auf eine Reisetasche mit absolut nötigsten Utensilien für die Körperpflege, einige Unterwäsche, Hemden und Socken. Sein Auftraggeber sorgte immer dafür, dass er alles dort vorfand, wo er es benötigte.

Zuerst rief er die Charterfirma an um herauszufinden unter welchem Namen sein Kontaktmann gechartert hatte, doch niemand war zu diesem Zeitpunkt erreichbar. Seine Entscheidung war gefallen, er wollte nicht mehr mehrere Pässe mit sich tragen, auch beabsichtigte er nicht sie mehr benutzen zu müssen. Mit gepackter Reisetasche in der Hand ging er die Treppe hinunter in die Küche. Er suchte ein geeignetes Gefäß die Papiere zu verbrennen. Er fand ein angerostetes Sieb was für diesen Zweck ausreichte, ging damit in den Hinterhof. Dass er unter Beobachtung stand, daran zweifelte er keine Sekunde. Gäbe es nicht schon eine Paranoia, sein oberster Boss Escriva hätte sie sicherlich erfunden. „Dieser Mann muss sich vor seinem eigenen Schatten fürchten“, dachte Donovan als er in das kleine Häuflein Asche blickte. Dieser Josefmaria sah überall dunkle Mächte, die sein Werk an Gott vereiteln wollten. Darunter verstand er jeden der seine verkappten Vorstellungen von religiösem Leben nicht teilen wollte. Sogar den Papst selbst verdächtigte er pauschal, heimlich gegen ihn für den Satan tätig zu sein. Escriva fiel nicht eine Sekunde der logischste Gedanke ein, dass diese dunklen Mächte im Wesentlichen in seiner eigenen Bruderschaft zu finden waren. „Wer mit der Hure Paranoia ins Bett steigt, der träumt von Mord und Totschlag, der frühstückt mit dem Teufel, um es auszukosten“, war Donovans letzter Gedanke, als er die Asche im Wind verstreute.

Donovan erledigte genau das, was man von ihm verlangte. Er ging ins Haus zurück, rief noch einmal die Charterfirma an und erfuhr, dass der Platz auf seinen Namen gebucht worden war.

„Stümper“, flüsterte er leise. „Ein wenig Phantasie hätte denen die Schande erspart.“ Erleichtert warf er noch einmal einen letzten Blick in den Raum, in dem ihm die Augen geöffnet wurden. Entschlossen nahm er die Reisetasche in die Hand und ging zur Straße hinaus.

„Das war’s also“, sagte er leiste. „Meinen Abgang aus dem Verein stellte ich mir immer viel dramatischer vor.“

Der Taxifahrer gab sich keine Mühe ihm beim Einsteigen in den Wagen zu helfen. Gerade noch brachte er einen „Guten Tag“ über die Lippen. Der Mann war ein halber Greis, von endlosen Wiederholungen seines Daseins gezeichnet.

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VIRDULA Endlosgeschichten Band 3

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