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Kapitel 5

Wo und wie sollte die Übergabe des Geldes stattfinden? Überhaupt – war es geschickt, eine solche Summe in US-Dollars anzunehmen? Warum verlangte Golaz nicht, dass Krüger das Geld in Schweizerfranken umtauschte? Als Geschäftsmann würde ihm das bestimmt nicht schwer fallen. Golaz musste bei der ganzen Aktion einfach anonym bleiben. Allerdings komplizierte das einiges, vor allem die Übergabe des Geldes. Warum traf er sich nicht mit Krüger, nahm das Geld entgegen und brachte ihn anschließend um? Nein, denn aus Krüger war mehr herauszuholen. Golaz hatte ihn in der Hand, konnte ihn jederzeit verraten. Aussaugen wollte er ihn, restlos aussaugen! Soweit Golaz Krüger und den anderen Deutschen verstanden hatte, waren sie zwar für die Naziabwehr tätig, planten heimlich aber Hitlers Sturz. Garantiert standen noch weitere Verschwörer hinter ihnen. Aber die hatten Golaz nicht zu interessieren. Er musste Krüger bloß dazu zwingen, noch weitere Gelder aus Berlin anzufordern. Golaz verfügte schließlich über den nötigen Stoff, um den Mann voranzutreiben.

Und Manz? Wie gefährlich war Manz? Ließ er Golaz überwachen? Wer steckte hinter Manz? Der geheime Nachrichtendienst der Schweiz? Zumindest hatte Manz früher schon mal eine Andeutung in diese Richtung gemacht. Golaz musste vorsichtig sein. Sich mit Manz richtig zu befassen, ihn sogar mit Gewalt auszuquetschen, hielt er allerdings für wenig sinnvoll.

In seiner Wohnung räumte Golaz selten auf. Alles lag durcheinander, schmutzige Kleider häuften sich, stanken dumpf vor sich hin. In der Küche war der faulige Geruch kaum zum Aushalten. Golaz, der nie ein Fenster öffnete, störte das nicht. Schon in seiner Kindheit hatte er so gelebt, die meiste Zeit allein mit seiner Mutter in einem Zimmer. Es mangelte an allem. Die Mutter trug monatelang denselben Schlafrock, mit ihrem bleichem Gesicht und dem ungewaschenen, struppigem Haar. Nur selten verließ sie das Zimmer. Damit sie nicht auf die ein Stockwerk tiefer liegende Toilette gehen musste, benutzte sie einen Nachttopf, den sie jeweils so lange brauchte, bis er randvoll war. Ab und zu kam ein Mann vorbei, der ebenfalls stank, meistens nach Alkohol. »Ich kann nicht, wenn der Scheißtopf da steht!«, rief dieser Mann meistens, wie er in seiner vergilbten Unterhose vor dem Bett stand. Und zu Golaz: »Los, Kleiner, verschwinde mit dem Pisspott und komm erst in einer Stunde wieder!« Golaz musste den bis obenhin gefüllten Nachttopf mit seinen Kinderhänden – die allerdings schon zu groß für sein Alter waren – aufheben, wozu er all seine Kraft brauchte. Und einmal hatten seine Hände das schwere Ding nicht mehr zu halten vermocht und fallen gelassen. Der Mann geriet außer sich, die Mutter hingegen verkroch sich ins Bett und wollte von allem nichts wissen. Golaz rannte aus dem Zimmer und wagte sich die halbe Nacht nicht nach Hause. Als er älter wurde, zogen sie in eine kleine Wohnung um. Auch dort brach wieder dieselbe Unordnung aus. Golaz Kleider waren in einem entsprechenden Zustand, was ihm in der Schule zusätzlichen Spott einbrachte. Aber von einem mit Klumpfuß konnte man ja nichts anderes erwarten!

Golaz setzte sich an den Küchentisch, schob einen gebrauchten Teller mit Senfresten zur Seite. Mit den Fingern spielte er an einem trüben Glas herum.

Schön, dass es Leute wie Krüger gab! Verstand er die Spielregeln, die Golaz ihm jetzt diktierte, auch wirklich? Und Krüger hatte nicht davor zurückgeschreckt. Stämpfli zu erschießen. Das musste Golaz berücksichtigen. Krüger war nicht ungefährlich.

Sollte er mit dem Geld in der Schweiz bleiben? Nützte ihm eine solche Summe in diesen Zeiten hier überhaupt etwas? Schon die einfachsten Lebensmittel wie Käse, Zucker, Reis, Eier, Butter und Getreide waren rationiert. Brot gab es für jeden täglich nur etwas mehr als zweihundert Gramm. Und mit so genannt großen Geschäften kannte er sich nicht aus. Er wollte einfach im Überfluss leben, den anderen zeigen, dass er jemand war.

Warum floh er nicht nach Amerika? Was er von diesem Land gehört hatte, sagte ihm zu. Die nötigen US-Dollars besaß er ja bald. Wenn er erst einmal zu den Reichen gehörte, stand ihm alles offen. Sie würden ihn mit Freuden empfangen, ihm zu nicken und zu lächeln, wenn er in eines der besten Hotels von New York einzog. Er brauchte nur noch mit den Fingern zu schnippen, und alle mussten ihm zu Diensten stehen.

Wollte er das überhaupt? Er wusste es nicht. Was er jedoch sicher wollte, war das Geld. Er verspürte den Zwang, es zu besitzen. Diese einmalige Chance ausnützen zu können – wie lange hatte er darauf gewartet! Leuten wie ihm bot das Leben sonst nie eine Chance. Tief unten im Schmutz war alles schmutzig. Kein Glanz, nichts, nach dem man greifen konnte. Und plötzlich stand er nun mitten drin. Zugreifen, an sich reißen, behalten, sogar vergraben, wenn es sein musste, damit ihm niemand mehr wegnahm, was ihm gehörte.

Kurz nach zehn Uhr kam am nächsten Morgen die telefonische Verbindung mit Krüger zustande. Golaz erklärte dem Mann gleich ohne Umschweife, wo, wann und wie die Geldübergabe stattzufinden habe:

»Sie kommen heute Nacht um elf Uhr zum Friedhof in ihrem Wohnort«, sagte er mit teilnahmsloser Stimme. »Sie packen das Geld in einen großen Sack, in einen Kartoffel oder Kohlesack. Den werfen Sie auf der Höhe der hölzernen Tür, durch die man den Friedhof betritt, über die Mauer.«

Krüger schwieg.

»Verstehen Sie mich?«, fragte Golaz

»Wieso soll ich ihnen glauben?«, fragte Krüger zurück.

»Stämpfli hat ihnen die Maske vom Gesicht gerissen und Sie erkannt», erklärte Golaz. »Darum mussten Sie ihn erschießen. Der Plan hat nicht funktioniert. Ich weiß aber auch, wie das Geld in die Schweiz gebracht wurde.«

»Die Mauer beim Friedhof ist ziemlich hoch», reagierte Krüger nun. »Ich meine, sollte ich überhaupt auf ihren Vorschlag eingehen!«

»Sie werfen den Sack einfach über die Mauer und verschwinden danach!«, verlangte Golaz.

»Es könnte uns jemand sehen oder sogar beobachten», gab Krüger zu bedenken. »Wer läuft schon mitten in der Nacht mit einem Kartoffelsack durch die Gegend! Vergessen Sie nicht, ich bin Direktor einer hier ansässigen Schuhfabrik.«

»Sie tun, was ich ihnen sage!«, sagte Golaz und legte auf, denn was Krüger ihm noch sagen wollte, interessierte ihn nicht.

Den Rest des Tages verbrachte er in der Werkstatt. Zwischendurch bediente er zwei Kunden im Laden. Als er den Hausbesitzer im Hof hörte, dachte er: Morgen schon kann ich die Mieten im Voraus bezahlen – oder auch gleich das Haus kaufen. Das spielte dann keine Rolle mehr!

Der Meuchler

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