Читать книгу Aphrodite Schatzsucherin - Jose DeChamp - Страница 10

Kapitel 5

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Langsam legt Zsófia den Hörer auf und scheint vergessen zu haben, dass sie im Postamt der Insel ist. Zuhause ist weit weg gewesen in den vergangenen Wochen. Aber der Anruf hat sie aus der Insel heraus katapultiert. Zurück nach Deutschland versetzt. Damit verbunden ein Druck auf Kehle und Brustkorb.

Zsófia hat ihren Volkswagen schweren Herzens an Alexis Zorbas verkauft und einen Flug von Athen gebucht. Zu viele Reparaturen würden an dem Wagen nötig sein. Auch fühlt sie nicht genug Kraft, tausende von Kilometern zurück nach Deutschland auf der Strasse anzutreten. In das Ungewisse zu fahren hatte sie beflügelt. In das Alte zurück zukehren ist ermüdend.

Mit Schaudern denkt sie an die Werbeagentur; Kostüme, Schuhklappern von hohen Hacken auf polierten Marmorfliesen, Verkaufsgespräche, Planung unter Zeitdruck inmitten scharfzüngiger Kollegen, die nur darauf warteten, dass sie einen Fehler macht. Das sie in Ungnade fällt. Sie ist schnell aufgestiegen und jetzt ist sie Teilhaberin. Schläft mit dem Chef. Gründe freundlich zu ihr zu sein und ihr heimlich nicht wohl gesonnen zu sein. Zsófia müsste es wissen, aber sie versunken in der inneren Schwere. Dankbar für jede Freundlichkeit, geheuchelt oder echt.

Am Anfang hatte sie die Verkaufswelt fasziniert: Teil eines hyper aktiven Kraftfeldes zu sein. Das schnell und wichtig sein, Managerkalender unter dem Arm, Produzieren, bunte Probestreifen in der Grafik, ölige Farbengerüche in der Druckerei, Konferenzen, Mittagessen in Restaurants, an Stelle von selbstgeschmierten Broten. Geschäfts-Reisen und schliesslich Verantwortung; ihre eigene Abteilung. Es war ein Rausch gewesen. Zsófia weiss nicht, wann es aufgehört hatte, aufregend zu sein. Wann es zu einem weiteren Gefängnis geworden war.

Ein junger Postbeamte will sich mit ihr unterhalten. Aber sie zu aufgewühlt, um ihn zu hören und verlässt schnell das weissgekalkte Häuschen, das Postamt und Andenkenladen zugleich ist.

Draussen reisst ein heftiger Wind an ihren Kleidern. Zsófia fröstelt. Die Tische vor den Restaurants sind verwaist. Die gerade aufgereihten, leeren Stühle und die im Wind flatternden Tischdecken geben dem Platz etwas trostloses. Die meisten Touristen haben die Insel bereits verlassen. Zsófia schlendert den Hafen entlang. Kauft sich eine blau bemalte Vase. Sie würde sie brauchen - später - als Beweis, dass sie hier gewesen war. Als Ermahnung an einen Schatz, den sie vergessen hatte und der sich bereits wieder verflüchtigte.

Mit dem Nachtschiff verlässt Zsófia Iloses’ Insel. Sieht noch einmal zurück auf den Hafen. Sagt in Gedanken Lebewohl zu Alexis Zorbas. Zu den Kellnern in ihrem morgendlichen Cafe, zu dem Postbeamten, der freundlich zu ihr gewesen war.

Beklommen wandert sie durch das Halbdunkel der schmalen Gänge. Vorbei an überfüllten Sitzreihen, vollgestopft mit Menschen und Gepäckbergen. Manche schlafen, andere spielen Karten im Inneren des Schiffsbauches. In den Sälen und Gängen hängt ein schwerer Dunst von griechischen Zigaretten.

Wieder fühlt sie sich ausgeschlossen. Das fremdsprachige Stimmengewirr der Reisenden verschwimmt zu einem unverständlichen, murmelnden Geräuschteppich.

Mit Unbehagen denkt sie an die bevorstehende Nacht in einer Flughafenhalle. Denn eine Nacht in Athen will sie nicht mehr wagen, sonst versäumt sie womöglich ihr Flugzeug am Morgen. Dann wird sie wieder in Deutschland sein. Bei diesem Gedanken schiesst Angst in ihr hoch. Schnürt ihr die Kehle zu. Krampft sich in ihrem Magen. Sie will nicht zurück.

Als die Passagiere ihre Taschen zu ordnen beginnen und sich Betriebsamkeit auszubreiten beginnt, geht Zsófia an Deck. Der Wind fegt den salzigen Geruch der See ungestüm in ihr Gesicht und weit entfernt erscheinen die Lichter von Piraeus, wie ein Meer von winzigen Punkten. Gebannt blickt sie auf den flimmernden Hafen, der sich in Zeitlupe nähert. Erregung erfasst sie. Wie an einem Faden lässt sie sich an den Bug des Schiffes ziehen. Sie weiss nicht warum sie es tut. Stellt sich auf die Zehenspitzen, um über die an die Reeling gedrängten Menschen einen weiteren Blick auf das näher kommende Athen werfen zu können. Dreht sich etwas seitlich, um einen älteren Mann vorbeizulassen und plötzlich sieht sie ihn.

Es ist nicht möglich. Es kann nicht sein. Doch dort steht er und blickt genau wie sie auf das näher kommende Athen. Es ist Georgos.

Milan Kundera und seine Gedanken über Zufälle des Lebens.

" ... nicht die Notwendigkeit, sondern der Zufall ist voller Zauber ... "

Zsófia blinzelt, wie um die Erscheinung weg zublinzeln. Er ist da. Zum Greifen nahe. Hatte sie nicht alles getan, um ihm nicht wieder zu begegnen? Sie war fortgelaufen. Vor dem Gefühl. Vor dem zu erwartenden Schmerz. Doch hier ist er, direkt vor ihr. Georgos und der zu erwartende Schmerz.

"Soll die Liebe unvergesslich sein, so müssen sich vom ersten

Augenblick an Zufälle auf ihr niederlassen wie die Vögel auf den

Schultern des Franz von Assisi." Milan Kundera

Die Vögel des Zufalls haben sich auf ihren Schultern niedergelassen. Jetzt ist es Schicksal. Oder der Wille der Gottheiten, so denkt sie.

"Georgos!"

Überrascht, wie aus einer anderen Welt auftauchend, blickt er sie an. Ein Lächeln des Wiedererkennens kommt nur zögernd. Nein, er hat es nicht gespürt. Zsófia versucht sich ihre Endtäuschung nicht anmerken zu lassen.

"Was führt dich nach Athen?" stösst sie atemlos hervor und wieder Willen klingt ihre Stimme heiser.

"Ich lebe hier.", Georgos lächelt flüchtig. Seine Stimme ist dunkel und ein wenig brüchig, so wie in ihrer Erinnerung. Das er nun vor ihm steht, erscheint ihr als ein Wunder.

“Meine Schwester hat auf der Insel ein Haus.”

"Ich fliege morgen zurück nach Deutschland. Der Urlaub ist zu Ende.", Zsófia schweigt befangen. Sie spricht kein Griechisch und auch Englisch kommt ihr nun nur mühsam über die Lippen.

Georgos nickt zerstreut. Schaut schon wieder auf den näher kommenden Hafen. Sie hat Angst das er sich einfach umdrehen und gehen wird.

"Wollten heute nicht die drei Mädchen abreisen?" Etwas anderes ist ihr in ihrer Not nicht eingefallen.

Georgos scheint verwundert. " Nein, sie verlassen erst am Donnerstag die Insel."

Nun ist sie es, die ihn verblüfft anschaut. "Aber das ist doch heute."

Georgos schaut auf seine Uhr, dann wieder auf sie."Heute ist Montag, der 27. Juni. Hast du auf der Insel die Zeit verloren?" Er lächelt leichthin. "Das kann geschehen, wenn man nach Griechenland kommt."

Zsófia glaubt sich verhört zu haben. Verstört blickt sie ihn an. Erst Montag. Sie hat die Insel drei Tage zu früh verlassen. Vor ihr eine flimmernde Millionenstadt. Das Unbekannte, keine Freunde, kein vorgefasster Plan. Wo soll sie bleiben?

Vor ihr auch die Erfüllung eines Traumes. Es kann nicht sein! In Romanen vielleicht. Aber nicht in ihrem Leben.

"Sonntag! Noch zwei Tage!"

Und drei Nächte. Drei Nächte in Athen. Aber das sagt sie nicht laut.

"Was mache ich nun?"

Er schaut sie kurz an."Du kannst mit mir kommen, wenn du nichts vor hast. Ich besuche einen alten Freund in seiner Bar, treffe mich mit Leuten. Wenn du willst, kannst du bei mir übernachten."

Mit ihm gehen, wie schön das wäre.

Er lächelt wieder, "ich bin kein Freibeuter, der dich auf seinem Schiff entführt."

Röte schiesst in ihr Gesicht. Sie schämt sich. Lehnt sich schwer an das Schiffsgeländer, um ihren galoppierenden Herzschlag zurück zu pressen. Lässt den Wind in ihr erhitztes Gesicht wehen. Nickt atemlos.

Die 'Theés Várka' legt an. Eilig schiebt sich die Menschentraube über die enge Bordtreppe ins Freie. Transporter fahren dröhnend über die Rampe, ungeduldige Fahrer hupen. Die Reisenden machen hektische Gebärden um Taxen anzuhalten.

Georgos geht schnell. Sie hat Mühe, ihm zu folgen. Auch die Taxifahrt zu 'Toni’s Bar' legen sie in rasendem Tempo zurück. Athen erscheint ihr wie ein Film im Zeitraffer. Pulsierendes, lärmendes, abgasstinkendes Grossstadtleben, vierundzwanzig Stunden lang, wildes Autohupen, Stau bis spät in die Nacht. Zsófia ist schwindelig von der Schnelligkeit nach der Einsamkeit der Insel. Die Bar, die Menschen - auch das zieht vorbei wie ein schnell laufender Film. Sie sitzt neben Georgos und das ist ein Wunder.

Zsófia fühlt seine Blicke von der Seite. Nervös bestellt sie einen Whiskey Coke. Erzählt von ihrer Arbeit in der Werbeagentur, von Karl, ihrem Partner. Davon, dass sie früher Musik gemacht hat und irgendwann, als der Alkohol seine Wirkung entfaltet, auch von der Kartenlegerin, die ihr einen Musiker mit Familie prophezeit hat mit dem sie um die Welt reisen würde.

"Ich bin Musiker. Ich habe eine wunderbare Tochter."

Sie lacht.

"Meine Band in Athen und wer weiss." Georgos zuckt leichthin die Schultern, "Könnte sein, dass es bald auch mit dem Rest der Welt klappt. Und", er macht eine lange Pause, "Ich bin ungebunden." Seine Augen funkeln schwarz.

Er nimmt mich nicht ernst, denkt sie. "Du bist es nicht, den sie mir vorausgesagt hat!" Schnell senkt sie die Augen, damit der Wunsch in ihnen ihre Worte nicht Lüge straft.

Georgos’ Freunde kommen hinzu. Zsófia ist erleichtert darüber. Unter ihnen ein Mann, den Georgos als seinen besten Freund und Bandpartner vorstellt. Orfeo ist Schlagzeuger in Georgos' Band ‘Socrates’. Ein kleiner, muskulöser Mann mit einem markanten Gesicht. Sie fühlt seinen Blick auf sich. Warum starrt er sie an? Hat sie ihn schon einmal gesehen? Da spricht Georgos auf Griechisch zu ihm und Orfeo wendet sich ab. Sie beobachtet ihn verstohlen. Er hat tiefliegende, dunkle Augen, die er ausdrucksvoll dreht, während er Anekdoten von ihren Tourneen erzählt. Seine gebogene Nase ist lang. Berührt fast seine Lippen. Wieder schaut er sie an, forschend wie ihr scheint. Dann macht er eine bewundernde Bemerkung über ihr krauses Haar und so vergisst Zsófia ihre selbst-verkrüppelnde Schüchternheit und beginnt sich mit ihm zu unterhalten. Erzählt ihm von ihrem Leben in Deutschland und das sie Musik geschrieben hatte, als sie jünger gewesen war. Orfeo nickt, als wisse er dies bereits.

Die Gruppe geht in ein Restaurant. Zsófia hält sich unsicher an ihrem Getränk fest. Als sie bemerkt, dass ihre Hände zittern, versteckt sie sie in ihrem Schoss.

Und Georgos, was fühlt er?

Später wird er sagen, dass er gewusst habe, das sie sein Herz öffnen würde, wenn er nur genug Zeit mit ihr verbrächte. Vom ersten Augenblick an habe er es gewusst. So wie er um ihre Trauer gewusst habe, welche alt zu sein schien. Er würde sich daran erinnern, wie er einem Drang widerstanden hatte, ihre Hand zu halten, in der Bar auf der Insel. So als habe er gewusst, das diese Verpflichtung zu gross für ihn sein könnte. Gefühle werfen ein Leben aus der gewohnten Bahn. Er würde sagen, dass er damals hatte frei sein wollen und Liebe als eine Fessel verstanden hatte. Das sie beide Angst gehabt hatten. Das Menschen manchmal Liebe erst dann begreifen, wenn sie sie verloren haben. Er würde dies so sagen, wie es Menschen sagen, die lieben.

Zsófia betrachtet Georgos. Er erscheint entspannt, plaudert mit seinen Freunden und ist Zsófia gegenüber aufmerksam. Sie versucht sich zu sammeln. Aber da könnte Mensch von trockenem Holz erwarten, nicht zu brennen. Zsófia brennt. Sie hängt an seinen Lippen, was er als selbstverständlich hinzunehmen scheint.

Sie bewundert seine Lässigkeit, seine schlanken Hände, die er beim Erzählen wie ein Dirigent bewegt. Erschaudert beim Klang seiner dunklen, sanften Stimme. Registriert die gewisse Trägheit beim Sprechen, die eine Tendenz zu Melancholie und Launenhaftigkeit erahnen lässt. Gleichzeitig sieht sie etwas jungenhaftes in Ihm. Sie fühlt sich zu ihm hingezogen. Wenn er ein Schatzsucher auf der Suche nach Abenteuern ist, hat er ein leichtes Spiel.

Schliesslich sind sie beide in seiner Wohnung. Allein. Georgos lässt Zsófia die Wahl zwischen einer Couch und einem breiten Doppelbett. Dort wird er schlafen. Entlarvend, aber sie hat keine Wahl. Sie hat drei Tage zum Glücklich sein. Nicht mehr. So wählt sie das Doppelbett.

Er sei sehr müde, meint er, spricht es und rollt sich auf die Seite.

Sie nicht. Rutscht am Rande der anderen Bettkante entlang, gibt vor zu lesen in einem Buch, das sie schon gelesen hat. Blättert vor und zurück. Wagt kaum, sich zu bewegen -zu atmen. Hat Angst, das er ihr bis zum Hals klopfendes Herz hören könnte. Nach einer gewissen Zeit, die ihr als eine Ewigkeit erscheint, löscht sie ihr Licht. Schliesst die Augen, atmete, und öffnet die Augen wieder, geblendet von den Bildern in ihrem Inneren.

Blickt in die Stille.

Horcht auf ihn.

Schläft er?

Sie lauscht auf sein gleichmässiges Atmen.

Ja, er schläft.

Da ergreift er sacht ihre Hand. Ganz leicht fühlt sie den Druck seiner Finger. Die warme Handfläche.

Bis zum Morgen hält er ihre Hand und so gewinnt er ihr Herz ganz und gar.

Arm in Arm zur Akropolis auf den Philopappos Hügel, zu den Tempeln der Pallas Athene. Zum Parthenon des Perikleis, zu den Überresten eines Theaters, das sechs Jahrhunderte vor Jesus Christus dem Gott Dionysos geweiht wurde. Friedrich Schillers lachende Sonne wirft gleissende Flammen in ihre Gesichter, so weiss, das es in den Augen schmerzt. Zsófia nimmt das hitze-flirrende Athen in sich auf und fühlt sich leicht. Ist zum ersten Mal seit langer Zeit wieder glücklich. Als bade sie in der Hitze, so läuft sie leichtfüssig an Georgos Seite. Freut sich an seiner Sicherheit in dieser fremden Welt, betrachtet verstohlen sein ebenmässiges Profil. Georgos führt sie auf die Märkte Athens in der pulsierenden Innenstadt. Die Farben der Früchte, die bunten Stände, die Energie der erlebnishungrigen Reisenden - all das ist kostbar für sie. So oft sie seine Hand leicht an ihrer Taille fühlt, steigen Wellen der Freude in ihr auf.

Georgos streicht behutsam ihre Wirbelsäule entlang. Er widersteht nur schwer dem Impuls, sie heftig an sich zu ziehen und nicht wieder loszulassen. “Ich war zu lange allein." Der Gedanke macht ihn ärgerlich. Er schaut auf ihr ausgeprägtes Gesicht, in die dunklen Augen, die selbst jetzt, als sie ihn anlacht, umwölkt zu sein scheinen. Mit einer gewissen Schwermut, die er in seinen jungen Jahren manchmal an seiner Mutter gesehen hatte. Die Wärme, die ihm Zsófia anbietet, hatte er als Kind im Überfluss von Mutter, Tanten und älteren Schwestern bekommen. Auch die romantische Liebe, die ihm Zsófia anbietet, hatte er später oft angeboten bekommen und nur selten angenommen. Etwas in ihm hat sich von klein auf dagegen gewehrt. Ihm scheint es, als führe sie zu einer zu grossen Verpflichtung. Einer Verantwortung für das Glücklich sein des anderen Menschen - für dessen unstillbare Erwartungen und Sehnsüchte. So leicht, sich in der Liebe zu verstricken.

Georgos hatte Wege gefunden, sich zu entziehen. Musik, Konzerte, Tourneen, psychedelische Drogen hier und da. - Marijuana und LSD waren verlässlichere Freundinnen als Menschen. Doch gerade ist diese Balance beeinträchtigt. Zieht ihn etwas mehr zu Zsófia als zu allem anderen. Möchte er geliebt werden. Gedankenreisen gemeinsam machen, im Dialog stehen, wie ein Teenager fühlen und an Wunder glauben. Sich für Momente so mit einem Menschen verbinden, wie es nur Liebende vermögen. Er möchte träumen dürfen, das dies für immer sein könnte.

Sie lächelt ihn fragend an und er streicht ihr langsam eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sagen kann er es nicht und auch sie schweigt.

Als die Abenddämmerung hereinbricht und die Luft angenehm abzukühlen beginnt, winkt Georgos eine der alten Taxen heran und sie fahren durch die beleuchtete Innenstadt, eine der Hügelketten hinauf zu einem monumentalen, antiken Bauwerk. Hunderte von Menschen folgen einander durch die Eingänge in ein Stadium. Aufmerksam lenkt Georgos sie zu ihrer Reihe weit oben in der Menschenmenge. Zsófia hält für einen Moment den Atem an, so überwältigend ist der Anblick. Sie blickt in das halbrunde Stadium, tief unten ist eine Bühne und sie einfassend die mächtigen Ruinen eines dachlosen Bauwerkes, das sich, von unsichtbaren Lichtquellen angestrahlt, sandgelb von dem nachtblauen Himmel abzeichnen.

"Das Odeon des Herodes Atticus", flüstert er ihr zu. Ganz unten in dem Halbkreis kann sie ein Klassikorchester ausmachen und als es zu spielen beginnt, so wie Hunderte von Streichinstrumenten und Flöten zugleich, wird ihr ganz wundersam ums Herz, so als habe sie dies schon einmal gehört.

Sie lauscht Georgos' sanfter Stimme an ihrem Ohr, fühlt seine warme Hand, die ihre eigene sanft umfängt und wie so manchenVerliebten in Momenten tiefster Freude, wird ihr die eigene Sterblichkeit bewusst.

Durch diese Mauern sind Generationen von Menschen gewandelt. Alle lange Staub, wo die Steine noch stehen. Und wenn auch sie selbst längst Vergangenheit sein wird, einen Augenblick des Erden Herzschlages gelebt und wieder gegangen - vergessen, so als sei sie nie da gewesen, dann wird das mächtige Odeon wohl noch immer auf dem Berge über Athen thronen. Für andere Liebende, Suchende, Reisende.

Welch ein Trost wäre es, wenn sie glauben könnte. An ein ewiges Leben, Auferstehung oder Wiedergeburt. Wenn sie doch Gewissheit eines Glaubens hätte, um sich über die Vergänglichkeit des Glückes und des eigenen Lebens hinwegzutrösten. Wo ist der Sinn? Ist da ein Sinn? Gibt es ein göttliche Konzept, das über allem steht? Und wenn dem so ist, was ist dieses Konzept?

Heftig zieht sie die Nachtluft in ihre Lungen ein. Sie lebt. Sie ist da. Jetzt und hier. Mit ihm.

Wird nicht Aphrodite, die Göttin der Liebe, auch Ambologera genannt: Die, die das Alter hinausschiebt? Ist es nicht so, dass für Liebende die Zeit stillsteht und das "Ewige Jetzt", das es am Anfang gegeben hat, wiedererschaffen wird?

Ach, in der Liebe liegt stets ein doppelter Drang: Die Zeit anzuhalten - und gleichzeitig das Leben fortzusetzen, das der Zeit angehört.

Sie wünscht sich in diesem Augenblick nichts mehr, als die Zeit anzuhalten. Und so steht die Zeit still, wo sie andernorts umso schneller zerrinnt.

Später, Stunden später, Jahre später, nehmen sie sich in die Arme.

Zum ersten Mal, doch scheint es ihr, als seien sie seit Ewigkeiten zusammen. Sie schmiegen sich aneinander, suchende Hand über brennende Haut. Lippenabdrücke hinterlassen eine tiefe Spur. Alles neu, so berückend neu. Doch so vertraut, als seien sie immer zusammen gewesen. Zsófia fühlt es so und ihr Glauben wird zu Georgos’ Glauben. Ihre Kraft wird zu seiner Kraft. Ihre Liebe wird zu seiner Liebe. Ungestüme, fiebrige Alchemie. Fünf Elemente. Für einige Herzschläge, einatmend, ausatmend, einatmend, ausatmend, heftiger und heftiger, Ekstase, Göttin, Ekstase, Gott.

Ein kleiner Tod.

Ein neuer Atemzug und Rückkehr in die Dualität.

"Es ist, als kenne ich dich ein ganzes Leben."

"Ja, so ist es auch für mich."

"Ich liebe dich so sehr, dass es schmerzt."

Sie fühlt sein Lächeln in der Dunkelheit.

"Die Kartenlegerin hat es dir doch gesagt."

Sein scherzender Ton kränkt sie. "Ich meine es ernst."

"Ich auch." Sie fühlt Bestimmtheit in seiner Stimme. Fühlt seine Hand, die ihre Hand drückt, wie um seine Worte zu unterstreichen. "Dauer ist nicht von Bedeutung. Wann kenne ich Dich und wann weiss ich, ob ich dich liebe? Nach drei Tagen, drei Monaten, drei Jahren? Es ist da, warum fragen." Georgos Stimme ist rau, fast flüsternd und seine Worte füllen sie mit Freude.

"Was wird aus uns?"

"Bleibe bei mir und finde es heraus."

"Ist das denn möglich?"

"Warum nicht?"

"Ich kann doch nicht einfach weglaufen. Mein Leben ist in Deutschland."

"Was ist so schlecht am Weglaufen? Du bist nicht glücklich dort. Der Mann dort macht dich nicht glücklich. Du machst ihn nicht glücklich. So bleib."

"Dort ist doch mein ganzes Leben, mein Beruf. Ich kann das doch nicht einfach hinter mir lassen.”

“Zurück ins sichere Leben?” Georgos’ Stimme klingt zweifelnd in der Dunkelheit.

“Brauchst du keine Sicherheit?”

“Ich bin Musiker, das schliesst Sicherheit wohl aus. - Zsófia. Meine wunderbare Zsófia”, er nimmt sie in die Arme, “Ich habe ein besonderes Gefühl für dich. Das geschieht mir nicht oft. Es ist lange her, dass ich so für eine Frau gefühlt habe. Du spürst es doch auch?” Seine Augen bohren sich durch die Dunkelheit. Sein Blick trifft sie tief.

Zsófia weicht ihm nicht aus. Sie nickt. “Ja, ich fühle es auch.” Sie richtet sich leicht auf. “Was machen wir mit unserem Gefühl füreinander Georgos? Bleiben wir zusammen? Ist es das?” Sie lacht leise, doch unter der scheinbaren Leichtigkeit liegt Angst.

"Ja Zsófia."

"Für immer?"

Er scheint nicht zu verstehen, was sie ihn fragt. “Du meinst Ehe, Kinder?"

Sie nickt. "Ja. Später vielleicht. Ja."

"Zsófia, ich war schon einmal verheiratet. Ich habe eine Tochter. Ich glaube nicht, dass ich noch einmal beginnen könnte. Menschen verändern sich, Gefühle verändern sich. Nichts ist für immer.” Er muss an Athena denken, die Mutter seiner Tochter. An ihren Kampf um die Tochter. Und unter diesem Kampf ein Feldzug der Rache wegen all der gebrochenen Versprechen, Endtäuschungen, Schmerzen. - Den zerbrochenen Überresten einer Liebe. Teilen des Selbst, die womöglich nicht mehr heilen können. Kann er heilen? Er wünscht es sich. Gerade jetzt mit Zsófia hat er eine Ahnung davon, wie es sich anfühlen könnte, ganz zu sein. Kann er dieser Ahnung vertrauen?

Zsófia spürt die Schwere zwischen ihnen und umfängt behutsam seine Hand. Lange liegen sie schweigend und ihr ist, als wolle er aufspringen und sie verlassen. Doch er bleibt. Zieht sie an sich. “Liebe verschenkt sich Zsófia, will nicht besitzen. Liebe ist”, murmelt er leise an ihrem Ohr.

Doch damit macht er ihr das Schwere nicht leichter, die Kälte der Furcht in ihr bleibt. Zsófia will ankommen, zuhause sein. Nicht ins Ungewisse springen. Dem Festen gerade entkommen will sie doch wieder etwas Festes. Aber so sieht sie es nicht. Georgos spricht von etwas so Flüchtigem. Vom Freisein und Lieben, wo sie wissen möchte, wo sie hingehört und zu wem sie gehört. Sie möchte ihre Namen in den Himmel schreiben, Frau und Mann.

Oh, ihre Gefühle sind so tief und gewaltig und nehmen ihr den Atem. Ist es nicht besser, jetzt zu gehen, als später verlassen zu werden?

Oh, seine Gefühle sind so tief und gewaltig, ist es nicht besser, sie fortlaufen zu lassen?

“Wir wissen nicht, wie wir morgen füreinander fühlen. Aber ich weiss, wo ich mein Leben habe. Das hier ist ein Traum. Ein wunderschöner Traum. Solange wir das nicht vergessen, müssen wir nicht aufwachen. Können ihn nie verlieren."

"Glaubst du das?"

Zsófia hat darauf keine Antwort.

Aphrodite Schatzsucherin

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