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Kapitel 3

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Piräus oder Peiraieus war vor langer Zeit der Name der bergigen Halbinsel südwestlich von Athen gewesen, mit einem beinahe einhundert Meter hohen Hügel Kastella, der einstmals Mounychia genannt worden war. Seit dem sechsten Jahrhundert for Christus hatte Mounychia eine Burg getragen von der aus man die drei tief eingeschnittene, runde Hafenbecken Piräus, Zea und Mounychia hatte sehen können. Themistokles, ein Wegbereiter der Attischen Demokratie, hatte sie 493 vor Christus zum Hafen von Athen bestimmt.

In Perikleischer Zeit wurde eine Stadtanlage mit rechtwinklig sich schneidenden Strassen angelegt, die Häfen ausgebaut und mit Säulenhallen und Schiffshäusern versehen. Nach dem Peloponnesischen Krieg war Piräus zerstört und wieder aufgebaut worden, blühte als Handelshafen. Brannte nieder und wurde erneut errichtet - ein unermüdliches Aufbauen und wieder zerstören im Zeitraffer der Geschichte. Nun, im zwanzigsten Jahrhundert nach Christus, war Piräus der grösste Passagierhafen Europas und der drittgrösste Hafen der Welt.

Zsófia liest im Reiseführer, während sie eingekesselt von Menschen in einer Schlange wartet. Stinkende Abgase, ungeduldiges Autohupen, lärmende Motoren scheinen in der flimmernden Glut der Attischen Sonne noch zuzunehmen und Zsófia fühlt sich verloren in einem chaotischen Gewimmel von stinkenden Lastwagen und klapprigen Wohnmobilen, Motorradfahrern und Trauben von Fussgängern. Ihr Auto, das sonst ein schützendes Haus gegen diese Einflüsse ist, ist ihr nun kein Trost. In der stickigen Luft hängt ein vibrierendes Warten darauf von den grossen Walfisch-Mäulern der Fährschiffe verschluckt zu werden. Endlich kann sie die 'Theés Várka' ausmachen, die Ilos ihr als das Schiff zu der Insel genannt hatte und sie steuert darauf zu. Im Schritt-Tempo reiht sie sich in die Warteschlange. Mit der linken Hand streicht sie sachte über das Lenkrad. Trotz Krieg, Benzin-Boykott, undichter Öl-Leitung und unwegsamen Bergstrassen in Mazedonien. Trotz Situationen, in denen sie sich wie eine Gejagte gefühlt hatte. Denn als Frau alleine zu reisen war gefahrvoll gewesen. Sie versucht die Erinnerung zu verscheuchen. Sie hat es überstanden.

Das Ziel, das sie vor Augen gehabt hatte, ist jedoch nicht mehr da. Hier steht sie auf einem kleinen Floss mitten im Chaos. Müde und verletzlich.

Auf dem Schiff Rucksackreisende mit Schlafsäcken auf dem Boden. In der Bar griechische Familien, spielende Kinder. Sie scheint die einzige zu sein, die alleine reist. Überwältigt von grellen Farben, starken Gerüchen und fremden Lauten sitzt Zsófia auf einer der Bankreihen an Deck. Blinzelt in die weisse Sonne und bestaunt Ozean und Himmel, als sehe sie zum ersten Mal. Als die erste Insel in Sicht kommt, bestaunt sie die karge, geschwungene Hügellandschaft, die schroffen ockergelben Felsen.

Sie hört Klaviermusik auf ihrem Walkman. Das melancholische Piano, die Seevögel, der Wind und das Blaugrün des Meeres erfüllen sie mit Freude über diesen vollkommenen Moment. Aber auch mit Bedauern, ihre Freude mit niemandem teilen zu können.

Alleinsein. Jeder Mensch ist in letzter Konsequenz allein - ach ja, das abgeklärte Philosophen-Ich. Aber die meisten kommen scheinbar besser damit zurecht, meldet sich ihr inneres Kind. Oder machen sie es sich nur nicht bewusst?

Die Mehrzahl der Menschen scheint ihren Platz zu haben. Einfach so. - Sind die, die nicht alleine sind, zu mehr Zugeständnissen bereit? Erdulden sie mehr?

Doch sie macht grosse Zugeständnisse und ist dennoch alleine. Ihre Anstrengungen, sich anzupassen und gemocht zu werden sind erfolglos. Das ist von klein an so gewesen. Zsófia wünscht sich den Mut, ein neues Leben anzufangen, an einem Ort, an dem ihre Rolle noch nicht festgelegt wäre. An dem sie anders sein könnte. Keine vorgenannten Erwartungen sondern ein leeres Blatt Papier, auf das sie ein neues Selbst und eine neue Lebensgeschichte schreiben könnte.

Zsófia lehnt sich an die Schiffsbalustrade. Fühlt das Eisen unter einer weissen Schicht Farbe. Schaut in das bewegte Wasser unter sich. Seewind spielt mit ihrem Halstuch, hebt die langen Seidenenden in die Luft. Zsófia löst den Knoten und hält das Tuch spielerisch in die Luft. Nuancen von Blau die ineinander laufen. Nun von der Sonne fast aufgelöst in Licht.

Mitreisende betrachten die junge Frau, die ein Tuch im Wind schwenkt. Aber sie ist selbstvergessen und bemerkt es nicht.

Karl hatte ihr das Tuch geschenkt, als sich ihr Zusammensein gejährt hatte. Er hat ein Auge für schöne Dinge. Sie liebt die Batik des seidenen Gewebes. Ein Windhauch bläht in das Tuch und sie hebt es fasziniert über ihren Kopf. Blinzelt in die bläuliche Weisse. Dann auf einmal öffnen sich ihre Finger. Es ist keine Entscheidung, es geschieht einfach. Das Tuch schwebt hoch in die Luft und fällt dann langsam in sich zusammen. Segelt in das Wasser. Schwimmt noch für einen Moment lang auf der Oberfläche und verschwindet dann.

Einfach fort. Ist es wirklich geschehen? Warum hatte sie losgelassen? Ihr Tuch!

Zsófia presst die Hände auf ihre Brust. Sie steht an der Reeling und ist fassungslos. Starrt ins Leere bis ihre Augen die Augen eines anderen treffen. Ein Mann, nicht grösser als sie, mit langem Haar und arabischen Gesichtszügen. Er lächelt und sie wendet sich abrupt ab. Beschämt, verwirrt. Immer noch betroffen darüber, ihr Tuch losgelassen zu haben. Es für immer verloren zu haben im Wasser. Sie läuft die eisernen Treppenstufen hinab, und das Klappern ihrer Schuhe ist ihr unangenehm. Unentschlossen steht sie auf dem nächsten Deck. Wandert auf und ab um sich zu beruhigen.

“Wer den Ort verlassen will, an dem er lebt, ist nicht glücklich”, schreibt Milan Kundera. “Die, die sich selbst finden wollen, sollten an Ort und Stelle bleiben, weil sonst die Gefahr besteht, dass sie sich ganz und gar verirren.” Wer hatte das gesagt?

Hat Zsófia verlassen? Ist sie nicht hier auf dem Fährschiff, weil sie Angst hat, Endscheidungen zu treffen?

‘Fortgelaufen bin ich.’

Die 'Theés Várka' läuft ein. Ob Ilos Bruder sie erwarten wird? Menschen, Motorräder, Lastwagen strömen aus dem Dunkel des Schiffsrumpfes dem nun weit aufgestossenen Schiffsschlund entgegen. Zsófia lässt sich von diesem Strom ziehen, wird vom Bruder des Illos aufgelesen und in eine etwas abseits gelegene Pension am Hang der Felseninsel gebracht. Griechenland ist das Land der Rosen. Hier liegt die Liebe in der Luft, hatte Ilos gesagt. “Wenn man denn diese Liebe ertragen kann”, denkt sie.

Das Reden fällt schwer, wenn man es eine Weile nicht getan hat und sie schaut sich die Begrüssungen und die ersten Höflichkeiten an, wie einen Film. Schon ist sie wieder allein, hält sich an ihren Büchern fest und schläft schliesslich ein, weil sie nichts anderes zu tun hat.

Die nächsten Tage verlaufen in selbstgewählter Einsamkeit. Ihre Gedanken in der Heimatstadt bei einem Mann, der nicht gut für sie ist.

Sie hat strenge Glaubenssätze und fühlt sie sich schlecht behandelt. Sie will gut sein und weiss nicht, dass unter ihrer Güte Wut schwelt. So versteckt sie sich im Lande der Rosen und der lächelnden Sonne – versteckt sich hinter ihrer Moral, die schon die ihrer Mutter und Grossmutter gewesen war, schwenkt sie wie eine unsichtbare Fahne vor sich her und sondert sie sich ab vom Insel-Leben.

Einem überschaubaren Leben, wo sie schnell jeden Kellner und jeden Reisenden kennt. Allzu bald haben ihre Tage einen eingespielten Rhythmus. Morgens in aller Frühe, verlässt Zsófia ihr Zimmer. Dort sitzt der Pensionswirt Alexis am wackligen Holztisch auf der Veranda und bietet ihr starken Mocca und Feigen aus seinem Garten an. Gleichbleibend freundlich, mit einem Lächeln. Im Stillen nennt sie ihn Alexis Zorbas, nach der exzentrischen Hauptfigur des Kinofilmes. Anthony Quinn hatte ihn gespielt. Ihr Gastgeber hat stechende, dunkle Augen, kinnlange graue Haare. Wie alt mag er sein?

Später wandert sie in das Hafen Cafe, bestellt als einziger Gast gesüssten Frappe mit Tiropites Teigwaren. Es ist früh, die Feriengäste schlafen noch, die Fischer jedoch sind längst auf See. Dann geht sie an den Strand, geniesst die Wärme der Sonne auf der Haut, bis der heisse Sand schliesslich mit Menschen bevölkert ist, die sie vom Rande beobachtet, wenn sie nicht liest.

Abends geht sie am Hafen spazieren, sitzt am Meer, lauscht den Wellen. Es ist eine einschläfernde, ereignislose Zeit, die Zsófia erlebt, wie eine Beobachterin. Gestreichelt von Seewind, Wellen und Sonnenlicht; friedvoll, aber sprachlos und getrennt von den anderen Menschen.

Eines Nachmittags bemerkt sie etwas Ungewöhnliches. Ein Blitzen in der Sonne. Aus einem der Fenster in ihrem Ferienhaus. Ein Spiegel? Eine Kamera? Es mag ein Fernglas sein. Wer beobachtet den Strand? Nach zwei weiteren Tagen weiss sie es. Es ist Alexis, der mit einem Teleskope am Fenster sitzt, und die Sterne studiert, wie er ihr beim Mokka erklärt. Und das Meer. Wohl auch die Badenden am Strand, denkt sie, aber sie sagt es nicht.

Nun betrachtet sie den Mann genauer. Beobachtet sein Mienenspiel, seine Gesten, seine Gestalt. Das zerfurchte Alexis Zorbas Gesicht, das volle, graue Haar, die muskulösen Arme, den drahtigen Körper. Sie riecht sein Rasierwasser und nimmt zum ersten Mal seine Manneskraft wahr. Sie springt ihr nun geradezu ins Gesicht. Sie fühlt sich davon abgestossen. Aber sie beschäftigt sich in Gedanken mit ihm. Was er wohl denkt, wenn er dort am Fenster sitzt? Ob er sich wünscht, eine der badenden Frauen in den Armen zu halten? Hat er ein Liebesleben, wo sie mit ihrer Moral im luftleeren Raum erstickt? Tut das Land der Rosen erste Wirkung? Zsófia ist verwirrt, verflucht die Verwirrung.

Als Alexis Zorbas bei einem ihrer Morgengespräche bemerkt, dass sie einen schönen Körper habe, denkt sie an das Fernglas. Sie errötet. Ärgerlich darüber zu erröten.

Sie nimmt ihm sein Tun übel und doch sind die Gefühle mehrschichtig. Das Sonnenbad wird zu einer Art von Tanz für Zsófia. Sie ist nicht länger unsichtbar. Sie wird gesehen, aber sie kann nicht berührt werden. Sie mag das. Wenn sie geht und wenn sie sich bückt, tut sie es mit Anmut. Wenn sie sich in den heissen Sand schmiegt, sich dehnt und entspannt, dann geschieht es mit dem Gedanken, dass Alexis Zorbas sie womöglich betrachtet. Sie will beachtet werden. Sie will Frau sein. Aber sie will keine Nähe.

Sie fühlt sich schuldig dafür, dass sie gesehen werden will. Verurteilt sich in Gedanken. Den Mann. Aber zumeist sich selbst. Schuld. Sünde.

Die lächelnde Sonne beginnt sich in ihre Träume zu brennen. Sie ist hier, im Inselland der Mythen und Legenden. Eine ansteigende Unruhe lässt sie nicht mehr schlafen. Wenn sie dann nachts dem Wellenschlag des Meeres lauscht und die Umrisse ihres nackten Fleisches sich im Mondlicht vom Dunkel des Zimmers abheben, fühlt sie Sehnsucht. Ein Gefühl, sich zu verschwenden. Auszutrocknen – an einer Verpflichtung festzuhalten, die keine Berechtigung hat. An ihr festzuhalten aus Angst. Zu verdorren, weil sie es sich nicht erlaubt, eine wilde Frau zu sein.

Sie wäre gerne wild und leidenschaftlich. Wie damals die Frauen an den Beltane Feuern von Avalon. Starke Frauen von Stämmen und Völkern lange vor den Religionen der Neuzeit. Bei Vollmond tanzen vor den Flammen, einen Mann nehmen, seinen Körper fühlen und lieben, lieben, lieben. Auf der braunen Erde, im saftigen Gras. Eine Beltane Nacht.

Aphrodite Schatzsucherin

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