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Kapitel 2
Die Jahre 1624 - 1643

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1624

Harm sollte recht behalten, denn die Gerüchte gegen seine selige Frau und seine Schwiegertochter ebbten nie ab. Es schmerzte ihn sehr, dass man seine Adelheid noch immer als „die alte Zaubersche aus Höperhöfen“ bezeichnete. Am liebsten hätte er Döhrnemann mit der Forke gepiesackt, bis dieser vor aller Welt seine Lügengeschichten zurücknahm. Er hatte dazu nie eine Gelegenheit bekommen und fürchtete, dass er damit seinen Kindern und Enkeln noch mehr Schaden als Nutzen zufügen würde.

Gesche hatte nun schon zwei gesunden Knaben das Leben geschenkt und jedes Mal hatte Hibbel ihr dabei geholfen. Die Verbindung zu ihr war nie abgerissen, auch nicht, nachdem sie Jacob Röhrs aus Westerholz das Jawort gegeben hatte.

Heute sollte sie ihr wieder helfen und Gesche hatte ein gutes Gefühl. Schon früh am Morgen bemerkte sie, dass es soweit war.

„Joachim, schicke einen der Knechte aus, Hibbel zu holen. Du wirst heute wieder Vater werden“, sagte sie zu ihrem Mann mit Stolz in der Stimme.

„Ja, das werde ich sofort tun“, versprach er freudestrahlend und eilte aus dem Haus. Nach einer Weile kehrte er zurück, setzte sich zu Gesche, nahm ihre Hand und legte sie in die Seine. Dann drückte er die Hand seiner Frau und sprach: „Hibbel wird geholt. Sie hat es nicht leicht, oder? Alle ihre eigenen Kinder sind bisher tot zur Welt gekommen, sagt man, als läge ein Fluch auf ihr.“

„Sie ist mir immer eine liebe Freundin, mehr wie eine Schwester und hat mir all das, was ich bei deiner seligen Mutter nicht mehr lernen konnte, beigebracht. Dafür bin ich ihr sehr dankbar.“

Plötzlich schlug die kleine Seitentür auf und ihre zwei Kinder rannten in das Haus, tobten in der Diele herum, als sei der Hahn hinter ihnen her.

„Spielt ihr schon wieder Kriegen?“, wollte die Mutter aus der Kammer rufend wissen und lachte dabei liebenswürdig.

Der ältere der beiden Kinder hielt inne und ging zu seiner Mutter in die Kammer.

„Modder, Harm hat schon wieder die Hühner geärgert und das soll er ja nicht“, log Cordt. Dabei schaute er frech zu seinem kleinen Bruder und streckte ihm die Zunge her-aus.

„Seid beide friedlich!“ mahnte der Vater seine Söhne mit erhobener Stimme. „Eure Mutter braucht Ruhe! Heute werdet ihr ein Brüderchen oder ein Schwesterchen bekommen. Geht zur Magd, sie soll sich um euch kümmern oder geht zum Großvater“, forderte er seine Söhne mit Nachdruck auf.

Cordt drehte sich folgsam um und nahm den kleinen Harm an die Hand. Dann rannten beide Lausbuben aus der offen stehenden Groot Döör in den Hof, als sei der Blitz hinter ihnen eingeschlagen.

„Lass sie“, sagte Gesche mit einem Schmunzeln sanftmütig und sah Joachim dabei in die Augen.

Gegen Mittag trat Hibbel in das Haus der Freundin ein. Sie ging unaufgefordert und mit sicheren Schritten über die Diele in die kleine Kammer, in der Gesche lag und sie bereits freudestrahlend erwartete.

„Es ist wieder einmal soweit“, entgegnete Hibbel ihr als Begrüßung und Gesche nickte.

„Wie geht es dir und deiner Familie?“, wollte Hibbel von ihr wissen.

Gesche atmete tief durch, richtete sich im Bett ein wenig auf, so, dass sie halb sitzend im Bett thronte, als wollte sie eine amtliche Bekanntmachung von sich geben.

„Du weißt ja selbst, was die Leute so reden und hältst ja auch Ohren und Augen stets offen“, sagte sie zu ihr mit ruhiger Stimme, die ein wenig von Traurigkeit getragen war.

„Heute ist kein Tag für Wehmut“, entgegnete Hibbel ihr. „Dein Kind soll spüren, dass wir es hier mit Liebe empfangen und die Mutter sich freut. Also zerstreu deine üblen Gedanken, auch wenn es dir schwerfällt“, forderte Hibbel eindringlich.

„Ja, du hast ja recht. Adelheid hatte es immer schon gesagt, dass der Hass der Menschen schlimm ist und die Opfer meist den Kürzeren zieh`n.“

„Ich gehe nun und bereite alles vor, damit es heute ein Fest zu feiern gibt“, sagte Hibbel, stand auf und verließ die Kammer.

Gesche sollte recht behalten. Am frühen Abend dieses lauen Herbsttages war es dann wirklich soweit.

Die Geburt verlief vollkommen ohne Komplikationen, barg aber sprichwörtlich eine kleine Überraschung in sich.

Sie hatte nicht nur ihre erste Tochter geboren, es waren gleich zwei. Hibbel hatte ihre Arbeit gut gemacht und es war alles zum Besten erledigt.

„So, wo ihr beiden gewaschen und angezogen seid, gebe ich euch in die Obhut eurer Mutter.“ Sie lagen nun in den Armen der glücklichen Mutter.

Ganz sanft und zärtlich berührte Gesche dabei erstmals beide Mädchen. Gesine war Hibbel die ganze Zeit zur Hand gegangen und freute sich über ihre kleinen Nichten.

„Nun kann ich die Männer ja mal reinlassen, bevor sie sich in der Diele an dem Fusel zu schaffen machen“, frotzelte Gesine und ging, ihre Verwandten zu holen.

Der alte Harm gab seinem Sohn, als Vater der Kinder, den Vortritt und trat nach ihm in die Kammer ein.

Die kleinen Fenster waren offen und ließen frische Luft und Licht in die kleine Kammer, in der vor Kurzem ein Erdenbürger das Licht der Welt erblickt hatte, dachten die Männer noch, bis sie sahen, was die Frauen für eine Überraschung für sie bereithielten.

„Es sind zwei Töchter und sie sind gesund. Es ist alles dran, was dran sein muss und nun macht den Mund wieder zu, sonst zieht es noch“, sagte Hibbel grinsend den erstaunt dreinschauenden Männern ins Gesicht.

Dann drehte sich Gesine um und machte sich auf, die beiden Jungs von Gesche zu holen. Sie fand sie bei den Hühnern - wo sonst! Hier spielten sie am liebsten, das wusste ihre Tante nur zu gut.

Cordt hatte eines der Hühner auf dem Arm und der kleine Harm saß auf seinem Hosenboden mitten zwischen dem Federvieh. Er genoss es richtig, dass sie um ihn herum pickten und scharrten.

Aus dieser Idylle holte sie die beiden: „Ihr habt jeder ein Schwesterchen bekommen. Kommt mit, ich zeige sie euch. Ihr müsst aber brav sein“, meinte sie noch. Dann fasste sie beide an den Händen und tänzelte vor Freude mit ihnen ins Haus.

„Das kenne ich schon“, prahlte Cordt zu seinem kleinen Bruder. „Da musste ich schon einmal mitgehen, als ich noch klein war. Da hatten sie dich gebracht“, meinte er altklug, folgte daher brav seiner Tante.

In der Kammer angekommen besahen sie sich die neuen Familienmitglieder ganz genau, soweit es eben etwas zu sehen gab.

„Das sind ja zwei. Kann ich mir eine aussuchen?“, fragte Cordt und die Alten lachten herzhaft. Selbst der alte Harm klopfte sich vor Freude auf seine Schenkel.

Cordt trat ganz nah an seine Schwestern heran und musterte sie sehr gründlich. Dann schaute er von einer zu anderen, wendete sich der Mutter zu, ließ den Finger aber an der Stirn eines der Mädchen und fragte: „Wer hat denn meinen Schwestern den Fleck da hingemalt?“

Hibbel trat für die Mutter ein und sagte gewandt: „Deine Schwestern sind jede mit einem Muttermal gesegnet worden. Der liebe Gott hat das so gewollt.“

Claus war es gar nicht aufgefallen und er schaute nun selbst genau nach. Beide Mädchen hatten an der Stirn, wo das Haar seinen Ansatz hat, identische, aber deutlich sichtbare Muttermale, als habe eine Kröte einen Fußab-druck im nassen Ufersand des Baches hinterlassen.

Bevor er etwas anmerken konnte, hatte sein ältester Sohn bereits eine weitere Frage gestellt.

„Wie heißen denn unsere Schwestern?“, wollte Cordt noch wissen.

Gesche sah ihren Mann fragend an und sprach: „Ich würde sie gerne nach meiner Mutter und meiner Großmutter taufen lassen, wenn du einverstanden bist?“

Joachim hatte nie den Hauch einer Chance, aber auch keinen Anlass, seiner Frau diesen Wunsch abzuschlagen.

Eigentlich hätte das ältere der Mädchen auf den Namen seiner Mutter „Adelheid“ getauft werden müssen, aber Joachim wusste, warum ihn seine Frau darum gebeten hatte.

Ihre Mutter und ihre Großmutter waren bei einem Unglück zusammen gestorben. Damals brannte das Haus auf dem Hof, wo sie zusammenlebten, lichterloh nieder. Gesches Mutter wollte ihre bettlägrige Mutter aus dem strohgedeckten Haus retten, aber es ist über ihnen zusammengestürzt, und Gesche hatte es als kleines Mädchen mit ansehen müssen.

Die Männer waren damals nicht auf dem Hof, sondern auf dem Acker gewesen. So konnten sie nicht wirklich helfen. Die Rauchschwaden alarmierten sie viel zu spät, und als sie eintrafen, fanden sie das Haupthaus zusammengebrochen und bereits lichterloh brennend vor. Die Flammen waren schon auf eines der Nachbargebäude übergesprungen. Gesche war zuvor von der Mutter mit ihren beiden Geschwistern an der Hofmauer mit der Auflage zurückgelassen worden, auf keinen Fall hier wegzugehen, bevor sie selbst ins Haus zurückrannte, um die Großmutter zu retten. Joachims Frau wurde jedes Mal wehmütig, wenn sie daran dachte, denn sie vermisste beide sehr.

„Das ist ein sehr guter Vorschlag. Vater, was meinst du dazu?“, fragte er, nachdem er sich zum Angesprochenen gewandt hatte. Er sah ihn dabei bittend, ja flehend an, zuzustimmen.

„Es ist mir Recht“, gab er als Antwort zurück, denn er kannte die tragische Geschichte der Familie seiner Schwiegertochter. Gesche fiel eine schwere Last wie ein Stein vom Herzen.

„Danke“, sagte sie und schaute den alten Harm dankbar in die Augen. Dann nahm sie zuerst das kleine Bündel von ihrer rechten Seite und reichte es dem Großvater:

„Mette, dat is dien Großvadder“.

Dann reichte sie das andere kleine Bündel ihrem Mann mit den Worten:

„Tipke, dat is dien Vadder.“

Hibbel sah Gesche an und nickte ihr zu.

„Die Zwillingsschwestern sehen wie aus einem einzigen Ei gepellt aus“, meinte Gesine zu ihrem Bruder, dem alten Harm, und klopfte ihm dabei lachend auf seine Schulter.

Er drückte nun das Kind seiner Schwester in den Arm, denn es drängte ihn mehr in die Diele zum Schnaps, als sich weiter das „Gesäusel“ und das „Weibergeschwätz“ anzuhören, wie hübsch und lieblich die Kinder anzusehen waren.


1626

Die Zwillinge waren knapp ein Jahr alt und die Bedrohung durch den seit acht Jahren währenden Krieges kam immer näher.

Die Kriegssteuern der Bauern waren erhöht worden und inzwischen immens hoch. Das Amt Rotenburg war bislang von den Kriegshandlungen verschont geblieben. Das änderte sich aber, denn die Gerüchte und Parolen gingen um, dass das katholische Heer unter Tilly nicht mehr weit von Rotenburg entfernt stand. Wenn nicht ein Wunder geschehen würde, so sagte der Pastor von der Kanzel, dann stünde hier bald wieder ein Priester.

Die Menschen fürchteten aber mehr das Leid und die Grausamkeiten, von denen sie gehört hatten und welche die eigenen Soldaten sich so erzählten, als den Priester, der den Pastor ablösen würde.

Letzteres war ihre geringste Sorge, denn Steuern erhoben beide und die Lasten der Abgaben und Frondienste würden bleiben. Seit einigen Wochen waren die Männer zur Befestigung der Rotenburger Burg abgeordnet worden und mussten damit ihre Arbeit auf dem Hof den Frauen und Alten überlassen. Junge Männer wurden auch gegen ihren Willen in die Milizen aufgenommen.

Alle erwarteten, ja fürchteten, dass der Krieg nun auch ins Amt Rotenburg Einzug halten würde.

Der Name, der selbst von den schwedischen Soldaten mit Respekt, Achtung und Furcht ausgesprochen wurde, lautete „Tilly“.

Den Führer der kaiserlichen Truppen fürchteten auch die Menschen in den Dörfern durch die Erzählungen der sich zurückziehenden eigenen Truppen.

„Wir sollten Vorräte und Vieh in den Mooren verstecken“, schlug der alte Harm seinem Sohn vor, denn er rechnete erneut mit Einquartierungen und Plünderungen.

Joachim tat, wie es der Vater vorschlug. Er kannte im „Kurzen Moor“, das nicht weit entfernt war, einen Weg ins Moor hinein, den nur wenige Alte wussten und ihm sein Vater am Tage von Joachims Hochzeit gezeigt hatte, als sie damals über den Hof und die Felder gingen.

Harm half ihm dabei, soweit er es in seinem Alter noch vermochte.

Drei Tage später zogen die Schweden ab und es war eine ungewohnte Leere und bedrohliche Ruhe in die Dörfer und Häuser eingekehrt. Jeder wusste, nun kommt Tilly und mit ihm eine ungewisse Zukunft und die Priester.

Harm nahm seine Schwiegertochter beiseite und sprach: „Gesche, sei bitte noch vorsichtiger, denn die Katholischen werden nicht zögern, einen Scheiterhaufen anzuzünden, um ihre Macht zu zeigen.“

In den Dörfern des ganzen Nordens, wie auch in Höper-höfen wurden nun die fremden Heere angsterfüllt erwar-tet. Gesche war mit den drei Kindern im Hause, als eine Abordnung der neuen Herren auf den Hof geritten kam. Sie forderten den Bauern auf, ihm seinen Hof zu zeigen und gingen mit ihm durch alle Gebäude. Dann ritten sie wieder fort, nicht ohne sich reichlich mit Lebensmittel eingedeckt zu haben.

Als Joachim ins Haus kam, schaute ihn Gesche fragend an. „Wir haben 30 Fußsoldaten Quartier zu geben und sie mit allem zu versorgen. Tun wir es nicht oder schlecht, zünden sie den Hof an“, fing er bedrückt an zu berichten.

„Wir dürfen mit den drei Kindern in unserer Kammer blei-ben. Vater und meine Tante Gesine ziehen mit ein und die Knechte und Mägde dürfen in ihren Koben bleiben“, fuhr er fort.

Dann schaute er seine Frau besorgt an. „Gesine wird sich mit Vater um die Soldaten kümmern und du dich um die Kinder. Ich werde achtgeben, dass sie nicht schon in der ersten Woche alle unsere Vorräte auffressen.“

Gesche nickte sorgenvoll. „Es hätte auch schlimmer kommen können. Stellen wir die Soldaten zufrieden, dann werden sie uns nichts tun“, sagte sie hoffnungsvoll.

„Es wird sehr eng werden. Ich bitte dich, es schnell herzurichten. Der Leutnant wird in der anderen Kammer wohnen und ich kümmere mich um die Ernte und den Hof.“ Ohne weitere Erklärungen drehte sich Joachim auf dem Absatz um und verließ das Haus.

Wenige Stunden später kamen, wie angekündigt, die fremden Soldaten auf den Hof. Sie sahen nicht besser oder viel anders aus als die Schweden, die ja erst vor Kurzem fortgezogen waren.

Joachim ging dem Leutnant schnurstracks entgegen, als der seine Truppe halten ließ und sprach, den Blick nach unten gesenkt: „Herr, es ist alles so vorbereitet und gerichtet, wie Ihr es verlangt habt.“

Claus kannte sich in den Rängen des Militärs nicht aus und dem Leutnant war es in diesem Augenblick egal.

Seine Truppe war abgekämpft und müde. Sie wollten eine warme Mahlzeit, einen Krug Bier und dann eine trockene Schlafstatt.

Auf dem Hof änderte sich das Leben für die bisherigen Bewohner erneut einschneidend. Es war alles sehr eng geworden, enger als mit den Schweden. Jeder Schritt wurde beobachtet. Die Soldaten waren misstrauisch, hungrig und durstig. Sie gingen mit den abtrünnigen Evangelischen nicht gerade zimperlich um. Schließlich gaben sie ihnen die Schuld an dem ganzen Krieg. Der Leutnant hatte seine Truppe aber im Griff. Nach wenigen Wochen zog die Truppe weiter, aber es kamen immer wieder andere.

„Der alte Sottrumer Pastor hat recht behalten“, meinte Gesche eines Abends leise zu ihrem Mann. Ihn haben sie des Landes verwiesen, weil er nicht katholisch werden wollte, und nun steht ein Priester an seiner Stelle am Altar und auf der Kanzel, die ja noch aus katholischen Zeiten stammen.

„Solange wir gesund bleiben, soll es uns gleich sein, denn den hohen Herren, welche es auch immer sind, ist unser Schicksal egal“, sagte er nicht ohne Zorn und fuhr fort: „Wir müssen nur achtgeben, dass uns die Soldaten nicht wehtun und dass uns etwas zum Überleben bleibt.“

„Ein wenig Zubrot bringt ja auch meine Arbeit als Bademutter ein. Es wird schon reichen“, meinte Gesche.


***


Timotheus war einer der Mönche, der Tillys Truppen in den Reihen der Priester folgte. Er verblieb in Sottrum zur Unterstützung des dort eingesetzten Priesters, damit die Messe nach den Regeln der katholischen Kirche gelesen werden konnte.

Er vernahm mehr durch Zufall die Gerüchte und die Geschichte um diesen Mann aus Bötersen und berichtete sie dem Gottesmann.

„Mein lieber Timotheus, Euer Name - der Ehrfürchtige – spricht schon für Euch. Haltet die Augen und Ohren auf, sammelt Beweise für Zauberei und Gotteslästerung, dann gehen wir der Angelegenheit nach“, versprach ihm der Priester.

„Ihr seid mir auch dafür verantwortlich, Ministranten auszusuchen. Die Kirchengeschworenen werden jedenfalls von mir bestimmt und diese sogenannten Juraten aus ihrer Verpflichtung entlassen. Schlage mir dazu drei gottesfürchtige Männer vor. Und noch etwas, prüfe die Kasse stets peinlich genau!“, befahl er seinem Helfer.

„Es bleibt eine schwere Aufgabe, den Irrglauben aus diesen Menschen herauszubekommen und auszurotten. Mit Gottes Hilfe aber werden wir es schaffen. Nehme alles Heidnische und Lutherische aus dem Gotteshaus und helfe mir, es wieder zu dem zu machen, was es einst gewesen war. Ich werde es durch meine Worte und Predigten wieder zu einer gesegneten Stätte machen.“

Der Mönch verneigte sich schweigend in Demut und tat, was ihm sein Priester aufgetragen hatte.

Er entfernte überall alles, was nicht der katholischen Lehre entsprach und hängte Kruzifixe auf. Der aus dem Amt entlassene und ausgewiesene Pastor hatte bereits einen Großteil seiner sakralen Gerätschaften und Gewänder aus dem Chorraum mitgenommen, der nun wieder zu einer Sakristei wurde. Timotheus stattete dann seine Sakristei wieder mit allen notwendigen Gegenständen und Insignien aus, die er auf dem Wagen mitgeführt hatte. Mit viel Sorgfalt entfaltete er die Gewänder für den Priester und die Ministranten, holte die heiligen Bücher, Kelche, Hostien, Kerzen und allerlei andere Gegenstände, aber auch den Messwein aus den bereitstehenden Kisten heraus und gab allem mit stoischer Hingabe den festen und vorgegebenen Platz, den sie vor der Reformation innehatten. Dann widmete er sich mit gleicher Leidenschaft dem Beichtstuhl, der seiner Meinung nach auch von den verhassten Lutheranern noch genutzt wurde.

Mit Tillys Abzug packte der Mönch Timotheus, wenngleich auch dann mit Wehmut, alles wieder mit großer Sorgfalt zusammen, verstaute es sicher und folgte seinem Priester, der den Heerzug geleitete, in eine neue Aufgabe, wo immer dies auch sein würde.

Zum Abschied sagte er zu einem Mitbruder: „Ich glaube, dass wir in den wenigen Jahren nicht eine einzige dieser in vier Generationen durch Luthers falschen Glauben reformierten Seelen zum wahren Glauben haben bekehren können.“


1633

„Der Hinkefuß ist tot“, sagte Gesche zu ihrem Mann, als sie von einer Geburt eines Kindes aus einem der Nachbardörfer auf den Hof zurückkam. In ihrer Stimme schwang eine gewisse Erleichterung mit, die Joachim sogleich aufgefallen war.

„Dann kann ja nun endlich Ruhe bei uns einkehren“, kommentierte der alte Harm mit Erleichterung.

Drei Tage später wurde mit Cordt der letzte Döhrnemann des Kirchspiels zu Grabe getragen und mit ihm auch die „Hexenjagd“, wie man auf dem Hof in Höperhöfen hoffte.

Dass dieser Wunsch ein Irrtum blieb, erlebten Joachim und Gesche nicht mehr.


1639

Den alten Harm fand seine Schwester Gesine eines Morgens leblos, kalt und bretthart in seinem Bett liegend.

„Nun bist du endlich bei deiner Adelheid“, sagte sie liebevoll und strich mit der Hand über die erkalteten weißlichen Finger ihres toten Bruders.

Sie folgte ihm noch vor dem Weihnachtsfest des gleichen Jahres. Aber sie starb nicht an Altersschwäche wie der Bruder. Durch die kalten und feuchten Dezembertage war sie an Schwindsucht erkrankt und schon nach wenigen Tagen an den Folgen gestorben.

Als sie zu Grabe getragen wurde, war Mette sehr traurig, denn bei der Tante hatte sie vieles gelernt und sie hatte sie sehr gemocht.

„Sie war eine herzensgute Frau“, sagte sie zu ihrer Zwillingsschwester Tipke, die zustimmend nickte.

Nach dem Erdbegräbnis gingen beide Schwestern noch gemeinsam in Richtung Moor.

Die Eltern wussten, sie würden später nachkommen und bräuchten sich keine Sorgen zu machen.

An einem kleinen Bachlauf standen etliche alte, sehr hohe Pappeln. Am Ufer, in einer langen Kurve des Wasserlaufs, lag ein graubrauner Felsstein, auf dem drei Menschen bequem liegen konnten. Dieses war ihr Lieblingsplatz, den die Zwillinge immer dann aufsuchten, wenn sie alleine über etwas reden wollten und wenn sie Sorgen hatten.

Der heutige Tag war ein trockener, kalter Wintertag. Es lag noch kein Schnee auf den Feldern, doch konnte man ihn bereits in der Luft spüren. „Heute Nacht wird es schneien und Tante Gesines Grab erhält eine weiße Decke“, sagte Tipke zu ihrer 20 Minuten älteren, ebenfalls 14-jährigen Schwester Mette.

„Was sagst du dazu, dass wir beide nun zum ersten Mal getrennt sein werden?“, fragte Mette, die mit ihren Gedanken ganz woanders war.

Tipke schaute ihre Schwester nachdenklich an. „Ich finde es nicht so schlimm, dass wir als Mägde auf verschiedenen Höfen in Sottrum dienen sollen. Die sind ja nicht weit auseinander und da können wir uns abends ja immer gegenseitig besuchen“, antwortete sie recht blauäugig.

„Ja, das sollten wir tun. Tante Gesine und unsere Modder haben uns ja alles beigebracht, was man so wissen muss“, sagte Mette stolz und stieß Tipke den Ellenbogen sachte mit einem verschmitzten Lächeln in die Seite. „Nur die Sache mit den Männern wollte uns Tante Gesine nicht verraten, aber das finde ich schon noch heraus“, fuhr sie schmunzelnd fort.

Sie plauderten noch eine ganze Weile, bevor sie sich auf den Weg nach Hause machten.

1640-1643

Mette verabschiedete sich von ihren Eltern und den Geschwistern, denn heute war der Tag, an dem sie in Sottrum beim Untervogt ihren Dienst als Jungmagd antreten sollte.

Ihre Schwester war bereits am Tag zuvor losgezogen, ihre Stelle anzutreten.

Die beiden jungen Mädchen hatten sich zwar vorgenommen, sich abends zu besuchen, aber von der Realität eingeholt war es ihnen nicht möglich. Die Pflichten hielten sie auf den Höfen fest. So trafen sie sich regelmäßig an den Sonntagnachmittagen beim Stein oder gingen gemeinsam zu den Eltern.

Beide wechselten jeweils nach einem Jahr die Stellungen, um auf verschiedenen Höfen möglichst viel zu lernen.

Dabei konnten sie sich nicht mehr so regelmäßig sehen, weil sie nun in verschiedenen Dörfern lebten. Mette fiel diese Trennung schwerer als ihrem Zwilling Tipke.

Tipke war in Bülste bei einem Bauern in Diensten, der stolzer Vater eines Sohnes war. Dieser hatte sogleich ein Auge auf die neue Magd geworfen. Dass sie auch von einem Halbhof stammte, machte eine standesgemäße Heirat durchaus möglich, wenn da nicht diese üblen Gerüchte um deren Mutter und Großmutter gewesen wären.

Bülste war ein ganz kleiner Ort im Amt Ottersberg, wohingegen Tipke ja aus Höperhöfen, dem Nachbaramt Rotenburg stammte.

Burghardt, so hieß der junge Mann, zerstreute die Bedenken des Vaters, denn er wollte diese Frau heiraten und mit ihr Kinder haben. Da sie fleißig und redlich ihrer Arbeit nachging, gab der Vater sein Einverständnis.

Mettes Flucht in den Tod

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