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2 Resilienz in einer Welt der Katastrophen und der Gewalt – fit für die Krise

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Insbesondere die Ausweitung des kapitalistischen Wirtschaftssystems habe zu extremer sozialer Ungleichheit, zu Ausgrenzung, zu Verteilungskriegen und zu klimabedingten Katastrophen in erschreckendem Maße geführt, berichtet die Mitarbeiterin von medio international, Usche Merk[Fußnote 7]. Seit den 1990 er Jahren habe nach anfänglicher Anerkennung der politischen, umweltpolitischen Ursachen für die seelischen Leiden, ein Prozess der Entpolitisierung eingesetzt.

»Nicht mehr Krieg, Vertreibung und Gewalt standen als Ursache für das Trauma im Vordergrund, sondern die PTBS-Symptome der Einzelnen, die nun in privaten Therapieräumen über das sprachen, was sie erlebten und was ihnen angetan wurde.«

Mit dem Konzept der Resilienz scheint es zu einem Rückzug aus dem Bemühen um politische und gesellschaftliche Veränderungen gekommen zu sein. Wenig scheint es darum zu gehen, soziale Verhältnisse in den Blick zu nehmen; vielmehr soll es um den einzelnen Menschen gehen, der resilient werden soll und weitermachen kann.

Resilienzförderung nimmt die Belastungsursachen oder -kontexte selbst nicht mehr in den Blick, sie brauchen – geht es nach diesem Verständnis – nicht verändert zu werden. Sie werden in die Sphäre außerhalb der eigenen Wirkmächtigkeit verlagert. Das gilt dann nicht nur für Kriegs- und Klimakatstrophen „draußen“, sondern auch „daheim“, wo Lernstress, Arbeitslosigkeit oder Führungsschwäche drohen. Wo auch immer: Verunsicherung, Angst und Schrecken werden zu einer persönlichen „Herausforderung“ mit dem Potenzial einer Reifung der Persönlichkeit umgeschrieben. Von der Art und Weise, wie wir leben – im kleinen, wie im globalen Maßstab –, in welch hierarchischen Unterordnungsverhältnissen Politik und menschliches Maß zur Ökonomie stehen, über Ursprünge unserer Belastung sollen wir nicht nachdenken. Wir sind Teil der Orwell’schen Maschinerie. Vertraue dem herrschenden System. Der Mensch passt sich daran an, er gestaltet, fragt und kritisiert nicht. Seine Freiheit ist, sich resilient zu machen.

Emanzipation des Individuums oder seine Funktionalisierung

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