Читать книгу Final - Tanz - Jürgen Ruhr - Страница 7

IV.

Оглавление

Kurz vor neun Uhr am Montagmorgen betrat ich das Gebäude unserer Detektei.

Der Rückflug von Paris nach Düsseldorf war gestern ohne Zwischenfälle verlaufen und Christine erwartete uns schon in der Ankunftshalle des Flughafens. Während der Fahrt sprachen wir über den missglückten Auftrag und Chrissi informierte uns, dass Bernd für neun Uhr am folgenden Tag eine Besprechung im Planungsraum angesetzt hatte.

Jetzt war ich gespannt darauf, was Bernd uns mitteilen würde und mein direkter Weg führte mich in den Planungsraum. Als ich eintrat, unterhielt sich Birgit gerade mit Jennifer, die uns Kaffee und Brötchen besorgt hatte. „Morgen ihr beiden“, begrüßte ich die Frauen und schenkte mir, ohne lange zu zögern, eine Tasse von dem dampfenden Getränk ein. Dann ließ ich meinen Blick über die belegten Brötchen schweifen. „Jenny, du bist ein Schatz“, schmeichelte ich der Blonden. „Wie immer eine perfekte Auswahl.“

„Na, wenn du zufrieden bist, Jonathan, dann kann ich euch ja jetzt alleine lassen. Da kommt Bernd auch schon“, entgegnete die Kleine und verließ den Raum in dem Moment, als Bernd hereintreten wollte. Lächelnd machte er ihr Platz und ließ sie erst durch die Tür gehen. Ich schnappte mir derweil ein Mettbrötchen und biss herzhaft hinein. Heute Morgen war ich nicht zum Frühstücken gekommen und mein Magen knurrte vernehmlich.

„Guten Morgen“, Bernd nickte uns zu, dann sah er mich an. „Und guten Appetit, Jonathan. Ich hoffe, ihr hattet gestern einen guten Flug. Wir treffen uns heute hier, da ich von euch genauestens über die Vorfälle in Paris informiert werden möchte. Einerseits muss ich unserem Auftraggeber, der Versicherung, einen detaillierten Bericht zukommen lassen und andererseits möchte Eberson auch eine Zusammenfassung der Ereignisse haben. Immerhin bemühte er sich gerade, zwei Millionen Dollar zu besorgen, als die Nachricht vom Tod des Tänzers eintraf. Also, Jonathan, dann berichte bitte. Und falls er etwas vergisst oder du anderer Meinung bist, dann ergänze es“, wandte er sich an Birgit. Die nickte.

„Ich habe dir ja schon ein paar Dinge am Telefon mitgeteilt“, begann ich meine Erklärungen, „doch das Beste wird sein, wenn ich komplett von vorne anfange: Die ganze Aufführung erschien mir schon ein wenig suspekt, als wir in der Tanzschule ankamen ...“ Ich schilderte unseren Aufenthalt in Paris in so vielen Einzelheiten, wie ich mich erinnern konnte. Birgit ergänzte meine Ausführungen nur sehr selten und nickte hin und wieder.

„Jeka war verschwunden und so bat uns der Kommissar, die Leiche zu identifizieren“, schloss ich schließlich und angelte mir ein Brötchen mit Schweinebraten. Bedauernd stellte ich fest, dass eine Pfeffermühle fehlte, mit der ich das Fleisch hätte verfeinern können. Vielleicht sollte ich Jennifer später einmal darauf ansprechen. Dann musste ich lächeln: Ein Ei zum Frühstück wäre auch nicht schlecht.

„Was gibt es zu grinsen, Jonathan?“, fragte Bernd, der mich beobachtete. „Du denkst doch jetzt nicht an den Tod dieses Balletttänzers?“

„Nein, nein“, beeilte ich mich zu erklären. „Ich dachte gerade an etwas ganz anderes, das hat mit unserer Sache nichts zu tun.“

„Dann bin ich aber beruhigt. Euren Erklärungen nach schließe ich mich der Meinung an, dass ihr keine Chance hattet, anders zu handeln. Die Typen hätten euch eiskalt abgeknallt und das Publikum vermutlich ebenfalls. Und dass Sergio bei einem Fluchtversuch erschossen wurde, kann ich auch nachvollziehen. Natürlich wird die Versicherung die fünfzig Millionen nicht eher auszahlen, bis der Fall restlos aufgeklärt ist. Nur, wo diese Jekaterina Krynow abgeblieben ist, würde mich brennend interessieren. Ist die Frau einfach untergetaucht, weil die Sache schiefging, oder ist sie selbst Opfer geworden? Jonathan, du hältst bitte Kontakt zu dem Hauptkommissar in Paris. Auch wenn wir mit dem Fall nichts mehr zu tun haben, möchte ich über weitere Ermittlungsergebnisse informiert werden.“

Ich nickte: „Ferylé hat mir seine Adresse und Nummer in Paris gegeben. Das ist kein Problem.“

„Gut. Ich möchte, dass wir in relativ engem Kontakt mit ihm bleiben. Außerdem werde ich den Oberstaatsanwalt Eberson bitten, die Flughäfen zu informieren, so dass wir erfahren, falls Frau Krynow hier in Deutschland einen Flug bucht.“ Bernd füllte seine Tasse mit Kaffee und nahm sich ebenfalls ein Brötchen. „Wir gehen dann wieder zum Tagesgeschäft über, was bedeutet, dass du, Jonathan, Christine bei den Lehrgängen unterstützt, bis Dozer wieder bei uns ist. Birgit, du trainierst fleißig mit, ich möchte, dass du dieses Jahr weitere Kampfportprüfungen machst.“ Bernd erhob sich. „Dann los. Momentan ist es relativ ruhig, doch das kann sich ja jederzeit ändern, wie ihr wisst.“

Nachdem Bernd das Meeting beendet hatte, ging ich zu Christines Büro, um die Lehrgangstermine mit ihr abzusprechen. Doch meine Kollegin befand sich nicht an ihrem Schreibtisch und ich rief Jennifer an.

„Christine kommt erst heute Mittag ins Büro“, erklärte mir die Blonde am Telefon. „Die nächsten Lehrgänge finden heute Nachmittag und heute Abend statt. Vielleicht solltest du einmal wieder unseren Schießstand benutzen. Ein wenig Schießtraining wird dir nicht schaden. Bring Birgit mit.“

Ich hielt das für eine gute Idee.

Bis zur Mittagszeit schossen wir auf die kleinen Scheiben, wobei ich eindeutig vorne lag.

„Wir sollten Jennifer wegen unserer Wette um ihre Meinung fragen“, bemerkte die Bunthaarige, während wir unsere Waffen reinigten. Ich hatte die Sache schon längst vergessen und fügte hinzu: „Und Christine, wenn sie kommt. Vielleicht sollten wir das Ganze aber auch vergessen.“

„Nein, so einfach kommst du mir nicht davon.“ Birgit lachte. „Ich bin immer noch der Meinung, dass die Entführer auch Zuschauer waren, wenn auch nur ganz kurz.“

Ich stöhnte. „Meinetwegen, wenn du darauf bestehst ...“

Doch wir kamen nicht dazu, Jenny von unserer Wette zu erzählen, denn sie überraschte uns mit Neuigkeiten: „Eure Jekaterina Krynow ist anscheinend wieder aufgetaucht. Ein Mann von der Versicherung rief vor ein paar Minuten an und wollte Bernd sprechen. Es klang so, als wäre die Frau heute Vormittag dort vorstellig geworden und hätte verlangt, dass man ihr die Versicherungssumme auszahlt.“

Ich blickte Jennifer fragend an: „Die Krynow ist bei der Versicherung?“

„Gewesen, ja. Sie muss wohl schon wieder fort sein. Aber mehr weiß ich jetzt auch nicht. Bernd spricht zurzeit noch mit dem Mann und wird euch gleich bestimmt mehr erzählen können. Wenn ihr mich fragt, dann ist die Frau ganz schön dreist. Spaziert einfach in die Zentrale und fordert ihr Geld.“

„Und wo ist sie jetzt?“

„Keine Ahnung. Der Versicherungsmann hat nicht viel erzählt. Setzt euch doch einfach in die Bibliothek und wartet ab. Das Telefongespräch wird ja nicht ewig dauern.

Die Bibliothek stellte den zentralen Aufenthaltsraum im Krav Maga Studio dar. Hier konnte man nach dem Training noch zusammensitzen oder in einem der zahlreichen Fachbücher, die in Regalen an den Wänden standen, lesen. Momentan waren Birgit und ich die einzigen, die an einem Tisch Platz nahmen.

„Dann ist Jeka wohl direkt aus Paris abgehauen“, bemerkte Birgit. „Sie muss noch von der Tanzschule aus zum Flughafen gefahren sein, wenn der Kommissar sie bei Madame Routon nicht mehr angetroffen hat.“

Ich überlegte, kam aber zu keinem rechten Ergebnis. „Das klingt absurd“, meinte ich schließlich. „Der Frau müsste doch eigentlich klar sein, dass sie nicht einfach so bei der Versicherung hereinspazieren und das Geld fordern kann.“

Birgit zuckte mit den Schultern. „Wer weiß, was in ihr vor sich geht.“

Bernd gesellte sich eine halbe Stunde später zu uns. Sein Gesichtsausdruck war ernst und er hielt sich nicht lange mit Vorreden auf: „Vorhin hat mich ein Herr von der Versicherung angerufen. Frau Krynow kam heute Vormittag zu ihm und verlangte die Auszahlung der Versicherungssumme. Zunächst in bar, dann gab sie ihm eine ausländische Bankverbindung an, auf die er das Geld überweisen sollte. Natürlich hat er das entschieden abgelehnt und ihr klargemacht, dass zunächst die Ergebnisse der Ermittlungen abgewartet werden müssten. Die Krynow war ziemlich aufgebracht und drohte ihm mit ihrem Anwalt, doch das war vermutlich nur heiße Luft. Jedenfalls möchte die Versicherungsgesellschaft, dass wir an Jekaterina Krynow dranbleiben, sie beschatten und über ihr weiteres Vorgehen und Verhalten berichten. Ihr habt also einen neuen Auftrag! Wir treffen uns um fünfzehn Uhr im Planungsraum drüben, bis dahin überlege ich mir unser weiteres Vorgehen. Aber freut euch nicht zu früh: Der Job wird langweilig werden, denn er bedeutet Observierung, Observierung und noch einmal Observierung. Und das rund um die Uhr.“ Bernd erhob sich. „Seid pünktlich, fünfzehn Uhr.“

‚Na prima‘, dachte ich. Da lagen ja ein paar uninteressante Tage, wenn nicht sogar Wochen vor uns. Aber Auftrag war Auftrag und nicht alle Aufgaben konnten immer abwechslungsreich und anspruchsvoll sein. „Wollen wir etwas essen gehen?“, fragte ich Birgit. Sie könnte ja einmal Curry-Erwins Hähnchenflügelkreation probieren. Aber noch bevor sie heftig mit dem Kopf schüttelte, wusste ich, wie ihre Antwort lauten würde.

„Du willst doch wieder nur zu diesem Schmuddel-Erwin“, meinte sie.

„Curry-Erwin, der heißt nicht ‚Schmuddel-Erwin‘.“

„Bei mir schon, Jonathan. Da bekommst du mich im Leben nicht mehr hin. Nein danke.“ Birgit erhob sich, doch dann schien ihr noch etwas einzufallen: „Es gibt da eine neue Außengastronomie. Biergarten und Restaurant in einem. Wenn du mich einladen möchtest, dann dorthin. Ich war zwar noch nicht dort, aber was ich so gehört habe, soll das Lokal ausgezeichnetes Essen und eine sehr freundliche Bedienung bieten. Das Wetter ist gut und wenn du mich einlädst, darfst du uns sogar in deinem neuen Wagen hinfahren. Ich wollte immer schon einmal in einer Postkutsche mitfahren.“

„Das ist keine Postkutsche und auch kein Postwagen oder Briefkasten“, murrte ich und erzählte meiner Kollegin nicht, dass ich wirklich einmal einen Brief auf dem Fahrersitz gefunden hatte. Seitdem verschloss ich die Fenster immer gewissenhaft. Den Brief hatte ich dann zur Post gebracht, wo ich allerdings noch Porto dafür bezahlen musste. Irgendwie spürte ich, dass sich jemand mit mir einen Scherz erlaubt hatte, da die Sendung nicht frankiert gewesen war.

„Was ist nun, Jonathan? Worüber denkst du jetzt so angestrengt nach? Ja oder nein? Lädst du mich nun ein?“

Ich überlegte. Je nach Art von Gastronomie könnte diese Einladung teuer für mich werden. Und da es mit meinen Finanzen nicht sonderlich gut stand - nach dem Kauf des neuen Wagens - und Bernd die Kosten wohl kaum als Spesen durchgehen lassen würde, müsste ich über eine Einladung gut nachdenken. Bei Curry-Erwin kannte ich die Preise und war vor Überraschungen sicher. „Wie sind denn da so die Preise?“, fragte ich Birgit.

„Normal.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Wie überall auch, denke ich. Es ist ein ganz normales Lokal, Jonathan. Nur, dass sie draußen an der frischen Luft Tische und Stühle stehen haben. Außengastronomie halt.“

„Okay“, stimmte ich zu. „Ausnahmsweise, weil das Lokal neu ist. Aber wirkliche Qualität bekommst du nur bei Curry-Erwin.“

Wir meldeten uns bei Jennifer ab und versprachen pünktlich zu der Besprechung wieder da zu sein. Birgit erklärte mir, wohin ich zu fahren hatte, dann quetschte sie sich auf den Beifahrersitz. „Niedlich“, meinte sie. „Aus dem will aber auch erst noch ein Großer werden ...“

Ich fuhr extra einen Umweg und beschleunigte das Fahrzeug gekonnt aus den Kurven heraus. Auf einer Geraden gab ich richtig Gas. Birgit blickte sich nach hinten um, dann meinte sie: „Vielleicht solltest du nicht so rasen, Jonathan. Wir haben doch Zeit genug. Ich befürchte, du bist gerade geblitzt worden, da hinten steht ein Blitzapparat.“

Ich verminderte abrupt das Tempo. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Der Wagen brachte mir kein Glück. Erst das Abschleppen vor Erwins Tür, dann dies hier. Ich blickte in den Rückspiegel und plötzlich fielen mir die Worte des Abschleppfahrers, der meinen verbrannten Wagen entsorgt hatte, ein: Am Rückspiegel fehlte der Talisman, der noch im Handschuhfach liegen musste.

„Kannst du mal bitte das Handschuhfach öffnen?“, bat ich Birgit. „Darin findest du ein kleines, weißes Äffchen, das an den Spiegel gehangen werden muss. Ist ein Glücksbringer.“

Birgit durchwühlte das Fach und fand schließlich das Äffchen. „An so etwas glaubst du, Jonathan? Ein Talisman? Du trägst aber nicht auch noch ständig eine Hasenpfote mit dir herum?“ Sie lachte und betrachtete den kleinen Kerl. „Niedlich“, meinte sie dann. „Dass ein ausgewachsener Kerl, noch dazu Personenschützer und Detektiv, an so einen Mist glaubt. Und das muss an den Rückspiegel?“

„Genau“, bestätigte ich. „Kannst du ihn bitte dranhängen?“

„Jetzt, während der Fahrt? Willst du das nicht übernehmen, wenn wir da sind?“

Ich schüttelte den Kopf: „Je eher, desto besser. Dann wäre die Sache mit dem Blitzer vielleicht gar nicht passiert. Du brauchst einfach nur die Schlaufe um den Spiegel herumzulegen.“

Birgit versuchte die dünne Kordel um den Spiegel zu wickeln, stellte sich dabei aber recht ungeschickt an. Der Spiegel verdrehte sich und fast wäre das Äffchen heruntergefallen. „Warte“, meinte ich und zog die Kordel gerade. Erleichtert sah ich, dass der Talisman richtig an seinem Platz hing.

Im gleichen Moment bemerkte ich die roten Bremslichter des Wagens vor mir. Erschreckt drückte ich Bremse und Kupplung gleichzeitig durch und die Reifen schlitterten quietschten über den Asphalt. Ich sah im Geiste schon verbeultes Blech, Scherben und einen dampfenden Kühler, doch mein kleiner gelber Wagen kam Millimeter hinter dem Vordermann zum Stehen. Erleichtert grinste ich Birgit an: „Siehst du, ohne den Talisman wäre ich dem da vorne drauf gefahren. Schon der Mann vom Abschleppdienst, der meinen alten Ford mitgenommen hat, schwor auf die Glücksbringer. Und er hatte wirklich Recht, wie du siehst.“

Birgit schüttelte den Kopf, als jemand gegen meine Scheibe klopfte. Ich ließ sie ein Stück herunter. „Du Schwachkopf“, schrie ein vielleicht Fünfundzwanzigjähriger. „Du wärst mir fast in die Karre gefahren!“

„Aber nur fast“, lächelte ich.

Der Mann drohte mir mit der Faust und trat im Vorbeigehen gegen den Kotflügel meines Wagens. Dann sprang er auf seinen Fahrersitz und fuhr mit quietschenden Reifen davon.

„Verdammt, was war das für ein Idiot? Hast du seine Autonummer?“ Ich wollte aus dem Wagen steigen, um mir den Schaden anzusehen, doch ein wütendes Hupkonzert zwang mich zur Weiterfahrt.

Auf dem Parkplatz vor dem Restaurant besah ich mir den Kotflügel. Direkt über dem Reifen konnte ich eine dicke Delle erkennen. „Scheiße“, murmelte ich. „Birgit, hast du die Nummer von dem Wagen?“

Meine Kollegin schüttelte den Kopf: „Es ging leider zu schnell. Aber das dürfte sich vielleicht mit ein wenig Aufwand wieder ausbeulen lassen.“ Sie lachte. „Einen neuen Wagen wirst du dir deswegen nicht kaufen müssen ...“

Das Restaurant lag verlassen. Ich blickte mich um, konnte aber keine Gäste entdecken. Auch der Parkplatz war, bis auf meinen Wagen, leer. „Bist du sicher, dass die mittags geöffnet haben?“, fragte ich Birgit.

„Ganz sicher. Geöffnet von elf Uhr bis zweiundzwanzig Uhr. Hier müsste eigentlich mehr los sein ...“

Wir suchten uns einen schattigen Platz und setzten uns. Die Tische und Bänke hier draußen bestanden aus Bierzeltgarnituren und waren recht unbequem. Ich sah mich nach einer Bedienung um, wurde allerdings nicht fündig. Nach fünfzehn Minuten erhob ich mich. „Ich schaue mal, ob hier überhaupt jemand bedient“, erklärte ich Birgit. Doch im selben Moment schlurfte eine magere Frau von vielleicht zwanzig Jahren, lustlos heran. ‚Vermutlich eine Studentin, die sich etwas nebenher verdient‘, dachte ich und ließ mich wieder auf die Bank fallen.

„Hier draußen nur Kännchen“, begrüßte sie uns und zückte einen Block und einen Bleistift.

„Ihnen auch einen recht schönen guten Tag“, meinte ich freundlich und lächelte sie an.

„Was kann ich ihnen bringen?“, knurrte die Bedienung unfreundlich.

„Mir ein Kännchen Limonade. Und die Karte, wenn es so etwas gibt.“ Noch immer lächelte ich.

„Wollen sie mich auf den Arm nehmen?“ Die Bedienung sah mich böse an. „Es gibt keine Kännchen, hier draußen nur Flaschen.“

„Sie sagten doch, hier gäbe es nur Kännchen. Nun gut. Dann doch keine Limonade, sondern eine Flasche Kaffee“, änderte ich meine Bestellung. Birgit sah mich böse an und ich wusste, dass ich es jetzt nicht übertreiben durfte.

„Ich nehme eine Flasche Cola“, bestellte meine Kollegin und die Bedienung rauschte ab. Ich war gespannt, was sie mir nun bringen würde? Ein Kännchen Limonade oder eine Flasche Kaffee? Oder am Ende doch ein Kännchen Kaffee?

Es dauerte wieder eine Viertelstunde, dann kam die Frau mit einer Flasche Cola und einer Speisenkarte zurück. Sie stellte die Flasche wortlos auf den Tisch, legte die Karte daneben und verschwand wieder in dem Gebäude.

Ich sehnte mich nach Curry-Erwin, der mir die meisten Wünsche von den Augen ablas. Oder den Lippen oder von wo auch immer. Erwin kannte mich und wusste, womit er mich glücklich machen konnte.

„Schon gewählt, Jonathan?“

„Wie denn? Ich habe ja keine Karte. Und zu trinken habe ich auch nichts!“

Birgit hielt mir ihre Karte hin: „Hier, ich nehme ein Baguette ‚surprise‘, das hört sich vielversprechend an.“

Ich blickte auf das einzelne Blatt, das in Klarsichtfolie eingeschweißt war. Auf der Vorderseite wurden einige Gerichte mit durchweg französischen Bezeichnungen aufgelistet, auf der Rückseite befanden sich die Getränke. „Das ist ja schwieriger, als in Paris“, stöhnte ich. „Was um alles in der Welt ist ‚Coq au frites‘? Irgendwas mit Pommes wohl. Und tausend Arten ‚tarte flambée‘.“ Es gab noch eine Rubrik ‚Surprise‘ und neben dem Baguette stand auch irgendetwas mit ‚frites‘. „Ich nehme diese ‚frites surprise‘, was immer das sein mag.“

Diesmal ließ sich die Bedienung nicht ganz so viel Zeit, sondern kam recht zügig an unseren Tisch. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich so getan hatte, als würde ich mich erheben.

„Sie haben etwas gefunden?“, fragte sie in ihrer unwirschen Art, über die ich so schwer hinweghören konnte. Birgit nickte.

„Ich nehme einmal das Baguette ‚surprise‘.“

„Und für mich die ‚frites surprise‘. Und eine Flasche Limonade.“ Die Sache mit dem Kännchen verkniff ich mir diesmal.

„Surprise ist nur für Kinder“, erklärte die Frau. „Die Gerichte für Erwachsene stehen weiter oben.“

„Aber hier steht nichts davon, dass ‚surprise‘ nur für Kinder ist“, warf ich ein und hielt die Karte hoch. „Wie soll man denn erkennen, was für Erwachsene und was für Kinder sein soll?“

„Das weiß jeder“, murrte sie. „Surprise ist nun einmal nur für Kinder. Das hört man ja schon am Namen: ‚Surprise‘.“

„Die anderen Gerichte sagen mir aber nicht zu“, beharrte ich auf meiner Bestellung. „Was ist denn ‚Coq au frites‘?“

Die Bedienung schüttelte den Kopf: „Keine Ahnung. Das hat bisher noch niemand bestellt. Am besten, sie gehen ins Restaurant hinein und fragen den Koch. Oder bestellen sie das, was alle bestellen.“

„Und das wäre?“, fragte ich neugierig. Was bestellten hier ‚alle‘?

„Flammkuchen. Den können sie mit Spinat, Erbsen und Möhren oder Thunfisch bekommen.“

Ich warf einen Blick auf die Karte: „Aber hier steht nichts von Flammkuchen.“

„Das sind die ‚tarte flambée‘ dort“, erklärte sie geduldig wie zu einem Kind. „Das weiß aber jeder. Also nehmen sie jetzt einen Flammkuchen?“

„Nein. Ich mag keinen ‚Flammkuchen‘, wir bleiben bei unserer Bestellung.“ Immerhin war der Kunde König, Kindermenü hin oder her.

„Gut, dann bekommen sie ‚surprise‘. Sie müssen allerdings den Erwachsenenzuschlag bezahlen, ‚surprise‘ ist ja nur für Kinder.“

Nachdem die Bedienung mit unserer Bestellung fort war, sah ich Birgit an: „Und du meckere noch einmal über Curry-Erwin. Wer hat dir bloß dieses Lokal empfohlen?“

Diesmal dauerte es geschlagene zwanzig Minuten, bis die Bedienung wieder zu uns kam. Sie stellte ein Baguette vor Birgit hin, das auf der Unterseite pechschwarz war. An den Seiten lief zäh schmutziggelber Käse herunter und oben befand sich eine Masse aus Ketchup, Mayonnaise und kleingehackten Zwiebeln. Ich musste grinsen, denn solch ein Essen hätte Curry-Erwin im Leben nicht seinen Gästen aufgetischt.

Meine ‚frites surprise‘ bestanden aus einem Mischmasch von matschigen Pommes Frites und Mayonnaise. Es sah aus, als hätte jemand Mayo und Pommes in eine Schüssel getan und mit einem Mixer umgerührt. Außerdem hatte die Frau meine Limonade vergessen.

„Die Limo fehlt noch“, reklamierte ich, doch die Bedienung schüttelte den Kopf.

„Sie haben Kaffee bestellt, vorhin. Der läuft gerade durch die Maschine. Nach dem Essen bekommen sie ihren Kaffee.“

„Ich möchte aber jetzt etwas zu trinken, nicht erst nach dem Essen. Außerdem möchte ich eine Limonade und keinen Kaffee.“

„Dann müssen sie ihre Bestellung auch korrekt aufgeben“, knurrte die Frau. „Kaffee gibt es immer nach dem Essen, solange werden sie sich wohl gedulden können.“

„Nein, kann ich nicht.“ Ich blickte auf meine Uhr und stellte mit Entsetzen fest, dass es bald Zeit wurde, zum Büro zurückzukehren. „Ich möchte jetzt direkt zahlen, da wir ins Büro zurückmüssen. Geht das wenigstens?“

„Natürlich!“ Sie kritzelte ein paar Zahlen auf ihren Block, dann blickte sie auf. „Vierundvierzig achtzig“, forderte sie dann und reichte mir den Zettel.

Ich beschloss, hierhin nie wieder zurückzukehren. Mit knurrendem Magen fuhren wir zurück zum Büro

„Schön, dass ihr pünktlich seid“, begrüßte uns Bernd im Planungsraum. Auf dem Tisch stand ein Tablett mit drei Kaffeebechern und einer Thermoskanne. Mein knurrender Magen und ich hätten gerne noch etwas Kuchen dazu gehabt, doch dieses Treffen sollte ja nicht in einem Kaffeekränzchen ausarten.

„Wie ich ja schon erwähnte, hat mich der Versicherungsangestellte angerufen. Sie wollen über die Aktivitäten der Frau Krynow genauestens informiert werden. Auch bei der Versicherung denkt man, dass sie die Drahtzieherin hinter der Entführung ist. Die Versicherung steht auch mit der französischen Kriminalpolizei in Kontakt und wird über die Ermittlungsergebnisse informiert. Sollten die Ermittlungen allerdings innerhalb eines gewissen Zeitraums kein Ergebnis zeigen, dann sind sie gezwungen, die fünfzig Millionen auszuzahlen. Es geht also darum, Jekaterina Krynow nachzuweisen, dass sie mit den Entführern unter einer Decke steckt. Das ist auch der Grund, warum ihr sie beschatten werdet. Stellt fest, mit wem sie Kontakt hat. Macht Fotos von den Leuten, mit denen sie sich trifft. Jennifer kann euch unterstützen, indem sie zu den Kontakten die entsprechenden Daten besorgt. Name, Anschrift, und so weiter. Schickt ihr die Fotos und alles, was ihr sonst noch herausbekommen könnt, sie erledigt den Rest. Es wäre natürlich schön, wenn wir den vier Entführern auf die Schliche kommen könnten. Euer Auftrag lautet aber, lediglich zu beobachten und die Informationen an uns weiterzuleiten. Ihr mischt euch nicht ein! Verstanden? Wenn es brenzlig wird, dann ruft ihr die Polizei. Jonathan, hast auch du das verstanden?“

Ich nickte heftig und verschüttete ein wenig Kaffee auf den Tisch. „Sicher, nicht einmischen und im Notfall die Polizei rufen. Das dürfte ja nicht allzu schwer sein. Wie sieht es mit unserem Budget aus? Spesen und so weiter?“

„Denkst du wieder nur ans Essen?“ Bernd blickte mich fragend an und ich zuckte mit den Achseln. Mein Magen knurrte und ich sehnte mich nach Curry-Erwin.

Bernd lachte leise: „Aber ich kann dich beruhigen, Jonathan. Wir sprechen allerdings momentan nicht von einer Observation hier in Deutschland, ihr werdet wieder nach Paris reisen müssen, aber dazu komme ich gleich. Auf jeden Fall wirst du dort nicht verhungern. Ihr könnt über finanzielle Mittel innerhalb eines vernünftigen Rahmens verfügen. Da die Versicherung der Auftraggeber ist, müsst ihr alle Ausgaben natürlich belegen, also lasst euch Quittungen geben. Gerechtfertigte Kosten sind abgedeckt, ich vertraue auf euren gesunden Menschenverstand. Alle anderen Dinge, wie Reisekosten, Hotel und Mietwagen klärt Jennifer von hier. Jedenfalls, soweit es möglich ist.“

Ich räusperte mich. Die plötzliche Änderung des Auftrages kam ein wenig überraschend. „Paris? Ist Jeka denn schon wieder in Frankreich?“

Bernd schüttelte den Kopf: „Noch nicht. Wir wissen momentan nicht, wo sie sich aufhält, vielleicht sogar in Düsseldorf in ihrer Wohnung. Was wir aber wissen, ist, dass sie für morgen Nachmittag einen Flug nach Paris gebucht hat. Die Info kam von Oberstaatsanwalt Eberson, beziehungsweise von seinem Büro, vor gut einer Viertelstunde herein. Dieser Kommissar Ferylé wurde darüber ebenfalls in Kenntnis gesetzt. Deswegen dürft ihr euch noch einmal in die Stadt der Liebe begeben. Ihr wohnt in einem Hotel in der Nähe des Hotelbootes, knapp eine Straße weiter. Die Krynow wird dort vermutlich wieder ihr Zimmer beziehen, das hat sie noch nicht gekündigt. Außerdem wird für euch ein Leihwagen bereitstehen, ihr braucht im Hotel nur danach zu fragen. Aber alle Unterlagen bekommt ihr später von Jennifer.“

Bernd trank einen Schluck Kaffee und sah mich an: „Keine Zwischenfragen, Jonathan? Gut, dann kann ich ja mit meinen Erklärungen fortfahren ...“

„Wann fliegen wir?“, fragte ich nun doch.

„Tja, Jonathan. Genau das ist die schlechte Nachricht, die ich für euch habe: Ihr reist mit dem Zug nach Paris. Denn diesmal möchte ich, dass ihr bewaffnet seid. Ich weiß, ich sagte, ihr sollt euch nicht einmischen und nur beobachten, ich möchte aber auch nicht, dass ihr den Gangstern wehrlos gegenübersteht, falls es dazu kommen sollte. Die Fahrt wird gut fünf Stunden dauern und geht morgen früh kurz vor neun Uhr vom Bahnhof in Rheydt los. Ihr werdet früh genug in Paris sein, um noch im Hotel einzuchecken. Mit dem Leihwagen fahrt ihr dann zum Flughafen Charles De Gaulle, von wo aus ihr die Frau rund um die Uhr beschatten werdet. Benutzt während der Überwachung die Mini Headsets, um euch zu verständigen. Und vielleicht tarnt ihr euch irgendwie. Ein unauffälliger Hut, eine Perücke oder so. Lasst euch etwas einfallen, Jeka Krynow darf euch jedenfalls nicht erkennen. Die Aufgabe müsst ihr euch zurzeit noch teilen und eventuell wird es erforderlich sein, dass ihr euch trennt. Donnerstag schicke ich Christine als Verstärkung, dann wird Dozer hier die Lehrgänge wieder übernehmen. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, dann solltet ihr auch den Kommissar Ferylé kontaktieren, wenn nicht sogar mit ihm zusammenarbeiten. So, und jetzt kannst du Fragen stellen Jonathan. Du natürlich auch, Birgit!“

Ich überlegte, denn für eine intelligente Frage wäre jetzt der richtige Zeitpunkt. Mir fiel nur nichts ein. Dann aber lächelte ich: „Bernd, wenn ich schon fragen darf: Fünf Stunden Fahrt mit dem Zug - wird es denn einen Restaurantwagen geben?“

Bernd stöhnte: „Bestimmt, Jonathan. Allerdings werdet ihr mehrere Male umsteigen müssen, wenn ich Jennifer richtig verstanden habe. Vermutlich wird es aber im Bahnhof oder im Zug die Möglichkeit geben, dass du etwas zu dir nehmen kannst. Die Bahn will ja auch nicht, dass ihre Kunden bei solch einer langen Reise unterwegs verhungern. Ansonsten kannst du ja Jennifer bitten, dir ein paar Brötchen zu schmieren ...“

Birgit kicherte, was ich aber für eine unangemessene Reaktion hielt.

Final - Tanz

Подняться наверх