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Drittes Kapitel

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Ernst war mit der Fähre über den Neckar gesetzt und ritt den Waldpfad über Schwanheim auf Neunkirchen zu, um sich von hier nach Burg Zwingenberg zu wenden. Er ließ sein Roß im Schritt durch den frühlingsduftigen, taublinkenden Wald gehen, achtete aber nicht auf das fröhliche Blühen und Sprießen rings um ihn her und hörte nicht das Singen und Zwitschern in allen Zweigen. Er war unmutig und fühlte sich verletzt, daß ihm sein gestrenger Herr Vater nicht mehr Vertrauen geschenkt und ihn in den Zweck des erteilten Auftrages nicht eingeweiht hatte, worüber er im Sattel nun nachsann und grübelte. Ihm war gesagt worden, und er sollte es auf Zwingenberg und Stolzeneck mitteilen, daß sein Oheim Konrad heute früh nach Hirschhorn und Eberbach geritten war, um auch dort die Herren zur Beratung nach der Mittelburg einzuladen. Er wußte auch von dem gestrigen Ritt der beiden Brüder, jedoch ohne das Ziel desselben erfahren zu haben. Was bereitete sich denn da vor, das man ihm so geflissentlich zu verheimlichen suchte? er war doch wahrlich alt genug, alles wissen und alles verschweigen zu können! Nun, dessen getröstete er sich, wenn es wirklich zum Schlagen kam, so ließen sie ihn auch mitreiten, wie er schon öfter bei solchen Gelegenheiten mitgeritten war. Diese Hoffnung stimmte ihn wieder heiter, und im Vollgefühl seiner gelenkigen Jugendkraft gab er dem Roß die Sporen und galoppierte den schmalen Waldweg dahin.

Bald hatte er das Dorf Neunkirchen erreicht, und da er, nach dem Stande der Sonne zu schließen, noch viel Zeit übrig hatte, so gelüstete es ihn, ein Stück in den zur Minneburg gehörigen, aber noch immer den Steinachs verpfändeten Wald hineinzureiten. Als wär's der Zauberwald von Brezilian, in welchem Parcival die schöne Herzogin Jeschute fand und mit seinen Küssen aus dem Schlummer weckte, so trieb ihn eine ahnungsvolle Neugier hinein mit dem lebhaften Wunsche, daß auch ihm hier irgendein liebliches Abenteuer begegnen möchte. In gemächlichem Schritt reitend betrachtete er aufmerksam die Buchen und Eichen, als trügen sie hier andere Rinde und andere Blätter und reckten die Äste in anderer Weise zum Nachbar hinüber als in den Waldungen seines Vaters. Auch diese Waldblumen, die hier unter den Büschen blühten, diese bunten Schmetterlinge, die sich auf ihnen wiegten und in den schrägen, das Laub durchbrechenden Sonnenstrahlen hin und wider flatterten, glaubte er noch nirgends sonst gesehen zu haben. Manchmal hielt er sein Pferd an und horchte auf das Lied eines Vogels, der sich in einem Wipfel barg und ganz anders pfiff, als sein Stammverwandter, der bei Neckarsteinach sein Nest hatte. Alles deuchte ihm hier neu und geheimnisvoll wie die Minneburg selber, die sein Fuß seit Jahren nicht betreten hatte.

So lange die Landschaden mit den Rüdts in gutem Frieden lebten, waren sie oft zusammengekommen, und Ernst hatte sich schon früh zu Richilde, Herrn Zeisolfs und Frau Julianens blondlockigem Töchterlein, lebhaft hingezogen gefühlt, hatte mit ihr gespielt und gescherzt, ihr dann, als sie den Kinderschuhen entwachsen war, in jugendlich feuriger Weise den Hof gemacht und sie vor allen anderen Burgfräulein mit tausend kleinen Aufmerksamkeiten, die sie sich gern von ihm gefallen ließ, so augenscheinlich bevorzugt, daß man die beiden schon öfter miteinander geneckt hatte. Dann war die Fehde ausgebrochen, und sie hatten sich nicht wieder gesehen; aber Ernst hatte noch oft an seine junge Freundin gedacht und sich manchmal nach ihrem lieblichen Anblick gesehnt.

Mit der Erinnerung an jene glückliche Zeit war er immer tiefer in den Wald hineingekommen, als plötzlich aus der Ferne ein heller Laut an sein Ohr schlug, der wie eine Menschenstimme klang. Er hielt und lauschte; da hörte er es wieder und deutlicher als zuvor; es schienen mehrere Stimmen zu sein, und wie ein fröhliches Gelächter durchschallte es den schweigenden Forst. Er ritt langsam weiter, dem Klange nach, und als er so nahe heran war, daß er die Stimmen, die ihm von Mädchenlippen zu kommen schienen, zu unterscheiden vermochte und schon einzelne Worte zu verstehen glaubte, stieg er ab, band sein Pferd an einen jungen Baum und schlich vorsichtig zu Fuß dem Schauplatz der den Wald durchdringenden Fröhlichkeit zu.

Im Gebüsch versteckt, genoß er nun eines Anblickes, der ihn mit so großer Verwunderung erfüllte, daß er das Entdeckte für einen holden Spuk zu halten geneigt war.

Mitten in der Krone einer mächtigen Buche sah er ein Mädchen, das sich, wie er aus den gegenseitigen Zurufen von oben und unten schließen mußte, vergeblich bemühte, von dem Baume wieder herunter zu kommen. Zu seinem Ergötzen bemerkte er, wie die kräftige junge Schöne, die in ziemlicher Höhe auf einem starken Zweige bald stand, bald kniete, öfter den einen Fuß nach dem zunächst tieferen Zweige ausstreckte, um eine Stütze daran zu finden, ohne daß ihr dies gelingen wollte.

Ernst hatte in seiner Kindheit viel von Feen erzählen hören. Allein Feen waren doch zauberkundige Wesen, die schweben, fliegen und mit mancherlei Gespannen durch die Lüfte fahren konnten; einer Fee konnte es niemals begegnen, daß sie sich wie ein Junge, der Vogelnester ausnehmen will, in einem Baume verstieg und nun in größter Verlegenheit um das Herunterkommen war. Und der Feenglauben hatte bei Junker Ernst schon längst keinen Grund und Boden mehr; darum zweifelte er auch nicht daran, daß er hier rein menschliche Fräulein vor sich hatte, die zu ihrem Vergnügen in den Bäumen herumkletterten. Zudem kam ihm die Stimme in der Buchenkrone und eine von den beiden unten auf ebener Erde sehr bekannt vor. Er schlich sich in gebückter Stellung noch näher heran, und die drei jungen Baumnymphen waren von der heiterernsten Lage, in der sie sich befanden, so vollkommen in Anspruch genommen, daß sie nichts anderes um sich her sahen und hörten. Da erkannte der Junker in der einen unten am Boden Fräulein Hiltrud von Erbach und in der oben zwischen den Buchenzweigen Fräulein Sidonie von Hirschhorn. »Nun dann wird ja wohl die dritte niemand anders sein als Fräulein Richilde von der Minneburg,« sagte er sich; »o welch ein köstliches Abenteuer!« Er mußte an sich halten, um nicht laut zu lachen und vor Freude hell aufzujauchzen. Aber sofort sah er auch ein, daß er hier etwas Besseres zu tun hatte, als zu lachen: er mußte zu Sidonie hinaufklettern und sie herunterholen.

Auch mit ihr und Hiltrud war er von Kindheit an befreundet, mit Sidonie sogar verwandt und traf mit beiden auf den väterlichen Burgen öfter zusammen. Die erstere war drei, die andere vier Jahr älter als Richilde, die ihm so prächtig aufgeblüht erschien, daß er sie kaum wieder erkannte.

Er trat aus dem Gebüsch heraus und schritt auf die Buche zu, die inmitten einer kleinen Lichtung stand. Als die beiden Mädchen hier ihn erblickten, stießen sie einen Schrei aus und machten eine Bewegung, als wollten sie davonlaufen. Aber Hiltrud hemmte den Schritt und rief: »Ernst! Ernst Landschad! – mein Gott, wie hast du mich erschreckt!«

Ernst grüßte höflich und sprach: »Verzeiht! ich hörte Stimmen im Walde und ging dem Klange nach und – was ist denn das?« unterbrach er sich jäh und zeigte auf etwas am Boden Liegendes, die beiden Mädchen eines nach dem andern mit fragenden, vorwurfsvollen Blicken ansehend.

Da auf dem Boden lag ein toter Reiher und daneben eine Armbrust.

»Ich habe ihn geschossen,« sagte Richilde selbstbewußt.

»Jetzt, in der Brutzeit?« frug Ernst.

Die beiden Mädchen schwiegen. Als er aber Richilden ins Gesicht schaute, die in holder Verwirrung über den nicht verstandenen Sinn der Frage errötete, da fühlte er sich von ihrer jungfräulichen Anmut und Schönheit im tiefsten Herzen ergriffen, und in diesem Augenblick war es ihm nicht möglich, ihr eine Strafpredigt über den zur Unzeit erlegten Reiher zu halten.

In der Buchenkrone war es mäuschenstill, und als Ernst emporblickte, sah er, wie Sidonie auf ihrem Zweige sich an den Stamm schmiegte und im Laube zu verbergen suchte. Er lächelte und sagte: »Und was macht Sidonie da oben auf dem Baume?«

»Der geschossene Reiher blieb beim Fallen in den Zweigen der Buche hängen,« erwiderte Hiltrud, »und da ist Sidonie hinaufgestiegen, um ihn herunter zu holen. Sie hat uns den Vogel herabgeworfen, aber nun –« Sie stockte, als fehlten ihr die rechten Worte.

»Nun gefällt es ihr da oben in dem grünen Laubversteck so gut, daß sie gar nicht wieder herunter will,« half ihr Ernst lachend ein. Die beiden Mädchen blickten sich ängstlich an, er aber rief zum Wipfel hinauf: »Komm nur herunter, Sidonie! ich habe dich schon gesehen.«

Oben blieb alles still, aber es war, als wenn ein Seufzer wie ein leiser Lufthauch durch die Blätter ging. Ernst betrachtete sich die Buche genauer und sann darüber nach, auf welche Weise Sidonie wohl da oben hinauf gekommen sein mochte. Für einen Knaben wäre es ein Leichtes, von einem Mädchen aber bezeugte das Kunststück nicht nur kecken Wagemut, sondern auch Kraft und Geschicklichkeit. Die Zweige des gewaltigen Baumes fingen schon tief unten am Stamme an; trotzdem mußten die beiden Freundinnen Sidonien erst emporgehoben haben, damit es ihr möglich wurde, den untersten Zweig zu erfassen und sich auf ihn zu schwingen. Von dort höher hinauf zu klimmen, war verhältnismäßig leicht, denn die Zweige waren so zahlreich und wuchsen so dicht übereinander, daß man fast wie auf Leitersprossen weiter kommen konnte. Nur dort, wo Sidonie sich jetzt befand, gab es weitere Abstände, die wohl zu überwinden waren, wenn man sie vor sich hatte, die aber für den Rückweg Schwierigkeiten boten. So saß denn die kühne Baumsteigerin dort oben gefangen, wenn ihr von unten nicht Hilfe und Rettung kam.

»Ja, sitzen lassen können wir sie doch da oben nicht,« sagte Ernst. »Da wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als daß ich hinauf steige und ihr herab helfe. Sidonie!« rief er hinauf, »soll ich kommen und dich herunter holen?«

»Was frägst du denn noch? Könntest schon längst oben sein!« klang es ungeduldig aus den Zweigen herab.

»Ei, ei, du fürwitzig Vöglein! singst ja ein trutzig Lied da oben im Grünen,« gab er lachend zur Antwort. »Nun müßt ihr mich aber auf euren Armen bis zu dem untersten Zweige hier emporheben, wie ihr es jedenfalls auch mit Sidonie gemacht habt,« wandte er sich zutraulich an die beiden Mädchen neben ihm.

Die blickten erst gegenseitig sich an und dann auf den hochgewachsenen, stämmigen Jugendfreund, als überschlügen sie im stillen, ob ihre Kraft wohl dazu ausreichen würde. Er erriet ihre Gedanken und sagte: »Nun, viel schwerer als Sidonie bin ich auch nicht.«

Aber Hiltrud sprach: »Kannst du denn da nicht allein hinauf? wirst doch springen können?«

»Springen? hm! ich weiß nicht,« entgegnete er, die Entfernung mit den Augen messend, »aber ich denke es mir so lustig, sich einmal von schönen Armen tragen zu lassen. Wollt ihr denn nicht?«

»Ich hätte dir mehr Gelenkigkeit zugetraut,« sagte Hiltrud.

Um ihr zu beweisen, daß sie sich nicht in ihm irrte, erfaßte er mit einem mächtigen Satze den Zweig und schwang sich hinauf. »Sidonie!« rief er dann, »der Befreier naht, die verwunschene Prinzessin zu erlösen, aber ohne ein kräftiges Zaubermittel geht's dabei nicht ab!«

Flink kletterte er durch das Astwerk empor und hatte die Verstrickte bald erreicht, während unten die beiden den Verlauf des Rettungswerkes in herzklopfender Erregtheit abwarteten.

»Guten Morgen, liebe Sidonie!« sagte Ernst zu der Freundin und bot ihr die Hand, in welche sie mit einem halb lustigen, halb verlegenen Lächeln die ihrige legte, sich mit der anderen am Baume haltend. »Schau, schau,« fuhr er gleich fort, sich auf den Ast setzend, auf welchem sie stand, »wie hübsch sich's hier oben wohnt! Was meinst du, wollen wir uns hier ein großes weiches Nest bauen? ich trage alles Nötige herbei, und du hast es bloß zu flechten und auszufüttern.«

»Laß jetzt die Späße,« erwiderte sie, »und hilf mir so schnell wie möglich herab.«

»Nur Geduld! so rasch geht das nicht,« lachte er. »Setze dich mal hier neben mich auf den Ast; du siehst, er trägt uns beide.«

Das war nun freilich leichter gesagt als getan, und sie blickte ihn ängstlich an.

»Nur Mut! stütze Dich auf meine Schulter; ich umfasse dich und lasse dich ganz gewiß nicht herunter fallen, wenigstens nicht allein,« sprach der durchtriebene Schelm.

Mit der einen Hand sich auf seine Schulter stützen, mit der andern sich am Baume festhalten; wie nun die Kleider züchtig zusammenfassen? dazu hatte sie keine dritte Hand verfügbar. Aber was half's? sie mußte es eben machen, wie sie nicht anders konnte, und endlich saß sie, purpurrot im Antlitz, neben ihm und suchte ihre verschobenen Kleider so gut wie möglich zu ordnen.

»So! das ging ja; aber still sitzen mußt du!« rief er, »das Rutschen und Hüpfen und Lüpfen kann der Ast doch am Ende nicht vertragen; ich glaube, er knackt schon.«

»Um Gott!« schrie sie auf, »er wird doch nicht brechen?«

»Ich hoffe nicht,« sprach er ruhig, sie fester an sich drückend, als eigentlich nötig war. »Jetzt wollen wir überlegen, wie wir glücklich auf den nächsten Zweig unter uns kommen.«

»Du bleibst hier sitzen,« meinte sie, »und läßt mich langsam hinab, bis ich Fuß fassen kann.«

»Nein, so geht es nicht,« erwiderte er. »Du bist viel zu schwer, als daß ich dich im Sitzen hinablassen könnte; wie soll ich denn uns beide halten im freien Schweben? Ich muß vorangehen, und du gleitest in meinem Arme langsam an mir herunter.«

»Wirst du mich auch nicht fallen lassen?«

»Unbesorgt! ich halte dich sehr fest!«

So geschah es denn. Er stellte sich auf den niedrigeren Zweig; sie ließ sich von oben in seinen umfangenden Arm hinein und glitt nun, fest an ihren Retter geschmiegt und ihn umklammernd, langsam an ihm hinab, bis sie, immer noch von ihm umschlungen, auf demselben Zweige mit ihm stand.

»Ach!« machte sie Atem holend, »laß uns ein wenig ausruhen, mir ist die Luft vergangen.«

Bald kletterten sie weiter hinab, und von nun an war es ohne Gefahr. Er breitete nur, vor ihr hinabsteigend, die Arme schützend um sie aus, ohne sie noch festzuhalten, und lenkte mit der Hand ihren Fuß auf die rechte Stelle, daß sie nicht fehltrat oder ausglitt, denn die Buchenäste waren rund und glatt. Als sie endlich auf den untersten Zweige saß, stand er schon auf dem Boden. Für sie war es zum Hinabspringen zu hoch; er hielt ihr die Arme entgegen, und sie besann sich nicht lange und sprang lachend hinein. Er fing sie auf und drehte tanzend sich ein paarmal mit ihr rund um, ehe er sie auf ihre eigenen Füße stellte.

»So! gerettet wärst du! was krieg' ich nun?« sprach er.

»Tausend Dank, mein tapferer Befreier!« sagte sie mit hochwallender Brust und glühendem Antlitz. Mehr konnte sie nicht sprechen; sie zitterte an allen Gliedern und mußte sich auf den Rasen setzen. Die beiden Freundinnen setzten sich zu ihr.

»Nun, so will ich die Erinnerung an das lustige Abenteuer als meinen Lohn betrachten,« erwiderte er, sich den drei Huldinnen gegenüber gleichfalls niederlassend.

Da reichte ihm Sidonie die Hand und sprach: »Aber eine Bitte habe ich noch, Ernst! Das Abenteuer bleibt unter uns! nicht wahr? Versprich es mir!«

»Das versteht sich!« erwiderte er mit sanftem Händedruck, »unverbrüchlich gelob' ich's! Das heißt,« fügte er schnell hinzu, »das Abenteuer auf dem Baume! denn über den da habe ich noch ein Wörtlein mit euch dreien zu reden.« Dabei wies er nach dem erlegten Reiher.

Sie blickten ihn fragend an. Er aber fuhr fort: »Ihr habt hier doppelten Jagdfrevel verübt, meine edlen Fräulein! Daß ihr wider alles Waidrecht den Reiher während der Brutzeit geschossen habt, mag euch ungestraft hingehen, weil ihr's vermutlich nicht gewußt habt, daß man die Vögel dann schont.«

»Das haben wir freilich nicht gewußt,« sagte Hiltrud von Erbach, »und mir tut es jetzt leid um das schöne Tier.«

»Mir auch,« stimmte Richilde leise zu.

»Gut, das will ich gern annehmen,« sprach er. »Aber weiter! Ihr habt hier in einem fremden Forste gejagt, in welchem euch der Wildbann nicht zusteht. Dieser Wald gehört meinem Vater und dessen Brüdern. Wußtet ihr das vielleicht auch nicht?« Er richtete die Frage zumeist an Richilde, die er dabei streng anzublicken versuchte. Allein in seinen Augen funkelte etwas Schalkhaftes, und seinen Ton durchzitterte ein ganz anderes Gefühl, als Unmut und richterliche Strenge.

»Darin irrt Ihr Euch, Junker Ernst!« fuhr Richilde nun auf. »Dieser Wald gehört zur Minneburg und ist den Herren von Steinach nur verpfändet, und vom Wildbann wissen wir nichts. Wir kamen her, um Eichhörnchen zu schießen, die den Singvögeln die Nester zerstören. Da sahen wir in der Buche hier einen Reiher sitzen, und ich schoß den Vogel, weil ich seine schönen, weißen Federn liebe.«

»Das glaub' ich Euch, Fräulein! ich liebe sie auch,« entgegnete er. »Aber wer sich mit der Armbrust auf fremdem Jagdgebiet betreten läßt, ist schwerer Buße verfallen.«

»Ei so gebt uns doch den Wald wieder heraus!« rief sie. »Wir hätten ihn schon längst gern wieder eingelöst; das ist ein Lieblingswunsch meiner Mutter, den sie schon oft gegen mich geäußert hat.«

»So? hat sie das wirklich?« sprach er nachdenklich. »Nun, dazu kann ja wohl Rat werden; aber so lange dieser Wunsch Eurer edlen Mutter nicht erfüllt ist, so lange ist es Jagdfrevel, wenn Ihr hier etwas schießt, und ich muß Euch dafür in Pfand nehmen.«

»Aber Ernst!« sagte Sidonie, »ein Reiher ist doch kein Hirsch von zwanzig Enden.«

»Freilich nicht,« erwiderte er, »ein Reiher ist aber auch ein jagdbar Tier, und ich will ja Fräulein Richilde nicht gleich die Hand abhauen, mit der sie die Armbrust spannte, aber ein Pfand muß sie mir geben zum Zeugnis des Ertapptseins oder auch nur zum freundlichen Gedächtnis an diese Stunde.«

»Und wenn ich mich dessen weigere?« frug Richilde neckisch.

»Dann nehme ich Euch die Armbrust fort,« lächelte er; aber er merkte schon, daß sie gar nicht abgeneigt war, sein Begehr zu erfüllen. Der mannhafte Junker mit dem freimütigen Ausdruck in den wohlgeformten Zügen, der ihre Freundin Sidonie auf so ritterliche Weise aus einer peinlichen Lage befreit hatte, gefiel ihr noch weit mehr als der halbwüchsige Jüngling früherer Jahre, der mit ihr getändelt und ihr gehuldigt hatte, und dem ihr junges Herz schon damals heimlich entgegenschlug. Aber seit dem Ausbruch des Streites zwischen ihren und seinen Eltern war er ihr aus den Augen gekommen, wie sie ihm, und nun wagten sie beide nicht, sich noch Du zu nennen, wie sie es früher getan hatten. Dies bedauerte Richilde im stillen und beneidete ihre Freundinnen, die mit dem Gespielen auf so vertraulichem Fuße geblieben waren.

Sie griff in die Tasche, die ihr am Kleide hing, und holte einen blinkenden Gegenstand daraus hervor. »Wollt Ihr diese Rinke haben?« lächelte sie, »für meinen Gürtel ist sie etwas zu breit; für den Eurigen wird sie gerade passen.« Es war eine kostbare Schnalle von Silber, mit Rubinen besetzt.

Dankend nahm er das Kleinod aus ihrer Hand. »Zu Eurem Angedenken werde ich sie tragen und stets in Ehren halten, Fräulein Richilde!« sprach er hocherfreut.

Jetzt erhob sich Sidonie, schritt zu dem toten Reiher, zog ihm drei seiner langen, glänzend weißen Rückenfedern aus und sagte: »Gib mir einmal deinen Hut, Ernst!« Er gab ihn ihr, und sie befestigte den stolzen Federschmuck daran. »So! da hast du auch ein Andenken an mich! Richilde hat den Reiher zwar geschossen, aber ich habe ihn doch aus dem Baume heruntergeholt, und nachher hast du mich wieder heruntergeholt; das sei dir unvergessen!«

Auch ihr dankte er für die prunkende Zier an seinem Hute. »Aber nun ist es hohe Zeit, daß ich Urlaub nehme,« sprach er dann; »ich muß noch zu deinem Vater, Sidonie. Soll ich deine Frau Großmutter von dir grüßen? – Sidonie, wenn die dich vorhin in der Buche gesehen hätte!«

»Entsetzlicher Gedanke!« lachte sie. »Spare den Gruß lieber und sage ihr nichts von unserer Begegnung.«

»Wollt Ihr zu Fuß nach Zwingenberg?« frug Richilde.

»Nein, Fräulein,« erwiderte er. »Nicht weit von hier band ich mein Rößlein an einen Baum, als ich eure Stimmen hörte und mich überzeugen wollte, was hier in unserem – in Eurem,« verbesserte er sich lächelnd – »Walde spukte.«

»Mußtet Ihr denn dazu vom Pferde steigen?« bemerkte sie schelmisch.

»Ich wollte die munteren, jauchzenden Wesen in ihren versteckten Freuden beschleichen und beobachten,« erwiderte er, »denn ich dachte, es wären Waldnymphen, die sich heimlich hier – tummelten!«

»Die Waldnymphen werden dich jetzt zu deinem Rosse geleiten; kommt!« rief Hiltrud.

Sie machten sich, von ihm geführt, auf den Weg und gingen fröhlich plaudernd im Walde dahin. Hiltrud bückte sich öfter nach einer Blume, band ein Sträußchen und steckte es dem Jugendfreunde eigenhändig vorn an das Wams. »Damit du auch von mir nicht leer ausgehst!« sagte sie; »wenn sie verwelkt sind, wirf sie weg!«

»Werde mich hüten! – da steht ja mein Brauner!« rief er, als er seines Pferdes ansichtig wurde.

Sie schritten darauf zu, und während er den Zügel vom Baume löste, umstanden es die Mädchen, betrachteten es wie mit Kenneraugen und lobten und streichelten das mutige Tier. Richilde klopfte ihm zärtlich den Hals und wandte fortan den Blick nicht mehr von Ernst, als er sich aufgeschwungen hatte und mit ritterlichem Anstand im Sattel saß. Er reichte mit freundlichen Abschiedsworten jeder die Hand, zuletzt Richilden, die er dafür desto länger festhielt. Dann ritt er grüßend ab und war bald hinter Busch und Baum den Blicken der Nachschauenden entschwunden.

Die Mädchen begaben sich zu der Buche zurück, und sich die Armbrust am Riemen über den Rücken hängend sagte Richilde: »Laßt uns nach Hause gehen, daß wir die Mittagszeit nicht versäumen.«

Hiltrud nahm den Reiher, und so gingen sie in der Richtung, wo die Minneburg lag.

Richilde war unterwegs wortkarg und in sich gekehrt, aber schwerlich fühlte sie Reue über den verübten Jagdfrevel, denn sie lächelte zuweilen still und verstohlen.

Auch Ernst kam während seines einsamen Rittes das ergötzliche Abenteuer mit den drei schönen Burgfräulein nicht aus dem Sinn, und er pries den Einfall, Frau Julianens verpfändeten Wald zu besuchen, als einen sehr glücklichen. Auch er gedachte noch einmal der lustigen Einzelheiten bei seinem Rettungswerke in der großen Buche, das mit der schlank gewachsenen, aber voll und kräftig gebauten Sidonie wahrlich kein leichtes Stück gewesen war. Am lebendigsten aber stand ihm Richildens holdselige Erscheinung vor Augen; wiederholt rief er sich die wenigen Worte, die sie zu ihm gesprochen, in das Gedächtnis zurück und beklagte das Zerwürfnis ihrer Mutter mit seiner Familie, das allen Verkehr unter ihnen abgeschnitten hatte, und dem er, wenn er könnte, gern ein versöhnendes Ende machte.

Kurz vor Mittag traf er auf Burg Zwingenberg ein und richtete seine Botschaft an Herrn Engelhard von Hirschhorn aus, konnte ihm aber über den Zweck der gemeinsamen Beratung keine Auskunft geben.

»Ja, was geht denn bei euch vor?« frug Herr Engelhard, »sollen wir in Wehr und Waffen kommen, gerüstet und schlagfertig?«

»Weiß ich auch nicht!« gab Ernst, verdrossen über seinen unverschuldeten Mangel an Kenntnis der Sachlage, dem Ritter zur Antwort.

Bei dem Mittagsmahle der Familie an welchem Ernst auf die Einladung seiner Wirte teilnahm, kam das Gespräch auch auf Sidonie. Ihre Großmutter, Frau Margarete von Handschuchsheim, frug Herrn Engelhard mit spitzem Tone, wobei sich die Falten ihres bleichen, scharf geschnittenen Gesichts zwischen den Augenbrauen und an den Nasenflügeln merklich vertieften, wie lange er seine Tochter noch auf der Minneburg zu lassen gedächte.

»So lange es ihr dort gefällt,« gab Engelhard seiner Schwiegermutter kurz und bestimmt zur Antwort.

»Da werden wir sie wohl etwas verwildert wiederbekommen,« bemerkte die Dame mit herausfordernder Miene.

»Wieso, Frau Schwieger?«

»Nun, man weiß ja, wie es auf der Burg der Minne bei den lustigen Damen, die dort hausen, zugeht.«

»Was wißt Ihr davon?« frug Engelhard gereizt.

»Gesehen hab' ich's nicht, aber desto mehr davon gehört, mit welch übermütigen Ergötzungen sie sich die Zeit vertreiben,« erwiderte sie.

»Wollt Ihr denn niemals der Jugend ihr Recht gönnen?« fuhr er barsch heraus.

»Ihr Recht!« wiederholte sie mit einem stechenden Blick, »Ihr wißt wohl, Herr Sohn, daß unsere Meinungen über Recht und Unrecht weit auseinander gehen.«

»Gott sei gelobt, ja, das tun sie!« lachte der Ritter, »und meine Tochter ist nicht dazu angelegt, eine Nonne zu werden.«

»Aber Zucht und Sitte muß sie lernen,« eiferte Frau Margarete mit steigender Heftigkeit, »und die werde ich ihr beibringen, wenn es kein anderer tut und sie just nicht das beste Beispiel vor Augen hat.«

»Meint Ihr damit mich oder Julianen?« frug er mit behaglichem Spott.

»Nehmt's nach Belieben, Herr Sohn!« entgegnete sie wegwerfend.

»So will ich Euch sagen, Frau Schwieger,« brauste der Ritter auf, »daß ich meine Kinder auch nach meinem Belieben erziehe und nicht nach dem Euren. Und wenn die Mädchen auf der Minneburg den ganzen Tag von früh bis spät singen und springen, reiten, schießen und fechten und meinetwegen auf die Bäume klettern und sich die Kirschen selber pflücken, – mir soll's recht sein. Was sagst du, Ernst?« wandte er sich zu diesem, »möchtest du einmal eine Frau haben, die besser spinnen als reiten kann? Dazu rate ich dir nicht; lieber zu toll, als zu fromm!«

»Tugendhafte Grundsätze!« bemerkte Margarete mit einem höhnischen Zug um den Mund.

Ernst hätte fast laut aufgelacht, als der Ritter von ›auf die Bäume klettern‹ sprach; aber er faßte sich und erwiderte höflich: »Lieber Oheim, du bist mir in allen ritterlichen Dingen ein so treffliches Vorbild, daß ich mich stets bemühen werde, deinem guten Rate zu folgen.«

Ein böser Blick Margaretens strafte ihn für diese Kühnheit. Aber Engelhard klopfte ihn auf die Schulter und fügte: »Recht so, mein Flaumbart! dabei wirst du allezeit gut fahren!«

Frau Anna, des Ritters Gemahlin, der das Wortgefecht zwischen diesem und ihrer herrschsüchtigen Mutter in Ernsts Gegenwart außerordentlich peinlich gewesen war, benutzte den Abschluß desselben, die Unterhaltung auf einen anderen Gegenstand zu lenken, was ihr auch unschwer gelang. Bald darauf erhob man sich vom Tische, und nach einem kurzen Verweilen noch empfahl sich Ernst.

Er ritt nach der Burg Stolzeneck, traf aber hier Herrn Albrecht von Erlickheim nicht zu Hause und erfuhr, daß dieser auch morgen noch nicht zurück sein würde und daher an der Zusammenkunft auf der Mittelburg nicht teilnehmen könnte. Ernst machte sich ohne Verzug auf den Heimweg und war gegen Abend wieder auf der väterlichen Burg, sehr befriedigt von dem Verlauf dieses Tages.

Als er seinem Vater von dem, was er ausgerichtet hatte, Mitteilung machte, sah Frau Katharina die Reiherfedern am Hute des Sohnes und frug nach deren Herkunft. Da erzählte er seine Begegnung mit den drei Fräulein in Frau Julianens verpfändetem Walde; doch von seiner Befreiung Sidoniens aus der Buchenkrone sagte er natürlich kein Wort.

»Einen Reiher in der Brutzeit geschossen und noch dazu in unserem Wildbann!?« äußerte sich Bligger sehr erstaunt, »das ist ja wider alles Waidrecht!«

»Das hielt ich ihnen auch vor,« sprach Ernst.

»Nun, und was sagten sie dagegen zu ihrer Entschuldigung?«

»Fräulein Richilde sagte, wir sollten ihnen doch den Wald wieder herausgeben, sie wollten ihn gern einlösen, denn das wäre schon längst ein Lieblingswunsch ihrer Mutter,« erwiderte Ernst.

»So, so! den Wald wieder einlösen – ein Lieblingswunsch Julianens,« wiederholte Bligger und warf seiner Frau einen bedeutungsvollen Blick zu.

»Ließe sich denn das nicht ins Werk richten, Vater, damit der Zwist endlich in Frieden beigelegt wird?« brachte Ernst bescheiden hervor.

»Meinst du?« sagte Bligger. »Hast du dem Mädchen vielleicht schon Hoffnung darauf gemacht?«

»Wie sollt' ich wohl! weiß ich doch, wie ihr mit Frau Juliane steht,« gab Ernst schwermütig zur Antwort.

»Wie sieht denn Richilde jetzt aus?« frug Katharina, »hat sich das Knösplein in den Jahren hübsch entfaltet?«

»O Mutter! wie eine Rose ist sie aufgeblüht, schön und herrlich; es ist eine wahre Lust, sie nur anzusehen,« sprach Ernst begeistert und mit blitzenden Augen.

»Was du sagst!« lächelte die hochaufhorchende Mutter, und wieder wechselten die beiden Gatten einen Blick des Verständnisses untereinander.

»Und sie war es, die den Reiher geschossen hat?« forschte Bligger noch einmal.

»Sie selbst! und gut getroffen! mitten in der Brust stak der Pfeil,« erwiderte Ernst so stolz, als hätte er den guten Schuß getan. »Ich habe auch ein Handmal von ihr; hier diese Rinke habe ich ihr abgepfändet zum Zeichen, daß ich sie auf handhafter Tat erwischte.« Und er zeigte den Eltern die silberne Gürtelschnalle, die beide wohlgefällig betrachteten.

»Ist der Waldblumenstrauß auch von ihr?« frug die Mutter.

»Nein, der ist von Hiltrud, und die Federn steckte mir Sidonie an den Hut.«

»Hast dich ja gut vorgesehen mit allerlei Beweisstücken und zärtlichen Andenken,« neckte der Vater.

Ernst wurde verlegen und wußte nichts zu antworten, was den Eltern nicht entging. Bald nahm er eine Gelegenheit wahr, sich aus dem Gemach zu entfernen.

»Was sagst du nun, Käthe?« frohlockte der Ritter, als die beiden allein waren. »Der Junge scheint bis über die Ohren verliebt in Richilde; das ist eine Brücke für Hans. Und Juliane will den Wald wieder haben; da schlagen wir unsern Haken ein, besser kann's gar nicht anfangen. Wasser auf unsere Mühle, Käthe!«

»Das Hans bald genug abdämmen wird,« erwiderte die Burgfrau.

Jetzt traten ihre zwei jungen Töchter in das Gemach und verhinderten durch ihre Anwesenheit die Fortsetzung des Gesprächs. –

Der Empfang, den die drei Fräulein nach ihrer Rückkehr auf die Minneburg bei Frau Juliane fanden, war kein freundlicher, als Richilde ihrer Mutter von dem Zusammentreffen mit dem Junker Ernst Landschad erzählte und ihr auch nicht verschwieg, daß sie ihm zur Buße für den von ihm behaupteten Jagdfrevel eine edelsteinbesetzte Gürtelschnalle gegeben habe.

Juliane machte ihrer Tochter Vorwürfe, daß sie sich in eine Unterhaltung mit Ernst eingelassen hatte, und war über die Forderung und die Überantwortung eines Pfandes, was die Mädchen als einen beiderseits harmlosen Scherz darzustellen suchten, sehr ungehalten.

»Auf die paar edlen Steine kommt es nicht an, aber unedel war das Verfahren des Junkers, euch für einen armseligen Reiher zu strafen,« sprach sie entrüstet. »Freilich,« fügte sie bitter hinzu, »was läßt sich von einem Landschaden Besseres erwarten!«

»Mutter, er war höflich und ritterlich,« wagte die Tochter schüchtern einzuwenden.

»Ritterlich! die Ritterlichkeit kenne ich, wenn er sie von seinem Vater gelernt hat!« höhnte Juliane. »Laß mich nie wieder erfahren, daß du ein Wort mit einem Landschaden gesprochen hast!«

Das Mittagsmahl auf der Minneburg verlief heute, gegen die sonst herrschende Gewohnheit, in ziemlich gedrückter Stimmung; besonders Richilde ließ das Köpfchen hängen wie eine Blume nach einer frostigen Maiennacht.

Das Recht der Hagestolze

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