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Fünftes Kapitel

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Isaak Zachäus und sein Sohn Joseph zogen mit dem Junker Ernst selbander durch den Wald auf Neunkirchen zu. Der Jude, eine hagere, etwas gekrümmte Gestalt, schritt an einem Wanderstabe und trug, über die Schulter gehängt, eine Tasche, in welcher er seine Schriften, Zahlenreihen, Himmelskarten und vielleicht noch manches andere barg, dessen er zur Beobachtung und Berechnung des Sternenlaufes bedurfte. Er hatte einen langen, spitzausgehenden Bart, und aus seinem bleichen Gesicht schauten groß und dunkel ein Paar tiefliegende Augen, die von der Anstrengung unzähliger Nachtwachen bläulich umrändert waren. Er wurde bald gesprächig, erzählte von seinen Fahrten durch fremde Länder und Städte, denn er war schon weit herumgekommen in der Welt, und frug auch Ernst nach diesem und jenem, nach Land und Leuten und nach Nahrung und Gewerbe in den Neckargegenden, und auf welche Weise hier das meiste Geld verdient würde, worüber ihm der sorglose Junker jedoch keine Auskunft geben konnte, sie hätte denn lauten müssen: im Stegreif. Oftmals bückte er sich, pflückte eine Pflanze und steckte sie in seine weite Tasche. Als ihn Ernst nach dem Zwecke dieses Sammelns frug, erklärte er ihm manches Heilkraut, das er hier im Walde fand, und teilte ihm mit, wofür es gut sei, wenn man es richtig anwendete. Er gebrauche die Kräuter, sagte er, zur Arzenierung, zu Tränken, Salben und Latwergen, aber auf ganz natürliche Weise, ohne Zauberei, wie es bei dem Unwissenden Volke allenthalben üblich sei. Da sprächen sie von der Wunderkraft des giftigen Bilsenkrautes, die aber nur wirkte, wenn es ein nacktes Mädchen mit der linken Hand ausrisse, von der Eberwurz, die dem Wanderer oder dem Roß des Reiters jede Müdigkeit benähme, und wenn sie noch so lange liefen, vom Farnkraut, das zu überschreiten, ohne es zu sehen, man sich hüten müßte, weil man sonst irr und wirr würde, und sich auf den bekanntesten Wegen nicht mehr zurechtfände. Auf alles das gäbe er nicht viel; er wäre Artist und triebe die Heilkunde nach seinen eigenen Erfahrungen und wie er sie mit manchen Geheimnissen der Natur für teures Lehrgeld oder Salarium von seinem Meister gelernt hätte; darum ließe sie ihn auch selten im Stich bei allen Schäden und Gebresten von Menschen und Vieh. Er wäre in vielen Künsten und Praktiken geübt und immer dienstbereit, aber er ließe sich auch Rat und Hilfe gut bezahlen, für nichts wäre nichts.

Joseph, der die Pflanzen schon alle kannte, und Ernst, der sie gern kennen lernte, halfen dem Alten beim Kräutersammeln, und allmählich ward auch der anfangs schweigsame Jüngling mitteilsamer und vertraulicher gegen Ernst, dessen heiter freundliches, gar nicht hoffärtiges Wesen dem schüchternen außerordentlich wohltat.

Als sie Dorf Neunkirchen erreicht hatten, sagte Ernst: »So! bis hierher hab' ich Euch zu führen übernommen, Meister Zachäus, und von hier aus könnt Ihr nicht mehr fehlen, wenn Ihr diesen Weg verfolgt. Nachher aber gabelt er sich; den Pfad, der sich links abzweigt, dürft Ihr nicht gehen, denn er führt nach der Minneburg; Ihr müßt auf dem zur rechten Hand bleiben, dann kommt Ihr nach Neckarelz und von dort nach Mosbach.«

»Ich danke Euch, edler Junker!« sprach Zachäus, »ich werde gehen den rechten Weg, der mich zu meinem Ziele bringt.«

Darauf nahmen sie Abschied voneinander, wobei Zachäus einen langen, zärtlich sorgenden Blick auf seinen Sohn richtete, und dann trennten sie sich. Der Alte ging allein weiter, und Ernst kehrte mit Joseph um.

Der Tag wurde warm, und Ernst sprach: »Zieh doch deinen langen Rock aus; er muß dir ja lästig sein bei dieser Hitze.«

»Ich bin daran gewöhnt,« erwiderte Joseph.

»Wenn auch; zieh ihn aus und nimm ihn über den Arm; dann wirst du viel leichter gehen.«

Das klang so befehlerisch, daß Joseph schweigend gehorchte und sich seines Rockes entledigte; aber er seufzte dabei, als ob er es ungern täte.

Ernst betrachtete sich nun den Jüngling vom Scheitel bis zur Sohle und sagte: »Bist ja schlank und schön gebaut, überhaupt ein schmucker Gesell, in den sich gewiß schon manch ein Mädchen vergafft hat, wie?«

Der andere senkte die Wimpern, schüttelte das Haupt und lächelte verschämt: »Nicht, daß ich wüßte.«

»Deine Mutter muß einmal sehr schön gewesen sein, ist es vielleicht noch?«

»Ach nein, sie ist seit einundzwanzig Jahren tot.«

»Seit einundzwanzig Jahren schon? dann bist du älter, als ich dachte,« sprach Ernst erstaunt.

»Sie starb bald nach meiner Geburt in Ingolstadt,« sagte Joseph, »ich habe sie nicht mehr gekannt.«

Die Sonne war über die Mittagshöhe hinaus, und sie freuten sich, im Waldesschatten zu wandeln, wo das Laub der Bäume und Sträucher saftig grün und hell durchschimmernd ihnen erquickende Kühlung spendete. Bald schritten sie über sanfte Höhen, bald über kleine Lichtungen und umbuschte Wiesen oder kamen zu einem murmelnden Bache, über den ein schmaler Steg führte. Und überall im Walde war eine tiefe Ruhe, eine köstliche, würzige Luft und ein üppiges Wachsen und Gedeihen.

Plötzlich hemmte Joseph den Schritt, als Ernst eine andere Richtung einschlug, und frug: »Wohin wollt Ihr? diesen Weg sind wir nicht gekommen.«

»Nein,« erwiderte jener, »wir wenden uns jetzt mehr nach links und gehen zur Schmiedeschenke, um dort Mittagsrast zu halten. Ein Imbiß und ein Trunk wird uns beiden gut tun, und ich kenne die Wirtsleute. Es ist auch ein hübsches Mädchen dort,« fügte er mit einem lebhaften Blick hinzu. »Versuche doch einmal dein Glück bei ihr! sie ist nicht allzu spröde.«

»Das will ich lieber Euch überlassen, Junker!« lächelte Joseph, »oder hab Ihr es schon versucht?«

»Nun, alles in Ehren!« sprach Ernst, »sie ist brav und hütet ihr Kränzlein.«

Die Schmiedeschenke, bei der sie nach einiger Zeit anlangten, lag einsam mitten im Walde an vielbegangenen Wegen, die sich hier kreuzten. Der Wirt, der meistenteils Nägel, aber auch Hufeisen schmiedete und Pferde beschlug, hatte hier das Holz zu den Kohlen, die er sich für sein Schmiedefeuer selber brannte, bequem zur Hand und hielt mit seiner Schmiede zugleich eine Schenke, an der fast kein Wanderer ohne Einkehr vorüber ging, weil man hier bei sehr einfacher Kost immer gute Getränke fand. Laux Rapp war in weitem Umkreise bekannt und beliebt und galt allgemein für einen klugen Mann, der viele Geheimnisse wissen sollte, nie um einen gefälligen Spaß und einen guten Rat verlegen war und schon manche glückliche Kur vollbracht hatte. Und überdem, welchem Gaste die braunäugige, immer heitere, immer blitzsaubere Susanne den vollen Krug auf den Tisch stellte, und mit wem sie munter zu plaudern und zu scherzen sich herbeiließ, dem däuchte die viertel oder halbe Stunde Rast keine verlorene Zeit.

Als die beiden ankamen, waren sie die einzigen Gäste, und auch der Schmied war nicht zu Hause, sondern bei seinem Kohlenmeiler im Walde. Ernst begrüßte Frau und Tochter und bestellte Wein und ein Mittagsmahl, so gut sie es zu leisten vermöchten. Dann nahm er mit Joseph auf der Bank, die hinter einem festen Tische unfern des Hauses unter einer alten Eiche stand, zu längerem Ausruhen Platz, und Susanne brachte einen vollen Krug und zwei Becher, wobei sie einen aufmerksam prüfenden Blick auf Ernsts Begleiter warf.

»Schenk' ein, Susanne, trink und bring's meinem Freunde!« forderte sie Ernst auf. Sie füllte die Becher, nippte an dem einen und bot ihn Ernst dar.

»Du solltest ja meinem Freunde Joseph kredenzen, hatt' ich gesagt,« erinnerte er.

Susanne blickte den Jüngling noch einmal nachdenklich an und lächelte: »Euer Freund, Junker Ernst, läßt sich den Trunk wohl lieber von Euch kredenzen, als von mir.« Und damit entschlüpfte sie, in sich hinein kichernd.

»Was hat das Mädchen?« frug Ernst verwundert, »sie ist doch sonst nicht so spröde.«

»Ich bin ihr fremd,« sagte Joseph sehr verlegen.

»Sie weigert auch fremden Gästen den Zutrunk nicht,« erwiderte Ernst; »aber warte nur, sie soll es wett machen!«

Und als sie wiederkam und das bescheidene Mahl auftrug, sprach Ernst: »Mein Freund ist beleidigt, Susanne, daß du ihm nicht zutrinken wolltest; dafür mußt du ihm zur Sühne jetzt einen Kuß geben.«

Sie schaute ihn ganz verdutzt an.

»Nun, was zierst du dich?« fuhr er fort. »Soll ich's dir vormachen? sieh mal, so!« Er umschlang den sich sanft sträubenden Jüngling und küßte ihn herzhaft auf den Mund. Josephs ganzes Gesicht erglühte, Susanne aber lachte hell auf und lief ins Haus.

Bald darauf erschien sie mit ihrer Mutter in der Haustür, und beide sprachen dort eine Weile miteinander, die Blicke unverwandt auf Joseph gerichtet. Dann verschwanden sie wieder. Ernst konnte sich das auffallende Gebaren nicht erklären, schwieg aber und ließ sich das dürftige Mahl mit aller Behaglichkeit munden. Joseph aß wenig, und Ernst mußte ihn öfter auffordern, mehr von dem Weine zu trinken, was jener erst dem Zuredenden zu Gefallen, dann aber aus eigenem Wohlgeschmack daran auch jedesmal tat, so daß er allmählich in eine immer aufgewecktere und fröhlichere Stimmung kam.

So blieben die beiden mit Plaudern und traulichen Scherzen im Schatten der Eiche lange sitzen, auch nachdem der mächtig hohe Steinkrug geleert war, von dessen erneuter Füllung Joseph, Ernsts Vorschlag zuwider, mit der lachend abgegebenen Beteuerung abmahnte, er hätte schon mehr als genug und wäre so feurigen Wein nicht gewohnt. Und in der Tat blühten ihm die Wangen in einem flammenden Rot, und seine Augen blinkten von einem verräterischen Glanz. Susanne war nicht wieder zu ihnen gekommen, aber es hatte Ernst so geschienen, als wenn sich ihr Kopf ein paarmal flüchtig an einer Fensterluke gezeigt hätte.

»Wollen wir weiter?« frug Ernst.

Joseph war damit einverstanden, und Ernst ging in das Haus, um die Zeche zu berichtigen. Im Schmiederaum traf er Susanne allein, und als er ihr das Geld behändigt hatte, stellte er sie darüber zur Rede, warum sie sich, ganz gegen ihre Gewohnheit, von ihren Gästen ferngehalten hätte.

»Ich wollte nicht stören, Junker Ernst,« gab sie mit einem eigentümlichen Lächeln zur Antwort.

»Nicht stören? was soll das heißen?« frug er verwundert.

»Nun, ich dachte mir,« bekannte sie zögernd, »Ihr wäret mit dem hübschen Fräulein in Männertracht lieber allein.«

Ernst trat einen Schritt zurück und riß die Augen weit auf. »Was sagst du? Du hältst Joseph für ein Mädchen?« Und er lachte laut auf. »Freilich, hübsch genug ist er dazu.«

»Ihr könnt mich mit Eurem Lachen nicht täuschen,« sprach sie; »also tut nicht so, als wüßtet Ihr nicht, wen Ihr dort auf der Bank und auch wohl sonst noch wo im Walde geküßt habt!«

»Aber Susanne!« versicherte er, »Joseph ist der Sohn eines jüdischen Arztes, der bei uns eingekehrt ist, und dem ich den Weg nach Mosbach gezeigt habe, von wo er in ein paar Tagen zurückkehren wird.«

»Und ich sage Euch: in dem knappen, kurzen Wams steckt ein Mädchen,« erwiderte sie fast heftig. – »Solltet Ihr das wirklich nicht wissen?« fuhr sie fort, als er immer noch ungläubig und in sprachlosem Staunen vor ihr stand. »Ja, wo habt Ihr denn Eure Augen, Junker Ernst? Seht doch den Wuchs! und habt Ihr es auch nicht bei dem Kusse gespürt, bei dem sie rot wie eine Rose wurde?«

»Mädchen, du bist nicht bei Sinnen!« sprach er heiter gelaunt, »oder du treibst deine Possen mit mir und willst mich zum besten haben; aber das soll dir schlecht bekommen!«

Er umfaßte sie flink, um ihren Neckemund zu strafen; doch sie entwand sich seiner Umarmung und lachte im Davonlaufen: »Küßt Eure Josephine! die hält Euch still.« Dann war sie verschwunden.

Als Ernst wieder aus dem Hause trat, schwebte es ihm auf der Zunge, seinem Gefährten zuzurufen: Denke dir, Joseph, die Susanne hält dich für ein Mädchen! Aber er sah ihn nicht auf dem früheren Platze; erst als er dicht heran war, fand er ihn auf der Bank hinter dem Tische lang ausgestreckt liegen, die Hände unterm Haupt und die Augen geschlossen, als ob er schliefe. Sinnend betrachtete er die blühende Gestalt, und bei der aufmerksamen Prüfung wollte es ihm fast scheinen, als ob Susanne mit ihrer kühnen Behauptung doch am Ende recht haben könnte. Das wäre abermals ein lustiges Abenteuer, mit einem schönen, verkleideten Mädchen im tiefen Walde allein zu sein! so dachte er und nahm sich vor, zu schweigen und sich in der nächsten Stunde darüber Gewißheit zu verschaffen. Da öffnete Joseph die Augen, schnellte wie erschrocken vor dem durchdringenden Blicke des jungen Mannes empor und erhob sich.

Sie brachen auf und gingen miteinander den Pfad in den Wald hinein. Die vom Wein erzeugte fröhliche Stimmung des Jünglings steigerte sich und gab sich durch lebhafte Gesprächigkeit und unschuldig mutwillige Scherze kund. Als aus dicht belaubten Wipfeln ein Kuckuck den Ruf erhob, ahmte Joseph den Laut so täuschend nach, daß er den Vogel damit verlockte, immer wieder zu antworten. Er lief einem Schmetterlinge nach, den er vergeblich mit der Hand zu fangen suchte, summte ein Liedchen vor sich hin und pflückte Blumen, die er sich an das Wams steckte, indem er sagte: »Soll ich Euch auch welche brechen und an den Hut stecken?«

»Warum dir an die Brust und mir an den Hut?«

»O ganz wie Ihr wollt,« erwiderte Joseph.

Ernst betrachtete verstohlen die Bewegungen des neben dem Wege einher Schweifenden und überlegte, wie er auf geschickte Weise hinter dessen Geheimnis kommen könnte, falls wirklich eines hinter dieser enganliegenden Tracht verborgen war.

Als sie an eine besonders einladende Stelle kamen, wo sich der Graswuchs im Schatten hoher Bäume wie ein Teppich breitete, sprach Ernst: »Hier möchte ich ein wenig ruhen, wir haben noch Zeit genug.« Er streckte sich in das Gras, und Joseph tat es ihm nach. Da lagen sie nun in der Waldeinsamkeit dicht nebeneinander, jeder auf einen Ellenbogen gestützt, plauderten und scherzten, blickten den Vögeln nach, die durch die Zweige schlüpften und sahen dem kleinen Leben zu, das sich mannigfaltig in Gras und Moos vor ihren Augen bewegte.

Plötzlich näherte Ernst mit einem suchenden Blicke sein Gesicht dem des Jünglings, daß dieser frug: »Was seht Ihr mich so scharf an?«

Ernst fuhr mit der Spitze seines Zeigefingers auf Josephs Oberlippe leise hin und her, umfaßte dann schmeichelnd auch dessen rundes Kinn und lächelte: »Noch keine Spur! Deine Samthaut hat wohl noch kein Schermesser berührt?«

»Nein, noch nicht,« lachte Joseph, »aber das wird schon kommen.«

»Wollen's hoffen,« sprach Ernst. »Und wie hübsch wirst du aussehen, wenn sich erst einmal ein keckes Schnurrbärtchen über deiner Lippe kräuselt!«

»Nun, mich verlangt nicht sehr danach.«

»Warum nicht? ein Mann ohne Bart ist nur ein halber Mann.«

»Ich bin ja auch noch kein Mann, ich will erst einer werden,« versetzte Joseph errötend.

»Da hast du recht," sagte Ernst. »Du bist so schmuck und zart, daß du dich, wenn du wolltest, für ein Mädchen ausgeben könntest; ich möchte dich einmal in Frauenkleidern sehen.«

Joseph schlug die Augen nieder und erwiderte darauf nichts, und Ernst war es zweifelhaft, ob sein Gegenüber sich durch das Bewußtsein, jetzt falsche Kleider zu tragen, beschämt, oder durch die Zumutung, falsche Kleider tragen zu sollen, verletzt fühlte. Wie um den scheinbar Gekränkten zu versöhnen, streichelte er ihm freundlich die glatte Wange und strich ihm mit der Hand ein paarmal langsam über die Brust und die schwellenden Glieder. Dabei kam es ihm so vor, als wenn er bei dem sanften Druck ein leises Zucken und Zittern in dem jugendlichen Körper verspürte und ein höheres Rot die geliebkoste Wange färbte.

Der Jüngling sah ihn jetzt mit einem Blicke an, in dem eine so innige, stumme Bitte lag, daß Ernst seine spielende Neugier bezähmte und bei sich beschloß, die Lösung des Rätsels, ob Joseph Mann oder Magd sei, dem Zufall zu überlassen. Joseph mochte von dem, was in dem anderen vorging, etwas ahnen, denn er streckte ihm, wie zum Danke, die Hand entgegen, die Ernst, ohne sich den Sinn dieser plötzlichen Regung seines Genossen klarzumachen, erfaßte und wie eine dargebotene Freundeshand drückte.

Dann erhoben sich beide und gingen eine Zeitlang schweigend nebeneinander her. Hin und wieder begegneten sich ihre Blicke, fragend wie mit dem Wunsche, in des anderen Seele zu lesen, oder vertrauend wie knospende Neigung. Zuweilen hob ein halb unterdrückter Seufzer des Jünglings Brust, eine kämpfende Unruhe machte sich an ihm bemerkbar, als wenn ihn innerlich etwas drückte, von dessen unerträglichem Zwange er sich mit Worten befreien müßte, die er nicht finden könnte, und immer häufiger wandten sich seine blinkenden Augen seitwärts nach dem männlichen Antlitz seines stattlichen Begleiters. Endlich brach er das Schweigen, und gleich einem Sturzbach, wenn er im Frühling die Bande des Eises sprengt, kam es von den Lippen und aus dem überquellenden Herzen des Jünglings: »Ach! Junker Ernst, wie glücklich seid Ihr! wie wohl und froh muß Euch zumute sein auf Eures Vaters Burg, in der ungebundenen Freiheit, bald im Sattel, bald mit der Armbrust im Waidwerk, oft mit guten Freunden lustig zusammen und eine sichere, freudenreiche Zukunft vor Augen! Und wie gleichmäßig öde fließt mein armes Leben dahin! Immer wandern und wandern, immer sich ducken, immer zurückdrängen zu müssen, was sich kaum bändigen läßt, nie sein Bestes geben, nie Liebes empfangen zu dürfen, nie die brennende Sehnsucht stillen zu können, – oh! O daß ich ein Mann wäre wie Ihr …«

»Josephine!!« – da lag sie schon in seinen Armen, an seiner Brust und schluchzte und weinte, bis ins tiefste Lebensmark erschüttert.

Er drückte sie an sich und küßte sie auf die Stirn und den bebenden Mund, und sie, dem nie gekannten, mächtigen Gefühl erwachender Liebe völlig hingegeben, ließ alles geschehen und schaute durch Tränen lächelnd glückselig zu ihm auf.

Ruhig, ohne Leidenschaft sprach Ernst: »Liebes Mädchen! schütte dein Herz aus, ich will dein Freund und Bruder sein.«

Da riß sie sich los, schlug die Hände vor's Gesicht und rief: »O mein Gott! was hab' ich getan?! verzeiht mir, edler Junker! und ich bitte Euch herzlich, verratet keinem Menschen, was Ihr nun wißt, und was ich gesagt habe; ich schämte mich sonst zu Tode. Es wallte heiß in mir, ich mußte es Euch sagen, mit Euren Augen habt Ihr es mir aus der Seele gezogen, ich konnte nicht anders; nun ist's vorüber; ach! war ich doch einmal, einmal im Leben glücklich!« Wie erschöpft lehnte sie das Haupt an seine Schulter, in seinen umschlingenden Arm, und so schritten sie durch den lauschenden Wald langsam dahin.

»Was mögt Ihr von mir denken?« begann sie nach einer Weile wieder, da er beharrlich schwieg, um sie durch freies Aussprechen erst wieder ruhig werden zu lassen. »Ihr seid eines stolzen Ritters Sohn, und ich bin ein armes, verachtetes Judenmädchen, das kaum wagen darf, den Saum Eures Gewandes zu berühren, geschweige denn die Augen zu Euch zu erheben; aber denkt nichts Übles von mir! in wenig Tagen wandern wir weiter, und spurlos wie meine Tritte hier auf dem Wege verschwinde ich aus Eurem Gedächtnis.«

Tröstlich fühlte sie einen leisen Druck seines Armes und hörte mit halbem Ohr seine Antwort: »Ich denke nichts Übles, Josephine, – so heißt du doch wirklich?« sie nickte, – »aber ich werde diese Stunde nicht vergessen, und nie wird ein Wort davon über meine Lippen kommen.«

Immer noch erregt frug sie bald darauf: »Habt Ihr eine Braut, Junker Ernst? liebt Ihr ein Mädchen, das Eurer würdig ist? gewiß ein edles Burgfräulein; o macht sie glücklich! Ihr könnt es, Ihr!«

Lächelnd erwiderte er: »Du magst es von allen Lebenden allein und zuerst erfahren; ja, ich liebe ein holdseliges Fräulein; aber,« fügte er seufzend hinzu, »sie weiß es noch nicht, und ich werde schwer um sie ringen und kämpfen müssen, um sie zu gewinnen.« Dabei wandte er den Kopf und warf einen sehnsüchtigen Blick nach der Richtung hin, wo die Minneburg lag.

»Soll ich Euer Bote sein und ihr ein Brieflein bringen?« frug sie schnell.

»Nein, nein, ich sag' es ihr selbst. Als wir heute von deinem Vater schieden, waren wir nicht fern von ihr.«

»Auf der Minneburg?!« rief die Jungfrau und war schnell ein paar Schritte von Ernsts Seite fort, ihn überrascht anblickend, als wollte sie mehr von ihm hören oder auch ihm mehr sagen.

»Geraten, Josephine! aber wie ist das möglich?« frug er erstaunt.

»Ihr sagtet heute zu meinem Vater, der sich links abzweigende Weg führte zur Minneburg,« erwiderte sie. »Aber nennt mich nicht bei meinem Mädchennamen, damit Ihr Euch nicht einmal zu Hause auf der Burg versprecht und mich damit verratet; nennt mich Joseph wie bisher, Ihr seht ja –« und lachend und lieblich errötend blickte sie an sich herab und zeigte auf ihre männliche Kleidung. »Mein Vater wünscht es,« kam sie einer Frage Ernsts zuvor. »In dem wenigen Gepäck, das wir mit uns führen, sind auch Frauengewänder für mich; aber in der Fremde, in den Herbergen wäre ein Mädchen, zumal eines Juden Tochter, wenig geschützt vor allerlei Abenteuern und Fährlichkeiten. Darum gehe ich als Knabe verkleidet und es ist mir bis jetzt noch so ziemlich geglückt, mein wahres Geschlecht zu verbergen, wenn ich auch manchmal merke, daß sich ein starker Verdacht bei denen regt, die mich genauer ansehen wie heute Mittag Susanne. Wenn die mich als Mädchen erkannt hat, so seid Ihr daran schuld, Junker Ernst, weil Ihr mich zwanget, meinen langen Rock abzulegen, wie Ihr Euch überhaupt viel freundliche Mühe gegeben habt, mich auszukundschaften,« fügte sie ihm schelmisch drohend hinzu.

Er lächelte und nickte.

»Mein Vater würde mich schelten, wenn er erführe, daß ich mich Euch entdeckt habe.«

»Dein Vater durchzieht das Land als Arzt und Sternkundiger und deutet den Menschen ihr Schicksal aus dem Lauf der Gestirne,« sprach er, »nicht wahr?«

»Ja, so ist es,« erwiderte sie; »er stellt ihnen das Horoskop oder die Nativität, wie er es nennt.«

»Und was hat er dir prophezeit?«

»Kein Glück,« antwortete sie schwermütig. »Er will mir meine Zukunft nicht entschleiern.«

»Meine Mutter sagte mir, er hätte auch für uns alle nichts Besonderes gefunden.«

»Nein, nur für Euren Oheim Hans lautete die Weissagung etwas seltsam,« berichtete Josephine. »Es steht in den Sternen geschrieben, er würde sein Glück einmal in einem Kloster finden.«

»Ohm Hans sein Glück in einem Kloster finden?« lachte Ernst ungläubig, »wie sollte das zugehen? der wird im Leben kein Mönch!«

»Gott weiß es und die Sterne,« sagte Josephine.

Ernst versank für den Rest des Weges in ein nachdenkliches Schweigen. Ohne sein Dazutun hatte ihm Josephine ihr Geheimnis enthüllt, und es hatte für ihn einen sinnbestrickenden Reiz, allein zu wissen, daß sich in dieser kleidsamen Jünglingstracht ein vollreifes Mädchen versteckte, dessen blühender Leib sich an den seinen geschmiegt und dessen glutatmende Seele sich ihm rückhaltlos offenbart hatte. Aber mehr als dies beschäftigte ihn die Weissagung über seinen Ohm Hans und nahm ihn so in Anspruch, daß er auf Josephinens Reden nur einsilbige und zerstreute Antworten gab, bis auch sie schwieg in dem schmeichelnden Wahn, daß sich Ernst; Gedanken nur in dem Kreise der Erinnerungen an das heute mit ihr Erlebte bewegten.

Die Schatten der Bäume waren lang geworden, und die Wanderer standen jetzt an einem sanften Abhange, zu ihren Füßen das hier breit ausgedehnte Tal, in das sie nun, die vier Burgen der Landschaden auf dem gegenüberliegenden Höhenzuge vor Augen, hinabschritten. Josephine schlüpfte wieder in ihren langen, die Glieder verhüllenden Rock, dann fuhren sie über den Fluß und stiegen zur Mittelburg empor. Oben unter dem Torbogen sprach Ernst: »Morgen wollen wir wieder in den Wald gehen, und dann nehme ich die Armbrust mit,« und der Jungfrau die Hand reichend, fügte er in einem warmen Ton und mit einem innigen Blick in ihre dank strahlenden Augen hinzu: »Und vergiß nicht, Joseph, daß ich dein verschwiegener Freund bin!«

Das Recht der Hagestolze

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