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Bravo

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„Bravo, na bravo …!“ Sophie schaute ärgerlich auf das rohe Ei, das sich gerade gemächlich und eiskalt über ihren rechten, vollständig nackten Fuß ergoss. Das braune Ei war ihr vor Schreck aus der Hand gerutscht, als ein ohrenbetäubender Knall ihr beinahe das Trommelfell zerriss. Wahrscheinlich ging es mal wieder um missachtete Vorfahrtsregeln an der übersichtlichen kleinen Kreuzung in der Nähe. Doch darum konnte sie sich jetzt unmöglich auch noch kümmern. Die dunkle Eierschale war beim Aufprall in zwei Hälften zersprungen. Während sich das Eiweiß um ihre Zehen schleimte, thronte das Eigelb wie eine orangegelbe Signallampe auf Sophies Fußrücken. Sophie hatte die Hoffnung auf ein Spiegelei noch nicht aufgegeben. Sie schaute sich vorsichtig um. Die Pfanne stand schon auf dem Herd. Sie müsste sich nur hinüberbeugen … Entschlossen knallte Sophie heftiger als sonst die Kühlschranktüre zu und das Schwäbische Kochbuch, das auf dem eierschalenfarbenen Kühlschrank mit den abgerundeten Ecken gelegen hatte, landete auf dem Eigelb und zerstörte Sophies Traum von einem unkomplizierten Frühstück.

„Bravo …!“ zischte Sophie. Während sie nun nach der Küchenrolle in der Nähe der Pfanne angelte fragte sie sich, weshalb sie ständig bravo ausrief, obwohl es doch nichts zu bejubeln gab.

Sie hatte den Ausdruck wahrscheinlich unbewusst von ihrem Chef übernommen. So begann er seine Predigten immer, wenn er jemanden zur Schnecke machen wollte.

Sorgfältig befreite Sophie ihren Fuß grob vom Glibber und hüpfte dann auf dem linken Bein zum Spülbecken. „Bravo … Aaauuaah …!“ Schnell zog sie den Fuß unter dem kochend heißen Wasserstrahl zurück.

Mit Spülmittel, lauwarmem Wasser und Tränen in den Augen schrubbte Sophie ihren Fuß. Anschließend kroch sie auf dem Küchenfußboden umher wie eine Schnecke, um ihre Schleimspur zu entfernen.

Dabei hatte der Morgen so angenehm begonnen.

Ihr Wecker hatte sie zuverlässig mit niedlichem Vogelgezwitscher geweckt. Nachdem sie ihn ausgeschaltet hatte, lauschte sie noch ein paar Minuten dem Life-Konzert vor ihrem Schlafzimmerfenster.

Während sie darauf wartete, dass sich das Wasser in ihrer Kaffeemaschine aufheizte, schaute Sophie in ihrem Online-Duden nach.

„Bravo“ war ursprünglich der Beifallsruf der Zuschauer in der Italienischen Oper und bedeutete „hervorragend“ oder „Kompliment“.

„Wieso hat es bei uns mittlerweile eine so abwertende Bedeutung?“, fragte sich Sophie, während sie sich eine dicke Vollkornbrotscheibe mit Himbeermarmelade bestrich.

Gedankenverloren las sie die Bedeutung von brav: sich so verhaltend wir andere es erwarten oder wünschen. Nachdem sie die Synonyme gelesen hatte, beschloss sie, „bravo“ und „brav“ aus ihrem Wortschatz zu streichen. Wer will denn schon bieder, gefügig, fantasielos, hausbacken oder spießig sein?

Nach einem herzhaften Biss ins Marmeladenbrot und dem ersten Schluck Kaffee ging es Sophie schon viel besser. Sie hatte die Marmelade mit einem tüchtigen Schuss Himbeergeist und zarten Mandelblättchen selbst gemacht.

Als Sophie ihr Smartphone wegpacken wollte, tippte sie versehentlich auf das großgeschriebene „Bravo“.

„Oha …“„ entfuhr ihr leise. Mit gerunzelter Stirn las sie: italienische Bezeichnung für Räuber, Meuchelmörder.

Gedankenverloren schaute sie aus dem Fenster und ließ ihren Blick über das idyllische Ruhrtal gleiten.



Henkersmahlzeit

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