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Foxtrott

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Foxtrott – wieso hatte er nie gelernt Foxtrott zu tanzen oder irgendeinen anderen Tanz? Johannes saß am Ufer des Flusses und genoss die letzten Sonnenstrahlen. Aus der nahe gelegenen Tanzschule erklangen Schlagermusik und die geschmeidigen Ansagen eines Tanzlehrers.

„Eins, zwei, Wiegeschritt …!“

Vielleicht könnte ihn regelmäßiges Tanzen vor dieser Krankheit bewahren? Verstohlen beobachtete Johannes einen Mann, der auf der Holzbank, nur ungefähr fünf Meter von ihm entfernt saß. Der Mann schien steinalt zu sein. Er strahlte Ruhe und Zufriedenheit aus. Eine Ruhe und Zufriedenheit, die Johannes schon lange nicht mehr in sich verspürt hatte.

Wie schaffte es der alte Mann nur, so lange und so unbeweglich und so ruhig da zu sitzen und dem fließenden Gewässer zuzuschauen? Ob dieser alte Mann Foxtrott tanzen konnte? Vielleicht war er ein ganz hervorragender Tänzer gewesen und deshalb geistig und körperlich so fit bis ins hohe Alter?

Johannes beobachtete die Tiere, die sich vor seinen Augen tummelten. Es waren zwei schneeweiße Vögel und vier braun melierte. Sie wirkten gleich groß. Seltsam, die dunkleren Jungen wirkten erwachsen, während die Alten wie unschuldige Kinder wirkten. War denn langsam nichts mehr wie es schien? Verdammt, wie hießen die Vögel noch gleich? Das Wort lag ihm auf der Zunge.

In welche neue, unbekannte Welt tauchte er langsam ab?

Er sollte nicht so viel über das Leben nachdenken.

Was hatte es ihm denn gebracht, dass er zwei Doktortitel hatte und ein anerkannter Wissenschaftler war?

Materielles konnte er vererben. Doch sein Wissen? Was würde aus seinem kostbaren Wissen werden?

Wofür die einsam verbrachten Nächte in der Bibliothek?

Sein Verzicht auf durchzechte Nächte, Frauen und wilde Partys?

Johannes war erst Ende 50 und hatte beruflich alles erreicht. Was wäre er ohne seine grauen Zellen, die ihn immer wieder mit neuen Erkenntnissen und Entdeckungen selbst überraschten?

Johannes kannte die unterschiedlichen Demenzformen nur zu gut.

Er hatte sie mit erforscht und dafür viel Anerkennung und Preise eingeheimst. Der Wissenschaftler hatte gehofft, dass die Forschung weiter wäre, bevor diese Krankheit eines Tages auch sein Gehirn befallen würde.

Vor ein paar Monaten bemerkte er erste Anzeichen. Er war immer so stolz auf sein brillantes Gedächtnis gewesen. Erst machte Johannes den Arbeits-Stress dafür Verantwortlich, dass er sich zum Beispiel nicht mehr sofort an den Namen der netten jungen Dame an der Kasse in seinem Lieblings-Café erinnern konnte.

Zu Beginn seiner Forschungen, vor über 30 Jahren, hatte er immer gesagt, dass er bei den ersten möglichen Anzeichen, seinen Job an den Nagel hängen, auf Weltreise gehen und das Leben genießen wollte. Seine Idee war, der Krankheit durch eine radikale Umstellung der Lebensumstände zu entkommen. Heute dachte er anders.

Es war noch viel zu früh!

Jetzt, auf dem Höhepunkt seines Schaffens! Ausgerechnet sein Genie sollte sich auflösen und im Nichts verschwinden! Wissenschaftler wie er zerbrachen sich seit vielen Jahrzehnten die Köpfe über das schleichende Vergessen der alternden Weltbevölkerung. Die Vorstellung, erlerntes Wissen in einer modernen, vernetzten Welt, wieder zu verlieren, verwirrte einen Kopfmenschen wie Johannes sehr. Er war doch Teil einer Welt, in der Milliarden von Gehirnen eng zusammenarbeiten und sich permanent weiterentwickeln. Erst diese Zusammenarbeit ermöglicht doch das kollektive Gedächtnis. Johannes war fest davon überzeugt, dass natürliche Neugierde, Kreativität und sprudelnde Informationsquellen dazu führen, dass wir morgen noch viel mehr wissen werden als gestern. Es war ein Wissen, das sicher schien und vermeintliche Sicherheit in einer unsicheren Welt vorgaukelte.

Wie konnte er verhindern, dass er sich schon bald nicht mehr auf sein Gehirn verlassen konnte? Er wollte sich nicht von seinem Wissensschatz lösen und er würde alles dafür tun, was in seiner Macht stand.

„Andere Alterserscheinungen hat unsere Konsumgesellschaft hervorragend im Griff mit Botox, Lesebrillen, Viagra, Transplantationen, Hörgeräten, Gehhilfen und Aufzügen“, dachte Johannes bitter.

Wie viel Einfluss blieb Johannes noch auf sein Bewusstsein und wie lange? Wann würde wäre sie da, diese Bewusstlosigkeit, die unaufhaltsam zurück zum Ursprung, zu den Emotionen und Gefühlen, führt. Mit dem Wissen, dass die eigenen, aktuell abrufbaren Gedanken ein Geschenk sind, wird einem die Einzigartigkeit bewusst ... Johannes konnte plötzlich seinen eigenen Gedanken nicht mehr folgen.

Er musste Vorbereitungen treffen für alle Eventualitäten. Er musste bei sich zu Hause aufräumen, ausmisten, Erinnerungen auffrischen und sein wichtigstes Projekt vorbereiten, bevor es zu spät war.



Henkersmahlzeit

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