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2. Kapitel - Er ist, wie ich ihn haben will (15 Jahre später)

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„Zum Teufel noch mal, was soll schon wieder dieser Aufruhr?“

Zornig kam König Albert am frühen Nachmittag in die Gemächer seines Sohnes gestürmt, wo er in einen hitzigen Streit zwischen Eleonore und Leonard geriet.

„Da siehst du, was du angerichtet hast!“

Kaum hatte er den Raum betreten, stürzte die Königin sich auch schon auf ihn.

„Deinetwegen hat er nur leichtsinnige Dinge im Kopf, weil du ihn stets dazu ermutigt hast, all seinen Neigungen nachzugehen!“

Wütend entfuhr dem Prinzen:

„Das ist eine vollkommen überzogene Reaktion, Mama! Ich will nur einen Ausritt machen!“

Sie drehte sich aufgebracht zu ihm herum.

„Und? Denkst du, der Rücken eines Pferdes wäre sicher? Mein Bruder war ein exzellenter Reiter, und wie endete sein Leben? Bei einem Reitunfall!“

Albert seufzte in sich hinein. Er wusste, es war aussichtslos, seine Frau beruhigen zu wollen. In den vergangenen 20 Jahren war ihre Familie aufgrund vieler mysteriöser Unfälle beinahe völlig ausgelöscht worden, weshalb er ihre Erregung verstehen konnte. Jedoch war ihr Sohn inzwischen 21 und kein Kind mehr; sie konnte ihn nicht länger wegsperren, wenngleich auch ihm nicht behagte, wie sorglos der junge Mann mit seinem Leben umging. Doch in diesem Fall konnte er nicht verlangen, dass der Prinz den Anweisungen seiner Mutter folgte. So sagte er mit ernster Stimme:

„Ich denke, es gibt nichts, was wir dazu sagen können, Eleonore. Er ist ein erwachsener Mann und trifft seine Entscheidungen selbst.“

Sie erblasste.

„So ist das! Du glaubst es immer noch nicht!“

Albert hob beschwichtigend die Hände, denn er wollte vor Leonard nicht über diese alte Geschichte sprechen.

„Mein Herz, bitte …“

Aber sie funkelte ihn zornig an.

„Er hat es auf uns abgesehen und du weißt es! Weil er mir Rache schwor, so schandbar es auch ist! Er wird nicht eher ruhen, bis er unsere ganze Familie zerstört hat! Und ich werde nicht beiseitetreten, um es ihm einfacher zu machen!“

Ungeduldig starrte Leonard seine Eltern abwechselnd an.

„Wovon in aller Welt sprichst du, Mama?“

Eleonore öffnete den Mund, doch Albert kam ihr zuvor.

„Geh, Leonard, ich bitte dich. Geh reiten und denke nicht darüber nach, was deiner Mutter solch Kopfzerbrechen bereitet.“

Leonard wollte widersprechen, doch auch wenn der König ihn gebeten hatte, so war es eigentlich ein Befehl gewesen. Also verneigte er sich knapp und eilte noch immer aufgebracht hinaus. Erst, als er im Hof ankam und von seinen Mitstreitern für die Jagd freudig begrüßt wurde, beruhigte er sich langsam wieder. Er schwang sich sogleich auf den Rücken des schwarzen Hengstes, welchen er schon als Knabe bewundert und den man ihm an seinem 12. Geburtstag zum Geschenk gemacht hatte, und rief:

„Nun denn, meine Herren, legen wir los!“

Unter Gelächter und lautem Hufgetrappel verließen sie den Hof und ritten in die angrenzenden Ländereien, welche zum Königspalast gehörten. Einer seiner Freunde, Prinz Jonah, welcher gleichzeitig sein Cousin war, ritt neben ihn und fragte mit gedämpfter Stimme:

„Warum so spät, mein Lieber? Gab es erneut Ärger an der Front?“

Leonards Blick verdüsterte sich.

„Frag mich lieber nicht. Allmählich glaube ich, dass sie den Verstand verliert. Sage aber nichts zu einem der anderen, denn sie sind nicht Familie wie du und dürfen nicht hören, wie ich so über ihre Königin spreche.“

Jonah meinte nachdenklich:

„Ich habe Gerüchte aus dem Schloss gehört. Klatsch, welchen deine Ammen und die Dienerinnen der Königin nähren. Man sagt, dass sie fürchte, der Tod könnte kommen und dich in die Unterwelt reißen.“

Leonard schwieg einen Moment, ehe er antwortete:

„Ich denke, dies ist nur Geschwätz. Es ist zwar offensichtlich, dass meine Mutter jemanden fürchtet. Sie sprach davon, dass jemand unsere Familie zerstören wolle, doch kann sie damit wohl kaum den Tod gemeint haben.“

Jonah lächelte.

„Es wäre auch zu verrückt. Der Tod ist kein Wesen, welches einen an sich reißt; es ist vielmehr einfach ein Zustand, in den man fällt, wenn man nicht achtsam ist.“

Leonard schaute in Gedanken versunken zwischen den Bäumen hindurch.

„Bist du dir da so sicher? Hast du es denn schon einmal mit angesehen? Das Sterben?“

Jonah zog überrascht die Augenbrauen hoch.

„Nein, das nicht. Doch ist dies die allgemeine Auffassung, und so ...“

Leonard nickte langsam und zwang sich, den Blick auf den Weg vor sich zu richten und die dunklen Schwingen der Todesengel zu ignorieren, welche für ihn sichtbar zwischen den Bäumen erschienen.

„Sicher, du hast Recht. Alles andere wäre wohl absurd.“


Als Leonard ein wenig später seine Gefährten bei ihrem Rastplatz zurückließ und sich seinen Weg durch das Dickicht bahnte, musste er nicht lange suchen. Als er seinen Freund erkannte, der lässig auf einer aus dem Boden ragenden großen Baumwurzel saß und ihm entgegenblickte, beschleunigten seine Schritte sich von selbst und er verbarg sein Gesicht gleich darauf in seinem Schoß. Die leise, sanfte Stimme wärmte ihn tief in seinem Inneren, als wäre sie eine zärtliche Geste.

„Sie wird nicht aufhören, und das weißt du seit jeher. Warum quälst du dich immer noch, Leonard? Du brauchst nur ein Wort zu sagen und ich erlöse dich von deiner Pein.“

Er fuhr dem jungen Mann tröstend durchs Haar, während dieser einen erstickten Laut von sich gab.

„Nein, das kann ich nicht. Das ganze Reich verlässt sich auf mich; meine Mutter kann keine Kinder mehr bekommen, das haben die Ärzte unlängst festgestellt. Wenn ich fortgehe, wird es keinen Thronerben geben.“

Der andere Mann schwieg und unglücklich fuhr Leonard fort:

„Und doch macht sie mir das Leben so schwer. Was ich auch will, es wird von ihr sogleich verboten. Mein ganzes Leben habe ich mich nur nach ihrer Liebe und meiner Freiheit gesehnt, doch weder das eine noch das andere hat sie mir je gegeben.“

Da sah er auf und schluckte schwer.

„Ich weiß, sie fürchtet dich. Sie glaubt, du würdest unsere Familie zerstören.“

Noch immer hielt das Schweigen an und Leonard nahm seinen Mut zusammen.

„Sag es mir. Seit Jahren weiß ich, wer du wirklich bist, doch du warst mir stets ein Freund. Ich fürchte mich nicht vor dir und auch nicht vor deiner Umarmung. Ich möchte nur wissen, ob du tatsächlich unsere Familie auslöschen willst oder ob es sich bei dieser Annahme nur um ein Hirngespinst meiner Mutter handelt.“

Der Tod neigte leicht den Kopf zur Seite und musterte Leonard einen Moment nachdenklich, dann antwortete er mit sichtlichem Widerwillen:

„Deine Mutter fürchtet mich mehr als alles andere. Sie begegnete mir, als sie ein junges Mädchen war - damals war ich gezwungen, ihr die Mutter zu nehmen. Sie sah mich an und wusste, wer ich bin. Seit jener Zeit will sie ihr Leben und das ihrer Lieben um jeden Preis vor mir schützen. Und was deine Familie angeht, so erfülle ich nur meinen Auftrag.“

Damit erhob er sich und wandte sich kühl ab.

„Aber eigentlich solltest du dies wissen. Anscheinend war meine Zuneigung dir gegenüber verschwendete Zeit, wenn du nach mehr als einem Jahrzehnt noch immer an mir zweifelst.“

Mit einem letzten Blick seiner kalten Augen, in denen sich nun unverhohlene Wut widerspiegelte, schritt er sogleich von dannen. Bestürzt sah Leonard ihm nach und rief ihn zurück, doch er war bereits allein und erhielt somit auch keine Antwort.


Das Geflüster war nach wenigen Wochen nicht mehr zum Schweigen zu bringen. Selbst die harten Strafen, welche die Königin über all jene verhängte, die sie beim Schwatzen erwischte, konnten die Münder nicht zum Verstummen bringen. Die offensichtliche Todessehnsucht des Prinzen, seine zunehmenden Depressionen und die daraus resultierende Unwilligkeit, sich eine Gemahlin zu suchen und auf die Thronfolge vorzubereiten, sorgten für schier endlosen Gesprächsstoff.

Eleonore bat ihren Mann, etwas gegen die Sturheit ihres Sohnes zu unternehmen, doch Albert weigerte sich. Er war der Ansicht, dass es allein die Schuld der Königin sei, dass der Junge so geworden war - schließlich hatte sie ihn eingesperrt und von allem ferngehalten, was Freude in sein Leben gebracht hätte. Eleonore schimpfte und tobte, vergaß dabei sogar ihre Würde, doch es brachte ihr nichts. Schließlich kam sie zu dem Schluss, dass ihnen nur eines zu tun bliebe, um den Prinzen abzulenken und vielleicht endlich umzustimmen: es würde ein Ball zu Ehren seines 22. Geburtstags stattfinden, bei dem er sich in Ruhe die möglichen Heiratskandidatinnen ansehen konnte. Der König hielt dies ebenfalls für eine gute Idee, um ihren Sohn auf andere Gedanken zu bringen und so liefen schon bald die Vorbereitungen auf vollen Touren.

Leonard selbst hatte sich von aller Welt zurückgezogen und verbrachte seine Zeit damit, lebensgefährliche Reit- und Kletterpartien zu unternehmen, doch der gewünschte Erfolg blieb aus. Er schaffte es dabei lediglich, sich einige Prellungen, Abschürfungen und am Ende sogar einen schmerzhaften Bruch seines Schlüsselbeins zuzuziehen, doch eine tödliche Wunde blieb ihm verwehrt. Verzweifelt streifte er durchs Schloss, um sich eine geeignete Waffe zu suchen, mit der er sich das Leben nehmen konnte, doch die wachsamen Augen seiner Mutter waren überall; längst ließ sie ihn nicht mehr unbeaufsichtigt umherwandern und so musste Leonard resigniert erkennen, dass er mehr denn je in der Falle saß.

Im Schloss wurde er strenger als zuvor eingepfercht und draußen war es wohl der Tod selbst, der nicht zuließ, dass er sein Leben wirklich in Gefahr brachte. Diese Tatsache erschien ihm unerträglich, denn er sehnte sich nach seinem Freund aus tiefstem Herzen, wie unheilvoll und undurchschaubar dieser auch war. Dessen offensichtliche Zurückweisung erdrückte ihn schier und so fühlte er sich einsamer als je zuvor.


Die Ballnacht war sternenklar und von einer leichten Brise durchzogen. Viele nervöse junge Frauen befanden sich unter den Gästen und Leonard, vor dem die wahren Absichten seiner Eltern zwar geheim gehalten worden waren, der sie sich jedoch ganz gut selbst zusammenreimen konnte, sah diesem Abend mit Grauen entgegen.

Nur widerwillig ließ er sich in den Saal führen, der bei seiner Ankunft von einem aufgeregten Geflüster erfasst wurde. Leonard nahm Platz und vermied es lange, in die erwartungsvollen Gesichter der Menschen zu blicken. Doch schließlich trat Jonah zu ihm und schleppte ihn hinaus auf den Balkon, wo er schon bald in Gespräche mit allen möglichen Adelsmännern verstrickt war; natürlich hatte jeder von ihnen nur ein Ziel vor Augen, nämlich so bald wie möglich das Gespräch auf seine Tochter zu lenken und ihre Vorzüge ebenso wie ihre Schönheit anzupreisen. Leonard lächelte gequält und folgte nur unter größter Anstrengung den Regeln der Etikette, zwang sich zu Tänzen mit unzähligen Mädchen und nutzte schließlich gegen Mitternacht einen Moment, in dem er unbeobachtet war und entfloh in eine dunkle Ecke des Balkons. Doch da war schon jemand.

„Oh, entschuldigen Sie, Hoheit, ich habe Sie nicht kommen sehen!“

Verblüfft starrte er in das wunderschöne Gesicht einer jungen Frau, welche nicht minder überrascht aussah als er. Augenblicklich beschleunigte sich sein Herzschlag, und er beeilte sich zu antworten:

„Nicht doch, ich bitte vielmehr um Vergebung, dass ich so ungalant hierher gestürzt bin.“

Sie lächelte ein wenig scheu und strich ihre langen, rotblonden Locken zurück.

„Nachdem man Sie den ganzen Abend über praktisch nicht einen Moment hat Luft schnappen lassen, kann ich Ihre Eile verstehen.“

Er wusste nicht, was er sagen sollte, denn ihr unerwarteter Anblick hatte ihn vollkommen verwirrt. Ein peinliches Schweigen trat ein, welches sie schließlich beendete.

„Entschuldigen Sie mich, Hoheit, aber meine Eltern wissen nicht, wohin ich verschwunden bin und ich möchte nicht, dass sie sich unnötig sorgen.“

Er nickte nur widerwillig und mit einem Knicks ließ sie ihn allein zurück. Er sah ihr nach und murmelte:

„Wunderschön …“

Da tauchte Jonah lächelnd neben ihm auf.

„Ja, sie ist ganz bezaubernd, nicht wahr? Unter uns, mein Lieber: wenn du sie willst, solltest du schnell sein. Ich habe bemerkt, dass sie so manchen Blick auf sich zieht und der junge Graf Lohens kann seine Augen partout nicht von ihr lassen.“

Leonard seufzte schwer und wandte sich ab.

„Selbst wenn ich mich in sie verlieben würde, was könnte ich ihr schon bieten?“

Verblüfft sah Jonah ihn an.

„Du beliebst zu scherzen, verehrter Cousin. Wer könnte einem Mädchen mehr bieten als der Kronprinz selbst?“

Doch Leonard winkte ab, wenngleich sein Blick erneut in den Saal schweifte, wo er das Mädchen nun beim Tanz mit besagtem Grafen sehen konnte.

„Ich rede von mehr als materiellen Dingen, Jonah. Sieh mich doch nur an. Ich bin gerade 22 und doch schon halbtot. Ich bin in einem Leben gefangen, welches mir nicht erlaubt zu leben. Wie könnte ich da einer jungen Frau voller Lebenslust zumuten, den goldenen Käfig mit mir zu teilen, wo er mich doch schon selbst umbringt?“

Deprimiert drehte er sich erneut um, doch Jonah packte ihn entschlossen an den Schultern und zog ihn zurück Richtung Saal.

„Schluss mit dem Gejammer, mein Freund. Ein schönes Mädchen an deiner Seite wird selbst dir die Freude am Leben zurückbringen, darauf gebe ich dir mein Wort. Und wer weiß, vielleicht schafft sie es ja, den Käfig genügend zu vergrößern, so dass er euch nicht erstickt. Du solltest es in jedem Fall in Erwägung ziehen und deshalb …“

Sie waren nun wieder im Inneren des Palastes und Jonah gab dem irritierten Kronprinzen einen aufmunternden Stoß vorwärts.

„… wirst du jetzt dahin gehen und diesen eitlen Pfau von der schönen Celicia vertreiben. Nur Mut, sie wird gewiss nicht nein sagen.“


Seine Augen schweiften zum wiederholten Male von seinem selbst erwählten Schützling zu dem Mädchen, welches seit Mitternacht ununterbrochen an seiner Seite war. Er war verwirrt, denn ihr Anblick weckte Empfindungen in ihm, welche er weder begreifen noch erklären konnte. Alles, was er wusste, war, dass sie ihn faszinierte.

Zunächst war er ziemlich ungehalten über ihr Erscheinen gewesen, da es Leonard aus dem demütigen, verzweifelten Zustand riss, in den er ihn sorgfältig geführt hatte. Mit großer Befriedigung hatte er in den vergangenen Wochen beobachtet, wie der Prinz sich selbst mehr und mehr verlor. Seine Zurückweisung hatte die Ängste in dem jungen Mann geweckt, der in seiner gesamten Kindheit nie wirkliche Liebe zu spüren bekommen hatte; nur sein geheimnisvoller Freund war immer für ihn da gewesen, wann immer er in Not gewesen war oder sich einfach nur einsam und verloren gefühlt hatte. Der Plan war aufgegangen, denn der Prinz war mehr und mehr in Abhängigkeit seines Vertrauten geraten.

Doch nun lagen die Dinge anders. Er hatte vorgehabt, sich dem Prinzen an diesem Abend wieder zu zeigen und ihn zurück in seine Arme zu führen, jedoch war er sich nun nicht mehr sicher, ob es gelingen würde. Darum entschied er sich schließlich dazu, bis zum nächsten Morgen zu warten. Er würde die Dinge ein wenig anders angehen müssen, nun, da die Nähe des Mädchens dem Kronprinzen neuen Lebensmut gab.

Er verhielt sich deshalb weiterhin still und entschwand schließlich in die dunklen Gemächer des Westflügels, wo er einfach wartete. Er wusste, es würde nicht lange dauern und tatsächlich, schon nach wenigen Minuten öffneten sich die Türen und die Königin trat ein, bereits in ihr Nachtgewand gehüllt und mit einem erschöpften Ausdruck auf dem nicht mehr ganz so jungen Gesicht. Als sie gerade die Decke zurückschlug, sagte er:

„Ist es nicht faszinierend zu beobachten, wie die Dinge sich entwickeln?“

Eleonore wirbelte sogleich herum und er trat gelassen ins Licht des Mondes, welches durch die großen Fenster fiel. Sie rang sichtlich um Fassung und fuhr ihn an:

„Was willst du hier?“

Er lächelte kühl.

„Wie ich sehe, sind die Jahre nicht spurlos an dir vorübergegangen, meine Liebe. Das Alter ist zu niemandem gnädig, nicht einmal zu einer Königin. Vielleicht hättest du doch lieber mit mir kommen sollen, als deine Haut noch zart und rosig war und keine grauen Haare deinen dunklen Schopf durchzogen.“

Er wusste, dass er sie am besten bei ihrer Eitelkeit packen konnte und das Lächeln vertiefte sich, als sie sogleich darauf einging.

„Rede gefälligst nicht in diesem Ton mit mir! Ich mag vielleicht keine 20 mehr sein, doch kann ich durchaus von mir behaupten…!“

Er unterbrach sie scheinbar gelangweilt, während er durchs Zimmer schlenderte.

„Im Vergleich zu dem Mädchen, welches den Blick des Prinzen auf sich gezogen hat, bist du nichts als eine alte Frau. Aber es ist gut für ihn, nicht wahr? So kann er meinen Klauen noch eine Weile entgehen, denn er wird nun wohl nicht mehr von selbst zu mir kommen wollen.“

Eleonores Haltung versteifte sich.

„Du hast es also immer noch auf mich und meine Familie abgesehen! Ich wusste es!“

Der Tod wandte sich ihr mit einem hässlichen Ausdruck auf dem sonst so schönen Gesicht zu.

„Dachtest du, ich würde auch nur einen von ihnen verschonen, nachdem du mich herausgefordert hast? Ich werde dir das nehmen, was dir am meisten bedeutet, Eleonore! Und das ist dein Sohn! Sperr ihn ruhig ein, so oft du willst, irgendwann wirst du nicht da sein und dann werde ich ihn erwarten! Gib ihm das Mädchen, besänftige ihn, es kommt mir sehr gelegen; seine Verliebtheit wird ihn unachtsam machen!“

Mit diesen Worten verschwand er und ließ Eleonore verzweifelt zurück.


Mit glänzender Laune verließ Leonard am nächsten Morgen seine Gemächer, um einen Ausritt zu machen. So wohl wie an diesem Tag hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt; ihm war, als könne nichts ihn mehr erschüttern. Fröhlich summte er vor sich hin und dachte an nichts anderes als an Celicia, der er nach anfänglichem Zögern letztendlich ganz offen den Hof gemacht hatte. Und sie schien ganz und gar nicht abgeneigt, was seine Stimmung nur noch mehr hob. Er dachte gerade darüber nach, wie er sie möglichst bald wiedersehen konnte, da trat ein Diener zu ihm.

„Hoheit, Ihre Majestät, die Königin, wünscht Sie zu sprechen.“

Leonard nickte ein wenig überrascht und folgte dem Mann durch die langen Gänge. Sein Hochgefühl hatte einen deutlichen Dämpfer bekommen, denn noch nie hatte seine Mutter ihn zu sich gerufen. Dies konnte nichts Gutes bedeuten, da war er sich sicher. Und wie recht er hatte, sollte er sogleich erfahren. Kaum hatte er ihre Räumlichkeiten betreten, als sie auch schon vor ihm stand.

„Ich wünsche nicht, dass du das Mädchen wiedersiehst.“

Leonard erstarrte und rang mühsam um Fassung, während ihre dreiste Forderung seine Empörung wachrief.

„Bei allem Respekt, Mama: ich denke nicht, dass du in dieser Frage etwas zu sagen hast. Mit wem ich mein Leben teilen will, ist ganz allein meine Entscheidung.“

Sie erwiderte streng:

„Es geht mir nicht um das Mädchen, mein Sohn. Es geht um den Zeitpunkt. Es wäre politisch sehr unklug, gerade jetzt eine Wahl zu treffen.“

Hitzig rief er:

„Ach, mit einem Mal ist es unpassend? Dabei haben du und Vater doch genau das im Sinn gehabt, als ihr mit der Planung für diesen Ball begonnen habt!“

Eleonore blieb ruhig.

„Das ist nur zum Teil richtig. Wir wollten, dass du dich umsiehst, dich ein wenig amüsierst und feststellst, welche Mädchen für dich in Frage kommen. Daran, dass du dich tatsächlich für eine der jungen Frauen entscheiden könntest, haben wir nicht im Entferntesten gedacht. Deshalb muss ich dich nun bitten, dich zurückzuhalten.“

Damit machte sie eine ausladende Geste und er wusste, dass er zu gehen hatte. Doch er blieb stehen und sagte verzweifelt:

„Mama, ich bitte dich, tu mir das nicht an …!“

Aber sie wandte sich nur ab und Leonard hatte das Gefühl, an seiner eigenen Wut und Hilflosigkeit zu ersticken. Blindlings stürmte er aus ihrem Gemach und eilte in den Schlosshof, wo bereits sein Hengst auf ihn wartete. Er schwang sich in den Sattel und trieb das Tier zu hohem Tempo an. Besorgt riefen die Diener ihm nach, doch Leonard war alles gleich. Blind vor Tränen und mit einem unerträglichen Gefühl der Verzweiflung in seinem Herzen preschte er durch die Büsche und zwischen den Bäumen hindurch, stundenlang, wie es ihm vorkam, doch war vermutlich nicht einmal eine halbe Stunde seit seinem Aufbruch vergangen, als das Tier plötzlich scheute. Leonard war nicht darauf gefasst; mit einem Schrei stürzte er rücklings zu Boden und blieb keuchend liegen, während der Hengst einen Satz nach vorn machte und in einiger Entfernung stehen blieb.

Schwer atmend richtete Leonard sich auf und verbarg seine Augen hinter der Hand, als er mit einem Mal Schritte hinter sich vernahm. Abrupt wandte er den Kopf und sein Herz hämmerte schmerzlich, als er in das verschlossene, doch gleichzeitig mitfühlende Gesicht des Todes blickte, welcher wenige Meter hinter ihm an einem Baumstamm lehnte. Ein gequälter Laut drang aus seiner Kehle, und als der Tod eine Hand nach ihm ausstreckte, erhob Leonard sich taumelnd und sank gleich darauf vor dem Mann in die Knie, umklammerte dessen Bein und weinte. Es dauerte einen Moment, dann legten sich die Hände seines vermeintlichen Freundes beruhigend auf seine Schultern. Langsam ließ der Tod sich auf einem Felsen neben dem Baum nieder und zog den Prinzen dabei mit sich, so dass dieser den Kopf schließlich auf seinem Schoß gebettet hatte. Leise sagte der Tod nun:

„Sie quält dich so sehr, dass es selbst mich schmerzt, mein armer Freund. Darum kam ich zurück, denn ich will dich nicht länger strafen für Zweifel, welche durch fremde Hand in deinem Herzen gesät wurden.“

Leonard erwiderte erstickt:

„Ich habe nicht gezweifelt, nie! Ich wollte nur wissen, ob meine Mutter den Verstand verliert oder nicht …! Ich wollte dich nicht kränken, bitte vergib mir!“

Ein triumphales Lächeln huschte über das schöne Gesicht, aber Leonard bemerkte es nicht. Er war so erleichtert, seinen Freund nicht länger entbehren zu müssen, dass er die Augen zusammenpresste und tapfer versuchte, gegen den Schmerz in seinem Inneren anzukommen. Nun erklang erneut die sanfte Stimme des Todes.

„Ich vergebe dir, denn ich weiß, dass du mir treu bist. Darum lass uns nicht länger an unseren Zwist denken und lieber dein dringlichstes Problem beseitigen.“

Verwirrt sah Leonard auf.

„Ich verstehe nicht …“

Der Tod sprach auch weiterhin leise, doch sehr bestimmt.

„Du darfst das Mädchen nicht aufgeben, wenn du leben willst, Leonard. Deine Mutter zwingt dich noch immer in die Knie, dabei bist du wertvoller, als sie es jemals sein wird. Sie braucht dich. Ohne dich ist sie unbedeutend, deshalb umklammert sie dich so fest, dass es dir die Luft abdrückt, will sie dich fernhalten von jenem Wesen, welches dein Herz berührt hat. Die Zeit ist gekommen. Du musst stark sein, stärker als sie. Es wird Zeit, sich endlich einmal gegen sie durchzusetzen.“

Leonard schluckte schwer und ließ entmutigt den Kopf wieder sinken.

„Das schaffe ich niemals.“

Doch mit ungewohnter Schärfe erwiderte der Tod:

„Wenn du gleich aufgibst, wirst du natürlich scheitern! Sei kein Narr und biete ihr dieses eine Mal die Stirn! Willst du das Mädchen oder nicht?“

Er hatte ihn hart an den Schultern gepackt und zwang ihn, in seine kalten Augen zu sehen, welche nun wild funkelten. Leonard nickte jämmerlich.

„Ja …“

Nun sprang der Tod auf und riss ihn dabei auf die Beine.

„Ich will es hören, Leonard! Sag es! Sag, dass du das Mädchen wirklich willst!“

Leonard straffte die Schultern und nahm seinen Mut zusammen.

„Ja, ich will das Mädchen! Ich möchte sie zur Frau nehmen!“

Sein Atem ging stoßweise und auch der Tod atmete schwer, als hätten sie miteinander gerungen. Da drückte dieser mit einem Mal den Kopf des jungen Mannes an seine Brust.

„Dann werden wir sie dir holen. Ich werde dafür sorgen, dass sie dir gehört. Sie soll als deine Braut in den Königspalast ziehen, mein Freund. Tu, was ich dir sage und überlasse den Rest mir, dann wird alles so kommen, wie es soll.“


Mit abweisender Miene stand Eleonore neben ihrem Gemahl und sah auf das Mädchen nieder, das als königliche Braut in den Hof geführt wurde. Leonard erwartete Celicia lächelnd am Fuße der Treppe und küsste zuvorkommend ihre Hand, als sie ihn erreicht hatte. Er führte sie anschließend hinauf zu seinen Eltern, wo das Mädchen einen untertänigen Knicks machte und Albert ihr wohlwollend zunickte. Als der Blick der jungen Frau jedoch auf Eleonore fiel, zuckte sie kaum merklich zurück. Der König erhob nun die Stimme:

„Wir begrüßen die junge Braut und heißen sie aufs herzlichste Willkommen!“

Jubel brach unter der Bevölkerung aus und Leonard strahlte, als er seine Liebste nun in das Schloss hineinführte. Eleonore blieb, solange die Etikette es von ihr verlangte, dann wandte sie sich schleunigst ab und eilte hinauf in ihre Gemächer. Dort angekommen lehnte sie sich langsam gegen die Tür und starrte auf die dunklen Wolken, welche gerade am Himmel heraufzogen.

„Sie ist wirklich schön, nicht wahr?“

Sie hob langsam den Blick und erwiderte müde:

„Was ist schon Schönheit? Sieh mich an, sie vergeht, ehe man sich versieht.“

Amüsiert lehnte der Tod sich auf ihrem Bett zurück, wo er auf sie gewartet hatte.

„Sie ist dir ein Dorn im Auge, nicht wahr? Was willst du nun tun, Eleonore? Du wirst sie nicht wieder los.“

Die Königin fühlte sich erschöpft.

„Verschwinde einfach, ich möchte mich ausruhen.“

Langsam richtete der Tod sich auf und ergriff ihre rechte Hand. Widerwillig ließ sie sich zu ihm ziehen und sank kraftlos auf den Rand ihres Bettes.

„Geh einfach, ich brauche dich nicht.“

Doch seine schlanken Finger lösten bereits ihre langen, schwarzen Haare aus dem Knoten und scheinbar gedankenverloren berührte er die samtenen Strähnen.

„Sie wird Leonard ins Unglück stürzen, und du weißt es. Und nichts ist schlimmer, als zu wissen, welch Unheil heraufzieht, jedoch hilflos zusehen zu müssen. Nichts tun zu können, um es zu verhindern. Ich verstehe deine Sorge, Eleonore. Und ich muss dir sagen, dass sie nicht unbegründet ist. Durch sie wird er mir zum Opfer fallen, früher als dir lieb ist. Sie wird ihn zu mir führen.“

Verzweifelt flüsterte sie:

„Warum quälst du mich? Hast du mich nicht schon genug durchleiden lassen?“

Er war dicht hinter sie gerückt und ließ seine Hände beinahe zärtlich über ihre Arme, ihre Brüste und ihren Rücken wandern, so leicht, dass er sie kaum berührte; Eleonore erschauerte, während er antwortete:

„Ich kann dich nicht ziehen lassen, solange dein Mann und dein Sohn noch am Leben sind. Du weißt, dass ich sie nicht verschonen kann.“

Sie schloss die Augen, hin und her gerissen zwischen dem unwilligen Verlangen, das er durch seine Berührungen in ihr weckte und dem Wunsch, ihm endgültig zu entfliehen.

„Du wirst uns alle ins Unglück stürzen, dafür verfluche ich dich …!“

Er lachte leise und erwiderte nah an ihrem Ohr:

„Und doch kannst du dich mir nicht entziehen; dein Leben ist so endlos und leer, dass du anfängst, dich nach mir zu sehnen. Und ich bin hier, Eleonore. Das sollte dir im Moment genügen.“

Der Griff seiner Hände wurde stärker und er fügte wissend hinzu:

„So sehr du dir auch wünschst, dich von mir abzuwenden, du wirst mir immer geweiht sein. Du kannst mir nicht entkommen, das hättest du dir von Anfang an bewusst machen müssen. Doch nun ist es für ein Zurück zu spät und du musst den von dir gewählten Weg allein bis zum Ende gehen. Wohl wissend, dass letztendlich ich gewinnen werde.“

Mit diesen Worten löste er sich von ihr und stand auf.

„Wenn du deinen Sohn schützen willst, wirst du dich anstrengen müssen. Auf meiner Seite ist die Zeit - ich kann warten.“

Damit verschwand er in der Dunkelheit und Eleonore sank hilflos in die Kissen, nicht wissend, was sie nun tun sollte.


Still standen sie beieinander und genossen es, einander einfach nur im Arm zu halten. Eine leichte Brise wehte über Celicias Balkon und bereitete ihr eine Gänsehaut. Schützend legten sich Leonards Arme enger um sie.

„Frierst du, mein Engel?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Nicht wirklich. Und außerdem wärmen mich deine Arme genug.“

Sie sah lächelnd zu ihm auf und er seufzte wohlig.

„So furchtbar die Auseinandersetzung mit meiner Mutter auch war, es hat sich gelohnt, standhaft zu bleiben. Doch muss ich zugeben, wäre mein Vater nicht dazugekommen und hätte mir zur Seite gestanden, hätte die Königin mich vielleicht doch bezwungen.“

Celicias Blick wurde wehmütig.

„Ich weiß nicht, was ich der Königin getan habe. Bei meiner Ankunft hat sie mich mit einer Kälte angesehen, dass mir richtig bange wurde.“

Leonard meinte tröstlich:

„Sie ist eben ein wenig schwierig, aber sei unbesorgt, ihre Ablehnung richtet sich nicht direkt gegen dich. Es sind die Umstände, welche sie so reizbar machen. Sie wollte nicht, dass ich mich verlobe. Ebenso wenig schmeckt es ihr, dass ich mich nicht einfach ihrer Anweisung gebeugt habe. Ich habe ihr widersprochen und am Ende sogar Erfolg damit gehabt. Es wird vermutlich eine ganze Weile dauern, bis sie mir das verziehen hat.“

Celicia seufzte und löste sich von ihm, um sich umzudrehen. Sanft berührte sie sein Gesicht, woraufhin er die Augen schloss.

„Ich weiß, es gehört sich nicht, über so etwas Intimes zu sprechen, ehe wir nicht verbunden sind. Aber ich möchte, dass es dir bewusst ist, Leonard: ich liebe wirklich dich als Mann und nicht deine Krone. Das klingt vielleicht albern, aber ich habe bereits erlebt, wie es Menschen erging, die aus materiellen Gründen zusammengefunden haben.“

Leonard schluckte schwer und erwiderte ein wenig beschämt:

„Ich freue mich über deine offenen Worte weit mehr als du ahnst, Celicia. Niemals hat mir bisher jemand gesagt, dass er mich liebt; umso glücklicher macht es mich, dir dasselbe sagen zu können. Ich liebe dich aus tiefstem Herzen und bin unendlich dankbar, dich an meiner Seite zu haben.“

Plötzlich schmiegte sie sich an ihn, so dass ihm die Röte in die Wangen stieg. Ihre Stimme war nur ein Flüstern.

„Das macht mich froh. Ich bin glücklich, bei dir und nicht von meinen Eltern mit diesem schrecklichen Grafen verlobt worden zu sein.“

Er legte seine Arme eng um sie.

„Und ich erst.“

Darüber musste sie kichern.

„Sie sollten nicht ein solch niederes Gefühl wie Eifersucht empfinden, Hoheit. Das passt nicht zum Sohn eines Königs.“

Leonard erwiderte nachdenklich:

„Vielleicht ist das wahr, jedoch habe ich mich nie als etwas Besonderes gesehen. Vielmehr gab man mir das Gefühl, unbeholfen und wehrlos zu sein und aus diesem Grund sehe ich mich immer wieder gezwungen, an mir selbst und meiner Bestimmung zu zweifeln.“

Celicia sagte liebevoll:

„Dann höre in Zukunft nur noch auf mich, mein Liebster. Ich sehe viel in dir, was der Welt vermutlich noch verborgen ist. Doch ich weiß, dass du eines Tages ein großer König sein wirst. Du wirst über dich selbst hinauswachsen, wenn du nur daran glaubst.“

Er fand keine Worte, die er darauf erwidern konnte, und küsste deshalb ihre Stirn, ihre Wangen und murmelte ihren Namen, während er sie hielt. In diesem Moment war er sicher, mit ihr an seiner Seite doch noch glücklich werden zu können.


Gedankenverloren stand Celicia ein wenig später allein auf dem Balkon und blickte zum sternenübersäten Himmel hinauf. Sie dachte über die überraschenden Entwicklungen in ihrem Leben nach und seufzte wohlig. Sie war sehr glücklich darüber, einen Mann wie Leonard zum Gemahl zu bekommen, jemanden, den sie wirklich lieben konnte. Der Kronprinz hatte sie vor einer lieblosen Ehe gerettet, deren Arrangement sich gerade anzubahnen drohte, als Leonard ihr auf dem Ball mit einem Mal den Hof gemacht hatte. Natürlich war es keine Frage gewesen, dass der künftige König einem einfachen Grafen vorzuziehen sei, nein, es wäre sogar vollkommen undenkbar gewesen, ihm einen Korb zu geben. Aber Celicia fügte sich gern in ihr Schicksal, denn sie war sicher, an Leonards Seite ein gutes Leben führen zu können.

Allerdings hatte die offene Ablehnung durch die Königin sie ein wenig verschreckt. Langsam senkte sie nun den Blick auf ihren Verlobungsring.

„Bin ich dem Ganzen denn wirklich gewachsen? Kann ich wirklich neben der Königin bestehen? Oh, ich ahne Schlimmes!“

Wehmütig schaute sie in die dunklen Gärten hinab.

„Ich weiß, dass Leonard mich glücklich machen kann, doch was soll ich tun, wenn seine Mutter ihre abweisende Haltung beibehält? Allein der Gedanke ist mir unerträglich.“

Sie fröstelte, als sie mit einem Mal eine leise Stimme aus der Dunkelheit vernahm.

„Sei unbesorgt, ich werde dich vor der Einsamkeit bewahren. Ich werde dich trösten, wann immer du mich brauchst; in meinen Armen wird jedes Leid und jede Pein verblassen und die Welt um dich herum ins Nichts versinken.“

Verwirrt und mit wild pochendem Herzen sah sie sich um.

„Wer ist da? Hallo? Zeig dich mir!“

Doch sie erhielt keine Antwort, und in diesem Moment trat ihre Amme zu ihr.

„Kommen Sie endlich herein, Kind, Sie holen sich ja noch den Tod da draußen!“

Celicia wollte etwas erwidern, da hörte sie ein gedämpftes Lachen und drehte sich wieder herum, um aufmerksam in die Finsternis zu spähen.

„Hast du das gehört?“

Fragend sah die ältere Frau sie an.

„Was soll ich hören?“

Celicia trat erneut an die Brüstung.

„Da war eine Stimme, die mit mir sprach, sie klang so nah und irgendwie beruhigend; und dieses Lachen, gerade eben, als …“

Mit wachsender Besorgnis musterte die Amme das Mädchen.

„Sie sind übermüdet, mein armes Lämmchen. Zeit, dass wir Sie ins Bett stecken, es war ein aufregender Tag.“

Nur widerwillig folgte Celicia ihr hinein und legte sich nieder. Kaum waren die Lichter erlöscht, hörte sie ein letztes Flüstern:

„Träume süß, Celicia. Ich werde über dich wachen.“


Zur selben Zeit lief Leonard rastlos in seinem Zimmer auf und ab. Seitdem er Celicias Gemach verlassen hatte, nahm die Unruhe in ihm mehr und mehr zu. Er wusste, es gab nur einen, der ihm Trost spenden konnte und so wartete er mit wachsender Verzweiflung auf seinen unheilvollen Freund. Als dieser gegen Mitternacht endlich durch die geöffnete Balkontür in sein Zimmer trat, rief Leonard erleichtert:

„Du kommst, oh ich danke dir, du hast mich nicht vergessen!“

Der Tod ließ den Jungen zu sich kommen und ergriff dann seinen Arm, um ihn zu seinem Bett zu führen. Dort wartete er, bis sein Schützling sich niedergelegt hatte, ehe er sich zu ihm setzte und ihn aufmerksam musterte.

„Was bedrückt dich so sehr, dass es dich wach hält, mein Lieber? Du wirkst sehr verzweifelt, dabei hast du dich gerade mit einer schönen Frau verlobt und solltest himmelhoch jauchzend sein - stattdessen sehe ich dich sehr betrübt vor mir.“

Leonard umklammerte seine Hand.

„Ich weiß nicht, was mich so ängstigt; ich habe einfach das Gefühl, sie ins Unglück zu stürzen, oh Gott, ich darf nicht daran denken, was wird!“

Er wandte sich ab und der Tod musterte ihn mit nachdenklichem Blick.

„Mein armer Leonard, es quält dich zu wissen, wie deine Mutter zu dem Mädchen steht. Doch du weißt, sie wird sich nicht ändern. Sie ist eifersüchtig auf das Mädchen und will dich nicht an sie verlieren. Es liegt bei dir, mein Freund. Du musst entscheiden, wie du dich ihr entgegenstellst. Entweder du siehst sie weiter als deine Mutter und bemühst dich, sie zu besänftigen, oder du musst hart sein und sie dazu zwingen, deinem Glück nicht länger im Wege zu stehen.“

Leonard schwieg hierauf und der Tod beugte sich langsam über ihn, um ihn tröstend in seine Umarmung zu ziehen.

„Du weißt, ich bin dir nah. Ich werde bei dir sein, was immer du auch tust. Jedoch kann ich dich nicht davor bewahren, diese Entscheidung selbst fällen zu müssen. Nur du weißt, was dich glücklich macht. Ich kann dich begleiten, dich trösten, wenn deine Verzweiflung dich zu verschlingen droht, doch deinen Weg suchen musst du dir allein.“

Leonard nickte und antwortete gepresst:

„Ich kann mich nicht gegen die Königin stellen, auch wenn sie mir nie wirklich nahe war. Sie ist dennoch meine Mutter und ich möchte, dass sie meine Braut akzeptiert. Es muss möglich sein, sie zu besänftigen.“

Der Tod zeigte keine sichtliche Reaktion darauf, doch seine Augen funkelten triumphierend.

„Dann musst du dich bemühen, Leonard. Lass sie teilhaben an deinem Glück und versuche, ihr die Augen zu öffnen. Das ist alles, was du noch tun kannst.“


Die nächsten Wochen waren eine harte Zeit für die Mitglieder des Königshauses, denn noch immer konnte Eleonore sich nicht dazu durchringen, das Mädchen als künftige Gemahlin ihres Sohnes zu akzeptieren und verhielt sich deshalb weiterhin abweisend. Die Warnung des Todes lag ihr darüber hinaus noch gut in den Ohren und dies trieb sie nur noch mehr in ihrem Widerstand an.

Celicia selbst versuchte so gut es ging, tapfer zu sein und sich nicht durch ihre baldige Schwiegermutter einschüchtern zu lassen. Die Tatsache, dass König Albert ihr sehr zugetan war, machte es ihr einerseits leichter, andererseits schien dies Eleonores Abneigung noch zu verstärken. Ihr einziger Trost war Leonard und die Tatsache, dass sie nicht ewig unter der Königin stehen und so eines Tages nicht mehr auf deren Segen angewiesen sein würde.

Allerdings betrübte es sie sehr, Leonard in einer solch verzwickten Lage zu sehen: er bemühte sich unermüdlich, ihr zur Seite zu stehen und gleichzeitig auch seine Mutter zu versöhnen. Diese ganzen Anstrengungen ließen ihn jedoch im Laufe der Wochen immer unglücklicher und deprimierter erscheinen, so dass Celicia begann, sich ernsthaft Sorgen um ihn zu machen. Deshalb sagte sie eines Morgens bei einem Spaziergang zu ihm:

„Du solltest aufhören, es allen recht machen zu wollen, Leonard. Das brauchst du nicht. Ich finde es sehr mutig und hochanständig von dir, dass du deine Mutter umstimmen willst und dieses Bestreben solltest du auch nicht aufgeben. Doch macht es dich ganz krank, nebenbei auch mir ständig beistehen zu müssen, deshalb nimm meinen Rat an. Oder nein, es ist vielmehr eine Bitte: denke nicht an mich, ich komme zurecht. Ich werde die Launen der Königin ertragen, solange es nötig ist. Denn ich weiß, dass du mich liebst und dieses Wissen allein ist mir genug. Ich werde auch ohne dich gegen sie bestehen können, da bin ich sicher.“

Er sah sie einen Moment schweigend an, ehe er sich abwandte.

„Was für ein Mann wäre ich, wenn ich zu meiner Mutter stünde, aber nicht zu dir? Das kann ich dir nicht antun, Celicia.“

Sie ergriff seine Hand und zog ihn zu sich.

„Du bist sehr tapfer und es rührt mich zutiefst, dass du mich nicht im Stich lassen willst, Liebster. Aber ich sehe tagein, tagaus, wie dich diese Sache quält und das ertrage ich einfach nicht. Deshalb flehe ich dich an, lass mich außen vor. Ich habe keine Angst vor der Königin und werde mich nicht von ihr verjagen lassen. Doch wenn du mich halten willst, dann höre auf, dich selbst zu zerstören. Ich möchte mit dir leben und nicht all unsere Zeit damit verschwenden, gegen andere zu kämpfen.“

Langsam legte er seine Arme um sie.

„Also gut, ich werde darüber nachdenken. Aber ich bitte dich, mein Engel, lass es mich wissen, wenn du mich brauchst. Ich werde dich niemals im Stich lassen, wenn du mich an deiner Seite haben willst.“

Damit küsste er zärtlich ihre Stirn und verließ sie nach einer knappen Verbeugung. Wehmütig sah Celicia ihm nach und fragte sich, wie sie Leonard nur davor bewahren sollte, sich selbst weiter zu verlieren.


Es vergingen weitere drei Monate, in denen die Spannungen anhielten. Celicia wurde mittlerweile ständig von der Königin zu sich zitiert, wo diese voller Kritik über die Umgangsformen und Manieren des Mädchens war. Celicia ließ jeden Vortrag schweigend über sich ergehen und nahm auch die vielen Stunden hin, in denen sie nun von einer Gouvernante streng Eleonores Wünschen entsprechend erzogen werden sollte.

Nach einem besonders schlimmen und demütigenden Nachmittag entfloh Celicia bei der Abenddämmerung weinend in den großen Park in der Nähe des Waldes, wo sie sich zwischen den Büschen zusammenkauerte und versuchte, ihre Tränenflut zu stoppen, für die sie sich schämte. Da fiel mit einem Mal ein Schatten über sie, und als sie aufsah, kniete ein junger Mann vor ihr und wischte mit sanfter Berührung ihre Tränen fort.

„Sie ist so grausam zu dir, nicht wahr? Sie kann es nicht ertragen, dich in ihrer Nähe zu haben, weil du sie daran erinnerst, wie es ist, jung zu sein.“

Celicia erschauerte beim Klang seiner Stimme und wich ein wenig zurück.

„Du warst am Abend meiner Ankunft nachts auf meinem Balkon!“

Er lächelte nicht, sondern sah sie mitfühlend an.

„Das stimmt, denn ich spürte deine Verwirrung, Celicia. Du bist nicht für ein solches Leben gemacht, in dem dir jeder sagt, was du tun sollst und was nicht. Du hast es nicht verdient, dass jemand dich herumstößt, nur um dich dafür zu strafen, dass du lebst.“

Sie fröstelte und wandte sich ab.

„Ich komme zurecht.“

Doch er legte behutsam eine Hand unter ihr Kinn und drehte ihr Gesicht wieder dem seinen zu. Celicia erschauerte unter dieser Berührung und spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte. Die offensichtliche Sorge um ihr Wohlergehen rührte sie und aus irgendeinem Grund fühlte sie sich zu dem Fremden hingezogen. Ohne dass sie begreifen konnte, was sie eigentlich tat, sank sie mit einem Mal nach vorn und verbarg ihr Gesicht an seiner Brust.

Seine Arme legten sich behutsam um sie und leise sagte er:

„Weine ruhig, wenn es dich befreit, mein Liebes. Ich bin gekommen, um dich zu trösten, darum ruhe dich nun in meinen Armen aus. Hier wird dich niemand finden.“

Sie nickte stumm, während Tränen ihre Wangen hinunterliefen und sie erschöpft die Augen schloss. Seine Nähe tat ihr gut und sie fühlte sich sicher und geborgen, als wäre sie wirklich unerreichbar für die Welt um sie herum. Ohne es zu merken, glitt sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf, und als sie die Augen schließlich wieder aufschlug, lag sie in ihrem eigenen Bett. Blasses Sonnenlicht fiel auf den Boden und sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, wo sie war. Verwirrt richtete sie sich auf, und als ihr Blick an das Ende des Bettes fiel, beschleunigte sich ihr Herzschlag erneut. Dort saß der fremde Mann und beugte sich nun vor, da sie sich rührte.

„Es wurde wirklich Zeit, dass du wieder zu dir kommst. Ich war schon fast in Sorge um dich.“

Er lächelte sanft und sie spürte, wie sie errötete. Verlegen stammelte sie:

„Es tut mir leid, ich war so müde, ich …“

Doch er legte eine Hand an ihre Wange, woraufhin sie verstummte. Erst jetzt bemerkte sie, dass seine Haut sich seltsam kühl anfühlte und erschauerte bei dieser Erkenntnis. Mit einfühlsamer Stimme meinte er:

„Sei nun nicht mehr verzweifelt. Wann immer du mich brauchst, werde ich zu dir kommen und dich von hier fortführen, fort aus Raum und Zeit, so wie heut Nacht. Dort wirst du sicher sein vor all der Grausamkeit in dieser Welt.“

Jetzt, da sie wieder klaren Verstandes war, erwachte bei seinen Worten ihr Misstrauen und sie fragte mit zitternder Stimme:

„Wer bist du? Wie bist du unbemerkt auf meinen Balkon gekommen? Und wie hast du es geschafft, mich hierher in mein Gemach zu bringen, ohne meine Amme aufzuscheuchen? Denn sie hätte es niemals zugelassen, dass ein anderer Mann als Leonard an meinem Bett wacht! Oh Gott, wenn er je von dir erfahren sollte …!“

Da erhob er sich und erwiderte ruhig:

„Den Prinzen würde dies nicht beunruhigen, denn er ist, wie ich ihn haben will. Und du denke stets an meine Worte, Celicia: Freiheit gibt es nicht ohne mich. Deine Sehnsucht wird dich erneut zu mir führen, ob du es willst oder nicht. Und ich werde da sein, um dich aufzufangen und zu trösten, zu jeder Zeit und an jedem Ort. Ich werde immer zu dir finden.“

Mit diesen Worten trat er hinaus auf den Balkon, und als Celicia ihm folgte, um sich zu empören, war er bereits verschwunden.


In den nächsten Tagen versuchte Celicia, nicht mehr an diese Begegnung zu denken und stattdessen weiter die Stunden durchzustehen, in denen man sie streng beaufsichtigte. Leonard bemühte sich, sie aufzumuntern und unternahm einige Ausflüge mit ihr. Es gelang ihm, sie zum Lachen zu bringen und ihr durch kleine Geschenke Freude zu bereiten, doch jedes Mal, wenn er sie aus den Gemächern seiner Mutter kommen sah, versetzte ihr kummervoller Blick seinem Herzen einen furchtbaren Stich. So wurde er erneut rastlos und verließ eines Nachts, als er nicht schlafen konnte, sein Zimmer, um draußen durch den dunklen Park zu wandern. Er suchte Zerstreuung, doch sie blieb ihm verwehrt. Wütend über sich selbst rammte er seine Faust schließlich gegen einen Baum und sank zu Boden.

„Was bin ich nur für ein Narr! Ich ziehe sie in mein Elend hinein und kann sie nicht davor bewahren, unglücklich zu sein!“

Er atmete schwer und vergrub das Gesicht in seiner Armbeuge.

„Wenn du es so genau weißt, warum sitzt du dann hier und versuchst nicht, die Dinge zu ändern?“

Ruckartig hob er den Kopf und war erleichtert, den Tod zu erblicken. Dieser stand in würdevoller Haltung zwischen den Bäumen und sah ihn mit hochgezogenen Brauen an. Leonard antwortete deprimiert:

„Wie soll ich es denn ändern? Ich konnte doch mich selbst schon nicht befreien.“

Der Tod kam ein wenig näher, während er sagte:

„Sie ist nicht wie du, Leonard. Sie sucht nicht dasselbe, was du dein Leben lang begehrt hast.“

Verwirrt starrte der Prinz ihn an.

„Was meinst du damit?“

Der Tod ließ sich neben ihm nieder und neigte den Kopf abschätzig zur Seite.

„Denke einfach darüber nach, mein Lieber. Du wolltest von deiner Mutter geliebt werden, doch sie hat dich stets auf Distanz gehalten. Celicia dagegen wuchs wohlbehütet in liebevoller Umgebung auf. Deshalb konnte sie dich auch vom ersten Moment an so vorbehaltlos lieben, dass es dein Herz erwärmt hat. Und während du stets von der Königin zurückgehalten und letztendlich sogar unterdrückt wurdest, war das Mädchen frei und ungebunden. Sie konnte nach draußen in die Freiheit, wann immer sie wollte, konnte sich Freunde suchen, mit denen sie ihre Kindheit verbrachte. Sie konnte sich ungehindert entfalten und beweisen, doch du durftest nicht einmal hinaus, weshalb du dich am Ende heimlich davongeschlichen hast.“

Leonard ergriff seinen Arm.

„Und dadurch fand ich dich; ich habe also Grund, dankbar zu sein.“

Dies entlockte dem Tod ein Lächeln.

„Wie ich sehe, weißt du meine Zeit und Zuneigung zu schätzen, das freut mich.“

Er legte daraufhin eine Hand auf Leonards Schulter und drückte diese so fest, dass es beinahe schmerzte.

„Du musst begreifen, dass nichts so ist, wie es zu sein scheint. Celicia ist mit Sicherheit stark genug, um gegen die Königin zu bestehen; wenn du ihr das Leben erleichtern willst, finde endlich einen Weg, deine Mutter mit der Situation zu versöhnen. Dies ist letztendlich alles, was du für das Mädchen tun kannst.“

Verzweifelt ließ Leonard die Schultern sinken.

„Wenn ich nur wüsste, wie ich das erreichen soll. Seit Monaten versuche ich bereits, sie zu beschwichtigen, aber sie lässt mich nicht an sich heran. Zwischen uns steht eine Wand und sie ist sehr bedacht darauf, diese aufrechtzuerhalten.“

Er ließ mutlos den Kopf gegen die Brust seines Freundes sinken.

„Manchmal wünschte ich, ich könnte dies alles noch immer einfach beenden, ohne an andere denken zu müssen.“

Der Tod verstand nur allzu gut, was er mit diesen Worten sagen wollte und zog den Prinzen impulsiv zu sich, um ihn durch seine Nähe zu trösten.

„Du weißt, wie gern ich dich erlösen würde, Leonard; du hättest es verdient, diese Welt hinter dir zu lassen und mir in die andere, bessere Wirklichkeit zu folgen. Doch bin ich nicht überzeugt, dass du es wirklich willst und aus diesem Grunde werde ich dich auch wieder aus meiner Umarmung freigeben, sobald du dich gefangen hast. Für den Moment bist du sicher, denn ich werde dich nicht verlassen. Ruhe dich aus und finde deinen Mut, deine Kraft, um den nächsten Tag zu überstehen.“

Leonard nickte und schloss erschöpft die Augen.

„Ohne dich wäre ich verloren, mein Freund. Ohne dich gäbe es für mich keinerlei Hoffnung …“

Damit fiel er sogleich in tiefen Schlaf und der Tod strich ihm sanft über das dunkle Haar.

„Hoffnung ist etwas für Narren, mein Lieber. Aber es ist gut, wenn du welche hast; das macht es leichter, dich endgültig zu brechen und ewig an mich zu binden.“

Todestanz

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