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III. Quellen zur antiken Wirtschaftsgeschichte

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Quellen

Wie bereits angedeutet, steht für die Analyse der Wirtschaft antiker Gesellschaften ein breiter Quellenfundus zur Verfügung, der durch naturwissenschaftliche Untersuchungen bereichert wird. Je nach Untersuchungsgegenstand, Zeit und behandeltem Raum variieren die zur Verfügung stehenden Überlieferungsstränge erheblich. Die Art der Quellen bedingt dann auch in gewisser Weise die Fragestellung, die überhaupt an das Material herangetragen werden kann. Eine Amphore etwa sagt zunächst wenig über die Wirtschaftsmentalität bestimmter Schichten aus, kann aber im Idealfall aufgrund petrographischer Analysen und/oder Beschriftungen Auskunft über Handelswege beziehungsweise sogar über die Organisation des Handels geben. Dabei erfordert beispielsweise die Einbeziehung der Verbreitung bestimmter Amphorentypen gänzlich andere methodische Erwägungen als eine Analyse auf der Grundlage literarischer Quellen.

Griechische Literatur

Gerade die literarische Überlieferung ist in Bezug auf die Interpretation für wirtschaftsgeschichtliche Fragestellungen äußerst komplex. Nahezu jedes literarische Genus ist für wirtschaftsgeschichtliche Fragen fruchtbar zu machen, was selbstverständlich insbesondere für die aus der Antike überlieferten ökonomischen Schriften gilt. Auf die Letzteren wird unten noch zurückzukommen sein, auf den Rest der literarischen Quellen und die sich ergebenden Probleme sei hier kurz exemplarisch eingegangen. Auf der einen Seite transportieren die Werke antiker Literatur selbstverständlich strukturgeschichtliche, also wirtschafts- und sozialgeschichtliche Realien. Auf der anderen Seite handelt es sich aber stets um Literatur, die dementsprechend bestimmten gattungsspezifischen Eigenarten und Stilmerkmalen gehorcht. Außerdem verfolgte der jeweilige Autor stets spezifische Darstellungsabsichten und hatte sich mit seinen literarischen Vorbildern auseinanderzusetzen. Solche Intentionen, die Gattungsspezifika und die intertextuellen Bezüge gilt es zu vergegenwärtigen, um sich dann über den Aussagewert einer gegebenen Textstelle Gedanken zu machen. So ist es beispielsweise ein Gattungsspezifikum einer Komödie des Aristophanes, Dinge zu überzeichnen, um komische Effekte hervorzurufen. Dementsprechend können von ihm berichtete Begebenheiten nicht von vornherein für bare Münze genommen werden, auch wenn sie sich auf typische Begebenheiten des athenischen Lebens beziehen, denn ohne die Verankerung in den Realien der Lebenswelt seines Publikums kann keine Komik entstehen. Dennoch kann das Werk des Aristophanes zum einen nutzen, wenn dezidiert strukturgeschichtliche Realien untersucht werden, zum anderen, wenn in die spezifische Vorstellungswelt des Dichters und die hieraus resultierende Konstruktion soziologischer Typen – etwa des Händlers – eingedrungen werden soll. Realien und Literalisierung von Stoffen gehen dabei öfters eine eigentümliche Mischung ein, wie die folgende in den Historien Herodots geschilderte Begebenheit zeigt.

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Über das Fehlen von Tonkrügen in Ägypten

Herodot, Historien 3,6,1 – 2

Aus ganz Griechenland und aus Phönizien werden zweimal im Jahr Tonkrüge voll mit Wein nach Ägypten eingeführt und man kann sozusagen von der gesamten Ladung nicht einen einzigen mit Wein gefüllten Tonkrug sehen. Manch einer mag fragen: welchen Gebrauch machen sie von ihnen? Und ich werde dies sagen. Jeder Ortsvorsteher muss aus seiner Stadt alle einsammeln und die Tonkrüge nach Memphis bringen, die Einwohner von Memphis müssen sie mit Wasser befüllen und in die wasserlosen Teile von Syrien bringen.

Diese Maßnahme habe wiederum der Perserkönig Kambyses direkt nach der Eroberung Ägyptens befohlen, um einen Landzugang hierher zu gewinnen. Nun hat man den Weinhandel zwischen der griechischen Welt beziehungsweise den Städten Phöniziens und Ägypten als reale Gegebenheit zu betrachten, zumal dieser durch eine Zollabrechnung aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert dokumentarisch bestätigt ist (Kuhrt, Persian Empire, Kap. 14 Nr. 10). Diese Realie wird in dem genannten Kontext allerdings dazu genutzt, die Begebenheit um die Sammlung aller Tongefäße und ihre Verbringung in die Wüste, die Kambyses und seine Herrschaft in Ägypten charakterisieren soll, zu authentifizieren. Dabei stellt die Kambyses zugeschriebene „Bewässerungsaktion“ nur eine Begebenheit dar, die den Despotismus des in Ägypten ungeliebten Herrschers veranschaulichen soll. Literalität und Bezug zu älteren literarischen Werken demonstriert Herodot wiederum durch seine äußerst negative Bewertung des Handels. So zeichnet er in den Historien Handel und Händler als Gegenbild zur Existenz des Kriegers: Handel führe zur Verweichlichung, denn er trage neben der Musik dazu bei, aus Männern Frauen zu machen (Hdt. 1,155,4). Diese äußerst negative Konnotation des Handels stellt wiederum ein Erbe der homerischen Epen dar. Hieraus aber den Umkehrschluss ziehen zu wollen, dass die Verarbeitung eines literarischen Motivs aus einem älteren Text, der als nahezu absolute Autorität gilt, Aufschluss über die diesbezügliche Geisteshaltung in der griechischen Welt gibt, ist zumindest nicht unproblematisch.

Lateinische Literatur

Die im Vorangehenden gemachten Aussagen über die der Interpretation literarischer Quellen der griechischen Welt innewohnenden Problematiken gelten selbstverständlich auch für die lateinische Welt. So findet sich etwa in einer Komödie des Plautus ein Zwiegespräch, in dem es um den Kauf eines Sklavenmädchens für den Preis von 30 Minen geht (Plaut. Curc. 335 – 349). Nun werden die Komödien des Plautus häufiger als Quelle für die römische Republik herangezogen. Dagegen ist zunächst schon die Verarbeitung griechischer Stoffe durch Plautus einzuwenden. Ferner wird der Preis in Minen angegeben, also in griechischer und nicht römischer Terminologie. In diesem Fall wird man demzufolge gut daran tun, den Auskünften der Komödie nicht allzu viel Quellenwert für die Zeit der römischen Republik beizumessen. Unter anderen Vorzeichen kann man auch gegenüber Auskünften der lateinischen Ethnographie Vorbehalte formulieren, wie die folgende Begebenheit aus der Germania des Tacitus zeigt.

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Über den Gebrauch des Geldes bei den germanischen Stämmen

Tacitus, Germania 5, 4 – 5

… obgleich die [sc. dem römischen Gebiet] benachbarten [sc. Germanen] Gold und Silber wegen ihres Gebrauchs beim Handel einen Wert beimessen und gewisse Formen unseres Geldes anerkennen und besonders schätzen. Die im Inneren Lebenden gebrauchen in einfacherer und älterer Weise den Tauschhandel. […] Das Silber schätzen sie auch mehr als das Gold, nicht aus einer Geisteshaltung heraus, sondern weil eine Anzahl von Silbermünzen leichter für die zum Nutzen gereicht, die mit verschiedenem und billigem Zeug handeln.

Nun wird niemand den grenzüberschreitenden Handel zwischen den freien Germanen und Individuen aus dem Römischen Reich bestreiten wollen. Auf der anderen Seite konstruiert der Autor hier aber auch kulturelle Unterschiede zwischen den Germanen, die aus dem Kontakt mit den Römern resultuierten. Dieser wirtschaftliche Kontakt führe zu einer Verderbnis, der die moralische und sittliche Überlegenheit derjenigen Germanen gegenüber gestellt wird, die eines solchen Kontakts entbehren. Diese Konzepte sind freilich dem literarischen Genus der Ethnographie und literarischen Vorläufern wie vor allem Herodot geschuldet. Wiederum gibt es also zugrundeliegende strukturgeschichtliche Realien, die freilich in einen wertenden Kontext gebracht und damit moralisch verargumentiert werden. Auf der anderen Seite beinhalten die literarischen Texte selbstverständlich auch wertvolle Ausführungen zu grundlegenden Realien, etwa wenn der Dichter Statius in seinen Silvae die Aufgaben des höchsten kaiserlichen Funktionärs in Sachen Finanzverwaltung darstellt (Statius, Silvae 3,3,86 – 105). Dennoch aber gilt es bei der wirtschaftsgeschichtlichen Analyse literarischer Quellen stets den Vorbehalt der Intentionalität, der Literalisierung des Stoffes sowie des zeitlichen Kontextes des Autors vor Augen zu haben. Denn aufgrund dieser Punkte entfernen sich die Aussagen der literarischen Welt allzu oft weit von vermutbaren strukturgeschichtlichen Realien.

Griechische ökonomische Schriften

Dies gilt in gleicher Weise für das ökonomische Schrifttum der griechischen und lateinischen Literatur. Das Schreiben über die Ökonomie entwicklte sich in der Antike zu einem eigenen literarischen Genre. Dabei ist unter ,Ökonomie‘ nicht das zu verstehen, was heute landläufig mit dieser Begrifflichkeit bezeichnet wird. Dieselbe leitet sich aus dem griechischen Wort oikonomía her, welches wiederum aus dem griechischen Wort oikos – Haus, Haushalt – und dem Wort nemein – unter anderem teilen, zuteilen, weiden, dann auch verwalten – zusammengesetzt ist. Die oikonomía beschäftigt sich also mit der Verwaltung des Haushalts. Hinweise auf diesen Themenbereich finden sich bereits seit den homerischen Epen. Die erste uns gänzlich überlieferte Schrift über die Haushaltsführung haben wir indes dem Athener Xenophon zu verdanken. Jener verfasste sein Werk, den Oikonomikós, als sokratischen Lehrdialog. Hierbei handelt es sich um ein literarisches Genre, in dem der Autor den Philosophen Sokrates in ein Gespräch mit einer oder mehreren anderen Personen treten lässt. Auf diese Weise lässt der Verfasser vor allem dem von Sokrates Gesagten eine besonderes hohe Autorität zukommen. Seit Platon stellte das imaginierte Gespräch die hauptsächliche literarische Form philosphischer Erörterung dar. Mit der Anwendung dieser Form erhob Xenophon also die Lehre von der rechten Haushaltsverwaltung in den Rang einer philosophischen Disziplin. Zentrales Ziel des Autors war es dabei, den Haushalten das Erzielen eines Überschusses zu ermöglichen. Hierdurch sollten die ihren Unterhalt in der Landwirtschaft erwirtschaftenden Haushalte, auf die Xenophon sich bezieht, in die Lage versetzt werden, ihre Verpflichtungen gegenüber dem Staat – der polis – und gegenüber den Göttern zu erfüllen. Als besonders wichtig für dieses Ziel betrachtete er die Sorge, die der Eigentümer beziehungsweise sein Verwalter der Leitung des Haushalts angedeihen ließ. Während seine Überlegungen hier also den privaten Haushalten galten, machte sich der Athener in einer anderen Schrift – den Poroi – Gedanken, auf welche Weise man die Einnahmen des athenischen Staats vermehren könnte.

Darüber hinaus sind die unter dem Namen des Philosophen Aristoteles laufenden Oikonomikµ überliefert. Diese wurden aber vermutlich nicht von Aristoteles selbst, sondern von Schülern desselben verfasst. In dieser pseudo-aristotelischen ökonomischen Schrift wird im ersten Buch die Führung des Privathaushalts behandelt, während das zweite Buch die Haushaltsführung des Königs, des Satrapen und die Wirtschaftsführung der Polis sowie die von Privatpersonen behandelt. Das dritte Buch, das lediglich in einer mittelalterlichen lateinischen Version vorliegt und nachklassisch ist, behandelt ausführlich die ethischen Pflichten und die Arbeitsverpflichtungen von Eheleuten. Damit sind schon die – uns überlieferten – Hauptwerke der griechischen ökonomischen Literatur vor der Eroberung von weiten Teilen der hellenischen Welt durch die Römer genannt. Zu diesen tritt noch ein Teil eines philosophischen Werkes des Philodemos, der aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer anderen Philosophen-Schule gänzlich andere Sichtweisen als Xenophon und Aristoteles entwickelte. Ein Buch aus seinem Werk „Über schlechte Neigungen und die entgegengesetzten Tugenden und ihre Eigentümlichkeiten und das Umfeld“ ist der rechten Haushaltsführung gewidmet. Anders als seine Vorgänger lehnt Philodemos für den Philosophen den übermäßigen Gelderwerb beziehungsweise einen allzu großen Aufwand für die Erwirtschaftung von Gewinnen ab.

Lateinische ökonomische Schriften

Im Bereich der lateinischen Literatur ist zunächst die Schrift über den Ackerbau (de agricultura) des Marcus Porcius Cato („d. Ältere“) zu nennen. Seine Schrift über den Ackerbau ist als eine Anleitung für den Grundeigentümer zu verstehen. Jener sollte in die Lage versetzt werden, sein Landgut je nach vorherrschendem Anbauprodukt und Standort rentabel zu bewirtschaften. Cato setzte sich dabei zwar auch mit griechischen Vorbildern auseinander, brachte aber vor allem Eigenes ein. Dabei verband er althergebrachte Praktiken und Techniken mit den Errungenschaften auf dem Gebiet von Technik und Organisationsformen seiner eigenen Zeit, die von dem Aufstieg Roms zur bestimmenden Macht der Mittelmeerwelt geprägt war. Sein Nachfolger auf dem Gebiet des ökonomischen Schrifttums war Marcus Terentius Varro, ein Zeitgenosse Caesars. Sein Werk über die Landwirtschaft (rerum rusticarum libri tres) umfasste drei Bücher. Das erste derselben handelte auf einer sehr theoretischen Ebene über den Ackerbau, das zweite, praxisorientiertere Buch über die Viehzucht und das dritte schließlich über die Weidewirtschaft. Auch Varros Ziel bestand darin, Ratschläge zur rationellen, ertragssteigernden Führung landwirtschaftlicher Betriebe und damit zur Mehrung der Gewinne zu geben. Die Kaiserzeit hatte mit dem aus dem heutigen Spanien stammenden Lucius Iunius Moderatus Columella einen Literaten, der ein umfangreiches Werk über die Landwirtschaft verfasste. Sein Werk (de re rustica) ist das vollständigste und sachkundigste, das zu diesem Themenbereich aus der Antike überliefert ist. Er behandelte dabei alle wesentlichen Bereiche der Landwirtschaft, thematisierte den Einsatz von Sklaven und – wie es zum Genre gehört – die Eigenschaften des Gutsverwalters (vilicus) und der Gutsverwalterin (vilica).

Aussagemöglichkeiten

Allgemein liefern die ökonomischen Schriften selbstverständlich wertvolle Einsichten in Realien und geben Aufschluss über vermutbare Realitäten, beispielsweise in der Betriebsführung. Gleichwohl gilt auch hier, dass sie als ein literarisches Genre mit spezifischen Eigentümlichkeiten zu betrachten sind, einbezüglich der ihnen innewohnenden Intentionalität und Literalität. Ferner lieferten sie die Vorstellungen von einem Idealzustand, der sich nicht notwendigerweise mit den Realitäten beziehungsweise mit den vermutbaren Realitäten decken musste. Dasselbe gilt für den sozialen Bezugspunkt, wandten sich die Autoren doch meist an Oberschichten, deren Lebensstil und Wirtschaftsweise sich fundamental von den unteren Schichten unterschied.

Rechtstexte

Schließlich ist noch kurz über die Rechtskodifikationen, und zwar insbesondere über die Digesten, zu reden. Auch diese stellen eine äußerst wichtige Quellengruppe dar, die sich gerade in der letzten Zeit größerer Aufmerksamkeit in der Forschung erfreut. Aber auch ihre Interpretation ist nicht ohne Probleme. So sind etwa die Digesten eine Sammlung klassischer Schriften, die von Juristen aus der Hohen Kaiserzeit stammen und im Jahr 533 n. Chr. zusammengestellt worden sind. Bei der Sammlung handelt es sich um Auszüge aus Lehrmeinungen dieser Juristen, die zu bestimmten Themen zusammengetragen wurden. Diese Schriften wurden von einer Kommission gesichtet, die die überlieferten Texte zum Teil emendierte, also nach Ansicht der Bearbeiter verbesserte. Dementsprechend gewinnt man aus diesem Sammelwerk einerseits wertvolle Informationen beispielsweise über kaiserliche Verfügungen. So ist in ihnen beispielsweise ein Reskript von Marc Aurel und Commodus bezüglich der Waren aus dem Osthandel überliefert, die einer Verzollung anheimfallen (Dig. 39,4,16,7). Dieser Liste darf man eine überregionale Geltung zusprechen, obgleich auch hier sich manches Detailproblem ergibt. Häufiger haben die anzutreffenden Regulierungen der Kaiser aber auch lediglich einen regionalen Bezug, der nicht ohne Weiteres verallgemeinert werden darf. Ohne Zweifel sind aber die Rechtsammlungen von höchster Bedeutung gerade für eine sich an der Neuen Institutionenökonomik orientierenden Wirtschaftsgeschichte, stellt doch gerade diese die der Wirtschaft zugrunde liegenden Regeln in den Fokus ihrer Aufmerksamkeit.

Andere literarische Quellen

Freilich gilt es wiederum nicht allein die griechische und lateinische Literatur bei einer Betrachtung der Wirtschafts- und Sozialgeschichte vor Augen zu haben. Hinzu tritt etwa das Alte Testament der Bibel, das auch relevante Informationen beinhaltet. Insbesondere ist aber an die Mischna und den Talmud zu denken, die beide wertvolle Einsichten in die Wirtschaft Palästinas liefern.

Inschriften

Einen mehr oder minder ungefilterten Zugang liefern dokumentarische Quellen in Gestalt von Inschriften und Papyri. Für weite Teile der antiken Welt sind die Inschriften dabei nahezu der einzige dokumentarische Zugang zur antiken Wirtschafts- und Sozialgeschichte. In der Hauptsache handelt es sich bei den Inschriften um Texte in griechischer und lateinischer Sprache. Gleichwohl sind für wirtschaftsgeschichtliche Fragestellungen beispielsweise in Bezug auf das antike Syrien auch Texte in anderen Sprachen oder zweisprachige Urkunden heranzuziehen. Ein diesbezüglich besonders instruktives Beispiel ist der sogenannte , Torzolltarif von Palmyra‘, bei dem es sich um eine griechisch-palmyrenische Bilingue handelt (TUAT NF 1, 281 – 292). Dieselbe liefert beispielsweise wichtige Auskünfte über den Warenverkehr zwischen der Umgebung von Palmyra und der Stadt selbst. Je nach untersuchter Zeit und untersuchtem Raum stehen dem Betrachter Texte in unterschiedlichem Ausmaß zur Verfügung. Dies hängt zunächst mit verschiedenen äußeren Faktoren zusammen. So haben Inschriften auf Stein eine erheblich größere Chance, bis in die heutige Zeit überliefert zu werden als solche auf Bronzetafeln oder gar Texte auf Holz. Bei den Texten auf Stein spielen wiederum die jeweiligen Gesteinssorten eine Rolle für die Überlieferung eines Textes. Gesteine, die zu Kalk gebrannt werden können, sind beispielsweise größeren Fährnissen der Überlieferung ausgesetzt als solche, bei denen dies unmöglich ist. Vergängliche Textträger – insbesondere Holz – können wiederum lediglich unter spezifischen Bedingungen der Bodenbeschaffenheit überliefert werden. Ein beredtes Zeugnis hierfür sind beispielsweise die Holztäfelchen aus dem Kastell Vindolanda in Nordengland, die dank der Feuchtigkeit und der spezifischen chemischen Zusammensetzung des sie umgebenden Erdreichs nicht verrotteten und heute noch lesbar sind. In diesen findet sich eine Fülle von wirtschaftsgeschichtlichen Informationen, die aufgrund der Textsorten – Abrechnungen, Briefe – auf Stein gar nicht zu erwarten sind, so etwa in Bezug auf die Ernährungsgewohnheiten der dort stationierten Soldaten.

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Brief aus Vindolanda

Britannia 26 (1997), 324

Masclus seinem König Cerialis zum Gruß. Bitte befehle, was wir nach Deinem Willen morgen tun sollen. […] Die Kameraden haben kein Bier. Bitte befehle, dass welches geschickt werde. Rückseite: An den Präfekten Flavius Cerialis vom Decurio Masclus.

Epigraphische Kultur

Ein weiterer Grund für die regional sehr unterschiedliche Dichte der Überlieferung ist die jeweilige ,epigraphische Kultur‘ eines gegebenen Ortes oder Raumes. Unter dem Begriff ,epigraphische Kultur‘ (epigraphic habit) werden die jeweiligen spezifischen Bedingungen subsumiert, die in einem gegebenen Raum und zu einer gegebenen Zeit abhängig von den jeweiligen politischen und sozialen Umständen überhaupt zur Setzung einer Grabinschrift oder auch anderer Textgattungen führten. Alles dies zusammengenommen hat zur Folge, dass manche Orte nur zu bestimmten Zeiten überhaupt in unserer Überlieferung präsent sind. Nicht zuletzt trägt dazu aber auch der unterschiedliche Forschungsstand bei, der von Ort zu Ort hinsichtlich der Intensität deutliche Unterschiede aufweisen mag. Rein quantitativ betrachtet stellen in der griechischen Welt das fünfte und das vierte vorchristliche Jahrhundert die Blütezeit der epigraphischen Kultur dar. Nimmt man die römische Welt in Augenschein, ist im gesamten Römischen Reich die Hohe Kaiserzeit, also im Grundsatz das 1. – 3. Jahrhundert n. Chr., als Höhepunkt der epigraphischen Kultur zu sehen.

Griechische Inschriften

Den Überlieferungsschwerpunkt in der griechischen Welt schlechthin bildet Athen, wozu die sich im 5. / 4. Jahrhundert dort entwickelnde Demokratie erheblich beigetragen hat, brachte diese Verfassungsform doch in erheblichem Ausmaß eine Publikation von Volksbeschlüssen, Abrechnungen, Inventarlisten und anderem mehr mit sich, die sich auch im privaten Bereich niederschlug. So machen die Inschriften denn auch einen erheblichen Anteil an der Rekonstruktion der Wirtschaftsgeschichte des klassischen Athens aus. Damit liegt also nicht nur der Fokus der literarischen Überlieferung, sondern auch derjenige der epigraphischen Überlieferung in dieser Zeit eindeutig auf Athen. Gleichzeitig bildet die epigraphische Überlieferung aber auch das Hilfsmittel im Rahmen der schriftlichen Überlieferung, um sich der Wirtschaft anderer Regionen der griechischen Welt anzunehmen, die in der literarischen Tradition bestenfalls am Rand erwähnt werden. Ein diesbezügliches Beispiel ist eine spätklassische Inschrift aus dem thrakischen Ort Pistiros (SEG XLIII 486), die Details über das Zusammenleben zwischen Hellenen und Thrakern sowie den Handel zwischen denselben erkennen lässt. Auf der Grundlage literarischer Quellen wären diese Kontakte schlicht im Orkus der Geschichte verschwunden. Wertvolle Einblicke in das Wirtschaftsleben liefern auch auf Bleitäfelchen geschriebene Briefe.

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Privatbrief aus Berezan

HGIÜ 27

O Protagores, Dein Vater sendet Dir (folgendes): Ihm geschieht Unrecht durch Matasys, denn dieser macht ihn zum Sklaven und hat ihn seines Lastschiffes {oder: seiner Ladung} beraubt …

Als weiteres Beispiel für die großen Aussagemöglichkeiten, die der epigraphischen Überlieferung innewohnen, sei eine Urkunde aus Eleusis genannt, in der Getreidegaben an Demeter und Kore aufgeführt werden. Aufgrund dieser Urkunde ist die Berechnung der Getreideerträge Attikas und der von Athen dominierten Gebiete möglich (IG II2 1672). Die besondere Bedeutung der epigraphischen Überlieferung wird schließlich auch durch das Beispiel der Insel Delos dokumentiert, deren Wirtschaft man insbesondere für die hellenistische Zeit aufgrund des Inschriftenbestands detailliert rekonstruieren kann. In der hellenistischen Welt treten dann noch Urkunden in der Sprache der jeweiligen Völker hinzu, die in die sich etablierenden makedonischen Reiche einverleibt wurden. Beredtes Zeugnis über den hohen Aussagewert einheimischer Quellen legen etwa die neubabylonischen Keilschrifturkunden ab, die wertvolle Einsichten in die Wirtschaft von Kerngebieten des Seleukidenreichs bieten.

Lateinische Inschriften

Das gerade zu den griechischen Inschriften Gesagte gilt unter anderen Vorzeichen selbstverständlich auch für die lateinische Epigraphik. Hier gilt es zunächst zwischen der Zeit der Republik und der Kaiserzeit zu unterscheiden. Denn von den rund 300.000 bekannten lateinischen Inschriften stammen lediglich etwa 1 % aus der Zeit von den Anfängen Roms bis zur Ermordung Caesars im Jahr 44 v. Chr. Erst unter der Herrschaft des Augustus steigt die Zahl der Inschriften sprunghaft an und hat ihren Höhepunkt im 1. / 2. Jahrhundert n. Chr. Seit der späten Severerzeit, also am Ende des ersten Drittels des 3. Jahrhunderts n. Chr., geht die Zahl der Inschriften dann zurück. Mit Fug und Recht ist Augustus daher als Begründer der imperialen Epigraphik bezeichnet worden. Sein Beispiel machte Schule, zunächst in Italien und dann auch in den Provinzen. Da das Römische Reich in zwei große Sprachräume geteilt war, nämlich einen westlichen lateinischen und einen östlichen griechischen Bereich, ist es für diesen Zeitraum angebracht, von einer reichsrömischen Epigraphik zu sprechen, die sich sowohl mit den lateinischen als auch den griechischen Inschriften beschäftigt. Nicht zu vergessen ist dabei die Existenz indigener Sprachen, die sich auch in Inschriften niederschlugen. Epigraphische Zeugnisse beleuchten nahezu jedes Thema der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, angefangen bei Preisen für verschiedene Güter über die staatliche und städtische Finanzverwaltung bis hin zu Arbeitsverträgen und sonstigen Rechtsurkunden, die spezifische Informationen zur Wirtschaft enthalten. Die sozialen Gruppierungen und Schichten, die in den Inschriften sichtbar und in ihrem wirtschaftlichen Handeln unmittelbar erkennbar werden, sind vielfältiger als in der literarischen Überlieferung, die meist einen Fokus auf der Oberschicht hat. Spezifische Überlieferungsbedingungen erlauben es wiederum öfter, auch in den Bereich der wirtschaftlichen Alltäglichkeiten vorzustoßen. Das Beispiel Vindolanda ist oben schon genannt worden. Bleitäfelchen aus dem römischen Britannien führen ebenfalls in den Bereich wirtschaftlicher Alltäglichkeiten, etwa wenn es um den Kauf eines Waldes und um die daraus resultierenden Verwicklungen geht.

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Prozessprotokoll aus London vom 14. März 118 n. Chr.

AE 1994, Nr. 1093

Im zweiten Konsulat des Imperator Traianus Hadrianus Caesar Augustus und im Konsulat des Gnaeus Fuscus Salinator, am Tag vor den Iden des März. Als man zu der gegenwärtigen Sache gekommen war – dem Wald (mit Namen) Verlucionium, mehr oder minder 15 Arepennia (1,84 ha) groß, der sich in (dem Gebiet) der Stadt der Cantiacer in der Dorfgemarkung DIBUSSU[–] befindet, mit den Erben des NN und mit den Erben des Casennius Vitalis und der Vicinalstraße als Nachbarn und von dem L. Iulius Bellicus sagt, dass er ihn für 40 Denare gekauft habe, so wie es im Kaufvertrag steht – hat Lucius Bellicus bezeugt, dass er …

Fluchtafeln/Graffiti

Sowohl wirtschafts- als auch mentalitätsgeschichtlich bemerkenswert sind die überlieferten lateinischen Fluchtafeln, ein Befund, der auch für diese Quellengattung in der griechischen Welt zutrifft. Eine besondere, äußerst ergiebige Textgattung bilden auch die Graffiti. Der Wand kam in der antiken Welt eine besondere Bedeutung als Beschreibstoff zu. Dies gilt nicht nur für Texte, die man so oder ähnlich auch heute noch an entsprechenden Örtlichkeiten finden kann. Die Wand war darüber hinaus das Medium, durch das man beispielsweise Pachtanzeigen bekannt machte. Oder aber man benutzte diesen Schriftträger für Abrechnungen. Das bisher Gesagte gilt insbesondere für das 79 n. Chr. durch einen Ausbruch des Vesuvs zerstörte Pompeji. Graffiti mit wichtigen wirtschaftsgeschichtlichen Informationen finden sich darüber hinaus in Dura Europos, einer am Euphrat gelegenen Stadt, die im Jahr 256 n. Chr. durch sassanidische Truppen unter Schapur zerstört und hierdurch gleichsam in einer Momentaufnahme der Forschung zugänglich wurde. Die von dort überlieferten Graffiti geben Auskunft über die landwirtschaftliche Produktion und den Handel in der Region des mittleren Euphrats. Sowohl Stadt als auch Region sind aber in der literarischen Überlieferung gleichsam inexistent, jedenfalls soweit es wirtschaftsgeschichtliche Fragestellungen betrifft. Den Inschriften kommt damit allgemein eine immense Bedeutung für die Wirtschaftsgeschichte zu, liefern sie doch gleichsam unmittelbaren Zugang zu nahezu jedem Aspekt wirtschaftlichen Lebens in der Antike.

Papyri

Dies gilt in noch größerem Maße und mit erheblich größerem Reichtum an Details für die papyrologische Überlieferung. Unter diesem Begriff werden in der Hauptsache die Papyri und Ostraka aus Ägypten, soweit sie in lateinischer oder griechischer Sprache verfasst sind, subsumiert. Diese Definition alleine greift zu kurz, denn zum einen sind auch andere Schriftträger – etwa Knochen oder Holz – Gegenstand der Papyrologie als Grundwissenschaft der Alten Geschichte. Zum anderen finden sich Papyri zwar in besonders hohem Maße in Ägypten, da der heiße, trockene Wüstensand dort ideale Überlieferungsbedingungen für die Texte schuf, aber auch andere Regionen der antiken Welt liefern zunehmend Texte auf Papyrus beziehungsweise auf Pergament. Dies trifft in besonderem Ausmaß für den vorderasiatischen Raum zu, in dem das bereits genannte Dura Europos sowie die Region am mittleren Euphrat einen gewissen Überlieferungsschwerpunkt bilden. Darüber hinaus beschränkt sich die Sprache der einschlägigen Texte nicht auf das Griechische und das Lateinische, sondern in Ägypten sind insbesondere für die ptolemäische Zeit (3. – 1. Jh. v. Chr.) auch die in demotischer Sprache abgefassten Texte von besonderer Wichtigkeit, mit denen sich die Nachbardisziplin der Ägyptologie befasst. Auch in Ägypten selbst ist die Überlieferungssituation der Texte sowohl in räumlicher als auch in chronologischer Hinsicht alles andere als einheitlich. Die griechisch-sprachigen Urkunden – das heißt die nicht literarischen Texte – setzen mit der Einbeziehung des Landes in den Machtbereich von Alexander III. („dem Großen“) im Jahr 333 ein; allerdings setzt der Strom der Überlieferung in größerem Umfang erst unter den Ptolemäern und hier insbesondere im 3. Jahrhundert v. Chr. ein und beginnt mit der arabischen Eroberung in den Jahren 639 – 641 zu versiegen, obgleich sich noch Urkunden aus dem 8. Jahrhundert n. Chr. finden. Innerhalb der Epoche der Ptolemäer (323 – 30 v. Chr.) stammt der Großteil der Urkunden aus dem 3. Jahrhundert v. Chr., während die Anzahl der Texte im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. jeweils deutlich zurückgeht. Die Einverleibung in das Römische Reich im Jahr 30 v. Chr. geht wiederum mit einer Steigerung der Anzahl der überlieferten Texte einher. Im römischen Ägypten (30 v. Chr.–284 n. Chr.) bildet das 2. Jahrhundert n. Chr. den Höhepunkt der Überlieferung. Im 3. Jahrhundert n. Chr. geht die Anzahl der Texte zurück, ist aber noch deutlich höher als in den darauf folgenden Jahrhunderten. Kurzum: Die Hohe Kaiserzeit ist in den Urkunden am besten dokumentiert, in der ptolemäischen Epoche ist das dritte vorchristliche Jahrhundert am besten überliefert. Betrachtet man die regionale Verteilung der Texte, finden sich gleichfalls bestimmte Schwerpunkte der Überlieferung. Besonders gut ist die Überlieferungslage in Mittelägypten, in dem wiederum der Fayum, eine im Westen des Nils liegende Oase im Süden des Moiris-Sees, am besten dokumentiert ist. Hinsichtlich der Zahl der Texte folgen hierauf die im Süden hiervon liegenden Gaumetropolen Herakleopolis, Oxyrhynchos und Hermopolis. Das Delta hingegen ist in den Urkunden kaum repräsentiert, der Süden Ägyptens wiederum liefert in der Hauptsache Ostraka – also Scherben – als Textträger. Damit sind die Aussagemöglichkeiten dieser Quellengruppe zunächst einmal regional begrenzt. Auf der anderen Seite aber liefern die Urkunden aus Ägypten einen derartigen Reichtum an Zahlenmaterial und Fakten, dass auf ihrer Grundlage Modelle entwickelt und Aussagen getroffen werden können, denen auch eine allgemeinere, paradigmatische Bedeutung zukommt. Mehr noch: Gerade die papyrologische Überlieferung liefert ständig neue, bemerkenswerte, manchmal gar Aufsehen erregende Texte. Letzteres war etwa der Fall, als eine Urkunde publiziert wurde, die die wirtschaftlichen und steuerlichen Privilegien zum Inhalt hatte, die Kleopatra VII. einem Gefolgsmann des Marcus Antonius einräumte.

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Privilegierung des Cascelius (?) durch Kleopatra vom 23. 2. 33 v. Chr.

P. Bingen 45 = TUAT NF 2, S. 383 (3. Hand) Ich habe erhalten im Jahr 19, zugleich Jahr 4, am 26. Mechir. (1. Hand) An Ptolemaios. Wir haben dem Quintus Cascelius und seinen Erben gestattet, jährlich 10.000 Artaben Weizen auszuführen und 5.000 Koische Keramien Wein einzuführen, wobei von niemandem eine Abgabe eingetrieben werden soll noch irgendwelche anderen Aufwendungen. Wir haben ihm ferner die Steuerfreiheit für alle Grundstücke, die er in der Chora besitzt, gewährt, wofür weder für die Dioikesis noch für unser Fiskalkonto oder das unserer Kinder für alle Zeit auf irgendeine Weise etwas eingetrieben werden wird. Es sollen aber auch all’ seine Pächter belastungs- und steuerfrei sein, wobei von keinem etwas eingetrieben werden soll, weder die in den Gauen zu gegebener Zeit ausgeschriebenen Veranlagungen, noch zu den zivilen oder militärischen Unterhaltskosten; ebenso soll auf dieselbe Weise frei von persönlichen Verpflichtungen und frei von Steuern und Requirierungen sein das Vieh für die Aussaat und die Lasttiere für den Transport des Getreides und die Schiffe. Es soll nun geschrieben werden an die, die es betrifft, damit sie im Wissen (um diese Verfügung) entsprechend verfahren. (2. Hand) Es soll geschehen.

Die Urkunde zeigt die Aussagemöglichkeiten, die der papyrologischen Überlieferung innewohnen können. Jeder Aspekt des wirtschaftlichen Lebens wird durch die Urkunden berührt. Abrechnungen geben Auskünfte, die von alltäglichen Einkäufen bis hin zur komplexen Buchhaltung landwirtschaftlicher Großbetriebe reichen. Tausende von Privatbriefen liefern einen Einblick in alltägliches wirtschaftliches Gebahren. Verträge über Käufe und Verkäufe unter anderem von Tieren, Häusern, Grundstücken, Sklaven liefern nicht nur spezifische Daten wie etwa Preise oder Größen von Flächen, sondern geben auch Aufschluss über das Ausmaß, in dem in einer antiken Gesellschaft Eigentum wechselte. Pacht- und Arbeitsverträge zeigen zusammen mit den bereits genannten Abrechnungen, welche Strategien Landeigentümerinnen und -eigentümer der Bewirtschaftung ihrer Güter zugrunde legten. Archive, die größere Gruppen von Urkunden in sich vereinen, zeigen solche Strategien detailliert auf. Königliche beziehungsweise statthalterliche Erlasse demonstrieren die Eingriffe der jeweiligen Staatlichkeit in die Wirtschaft. Ehe- und Scheidungsvereinbarungen beleuchten die wirtschaftlichen Dimensionen des Zusammenlebens von Mann und Frau; Zollhausabrechnungen und Torzollquittungen demonstrieren nicht nur staatliches Bemühen, aus dem Wirtschaftsleben Einkünfte zu generieren, sondern geben auch über den Warenverkehr beziehungsweise über Transporthäufigkeiten oder Belastbarkeit von Transporttieren Auskunft. Durch verschiedene Typen von Urkunden wird auch das Streben der jeweiligen Staatlichkeit nach Erfassung der Menschen deutlich. Diese Texte sind beispielsweise für demographische Fragestellungen, die für jede Beschäftigung mit der Wirtschaft grundlegend sind, von höchstem Wert, finden sie doch in unserer sonstigen Überlieferung keinerlei Parallele. Kurz: Keiner anderen Quellengattung wohnt ein derartiger Detailreichtum inne, der die Rekonstruktion alltäglichen Lebens und der strukturellen wirtschaftlichen Gegebenheiten erlaubt.

Numismatik/ Geldgeschichte

Bedeutsam für die Analyse der Wirtschaft sind selbstverständlich auch die numismatischen Quellen, also die Münzen. Sie sind die wesentliche Quelle für die antike Geldgeschichte, obgleich nicht nur Münzen als Geld betrachtet werden können, da es in der antiken Welt auch vormonetäre Geldformen gibt. Dabei ist bis heute nicht eindeutig definiert worden, was ,Geld‘ in einer historischen Perspektive eigentlich ist; man behilft sich daher damit, Funktionen des Geldes zu unterscheiden und auf diese Weise Aufschluss über Formen von Geld zu gewinnen.

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Funktionen von Geld

Folgende Funktionen von Geld sind zu unterscheiden: 1.) Geld als Wertmesser, das heißt der Wert einer Sache wird durch einen Geldbetrag angegeben; hierdurch wird der Wert von Waren und Dienstleistungen vergleichbar. 2.) Geld als Tausch- und Zahlungsmittel. 3.) Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes, das heißt auch in einer ferneren Zukunft kann der Wert des Geldes, also die ihm innewohnende Tauschkraft, wieder realisiert werden und für den Erwerb von Waren und Dienstleistungen genutzt weden. (nach Blum, Wolters, Alte Geschichte studieren, 95)

Die Münze ist damit nur eine Form von Geld, die freilich sowohl für die griechische als auch für die römische Welt nach ihrer Einführung zur bestimmenden Form von Geld wurde. Der Wert der verschiedenen Arten von Münzen bestimmte sich dabei nach Art und Menge des verwendeten Metalls. Die verschiedenen Staatlichkeiten – allein in der griechischen Welt sind uns rund tausend Poleis bekannt – prägten ihre Münzen nach einem bestimmten Münzfuß. Dieser Münzfuß definierte die Menge des idealerweise verwendeten Metalls in einer Münze, in Athen etwa 4,37 g Silber pro Drachme, dem athenischen Standardnominal. Der Feingehalt – das heißt die tatsächlich in der Münze enthaltene Menge an Edelmetall – musste dabei nicht immer dem Münzfuß entsprechen. So sind Reduzierungen des Feingehaltes durchaus nachzuweisen. Der Vorteil für die prägende Staatlichkeit lag dabei darin, dass man durch die Reduktion des Feingehalts aus derselben Menge Edelmetall mehr Münzen prägen konnte als bei einer rigiden Beobachtung des Münzfußes. Monetäre Funktionen wohnten der Münze zunächst einmal lediglich im Territorium der sie ausgebenden Staatlichkeit inne, außerhalb derselben wurde sie lediglich zu einem Stück Metall, dessen Gewicht von Bedeutung war, weil ihm ein Wert in der lokalen Währung zukam. Das Auftauchen der Münze stellte wirtschaftsgeschichtlich besehen einen technologischen Quantensprung dar. Die Nutzung eines handlichen Metallstücks, „das als Zahlungs- und Umlaufmittel dient und für dessen Gewicht und Feingehalt der Staat durch Bild oder Aufschrift bürgt“ (K. Regling, RE XVI 1 (1933), 457), erleichterte den Austausch von Waren und Dienstleistungen gegenüber den prämonetären Geldformen erheblich. Ihren Ursprung hat die Münze im westlichen Kleinasien um 600 v. Chr. Umstritten ist in der Forschung, ob ihre Wurzeln im Lyderreich oder in den benachbarten griechischen Städten im Westen der anatolischen Halbinsel liegen. Die Art des verwendeten Metalls – Elektron (eine natürliche Legierung von Gold und Silber) – spricht unter Umständen für einen lydischen Ursprung. Von Kleinasien aus verbreitete sich die Münzprägung in der griechischen Welt. Um die Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. begannen etwa Athen, Korinth und Aigina Münzen zu prägen. Zwar benutzte man einen unterschiedlichen Münzfuß, aber die Nominale, also die verschiedenen ausgeprägten Wertigkeiten, trugen denselben Namen. Zwei Nominale wurden in griechischen Staatlichkeiten ausgeprägt, nämlich die aus Silber bestehende Drachme und der Obolos, der später stets aus unedlem Metall geprägt wurde. Darüber hinaus wurde auch das Didrachmon ausgeprägt, das das doppelte Gewicht einer Drachme hatte und auch unter der Bezeichnung Stater geläufig war. Das Verhältnis der beiden Nominale untereinander betrug in der Regel 1:6, das heißt 6 Obolen hatten den Wert einer Drachme. Größere Beträge wurden in zwei verschiedenen Recheneinheiten ausgedrückt, nämlich der Mine, die 100 Drachmen entsprach, und dem Talent, das den Gegenwert von 6.000 Drachmen beziehungsweise 60 Minen bildete. In Rom, wo zunächst prämonetäre Geldformen in Gestalt des aes grave dominierten, wurde die Münzprägung vergleichsweise spät eingeführt. Erst ab dem beginnenden 3. Jahrhundert v. Chr. kann man von regelmäßigen Münzprägungen seitens der Römer sprechen. Gegen Ende desselben Jahrhunderts führten die Römer den aus Silber geprägten Denar ein, der für die nächsten rund 500 Jahre die römische Standardmünze war und im Zuge der römischen Expansion zunächst die Leitwährung der Mittelmeerwelt, dann auch des gesamten Imperium Romanum werden sollte. Die Römer verwendeten ein trimetallisches Münzsystem, in dem Gold, Silber und Bronze sowie andere unedle Metalle zur Anwendung kamen.

Nominale in der Kaiserzeit

Gold Silber Messing Kupfer
Aureus Denar Sesterz Dupondius Ass Quadrans
1 25 100 200 400 1.600
1 4 8 16 64
1 2 4 16
1 2 8
1 4

Dieses Münzsystem galt zwar reichsweit, aber die römische Staatlichkeit ließ vorzugsweise im Osten des Reiches lokale Münzprägungen weiterhin zu. Dies gilt sowohl für Silberprägungen als auch insbesondere für Münzprägungen aus unedlem Metall, mithin also für Kleingeld. Dass die Geldgeschichte fundamental für die Wirtschaftsgeschichte ist, bedarf keiner weiteren Begründung. Die Numismatik als Grundwissenschaft der Geschichte trägt mit ihren Methoden zur Beantwortung grundlegender Fragen bei, etwa nach der Versorgung eines Staatswesens mit Geld in ausreichendem Umfang, nach der Umlaufgeschwindigkeit von Münzen, nach der Hortung derselben und nach dem Ausmaß der Monetarisierung bestimmter Regionen.

Archäologische Funde und Befunde

Schließlich ist auf die materielle Hinterlassenschaft in Gestalt von archäologischen Funden und Befunden zu sprechen zu kommen, denen gleichfalls eine wesentliche Rolle als Quelle zukommt. Je nach Art des Befundes ergeben sich dabei unterschiedliche methodische Probleme und Aussagemöglichkeiten. Grundsätzlich ist nahezu jeder archäologische Befund für Fragen der antiken Wirtschaftsgeschichte fruchtbar zu machen. Gebäude und Baulichkeiten geben beispielsweise Aufschluss über räumliche Beziehungen, etwa durch die Art von verwendetem Gestein, das unter Umständen auch über weite Entfernungen an den Ort seiner Verbauung gebracht wurde. Ferner gewinnt man Informationen über die Bauorganisation beziehungsweise über sonstige handwerkliche Produktion, zumal wenn im Idealfall auch noch schriftliche Quellen existieren. Solches gilt etwa für den Bau des Erechtheions in Athen (IG I3 474 – 479). Darüber hinaus gibt der archäologische Befund Auskunft über die zur Verfügung stehenden Technologien, vom Schiffbau über den Bau von Gebäuden und Straßen sowie das Handwerk allgemein bis hin zur Landwirtschaft. Gleichzeitig wird auch die zur Verfügung stehende Infrastruktur erkennbar. Die Distribution materieller Überreste abseits ihres Herkunftsgebiets vermag Auskunft über bestehende Kontakte zwischen verschiedenen Staatlichkeiten beziehungsweise Ethnien zu geben, die nicht zwangsläufig, aber eben doch auch wirtschaftlich bedingt sind. Eine besondere Rolle kommt in diesem Kontext der Verbreitung verschiedener Amphorentypen zu, die sich über stilistische Kriterien und durch die Anwendung naturwissenschaftlicher Methoden sowie möglicherweise auch Aufschriften bestimmten Herkunftsgebieten zuordnen lassen. Der Nachweis solcher Amphoren in anderen Bereichen der antiken Welt vermag unter Umständen Auskunft über Handelsbeziehungen zu geben, zumal wenn sie massenweise auftreten. Da bestimmte Amphorentypen für spezifische Produkte wie zum Beispiel Wein verwendet wurden, lassen sich durch die Analyse der Distribution dieser Behältnisse sehr dezidierte Aussagen machen. Ähnliches gilt selbstverständlich für andere überregional verbreitete Waren, sofern sie denn aufgrund ihrer Dauerhaftigkeit bis in die heutige Zeit überliefert worden sind. So gilt es sich beispielsweise stets zu vergegenwärtigen, dass Amphoren lediglich Transportbehälter waren; andere Behältnisse wie Holzfässer oder Lederschläuche haben im Gang der Überlieferung aufgrund der Vergänglichkeit des Materials sehr viel geringere Chancen, überhaupt bis in die Gegenwart tradiert zu werden. Damit liefert also eine Analyse des Befundes an Amphoren in einer gegebenen Örtlichkeit unter Umständen nur eine Facette der überregionalen Verbindungen der Lokalität. Darüber hinaus zeigen Surveys einzelner Gebiete die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Strukturen eines bestimmten Raumes auf. Moderne Methoden der Geoarchäologie erlauben die Rekonstruktion antiker Landschaften und Küstenverläufe, die wiederum wichtige und die Wirtschaft bedingende Strukturvoraussetzungen darstellen. Eine besondere Rolle spielen dabei die archäobotanischen Untersuchungen, die die Entwicklung der Pflanzenwelt eines gegebenen Raumes und damit auch seine wirtschaftliche Nutzung erkennbar werden lassen. Hierfür liefern beispielsweise die von ANGELA KREUZ angestellten Analysen der Befunde aus Hessen und Mainfranken interessante Beispiele, die den Einfluss unterschiedlicher landwirtschaftlicher Systeme auf die Umwelt illustrieren. Besonderes Interesse für demographische und damit auch wirtschaftsgeschichtliche Fragestellungen dürfen die forensischen und anthropologischen Untersuchungen menschlicher Überreste für sich in Anspruch nehmen. Ein beredtes Beispiel hierfür liefern die Skelettbefunde von Pompeji und Herculaneum. Der Wert der archäologischen Funde und Befunde kann also für die Rekonstruktion strukturgeschichtlicher Realien und wirtschaftsgeschichtlicher Fragestellungen gar nicht hoch genug veranschlagt werden.

Alles in allem gilt es also, möglichst alle Überlieferungsstränge für die Analyse wirtschaftsgeschichtlicher Fragestellungen heranzuziehen, zu kontextualisieren und dieselben mit den jeweiligen theoretischen Voraussetzungen und den zur Anwendung kommenden Modellen in Beziehung zu setzen. Je nach zur Debatte stehender Region beziehungsweise Örtlichkeit stehen aufgrund der Zufälligkeiten beziehungsweise der Spezifika der jeweiligen Überlieferung in der Regel nicht alle Quellengattungen zur Verfügung. So ist beispielsweise das durch Papyrusurkunden so exzellent dokumentierte römische Ägypten archäologisch nur vergleichsweise schlecht zu fassen. Der reichen literarischen, epigraphischen, numismatischen und archäologischen Überlieferung in Bezug auf Athen stehen weite Teile des griechischen Kernlands gegenüber, denen eine relative kärgliche Überlieferung zu eigen ist. Aufgrund der Vielseitigkeit der möglichen theoretischen und quellenspezifischen Zugänge lebt die Analyse der Wirtschaft der antiken Welt von interdisziplinären Ansätzen und dem Austausch der altertumswissenschaftlichen Disziplinen untereinander.

Wirtschaft in der griechisch-römischen Antike

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