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3. Der Golem

Am nächsten Tag finden überall im Dorf hektische Vorbereitungen statt. Getreide wird geerntet, Eier gesammelt, eine Kuh und ein Schwein geschlachtet. Porgo und Bendo stellen gemeinsam Tische und Bänke her, die neben der Schlucht aufgebaut werden, während die Frauen des Dorfs mit Kochen und Kuchenbacken beschäftigt sind. Birta läuft überall herum und erteilt Befehle, doch niemand nimmt sie ernst. Kaus, der Bauer, der mit der schwierigen Aufgabe der Fremdenführung betraut wurde, läuft herum und versucht, sich die Lage aller Straßen und Häuser des Dorfs genau einzuprägen.

Primo und Kolle werden zusammen mit ihren Freundinnen ausgeschickt, um in der Nähe Blumen einzusammeln, mit denen die Banketttische dekoriert werden sollen.

„Wo ist eigentlich Ruuna?“, fragt Primo, während er eine Sonnenblume pflückt. „Ich habe sie den ganzen Tag noch nicht gesehen.“

„Sie ist mit Willert in den Wald zurückgekehrt“, erwidert Margi.

„Will sie denn nicht dabei sein, wenn die Delegation aus dem Wüstendorf kommt?“

„Doch. Ich glaube, sie bereitet etwas vor. Eine Überraschung, hat sie gesagt.“

„Na, das kann ja heiter werden“, kommentiert Primo.

Als sie jeder einen Arm voller bunter Blumen gesammelt haben, kehren sie zum Dorf zurück.

„Hier sind die Blumen, die du haben wolltest, Birta“, sagt Primo zu der Gehilfin des Priesters, die gerade den Frauen Anweisungen gibt, wie sie die Speisen auf dem Tisch zu platzieren haben.

„Und wo sind die Blauen?“, fragt Birta. „Ich sagte doch ausdrücklich, dass ihr Blumen in allen Farben sammeln sollt!“

„Aber da waren keine“, rechtfertigt sich Primo. „Wir haben rote, gelbe und weiße Blumen gefunden, aber keine blauen.“

„Das stimmt!“, bestätigt Golina.

„Ihr habt bloß nicht gründlich genug gesucht!“, keift Birta. „Typisch! Ihr jungen Leute habt nichts als Flausen im Kopf. Wahrscheinlich habt ihr die ganze Zeit nur ...“

„Wo soll ich den Fisch hinstellen?“, unterbricht sie Olum, der einen ganzen Arm voller frisch gefangener Fische dabei hat.

„Igitt!“, ruft Birta. „Der ist ja noch roh! Der muss doch erst gebraten werden! Bei Notch, wo bleibt denn Hakun mit der Milch? Muss man denn hier alles selber machen?“

Während Birta wie ein aufgescheuchtes Huhn herumläuft, verkrümeln sich die vier Freunde klammheimlich, bevor sie auf die Idee kommen kann, ihnen eine neue Aufgabe zu übertragen.

„Was machen wir jetzt?“, fragt Primo.

„Lass uns auf den Kirchturm klettern“, schlägt Golina vor. „Von dort oben können wir die Vorbereitungen beobachten und sehen die Besucher als Erste. Und vor allem findet uns Birta nicht.“

„Auf dem Kirchturm versteckst du dich wohl gern“, kommentiert Primo, doch er bereut seine Bemerkung augenblicklich, als er sieht, wie Golina vor Scham errötet. Vor Kurzem hatte sie sich dort oben versteckt, um ihm eins auszuwischen, und damit Primo dazu gebracht, bis in den Nether zu gehen, um sie zu suchen.

„Los, kommt jetzt!“, sagt Kolle. „Aber leise, damit Magolus nicht aufwacht!“

Sie schleichen sich in die Kirche. Wie Kolle vermutet hatte, schläft der Priester vor dem Altar. Das Heilige Buch benutzt er als Kopfkissen.

„Ob er wohl auf diese Weise im Traum Notchs Stimme hört?“, wundert sich Primo.

„Psst!“, macht Golina. „Schnell jetzt, auf den Turm!“

Die vier klettern die Leiter hinauf. Von hier oben hat man einen guten Überblick über das hektische Treiben und kann weit über die Wiese östlich des Dorfs bis zum fernen Ostfluss sehen.

„Da kommt jemand!“, ruft Golina und zeigt auf zwei Gestalten, die am nördlichen Flussufer auftauchen. Doch es sind nur Ruuna und Willert.

Allmählich kommen die Vorbereitungen zu ihrem Abschluss. Als die Sonne am Zenit steht, sind die Tafeln zum Bankett gedeckt. Magolus hat sein Schläfchen beendet und ist zusammen mit dem Rest der Dorfbewohner zum Fluss gegangen, um die Delegation aus dem Wüstendorf in Empfang zu nehmen.

Nur, dass von dieser Delegation nirgends etwas zu sehen ist.

Eine Weile steht das Empfangskomitee herum, dann kehrt es schließlich zurück auf die Wiese neben der Schlucht.

„Das ist wieder mal typisch!“, schimpft Birta so laut, dass man sie auch oben auf dem Turm gut verstehen kann. „Da macht man sich all die Mühe, und dann kommen sie nicht mal pünktlich zum Mittagessen!“

„Hat dieser Priester Wumpus denn überhaupt gesagt, wann genau sie hier eintreffen werden?“, fragt Primo Margi.

„Nein. Er konnte ja auch gar nicht wissen, wie lange sie bis hierher brauchen würden.“

„Wenn es keine feste Zeit gibt, zu der sie hier sein wollten, dann können sie auch nicht unpünktlich sein“, stellt Primo fest. „Vielleicht sollten wir das Birta und Magolus mal sagen.“

„Vergiss es!“, meint Kolle. „Die hören dir sowieso nicht zu. Da können wir ebenso gut ...“

„Da!“, ruft Golina dazwischen. „Da hinten sind sie! Aber ... bei Notch, was ist das denn? Ein Monster?“

Primos Blick folgt ihrem ausgestreckten Arm bis zur Ostwiese. In der Ferne ist eine Gruppe von Dorfbewohnern zu erkennen. Sie werden von einem hellgrauen Koloss begleitet, der so hoch wie ein Enderman ist, jedoch wesentlich breiter. Er scheint von Pflanzen überwuchert zu sein.

„Wow!“, sagt Margi. „Sie haben einen Golem mitgebracht!“

„Ein Golem?“, fragt Golina. „Was ist das denn?“

„Ein künstliches Wesen. Man macht es aus Metall, glaube ich, aber wie genau das funktioniert, weiß ich nicht. Als ich noch klein war, hatten wir einen im Dorf. Sie sind sehr stark und helfen beim Kampf gegen Monster. Unserer hat mir einmal sogar eine Blume geschenkt. Aber dann ist er irgendwann kaputt gegangen. Ich wusste nicht, dass es im Wüstendorf einen neuen Golem gibt.“

„Klingt ja toll“, erwidert Golina. „So einen könnten wir auch gut gebrauchen!“

„Ach was, wozu denn?“, meint Margi. „Wir haben doch Kolle!“

Ihr Freund grinst breit. Primo fühlt einen leichten Stich der Eifersucht. Er wünscht sich, Golina wäre genauso stolz auf ihn wie Margi auf Kolle.

„Ich glaube, wir sagen besser Magolus Bescheid“, meint Golina und klettert als Erste die Leiter herab.

„Sie kommen!“, ruft sie, als sie das Bankett erreicht, wo sich die übrigen Dorfbewohner bereits zum Essen niedergelassen haben.

„Was, jetzt?“, erwidert Birta. „Das geht jetzt nicht. Sie sollen warten, bis wir mit dem Essen fertig sind. Wer nicht kommt zur rechten Zeit ...“

„Aber sie wussten doch gar nicht, dass wir ein Essen für sie vorbereitet haben“, wirft Primo ein. „Außerdem haben sie eine weite Reise hinter sich. Wollt ihr sie denn nicht wenigstens begrüßen?“

„Na gut, in Notchs Namen, wenn es unbedingt sein muss“, grummelt Magolus. Er legt sein gebratenes Hühnchen aus der Hand und folgt den vier Freunden zusammen mit den anderen Dorfbewohnern zum Flussufer.

Als sie die Gruppe der Wüstendorfbewohner näher kommen sehen, stoßen sie erstaunte Rufe aus:

„Was ist das denn für ein Monster, das die da bei sich haben?“

„Das sieht gefährlich aus!“

„So was kommt mir hier nicht ins Dorf!“

„Ach was, das ist bloß ein Golem, der ist nicht gefährlich.“

„Und woher willst du das wissen? Für mich sieht er ziemlich gefährlich aus.“

„Das weiß doch jeder, dass Golems ungefährlich sind!“

Die Delegation der Fremden erreicht endlich das östliche Flussufer. Es sind mehr, als Margi angekündigt hatte: Neben dem Priester in seiner purpurnen Robe zählt Primo sechs Begleiter. Das wird ganz schön eng in der Schmiede seines Vaters.

„Willkommen, Fremdlinge!“, ruft Magolus feierlich. „Ich bin Magolus, der Priester dieses schönen Dorfs!“

„Igitt!“, erwidert der Priester des Wüstendorfs. „Schon wieder Wasser! Gibt es denn in diesem unseligen Landstrich keine Möglichkeit, trockenen Fußes euer Dorf zu erreichen?“ Genau wie Margi spricht er das E breit wie ein Ä aus: Schon wiedär Wassär.

„Warum watet ihr nicht einfach hindurch wie normale Leute?“, fragt Magolus.

„Ich soll mir die Füße nass machen?“, fragt Wumpus zurück. „Und außerdem, wisst ihr denn nicht, dass Golems nicht durch Wasser gehen können?“

„Äh, ja, doch, natürlich, klar“, stottert Magolus.

„Da drüben gibt es einen Übergang“, erklärt Olum, der jeden Winkel des Flusses kennt.

Die Delegation aus dem Wüstendorf folgt dem Flussufer ein Stück weit nach Norden bis zu der Stelle, wo er durch einen schmalen Grasstreifen unterbrochen ist. Die Dorfbewohner gehen ihnen am anderen Ufer entgegen, so dass sie sich an der Überquerung treffen.

„Nochmals herzlich willkommen“, sagt Magolus und streckt die Hand aus.

„Jaja, schon gut“, erwidert der Anführer der Delegation, ohne die Hand zu ergreifen. „Ich bin übrigens Hohepriester Wumpus.“

„Hohepriester?“, fragt Magolus. „Wieso Hohepriester? Was soll das heißen, Hohepriester?“

„Das hier ist Haudruf, der führende Schmied in unserem Dorf“, fährt Wumpus fort, ohne auf Magolus‘ Frage einzugehen.

„Aber wir haben doch bloß einen ...“, beginnt der Mann, auf den Wumpus gezeigt hat, doch dieser unterbricht ihn, um die anderen der Reihe nach vorzustellen: „Trakto, der Vorsitzende des Landwirtschaftsverbandes, daneben Ariela, die Fischereibeauftragte, Bux, der eine führende Position in unserer Lederherstellung innehat, Schaschli, die Fleischfabrikantin, und Daun, der Inhaber unserer Wollmanufaktur.“

„Auch ich heiße euch herzlich willkommen“, sagt Margi. „Ich freue mich, Besuch aus meinem früheren Heimatdorf zu bekommen.“

„Aha, das soll also das Wunderdorf sein, von dem du erzählt hast“, stellt Wumpus fest. „Na, wir werden ja sehen.“

Staunend betrachten die Dorfbewohner den Golem.

„Der ist ja riesig!“, meint Kaus und streckt seine Hand danach aus.

„He, nicht anfassen!“, sagt einer von Wumpus‘ Begleitern. „Er ist nicht gut auf Fremde zu sprechen.“

„Aber ihr seid doch die Fremden!“

„Was denn, habt ihr etwa keinen Golem in eurem kümmerlichen Dorf?“, fragt Wumpus mit herablassendem Tonfall.

„Nein, aber wir haben was viel Besseres ...“, beginnt Margi, doch Magolus fällt ihr ins Wort: „Doch, natürlich haben wir einen Golem. Sogar zwei. Nur sind sie momentan gerade nicht da.“

„Ach?“, fragt Wumpus. „Wo sind sie denn?“

„Im Wald“, improvisiert Magolus. „Sie sind im Wald. Holz fällen.“

„Soso, Holz fällen“, erwidert Wumpus.

Ehe er kritische Nachfragen stellen kann, sagt Porgo: „Ihr müsst von der weiten Reise hungrig sein. Kommt, wir haben ein Festessen für euch vorbereitet.“

Das Dorf: Der Golem (Band 5)

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