Читать книгу Bergsommer - Katharina Afflerbach - Страница 6

AUFWACHEN

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Es ist Viertel nach fünf Uhr morgens. Ich wache davon auf, dass Markus leise die Schlafzimmertür schließt. Ich zähle seine Schritte zur Bodenluke, es sind fünf, und lausche der vertrauten Melodie, dem Knarzen, als die Luke sich öffnet, dem dumpfen Schlag, als sie am Dachbalken ankommt. Die Tritte auf den Stufen nach unten sind zuerst klar, dann entfernter zu hören und schließlich nur noch eine Ahnung. Markus wird gleich die Kühe zum Melken in den Stall holen, und ich kann noch zehn Minuten liegen bleiben. Sogleich kehrt wieder Stille ein, eine tiefe, große Ruhe, der die Glocken der Tiere auf den Weiden ein immerwährendes Ständchen bringen. Heute prasselt mal kein Regen auf mein Dachfenster, und der Wind meint es auch gut mit uns und ist still.

Noch acht Minuten. Ich liege flach auf dem Rücken. Meine Glieder sind schwer und steif, meine letzte Yogastunde ist viele Wochen her. Alles tut ein bisschen, manches etwas mehr weh. Aber das ist nicht schlimm. Ich spüre einen Schmerz, der mich zufrieden macht und der mir erzählt, was mein Körper gestern und vorgestern gearbeitet hat.

Noch sechs Minuten. Mir ist schön warm und ich träume nichts. Dass ich gleich aufstehen muss, ist für mich ein Geschenk. Ich freue mich auf Rex, meinen treuen Begleiter, der mich beim Melken im Stall besuchen wird, auf die braune Ziege, die meine Morgenmassagen zu lieben scheint, und auf das Gämschi, das mir seinen Hals zum Kraulen entgegenrecken wird. Den Wecker schalte ich vor dem Klingeln aus. Mit halb geschlossenen Augen lege ich die Stallkleidung an und taste mich die Stiege hinunter. Meine Füße kennen den Weg und führen mich nach der letzten Stufe nach links, durch die Stube ins Bad. Eiskaltes Wasser öffnet meine Augen. Ich bin wach.

Keine zwei Minuten später trete ich in die Nacht, die gleich vorbei sein wird, hinaus und unter das satte Sternenzelt. Rechts steht schwarz die Bergkette, geradeaus öffnet sich das schlafende Tal. Noch schickt die Sonne keine Vorboten, und ich kann auf dem Weg zum Stall Sterne trinken. Es ist ein Privileg. Ganz allein darf ich diese Himmelspracht genießen, darf mich um die mir anvertrauten Tiere kümmern und zum Lebensunterhalt der Familie beitragen – und das alles vor dieser prächtigen Kulisse, meistens draußen in der Natur und an richtig frischer Luft. Still bedanke ich mich.

Ein paar Tage später. Mehr als einmal habe ich in dieser Nacht wach gelegen. Die Gewitter haben unsere Hütte regelrecht erzittern lassen. Von den Bergen hallten die Donner doppelt gewaltig als Echo zurück. Nur das Hüttendach hat mich vom Wetter getrennt. Jetzt prasseln die Regenmassen wieder unaufhörlich auf mein Dachfenster, und ich stelle mir vor, wie ich gleich nach draußen muss. Ich höre den Wind, der das Haus umweht und an den Balken leckt. Es gibt keinen Ausweg. Ich muss jetzt zum Melken. In der unbeheizten Stube lege ich die Regensachen an und wappne mich auch innerlich. In die kalten Gummistiefel schlüpfe ich erst im Stall, wo mir der Wind schon entgegenpeitscht. Als ich draußen vor der Hütte die Melkmaschinen rüste, halte ich den Kopf gesenkt, damit mir der Regenhut nicht wegfliegt. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass es sowieso nichts zu sehen gibt. Schwarzer Nebel umhüllt die Alp. Ich schnappe mir die Melkmaschinen und stemme mich gegen den Regen. ›Warum tue ich mir das eigentlich an‹, frage ich mich auf dem Weg zum Stall, ›und wer hatte eigentlich die blöde Idee mit der Alp? Andere legen sich an den Strand, schlürfen Kokosnuss oder drehen einfach zu Hause gemütlich Däumchen. Und ich? Ich lass mich zu nachtschlafender Zeit irgendwo in den Bergen nassregnen.‹

Die Ziegen empfangen mich armen Tropf mit großem Hallo und fordern meckernd ihr Frühstück ein. Liebevoll begrüße ich eine nach der anderen und wärme mich im noch schlafwarmen Stall. Alles wird gut. Alles wird gerade in diesem Moment gut. Ein Glück, dass ich aufgestanden bin.


Bergsommer

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