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Nach dem Pontifikat Gregors I.: gegen Byzanz?

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Ist Gregor der Große nicht zuletzt erst durch seine Nachwirkung „groß“ geworden, so blieb die von ihm begonnene schrittweise Orientierung der Päpste nach Westen hin eine Grundtendenz für das anschließende 7. Jahrhundert. Allerdings verlief dieser Prozess keinesfalls geradlinig und war immer wieder durch ausgesprochen intensive Auseinandersetzungen mit Byzanz gekennzeichnet. Die zeitweise starke Dominanz des Ostens hat sogar dazu geführt, von der „byzantinischen Gefangenschaft“ des Papsttums zu sprechen.38 In dieser Zeit scheinen die byzantinischen Kaiser das Papsttum und den Dukat von Rom teilweise nur als Mittel benutzt zu haben, um eigene Ziele durchzusetzen, insbesondere unter Kaiser Herakleios (610–641).

In seine Regierungszeit fällt der Pontifikat des schon genannten Papstes Honorius I. (625–638), dem wohl die Weiterentwicklung der skizzierten straffen und neuen Organisation der päpstlichen Patrimonien im 7. Jahrhundert vor allem zuzuschreiben ist.39 Dass diese Leistung des Honorius lange Zeit nicht so recht gewürdigt wurde, liegt neben der Überlieferung wohl auch an der Tatsache, dass ein theologisch-kirchenrechtlicher Streit das Bild dieses Papstes verdüstert hat. Es waren dies immer noch Folgen und Probleme der Auseinandersetzung mit Byzanz und mit der Kirche im Osten, die sich aus den konziliaren Festlegungen seit dem fünften Jahrhundert ergeben hatten, dass Christus zwei Naturen (eine menschliche und eine göttliche) besitze. Wegen fortbestehender Widerstände gegen diese Definition vor allem in byzantinisch dominierten Gebieten kam es zu verschiedenen Kompromissangeboten, unter denen der Monenerg(et)ismus und später der Monotheletismus herausragen. Kurz zusammengefasst besagten diese Lehren, in Christus seien zwar zwei Naturen, aber nur eine Wirkkraft (Energie) beziehungsweise ein Wille vorhanden. Byzanz wollte diesen Kompromissformeln durch päpstliche Unterstützung größeres Gewicht verleihen. Honorius I. war sich jedoch wohl der theologischen Probleme der neuen Lehre nicht bis ins Letzte bewusst, als er die Auffassung des Patriarchen von Konstantinopel in Rom bestätigte. Noch im Todesjahr des Honorius erschien ein weiteres Glaubensdekret, die von Kaiser Herakleios verantwortete Ekthesis, mit der die verschiedenen christologischen Streitigkeiten beigelegt werden sollten.40 Im Westen regte sich aber bald Widerstand gegen diese Formulierungen, weil sie den alten Bestimmungen des Konzils von Chalzedon widersprachen. Daraufh in erließ Kaiser Konstans II. 648 ein weiteres Dekret: „Durch göttliche Eingebung erleuchtet wünschen wir die Flamme der Zwietracht zu löschen. Deshalb bestimmen wir für alle unsere Untertanen […], daß von jetzt an die Erörterung, ob Christus einen oder zwei Willen besitze, verboten ist. Wer gegen diesen Befehl handelt, wird sich vor dem schrecklichen Gericht Gottes verantworten müssen und darüber hinaus unserer Strafe verfallen, was für einen Bischof die Entlassung, für einen Adligen die Konfiskation seines Besitzes, für einen gewöhnlichen Untertanen Exil und Folter bedeutet“.41

Nach dem Erlass dieser Verfügung, die jede Diskussion von kaiserlicher Seite unterbinden sollte, berief Papst Martin I. (649–653) zu Beginn seines Pontifikates eine Synode in den Lateran (649), auf der ein deutlich anti-byzantinischer Kurs eingeschlagen wurde, denn die Synode lehnte die Formeln des Monenerg(et)ismus und Monotheletismus ab, bekräftigte die alten Festlegungen von Chalzedon und exkommunizierte sogar den Patriarchen von Konstantinopel sowie weitere östliche Geistliche.42 Dies trieb den Konflikt auf die Spitze, weil sich der Widerstand der Synode und des Papstes letztlich gegen ein kaiserliches Gesetz richtete. Da zugleich staatliche Interessen betroffen waren, befahl die kaiserliche Regierung dem Exarchen Olympios, den rebellischen Papst zu verhaften und nach Konstantinopel zu bringen. Es wirft jedoch ein bezeichnendes Licht auf die Machtverhältnisse im Westen des Reiches, dass Olympios, nachdem er in Rom angekommen war, sich mit den dort stationierten kaiserlichen Soldaten gegen den oströmischen Kaiser erhob und sich kurzerhand selbst zum Kaiser des Westens proklamierte. Papst Martin I. stellte sich dem nicht entgegen. Nachdem Olympios bei Kämpfen gegen die Araber 652 getötet worden war, ließ der byzantinische Kaiser Papst Martin I. daher wegen Hochverrates anklagen; der Nachfolger des Olympios in Ravenna setzte den Papst 653 gefangen, seine Truppen verwüsteten den Lateran und nach gut drei Monaten begann in Byzanz einer der größten Schauprozesse des Mittelalters. Die Personen, die eigentlich hätten verklagt werden sollen, das heißt die Offiziere, fungierten als Zeugen der Anklage und retteten mit ihren Aussagen ihre eigene Haut. So war es ein Ergebnis des Prozesses, dass Papst Martin für schuldig befunden, zum Tode verurteilt und nach einer Begnadigung auf die Halbinsel Krim verbannt wurde, wo er bald darauf starb (655).43 In seinen Briefen aus dem Exil zeigte er sich bitter enttäuscht vom römischen Klerus, der inzwischen einen Nachfolger gewählt hatte.44 Das Beispiel Martins I. verdeutlicht, wie gefährlich Widerstand gegen Byzanz im Einzelfall auch im 7. Jahrhundert noch werden konnte.

Martins Nachfolger Eugen I. (654–657) wurde unter kaiserlichem Druck gewählt, und die geschilderten Einschüchterungsmaßnahmen in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts führten zu einer gewissen „Byzantinisierung“ des Papsttums in der anschließenden Jahrhunderthälfte. Auch Eugens Nachfolger Vitalian (657–672) konnte sich der byzantinischen Vorherrschaft kaum entziehen. Während seines Pontifikates kam Kaiser Konstans II. (641–668) sogar 663 noch einmal persönlich nach Rom. Es schien fast so, als ob dieser Kaiser sogar seine Residenz nach Westen verlegen wollte, was angesichts des arabisch-muslimischen Drucks auf Byzanz verständlich gewesen wäre. Allerdings waren die Probleme der verbliebenen byzantinischen Besitzungen in Italien aufgrund der langobardischen Politik ebenso brisant.

Waren dies eher machtpolitische Fragen, so wurde Sprengstoff in theologischen Fragen auf dem sechsten allgemeinen Konzil in Konstantinopel 680/81 entschärft. Alle Tendenzen, Jesus Christus in irgendeiner Form nur eine Natur zuzuschreiben, wurden abgelehnt; damit war der Bezug zum Konzil von Chalzedon wiederhergestellt. Das Konzil, das im Kuppelsaal (troullos) des kaiserlichen Palastes zusammentrat (deshalb wird das Konzil auch als Trullanum I bezeichnet), verkündete die Existenz zweier Willen in Christus und verurteilte alle früheren Gegner dieser Lehre als Ketzer. Zu diesen Gegnern wurde auch der schon erwähnte Papst Honorius I. (625–638) gezählt, der entgegengesetzten byzantinischen Vorschlägen zugestimmt hatte. Die Verurteilung des Honorius hatte ein langes Nachspiel, die „Honoriusfrage“. Nach einer Formel des schon vorgestellten Liber diurnus musste jeder neue Papst künftig zunächst dem Monophysitismus (Einnaturenlehre) und seinen Urhebern abschwören. Und zu diesen Personen gehörte auch Honorius. Bis zum Ersten Vatikanischen Konzil ist der Fall unter dem Aspekt weiter behandelt worden, ob ein Papst (als Person) vom rechten Glauben abgewichen sein konnte und was dies für den Anspruch der apostolischen Sukzession bedeutete.45

Der Konfliktstoff zwischen Ost und West war durch das Konzil von Konstantinopel46 noch nicht endgültig beseitigt, denn eine weitere Konzilsversammlung folgte 692, die wiederum im Kuppelsaal (daher Trullanum II) des kaiserlichen Palastes stattfand. Einige Dekrete dieses Konzils beriefen sich auf frühere Gesetze, die sich indirekt gegen einen eigenständigen Westen richteten. Der Papst war nicht einmal eingeladen worden, wurde aber anschließend zur Unterzeichnung aufgefordert. Papst Sergius I. (687–701) verweigerte die Unterschrift, obwohl ihm das gleiche Schicksal wie Martin I. angedroht worden war. Auch diese Situation führte zu Turbulenzen: Zwei hohe päpstliche Amtsträger, Bischof Johannes von Porto und der päpstliche Ratgeber Bonifaz, wurden festgenommen und nach Konstantinopel gebracht. Die aufgebrachte Menge in Rom hinderte allerdings die kaiserlichen Offiziere und Soldaten daran, Papst Sergius I. selbst festzunehmen. Das Volk soll so erbost gewesen sein, dass der kaiserliche Befehlshaber Angst bekam und sich in seiner Not unter dem Bett des Papstes versteckt haben soll. Weil man des Papstes nicht habhaft werden konnte, wurde Bischof Felix von Ravenna inhaftiert, nach Konstantinopel verschleppt, dort vor Gericht gestellt, verurteilt, geblendet und verbannt.47

Solche Eskalationen lassen sich als ein letztes Aufb äumen deuten, das in einer anderen Lesart die Schwäche von Byzanz und die Stärke Roms belegt. Als wenig später wieder versöhnlichere Töne erklangen, kam es noch einmal zu einem letzten Treffen. Papst Konstantin I. (708–715) wurde zu einem Gespräch nach Konstantinopel zitiert, er folgte der Aufforderung jedoch wahrscheinlich nur unter der Bedingung freien Geleites.48 Es war 710/711 der letzte Besuch eines Papstes in der Stadt am Bosporus. Vor diesem Hintergrund sind die jüngsten Papstbesuche auch historisch bedeutend.

Papst Konstantin I. weigerte sich aber, irgendwelche inhaltlichen Kompromisse einzugehen. Auch als ein neuer Kaiser in Byzanz, Philippikos Bardanes (711–713), in Rom die Anerkennung des Monotheletismus durchsetzen wollte, blieb er erfolglos. Ein kaiserlicher Gesandter mit dem Befehl, den Papst als Gefangenen abzuführen, scheiterte wiederum an der römischen Bevölkerung, die den byzantinischen Soldaten in einem blutigen Kampf an der Via Sacra entgegentrat. Weiteres Blutvergießen verhinderte nur die Intervention des Papstes. Dies zeigt, in welchem Maße sich die Verhältnisse im Laufe des 7. Jahrhunderts gewandelt hatten. Vielfach wird deshalb auch mit den Jahren 711/715 das Ende der „byzantinischen Epoche“ der Papstgeschichte gekennzeichnet. Allerdings blieb Rom weiterhin formal Teil des byzantinischen Reiches, und Liturgie, Recht und Ritual waren in starkem Maße byzantinisch geprägt. Deshalb sollte man den Einschnitt bei einer umfassenden Würdigung nicht überbewerten.49

Geschichte des Papsttums im Mittelalter

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