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Flugzeuge sind nicht Jedermanns Sache

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Ich war müde.

Heute Morgen war ich mit dem schönen Gedanken, einen ganz normalen Tag zu verbringen, zusammen mit meinen Freunden und Libras. Und jetzt? Jetzt stand ich in meinem Zimmer, neben mir lag Steve im Sterben, und packte achtlos Dinge zusammen, die ich auf einem Flug nach Australien brauchen könnte. John hatte noch in derselben Stunde, in der die Reise zum fernen Kontinent beschlossen worden war, über seine Firma einen Privatflug buchen können, der uns von Zürich nach Adelaide bringen sollte. Entgeistert hatte Mina diese Information entgegengenommen, wortlos und doch im Bewusstsein, dass es sein musste. Steves Eltern hatten nicht weniger überrascht und entsetzt reagiert. Alfred hatte darauf bestanden, mitzukommen. Doch John hatte es ihm erzwungener Maßen ausreden können. Er würde verrückt werden, würden wir die Pflanze, das Gegengift für seinen Sohn, nicht finden können. Es war für sein eigenes Wohlergehen das Beste Zuhause zu bleiben. Doch gab es da noch ein Problem. Rosy wollte auch mit, zusammen mit John und mir. Sie begründete es damit, dass sie Steves beste Freundin sei und tatenlos verrückt werden würde. Ihre Eltern wussten nicht, wie sie darauf reagieren sollten. Ihre Tochter alleine nach Australien zu lassen war für sie ausgeschlossen. Johns Überredungskunst war es zu verdanken, dass sich am Ende Sam und Natalie geschlagen gaben. Jetzt saß sie, auf ihren Rucksack wartend, in der Küche. Sam wollte ihn ihr bringen, bepackt mit Dingen, die sie dem Anschein ihrer Mutter nach brauchen könnte. Doch mir wurde nicht mein Gepäck gepackt. Wahllos stopfte ich Kleidung, Socken und meine Uhr in den Rucksack ohne so genau darauf zu achten, um was es sich eigentlich handelte.

»Bist du so weit?« fragte mich John, als er in mein Zimmer schaute. Ich schulterte meinen Rucksack und folgte ihm die Treppe hinunter. Sam musste schon da gewesen sein. Denn Rosy hatte sich startbereit am Hauseingang aufgestellt. Ihre Augen funkelten erwartungsvoll.

»Mina?« Meine Mutter kam aus der Bibliothek, Simone im Schlepptau. Sie drückte mich fest an sich.

»Bis bald. Finde diese Pflanze und komm zurück, mein Liebling«, schluchzte sie mir in meine Haare.

»Es wird alles gut«, beruhigte ich sie, »wir beeilen uns.« Sie ließ mich los und nickte, die Augen fest geschlossen. Dann ermahnte sie John: »Euch wird nichts passieren. Und ich will, dass ihr mich anruft, wenn ihr dort sein. Macht’s gut.«

Wir stiegen in das Auto – Phillip war gekommen, um uns zum Flughafen zu fahren – und winkten den beiden Frauen zu, die auf der Türschwelle stehen geblieben waren. Ich blickte ihnen nach, bis wir die Einfahrt erreicht hatten und auf die Hauptstraße bogen. Dann verschwand das traurige Gesicht meiner Mutter hinter den dichten Bäumen.

***

Die Lichter des Flughafens kennzeichneten schon von Weitem unser Ziel. Flackernde Lichter am nächtlichen Himmel näherten sich ihm rasch und wurden auch schon wieder von neuen ersetzt, die in der Ferne verschwanden. Phillip fuhr uns bis vor den Haupteingang des Terminals C, verabschiedete sich förmlich von meinem Vater und gab Rosy und mir einen ermutigenden Klaps auf die Schulter.

Während das ratternde Geräusch unseres Wagens hinter uns immer leiser wurde, betrachtete ich das hohe Eingangsportal.

»Nun gut, ihr beiden. Wir haben jetzt…«, John schaute auf seine Uhr, »zweiundzwanzig-uhr-vierzig. Unser Flug geht um Einuhrzehn. Zwanzig Minuten vor Abflug müssen wir am Gate 19 sein. Kommt, lasst uns die Sachen abgeben.« Schweren Herzens schaute ich noch einmal über meine Schultern. Wir mussten die Kolibripflanze finden. Wir mussten…

Der Gepäckschalter war völlig leer - abgesehen von einer Frau mittleren Alters. Sie hatte ihre Brille auf die Nasenspitze gesetzt und inspizierte ihre rot lackierten Fingernägel. Erst als wir unmittelbar vor ihr standen schaute sie auf. Eine dicke Schicht Make-Up ließ ihr Gesicht schwerfällig und ausdruckslos erscheinen.

»Familie Harrison?«, fragte sie. Sie hatte eine süßliche Stimme, die so gar nicht zu ihrer strengen Figur passte. John nickte und legte die Gepäckstücke nacheinander auf das Rollband. Die Frau lehnte sich über den Bildschirm ihres Computers: »Drei Erwachsene, Flug nach Adelaide, GT7704 um Einuhrzehn?«, las sie ab und schaute meinen Vater fragend an.

»Ja, stimmt so«, bekräftigte er, sie ließ das Band rollen und unser Gepäck rutschte in die unbekannten Tiefen der Gepäckbänder des Airports Zürich.

***

Ich beobachtete die Anzeigetafeln, während unsere Flugnummer immer weiter nach oben rutschte. Rosy hatte ein Buch aus ihrer Tasche geholt und saß nun, die Beine auf einen Hocker gelegt, auf einem der Warteplätze an Gate 19, tief in der Lektüre versunken. Mein Vater unterdessen sprach in sein Handy, vermutlich mit Lesar. Um diese Uhrzeit starteten nur wenige Linienflüge und darum hatte es am Sicherheitsschalter kein Gedränge gegeben. Gate 19 war das hinterste in dem langen Flur, der auf den Sicherheitsschalter folgte. Die kleinen zollfreien Läden um uns herum hatten alle geschlossen und nur die schwachen Lichter an der Decke spendeten uns Helligkeit. Eigentlich, so dachte ich, freute ich mich auf Australien. Die spektakulären Naturerlebnisse, die bis ins Unendliche reichenden Outbackterretorien, die australische Kultur. Das alles hatte mich schon seit jeher begeistert. Dennoch ging es bei unserer Reise um die Gesundheit meines besten Freundes und ein gewisser Hintergedanke ließ mich immer zusammenzucken. Was würde passieren, wenn wir zu spät zurückkommen würden?

Nun war es null-uhr-fünfzig. Unsere Flugbegleiter und Flugbegleiterinnen müssten jeden Moment eintreffen. Und tatsächlich dauerte es nicht mehr lange, bis sie auftauchten. Die erste hatte lange, dunkle Locken und ein freundliches Gesicht. Ein kleines Schildchen sagte uns, dass sie Doris K. hieß. Hinter ihr trat ein hochgewachsener, muskulöser Mann ins Licht, um die fünfundzwanzig Jahre alt. Nick schüttelte uns reihum die Hände. Isabelle, die letzte Flugbegleiterin, entpuppte sich als ein kleines, pummeliges Fräulein. Dennoch hatte sie streng aussehende Augenbrauen und ihre Stachelhaare glänzten im künstlichen Licht. Sie trugen alle dunkelblaue, samtene Jacketts, der Mann eine lilafarbene Krawatte und die Frauen lilafarbene Halstücher.

»Willkommen Mr. Harrison«, sagte Doris. Rosy und mir schenkte sie ein Lächeln. Als sie uns allerdings bat, ihr die Tickets zu geben, zog John einen Brief aus seiner Tasche und meinte: »Das genügt.« Sie faltete das Blatt auseinander und begann zu lesen.

»Das scheint in diesem Falle in Ordnung zu sein«, sagte sie in einem geschäftsmäßigen Ton. Sie gab meinem Vater den Brief zurück und geleitete uns durch eine Glastür. Es ging durch einen dunklen schmalen Gang, dann eine Treppe hinunter und plötzlich fanden wir uns auf dem Rollfeld des Flughafens wieder. Das Dröhnen von Turbinen und das Heulen von Sirenen überraschte mich. Wir wurden zu einem Shuttlebus geführt, der uns einige hundert Meter weit durch die Dunkelheit kutschierte.

»Der Learjet, wie von Ihnen reserviert, Mr. Harrison«, rief Doris uns über den Lärm hinweg zu und deutete auf eine kleine Maschine, orange und weiß lackiert, die uns mit laufenden Turbinen erwartete.

Über eine leiterartige Treppe gelangten wir in das Innenleben des Jets. Doris präsentierte den Passagierraum. Wir wurden kurz von den zwei Piloten begrüßt, die sich daran machten, den Jet aus der Parkstelle zu geleiten. Ich wartete stumm während wir von der Startbahn abhoben und der Blechvogel den Sternen entgegen raste. Ein Achtzehnstundenflug erwartete uns nun. Die Gesetzte der Asgardfamilie, so gut sie unsere Sicherheit gewährleisteten, schränkten uns zugleich in unserer Bewegungsfreiheit ein. So hatte ich meinen Fuß noch nie auf einen anderen Kontinent als Europa setzten können. Daher war ich noch nie so lange den Fähigkeiten der Piloten ausgesetzt gewesen.

***

»Ich hoffe nur, wir finden diese Kolibripflanze schnell. Je früher Steve das Gegenmittel erhält, umso besser.« Wir hatten schon den Großteil der Flugstrecke hinter uns gebracht. Kaum nachdem wir die Startphase überwunden hatten, war ich erschöpft eingeschlafen und als ich aufwachte, war es erneut dunkel Draußen. Der Zeitumrechnung nach, war es über einen Tag her, seitdem wir los geflogen waren. Nach der digitalen Karte, die unsere aktuelle Fluglage anzeigte, waren wir schon über dem australischen Kontinent. Rosy hatte sich erneut hinter ihrem Roman versteckt und ich hatte mit John ein Gespräch begonnen.

»Glaubst du, dieses Gift der Wölfe ist tödlich?«

»Nun ja, wie gesagt: Es ist zwar nicht tödlich, doch selbst wenn Steves Körper auf Sparflamme arbeitet, wird irgendwann seine Energie aufgebraucht sein. Aber wir denken optimistisch. Mit dem Öl der Pflanze werden wir Steve heilen und danach müssen wir schauen, wie wir es den Fosit heimzahlen können. Nun gut. Schau, da kommt das Essen.« Ich drehte mich um. Da John gegenüber von mir saß, hatte ich Nick nicht bemerkt. Er schob einen Karren, der mit einem weißen Tuch bedeckt war und auf dem drei Porzellanteller standen, den schmalen Gang zwischen den Sesseln entlang. Er stellte uns kurz den nächtlichen Imbiss vor und platzierte die Teller zwischen mir und meinem Vater. Bevor er sich zu Rosy drehen konnte, gab es plötzlich einen heftigen Ruck und die Maschine geriet ins Schwanken. Ein Schrei ertönte und eine verängstigte Stimme hallte aus dem Cockpit.

»Stefan, was machst du... was hast du mit der...«, ein Schuss ließ ihn verstummen. Im selben Moment erloschen in unserer Kabine sämtliche Lichter und Anzeigen. Dennoch, es war nicht vollkommen dunkel. Ein goldenes Flackern am rechten Flügel verriet uns, dass eine der Turbinen Feuer gefangen hatte. Eine Welle der Angst packte mich. John sprang auf und schaute hektisch um sich.

»Bleibt, wo ihr seid!« rief er mir und Rosy zu, während er Richtung Cockpit eilte. Ein weiterer Stoß riss mich vornüber und ich knallte mit dem Kopf auf die Tischplatte. Ein unangenehmes Knacksen war zu hören und schon war das Tischtuch vor mir mit scharlachrotem Blut getränkt. Ich stöhnte auf und ein stechender Schmerz ließ mich zusammenzucken.

»James, Rosy!« John schaute aus der Tür, die ins Cockpit führte. Sein Gesicht war wie aus Stein gemeißelt. »Kommt sofort!« Rosy starrte mich einen Moment an, dann richteten wir uns auf. Doris und Nick kamen auf uns zu.

»Was ist passiert?«

»Kommen Sie mit!« Trotz der unmittelbaren Gefahr hatte Rosy eine kräftige Stimme und wandte sich John zu. Als mein Vater uns die Tür öffnete, blieb sie jedoch wie angewurzelt vor mir stehen und ihre Nackenhaare sträubten sich. Ich lugte an ihrem Kopf vorbei und auch ich erstarrte.

Der Kopf des einen Piloten lag auf dem Instrumentenbrett und der Körper des anderen hing über der Armlehne seines Sitzes zu uns gebeugt. Seine Pupillen stierten in seinen Kopf.

»Was...?«, stieß Doris hervor.

»Der hier«, John deutete auf den Kopiloten, »muss den anderen erschossen haben. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihn bewusstlos zu schlagen.«

»Erschossen?«, keuchte Rosy entsetzt und John schnaubte.

»Er muss zu den Fosit gehören. Wer sonst sollte unsere Reise sabotieren wollen? Ein Glück, dass der Autopilot eingeschaltet wurde.« Ich sah die bestürzten Blicke der anderen. Also versuchten jetzt die Fosit alles daran zu setzen, uns den Weg an das Gegengift zu versperren. Unsere Flugbegleiter wussten zwar nicht, wer oder was die Fosit waren, dennoch verstanden sie, was es hieß, ohne Pilot und Kopilot in einem Flugzeug in einigen Kilometern Höhe zu sitzen, mit einem ausgefallenen Triebwerk mitten über dem australischen Kontinent.

»Was machen wir jetzt?«, fragte ich. Meine Stimme klang nicht halb so gefasst, wie die von John.

»Ich weiß nicht. Wir müssen versuchen, das Flugzeug zu landen. Ich werde Kontakt mit dem Tower am Flughafen von Adelaide aufnehmen. Wir werden jede Hilfe brauchen, die wir bekommen können. Kann jemand von Ihnen fliegen?«, fragte mein Vater streng unsere Flugbegleiter. Der Mann schüttelte entsetzt den Kopf, doch Doris sagte aufgeregt: »Isabelle – Sie kennen sie, das ist die Dritte – sie hat vor Jahren ein paar Flugstunden absolviert! In ihrer Freizeit ist sie Segelfliegerin. Allerdings ist sie noch nie einen Jet wie diesen hier geflogen.« Es gab hier Jemanden, der wusste, wie man ein Flugzeug steuerte! Eine Möglichkeit, ein Funken an Hoffnung, diesen Höllentrip zu überstehen.

»Gut, aber… wo ist sie?« Doris schaute über ihre schmalen Schultern.

»Ich habe sie dabei gesehen, wie sie sich bei der Explosion in der Toilette eingeschlossen hat. Ich geh’ sie holen.« Und sie eilte stolpernd in Richtung Küche. Wir warteten gespannt.

»Bella? Isabelle, meine Liebe! Ist mit dir alles in Ordnung? Isabelle!« Ein dumpfer Aufschlag war zu hören als die kleine Frau in Doris Arme fiel.

»Sie ist bewusstlos… glaube ich«, rief uns Doris zu und legte ihre Kollegin vorsichtig auf den Boden.

»Rosy, könntest du Frau Doris helfen? James, was ist mit deinem Gesicht?« Sie tat ohne Widerspruch das, was John ihr gesagt hatte und Nick folgte ihr. In solch einem Fall musste man meinem Vater vertrauen. Er kam auf mich zu, um meine zertrümmerte Nase zu begutachten. Ich stieß ihn von mir.

»Das ist nichts. Wir müssen uns um das Flugzeug kümmern.« Mein Vater schaute mich besorgt an, wandte sich dem Instrumentenbrett zu und überlegte: »Hilf mir mal, die Zwei hier raus zu tragen. Kennst du dich mit den Schaltern hier aus?« Ich warf einen prüfenden Blick auf die vielen Hebel und Knöpfe. Ich hatte einst ein Buch über die Fliegerei gelesen. Darin wurde zwar beschrieben, welche technischen Apparaturen verwendet wurden, doch wie man diese steuert, konnte ich nicht sagen.

»James, John, ihr Puls wird schwächer!« Wir drehten uns um. Rosy kniete neben Isabelle. Doris stand mit fahlem Gesicht neben ihr, sich nicht trauend etwas zu unternehmen, aus Angst, die Situation noch zu verschlimmern. Der Mann stützte die Schultern seiner Kollegin.

"Mrs. Doris, haben Sie Zucker an Bord? Oder Orangensaft?" Doris schaute meinen Vater einen Moment verängstigt an. Dann taumelte sie zur Bordküche. Während sie ein Glas füllte, zitterte ihre Hand so sehr, dass ein Großteil des Saftes daneben schwappte. Doch nachdem sie es ihrer Kollegin in den Mund geschüttet hatte, rief Rosy: »Sie kommt wieder zu sich!«

»Was ist los?«, stammelte sie und blickte um sich. Doris flüsterte ihr eindringlich ins Ohr.

»Kommen Sie her - schnell«, rief John, doch Isabelle schüttelte energisch den Kopf.

»Ich kann so etwas hier nicht fliegen! Ich weiß nicht…«

»Dann erklären Sie uns, wofür diese Schalter hier sind. Zusammen schaffen wir das!«

John und ich hievten den Körper des Kopiloten auf eine Bank im Passagierraum. Nun hatten wir im Cockpit Platz. Isabelle, gestützt auf Nick, kam zu uns. Ihr Körper zitterte und sie musste sich an der Wand festhalten, als sie die Blutspritzer sah.

»Setzten Sie sich«, sagte ich zu ihr und wies auf den Pilotensitz.

»Nein, mein Junge. Das kann ich nicht. Ich… ich…« Sie schluchzte. »Mach du es, ich sage dir, was du tun musst.«

Ich starrte sie entgeistert an.

»Du bist gefasster als ich. Ich zittere zu sehr. Aber erklären kann ich es dir.«

Ich blickte meinen Vater an, doch der setzte sich auf den rechten Platz und nahm das Funkgerät Es rauschte, dann hörten wir eine Stimme. John versuchte der Person am anderen Ende der Leitung unsere Situation zu erläutern und lauschte den stockenden Anweisungen. Dann erklärte er uns: »Die Explosion scheint von einer zu großen Kerosinzufuhr in der Turbine zu kommen. Wir sollen Ruhe bewahren, die Kerosinzufuhr stoppen und versuchen das Flugzeug gerade zu halten. Der Tower kümmert sich darum, dass wir einen offenen Luftverkehr und eine freie Landebahn bekommen.«

»Der Hebel für die Kerosinregulation ist dieser hier.« Isabelle deutete auf einen Schalter. Ich schluckte. Dann nahm ich Platz.

»Was soll ich machen?«, fragte ich und versuchte, meine Stimme ruhig klingen zu lassen.

»Schalte als erstes den Autopiloten aus. Hier…« Ich folgte den Anweisungen von Isabelle. Es war ein kurzes monotones Brummen und dann ein Scheppern zu hören.

»Gut gemacht, die Tankklappen sollten nun verschlossen sein«, sagte Isabelle. Ich seufzte erleichtert.

»Und jetzt müssen wir uns um die Fluglage kümmern«. Isabelle erklärte, was ich zu tun hatte. Wir bemerkten, dass wir seit der Explosion schon über viertausend Fuß Flughöhe verloren hatten. Durch das Ungleichgewicht der Flügel flogen wir in einer Linkskurve.

»Wir müssen nach rechts gegensteuern, um in der Flugroute zu bleiben«, sagte ich zögerlich.

»Mr. Harrison, können Sie im Tower nachfragen, wie weit es noch bis zum Flughafen ist? Wir verlieren an Höhe.« John nahm erneut das Funkgerät. Eine weibliche Stimme antwortete. Wir waren schon südlich von Ceduna, 340 Meilen von Adelaide entfernt. Die Flughöhe sollte bei 26000 Fuß mit einer Geschwindigkeit von 390 Knoten liegen. Auf Anweisung von Isabelle nahm ich das Steuerhorn der Maschine in meine schwitzigen Hände. Ich versuchte alle Gedanken – die Explosion, der Mord und das Wissen, dass fünf Leben in meiner Hand lagen – auszublenden und hielt meinen Blick auf die Instrumente gerichtet. Was hatte die Fluglotsin gesagt? Wir sollten auf 26000 Fuß bleiben? Doch die kleine Nadel des Höhenmessers überdeckte die Zahl 23000, also mussten wir noch gut dreitausend Fuß steigen. Vorsichtig drückte ich den Steuerknüppel nach hinten. Es gab einen Ruck und das Flugzeug schwankte leicht.

»Bleib ruhig, James. Alles wird gut«, versuchte John mich zu beruhigen. Ich heftete meinen Blick auf die Nadel und verringerte den Druck auf den Knüppel. Jetzt bewegte sich die Nadel langsamer. Kurz vor der vorgegebenen Marke ließ ich den Knüppel los und das Flugzeug ging wieder in den Horizontalflug über. Unsere Reisegeschwindigkeit war noch zu groß. Isabelle umklammerte den Geschwindigkeitsregler für die Turbinen und drosselte die Geschwindigkeit.

»Gut gemacht«, sagte sie. Sie hörte sich nun gefasster an. »Das schaffen wir.« Die erste Hürde war überwunden.

***

Wir waren nur noch wenige Kilometer von der Landebahn des Adelaide Airports entfernt. Die Landeerlaubnis hatte man uns schon vor einer halben Stunde erteilt. Um kein Risiko einzugehen, war der gesamte Flugverkehr im Umkreis umgeleitet worden. Ich saß wieder angespannt vor dem Steuerknüppel, während John ununterbrochen mit der Fluglotsin kommunizierte. Die restliche Besatzung stand hinter uns und schaute gebannt auf die näher kommenden Lichter am Boden. Isabelle hatte aus einer Seitenkammer ein Buch herausgeholt und studierte nun die Checkliste für die Landung, wobei sie den ein oder anderen Schalter umlegte. Denn uns stand nun der schwierigste Teil des Fluges bevor. Der Tower gab uns die bestmöglichen Ratschläge und erklärte ununterbrochen, worauf wir zu achten hätten. Ich hatte die Landeklappen ausgefahren und die Geschwindigkeit gedrosselt, sodass wir stetig sanken. Nun waren es noch wenige Meilen, bis wir die Landebahn erreichen würden. Noch fünfzig Meilen… noch dreißig Meilen. Ich dachte an meine Mutter, die nichts von alledem wusste… noch zwanzig Meilen. Isabelle legte das Handbuch beiseite. Noch zehn Meilen… Nun konnte ich die Markierungen der Landebahn sehen und fuhr auf Anweisung Isabelles die Fahrwerke aus. Das Flugzeug wackelte unter meinen zitternden Händen. Mein Kopf mahlte sich grausame aus. Was würde passieren, wenn… Noch fünf Meilen… Mein Herz raste erneut – ein Wunder, dass es mir nicht aus der Brust sprang – und die Hand meines Vaters lag glühend auf meiner Schulter. Isabelles Stimme konnte ich nur noch aus weiter ferne hören, meine Ohren waren wie betäubt. Ein Rauschen erfüllte sie und meinen Kopf. Ich senkte die Nase des Flugzeugs und stellte die Turbinen auf Leerlauf. Noch eine Meile… ich wollte meine Augen schließen. Ein Gefühl der Leere durchflutete mich. Vorsichtig und mit letzter Willenskraft zog ich das Steuerhorn zurück, damit das Flugzeug nicht in die Erde rammte. Das Letzte, was ich hörte, war das Rattern, als Isabelle die Bremse zuzog und dann überwältigte mich das Nichts und mir wurde schwarz vor Augen.

JAMES HARRISON

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