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Jede Sekunde zählt

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Jede Sekunde zählt

»Ist jemand verletzt?«, rief Alexander durch den Kontrollraum, als er sich nach dem schweren Erdbeben endlich wieder unter dem Tisch hervortraute.

»Nein. Alles gut!«, antwortete seine Kollegin Natalie. Sie und Rodrigo hatten sich auf der anderen Seite des Saales hinter dem großen Pult versteckt. Alex ließ seinen Blick durch das verwüstete Zentrum des Europäischen Raumflugkontrollzentrums schweifen. Normalerweise passierte während der Nachtwache fast nie etwas besonderes, aber ein so starkes Erdbeben mitten in Darmstadt war wirklich ungewöhnlich. Nun war alles total verwüstet. Jeder zweite Monitor lag kaputt auf dem Boden.

»Was zum Teufel war das?«, fragte Rodrigo. Der gerade einmal 26-jährige spanische Astrophysiker mit den halblangen, lockigen Haaren sah aus, als hätte er einen Geist gesehen. Alex atmete nur schwer aus und zuckte mit den Schultern. Dann weiteten sich seine Augen, als er die riesige Eisenstange sah, die sich durch Natalies Hüfte gebohrt hatte. Ihre graue Bluse hatte sich bereits ganz rot gefärbt und die junge Wissenschaftlerin konnte sich kaum auf den Beinen halten.

»Das nennst du ‚alles gut‘??«, rief er entsetzt und eilte zu ihr, um sie zu stützen. »Du musst sofort in ein Krankenhaus!«

»Ich rufe einen Krankenwagen!«, sagte Rodrigo mit Akzent und holte sein Handy aus der Hosentasche, nur um kurz danach verärgert mit der Faust auf einen der noch nicht zerstörten Tische zu schlagen. »Das Netz ist weg!«

»Wir bringen sie mit meinem Auto hin!«, stellte Alex klar. Eigentlich hatte er erwartet, dass Rodrigo sofort mit ihm zur Tür kommen würde, aber irgendetwas an einem der Monitore lenkte ihn ab. »Worauf wartest du?«

»Alex, die Satelliten sind verschwunden!«

»Das können wir später reparieren!«

»Auf unserer Seite funktioniert alles noch …«, erklärte der Spanier. »Die Satelliten antworten einfach nicht.«

Jetzt drehte Alex sich doch noch um, obwohl Natalie sich nur noch mit seiner Hilfe aufrecht halten konnte.

»Welche Satelliten meinst du?«

Statt zu antworten, tippte Rodrigo einige Befehl in sein Terminal ein. Alexander stand etwa zehn Meter entfernt und konnte nicht erkennen, was genau er da tat.

»Alle Satelliten sind um 00:45 Uhr und 12 Sekunden offline gegangen.«

»Alle gleichzeitig?«

»Si.«

Tausend Fragen schossen Alex durch den Kopf, bis er durch Natalies Wimmern wieder aus seinen Gedanken gerissen wurde.

»Darum kümmern wir uns, wenn Natalie im Krankenhaus ist.«

»Natürlich! Natürlich!«, rief Rodrigo und lief zu ihnen. Hastig öffnete er die weiße Tür zum Korridor und hielt ihnen diese auf.

»Welche Satelliten waren denn ausgefallen?«, fragte Alex, als beide Männer die Verletzte die Treppe nach oben trugen.

»Wirklich alle, die wir auf dem Schirm hatten!«, wiederholte Rodrigo. »In der exakt selben Sekunde.«

»Mir ist schlecht …«, flüsterte Natalie angestrengt. Alex versuchte, ihr Gewicht so gut es ging zu stützen. Endlich hatten sie die letzte Treppenstufe geschafft und gingen nun durch die düstere Eingangshalle zur Glastür.

»Gleich geschafft!«, ermutigte Alexander seine Kollegin. Erschrocken riss er die Augen auf, als er sah, was für ein Chaos auf der Straße herrschte. Häuser waren teilweise vollständig eingestürzt. Schon bevor sie die Tür öffneten, hörten sie Sirenen und Hilferufe. Doch noch erschreckender war der Sturm, der draußen tobte und vor ihren Augen Bäume entwurzelte. Gefährlich große Trümmerteile flogen als tödliche Geschosse mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit durch die Luft. Alexander zögerte, bevor er die Tür öffnete.

»Was ist hier nur los?«, fragte Rodrigo. »Das ist doch nicht mehr normal.«

Alex starrte auf seine Hand, die den Türknauf festhielt und warf anschließend einen Blick auf seine langjährige Kollegin, wie sie kaum noch die Augen aufhalten konnte und langsam verblutete. Sie musste in ein verdammtes Krankenhaus!

»Mein Auto steht auf der anderen Straßenseite«, sagte er. »Wir schaffen das, wenn wir uns beeilen.«

Rodrigo atmete tief durch. »Waren seine letzten Worte«, merkte er an und nickte ihm dann zu. Ein letztes Mal noch zögerte Alexander und öffnete dann die Tür. Sofort schoss ihnen der Wind mit einer solchen Kraft entgegen, dass sich alle den freien Arm vor die Augen halten mussten. Die Geräuschkulisse wurde mit einem Mal bedrohlich laut. Aber nun war keine Zeit mehr zum Zögern! Sie stützten die verletzte Wissenschaftlerin und trugen sie über die Straße. Gegen den Wind anzulaufen war eine enorme Kraftanstrengung. Sowieso hatte Alex auf einmal das Gefühl, dass er zehn Kilo zugenommen hatte. Überall um sie herum flogen Fetzen, Trümmer oder irgendwelche Gegenstände durch die Luft. Es war wirklich lebensgefährlich. Während einige Menschen auf die Straße rannten, versuchten andere wiederum, ein nicht einsturzgefährdetes Gebäude zu finden, wo sie in Sicherheit waren.

Kurz bevor sie das Auto erreichten, griff Alex mit der freien Hand in seine Hosentasche und drückte auf den Knopf an seinem Schlüsselbund, um die Türen zu entriegeln. Rodrigo lief voraus und öffnete die Hintertür auf der linken Seite. Vorsichtig setzten sie Natalie hinein und schlossen die Autotür wieder. Alex‘ spanischer Kollege lief um den Wagen herum und nahm auf der anderen Seite, neben Natalie, Platz, während er selbst sich auf den Fahrersitz setzte. Als sie die Türen endlich geschlossen hatten, war der Lärm dieses vermeintlichen Weltuntergangs endlich etwas dumpfer.

Zum Glück war das nächste Krankenhaus nicht zu weit entfernt, doch mussten sie, wegen versperrter Straßen, mehrere Umwege fahren. Alex traute sich, bei der schlechten Sicht und dem Sturm nicht seinen Wagen schneller als 20 Kilometer pro Stunde zu bewegen. Alles darüber wäre in dieser Situation Selbstmord gewesen. Auch wenn Natalie schon seinen Ledersitz voll blutete.

»Alle Satelliten sind gleichzeitig offline gegangen«, führte er die Unterhaltung von eben fort, während er auf den Parkplatz vor der Klinik einbog. »Das muss koordiniert gewesen sein. Wie ein Hackerangriff.«

»Ein Angriff?«, wiederholte Rodrigo. »Meinst du, wir sind in einem Krieg? Dann waren das hier vielleicht Kernwaffen.«

»Hey, ich habe einen Geigerzähler im Kofferraum! Das fällt uns nur ein wenig spät ein. Wenn, dann wird der Fallout jetzt schon begonnen haben.«

Der Physiker zog auf dem Parkplatz direkt neben dem Haupteingang die Handbremse an und schaltete den Motor aus. Auf dem Weg zum Eingang des Gebäudes holten sie noch das Messgerät aus dem Kofferraum. Den Angestellten des Raumfahrtkontrollzentrums fielen die Risse in der Fassade des Krankenhauses auf. Trotzdem war es eines der wenigen Gebäude, die mit einem eigenen Generator mit Strom versorgt wurde. Als sie endlich die Flügeltür erreichten und einen Blick in den Eingangssaal werfen konnten, wurde der Lärm des inzwischen schwächer gewordenen Sturms eingetauscht gegen eine Geräuschkulisse von lauten Rufen, Schmerzensschreien und hektischen Durchsagen. Der Warteraum vor der Rezeption war heillos überfüllt mit Schwerverletzten, und völlig überforderte Krankenpflegerinnen und Ärzte rannten von einem Patienten zum Nächsten. Die eigentlich vorgeschriebenen Masken trugen hier nur noch wenige. Dafür hatte wohl kaum jemand gerade die Ausdauer, wenn es darum ging, dass hier jede Sekunde jemand verbluten konnte.

»Wir sind voll!«, brüllte eine rothaarige Krankenschwester ihnen zu, während sie einem älteren Mann das Bein abband. Rodrigo ließ Natalie kurz los und holte einen der Plastikstühle, der in einer Ecke lag zu ihnen. Vorsichtig setzten sie ihre verletzte Kollegin darauf ab.

»Sie wurde von einer Eisenstange durchbohrt und verblutet!«, protestierte Alexander lautstark. Einen Handgriff später ließ die Pflegerin von dem alten Mann und wollte zu ihnen rennen. In dem Moment jedoch rannten zwei Feuerwehrleute, die eine Frau auf einer Trage transportierten, dazwischen.

»Aus dem Weg! Aus dem Weg!«, brüllten sie hektisch. Die Pflegerin wartete eine Sekunde, bis sie vorbei waren, und trug dann den Erste-Hilfe-Kasten zu Natalie. Grob und schnell tupfte sie die Stelle, wo die Eisenstange steckte mit einem Tuch ab.

»Es wird alles gut!«, versicherte Alex und tupfte ihre schweißnasse Stirn mit einem Taschentuch ab. Sie glühte richtig.

»Die Stange hat ein lebenswichtiges Organ durchbohrt«, erklärte die Pflegerin. »Ohne eine OP können wir sie nicht entfernen und wir haben gerade keinen frei.«

»Wie, sie haben keinen frei?«, schimpfte Rodrigo drauf los. »Dann machen Sie einen frei! Sie stirbt hier, wenn ihr nicht geholfen wird.«

Mit wütenden Augen richtete die Pflegerin sich auf und forderte den Astrophysiker heraus.

»Ach und wenn soll ich anstelle von ihr dann Sterben lassen?« Ihr Tonfall wurde laut und sarkastisch. »Soll ich das 12-jährige Mädchen mit den Verbrennungen sterben lassen oder den 23-Jährigen mit dem abgetrennten Bein, um ihrer Freundin eine OP zu organisieren?«

Erschrocken und schuldbewusst senkte Rodrigo den Kopf und die Frau beruhigte sich wieder. Alexander schloss die Augen und seufzte kurz.

»Kann sie nicht in ein anderes Krankenhaus verlegt werden? Haben Sie da noch Kontakt?«

»Nein«, seufzte die überarbeitete Pflegerin und rieb sich die Stirn. »Wegen den Corona-Intensivpatienten sind wir schon völlig ausgelastet. Wir müssten eine ganze Reihe von Patienten verlegen. Die nächste Klinik, die noch etwas frei haben könnte, ist vielleicht das St. Petrus Krankenhaus in Saarbrücken.«

»Saarbrücken? Nicht gerade um die Ecke. Haben sie einen Hubschrauber für den Krankentransport?«

»Haben wir, aber der Pilot ist der 23-Jährige mit dem abgetrennten Bein. Bei dem Sturm wird sowieso niemand starten, der nicht vollkommen lebensmüde ist.«

Sofort riss der Physiker die Augen auf.

»Ich habe einen Flugschein!«

Überrascht und skeptisch sah die rothaarige Frau ihn an und zögerte einen Moment. Währenddessen hörten sie ein knisterndes Geräusch von der Seite. Rodrigo hatte den Geigerzähler herausgenommen.

»Immerhin!«, erklärte er. »Strahlungswerte sind normal.«

»Ich würde ja fragen, ob du dir wirklich sicher bist«, begann Rodrigo seine Ansprache, als Alex in den Hubschrauber einstieg. Natalie und zwei andere Patienten hatten bereits hinten Platz genommen. Der Sanitäter und Co-Pilot kam gerade dazu. »Oder ich würde fragen, ob du das für eine gute Idee hältst, aber jetzt wo ich deine Autoschlüssel habe, kann ich davon ausgehen, dass ich den Wagen behalten darf, wenn du das nicht überlebst? Einen Tesla wollte ich immer schon einmal fahren.«

Alexander lächelte kurz, während er versuchte, sich klar zu machen, was er hier gerade für eine wahnsinnige Idee umsetzen wollte. Der Sturm tobte immer noch, wenn auch nicht mehr so stark. Jetzt zu starten, war genau das, was sein Fluglehrer ihm immer ausreden wollte. Aber für Natalie und die beiden anderen war das die einzige Chance.

»Und wie sieht es eigentlich mit deinem Gaming-PC und deiner VR-Brille aus?«, hakte sein Freund nach.

»Kannst du auch haben«, seufzte der Physiker. Der Sturm zwang sie, alles etwas lauter zu sprechen. »Aber wenn ich lebend zurückkomme, kriege ich deine X-Box!«

»Nein! Nein!«, protestierte Rodrigo. »Was wir hier verhandeln ist dein Testament. Keine Wette! Ich würde doch niemals auf deinen Tod wetten.«

»Wir sehen uns!«

»Keine Wette!«, rief Rodrigo ihm hinterher. »Nur Testament!« Alex musste schwer atmen als er die Türen schloss und sich auf den Pilotensitz setzte. Eigentlich war es schon Jahre her, seit er während seiner Zeit beim Technischen Hilfswerk einen Hubschrauber geflogen hatte. Er hoffte inständig, dass er nichts verlernt hatte. Seinen besten Freund wollte er auf keinen Fall das letzte Mal gesehen haben. Ich schaffe das, sagte er zu sich, selbst als er die Motoren startete.

»Ich glaube, das da sind die Motoren!«, korrigierte sein Kopilot als Alexander aus Versehen den Scheibenwischer anschaltete.

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