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Aggressionsprobleme

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Aggressionsprobleme

»Hey! Trottel! Aufwachen!«

Müde flatterte der Informatikstudent mit den Augenlidern. Sein Sichtfeld war eingenommen vom blutverschmierten Gesicht einer jungen Frau mit großen Augen und süßer Stupsnase. »Ah!«, schrie er laut in hoher Tonlage, richtete sich halb auf und krabbelte mit Händen und Füßen rückwärts, bis er mit dem Rücken zur Wand saß.

»Alles cool! Das ist nicht mein Blut!«

Antonio fiel auf, dass das Blut nicht nur Rot, sondern stellenweise auch Orange war. In ihrer Hand hielt das Mädchen ein Taschenmesser. Heilige Scheiße. Was hatte sie mit ihm vor? Hatte sie ihn an diesen Ort gebracht? Antonio sah sich um und fand sich in einem sechseckigen Raum mit Wänden und Böden aus Metall wieder. In der Mitte war eine stinkende, orangene Blutlache. Nur ein Ausgang führte in einen kleinen Korridor.

»Was willst du von mir?«, fragte der junge Mann mit klappernden Zähnen.

»Steh auf!«, befahl sie. »Hilf mir diese Glastür aufzubrechen!«

Glastür? Antonio stand auf und sah dem Mädchen verwundert hinterher, das ihm nun den Rücken zukehrte und in Richtung Ausgang ging. Dann drehte sie um und stemmte die Hände in die Hüften.

»Wo bleibst du?«, fragte sie genervt. Müde und völlig durch den Wind schüttelte Antonio ungläubig den Kopf. Er sah an sich hinunter und stellte fest, dass er immer noch seine Jogginghose und ein Bandshirt von Iron Maiden trug. Seine Klamotten waren verdreckt und voller Staub. Jetzt fiel ihm das Erdbeben wieder ein. Und der Sturm und das helle Licht, das auf sie schien.

»Wo bin ich hier?«, wollte er von dem Mädchen wissen. Er erinnerte sich auch wieder daran, dass er sie davon abgehalten hatte, sich in diesen Abgrund zu stürzen. »Wer bist du? Was ist hier passiert?«

»Ich bin Serena, 14 Jahre alt und wir beide wurden von Aliens entführt.«

Zweifelnd sah Antonio sich in dem Raum um. Er war etwa fünf Meter im Durchmesser und sechseckig. Die Wände waren aus einzelnen Metallteilen gefertigt. Es gab keine erkennbaren Nieten. An der etwa drei Meter hohen Decke waren mehrere runde Lichter eingelassen.

»Dann war das alles echt?«, fragte er. »Das Erdbeben, das München zerstört hat. Der Sturm und dieser gewaltige Krater? Das waren Außerirdische?«

»Also eigentlich …«, stammelte das Mädchen. »… bin ich mir nicht so ganz sicher. Sie sind sehr groß und haben merkwürdig lange Arme, aber ansonsten sehen sie relativ menschlich aus. Auch wenn sie sich komisch bewegen. Ich hab einen von denen hier abgestochen und der hat den Boden voll geblutet.«

Serena deutete auf die Blutlache. Antonio ging einen Schritt darauf zu und sah sich das orangene Blut etwas genauer an. Nach ein paar Sekunden wusste er aber immer noch nichts damit anzufangen und warf einen Blick in den Korridor. Dieser war nur etwa fünf Meter lang und endete an einer sechseckigen Glastür. Dahinter schien noch ein Raum zu sein.

»Das ist alles entweder ein Traum oder eine Fernsehshow!«, stellte er kopfschüttelnd klar. Serena legte den Kopf schief. Sie wirkte ganz schön selbstsicher, auch wenn er sie aufgrund ihrer Größe und ihrer unheimlich süßen Nase niemals ernst nehmen konnte. Das Messer in ihrer Hand dagegen …

»Ich glaube nicht …«, sagte sie. »Komm! Sieh dir das selbst an!«

Das Mädchen verschwand im Korridor und Antonio folgte sofort. Direkt vor der Glastür blieb Serena stehen und der Student konnte erkennen, was sie meinte. Das war eine Art Cockpit. Antonio konnte einen kleinen Raum mit vielen Kontrollen und einem Flugsitz erkennen, auf dem jemand mit dem Rücken zu ihnen saß. Der Sitz war sehr schmal und so konnte man erkennen, dass der Pilot eine Art Motorradhelm trug, sehr groß war und mit seinen langen Armen die merkwürdig aussehenden Kontrollen bediente, die eine Mischung aus physischen Schaltern und einem Touchscreen zu sein schienen. Die Anzeigen auf dem Touchscreen jedoch machten für Antonio überhaupt keinen Sinn. Immerhin, eine der Kontrollen sah ein wenig so aus wie ein relativ intuitiver Steuerknüppel.

»Hey, Arschloch!«, brüllte Serena laut und schlug gegen die Tür. »Mach auf!«

Ein paar Sekunden lang warteten die beiden Menschen auf eine Reaktion, aber der Pilot ignorierte sie.

»Hey, Sie!«, rief nun auch Antonio. Da schüttelte das Mädchen den Kopf.

»Das hat keinen Zweck. Die haben wohl Angst vor uns.«

Antonio warf einen Blick aus der großen Fensterfront hinter den Kontrollen, sofern er sie von seiner Position aus sehen konnte. Sie flogen langsam durch die Nacht, aber was genau unter ihnen war, war schwer zu sagen. Es sah teilweise aus wie ein Waldgebiet, aber die Bäume sahen merkwürdig aus. In dem spärlichen Licht konnte der Student das nicht einordnen.

»Du hast eben einen von denen abgestochen?«, hakte der Student nach. Serena nickte ohne den Piloten aus den Augen zu lassen. Auch wenn sie noch so jung war, wirkte sie fest entschlossen und kampfbereit. Ihre Hand hatte das kleine Taschenmesser fest umklammert.

»Mein Name ist Antonio«, stellte er sich endlich vor, wusste dann jedoch nicht, was er weiter sagen sollte. Schließlich fiel ihm sein Smartphone wieder ein, dass noch in seiner Hosentasche war.

»Hier ist kein Netz«, dämpfte Serena seine Hoffnung und sie hatte recht.

»GPS funktioniert auch ohne Netz. Ich habe Landkarten der ganzen Welt offline auf meinem Handy.«

Neugierig sah das Mädchen auf sein Smartphone, als er seine App für OpenStreetMaps öffnete.

»Komm schon …«, murmelte er ungeduldig, bis die Nachricht erschien, dass Standortdienste nicht verfügbar waren. »Fuck!«

»Braucht GPS wirklich kein Netz?«

»Warte kurz …« Antonio öffnete eine andere App, die ihm den reinen Output des GPS-Moduls anzeigen konnte. Die App hatte er für die Uni erst neulich selbst entwickelt. Sie zeigte auch den Output anderer Sensoren des Gerätes an, aber das war gerade unerheblich.

»Mein GPS-Modul funktioniert«, sagte er. »Aber das Handy kann sich nicht mit den Satelliten verbinden. Vielleicht befinden wir uns in einem Faradayschem Käfig. Metalle in den Wänden lenken jedes elektromagnetische Signal ab.«

»Gilt das auch für die Glastür?«

»Müsste eigentlich nicht … Also die Glastür und die Glasfront müssten eine Lücke darstellen, aber wer weiß, woraus die wirklich gemacht sind.«

»Ich teste es noch einmal!«, sagte Serena laut und bestimmt und ging ein paar Schritte zurück. Mit einer Handbewegung deutete sie den Studenten an, auf Seite zu gehen. Was hatte sie vor? Als sie so weit zurückgegangen war, dass sie auf der anderen Seite des sechseckigen Raumes stand, drehte sie sich zu ihm und rannte laut schreiend los. Erschrocken presste Antonio sich gegen die Wand. Etwa einen Meter vor der Glastür sprang Serena in die Luft, reckte ihre Schulter nach vorne und warf sich mit ihrem ganzen Körper gegen die Tür. Ein dumpfer Ton erklang und das Material schien sich kurz einen Millimeter nach hinten gebeugt zu haben. Doch das war auch schon alles. Das Mädchen dagegen kniete auf dem Boden und hielt sich die schmerzende Schulter, während sie wütend schnaubte.

Der Student wusste nicht ganz, wie er darauf reagieren sollte, und kniete sich erst einmal runter zu ihr.

»Das Glas scheint zumindest stabil genug, um wütende Teenager abzuhalten.«

»Fick dich doch!«, fluchte das Mädchen. »Ich weiß, dass ich ein Aggressionsproblem habe. Ich bin deswegen in Therapie. Aber das hat sich wahrscheinlich sowieso erledigt, wenn die Welt jetzt untergeht.«

Antonio reichte ihr die Hand. Sie packte zu und mit einem Ruck half er ihr hoch.

»Wir wissen nicht, ob sie untergeht«, versuchte er etwas Zuversichtlichkeit zu verbreiten. »Wer immer die sind, ob Menschen oder Aliens, sie haben uns bisher nichts getan. Aber ich kann verstehen, dass du eine Scheiß-Angst hast. Die habe ich auch …«

Wenn Antonio ganz ehrlich war, war er froh, dass dieses Mädchen hier war. So hatte er das Gefühl, als Erwachsener die Fassung bewahren zu müssen. Innerlich schlug sein Herz unheimlich schnell vor Todesangst. Auf der anderen Seite wirkte diese ganze Szene jedoch auch so surreal, dass er immer noch daran zweifelte, dass das hier echt war. Vielleicht stand er auch unter Drogen? Er nahm zwar keine Drogen, aber vielleicht wurde er entführt und unter Drogen gesetzt? Warum auch immer, dass jemand machen sollte, es war eine rationalere Erklärung, als eine Invasion durch Außerirdische.

»Ich habe keine Angst!«, brüllte das Mädchen. »Ich bin wütend!«

Dann drehte sich die Kleine urplötzlich um und Antonio hörte sie schluchzen. Serena verdeckte ihr Gesicht mit ihren Haaren.

»Hey …«, sagte Antonio mit sanfter Stimme und streckte die Hand leicht zu ihr aus, ohne sie wirklich an der Schulter anzufassen. »Wir kommen hier raus, Serena.«

»Ich war so wütend auf meine Eltern, weil sie mir für zwei Wochen verboten haben, die Wohnung zu verlassen«, begann sie zu erzählen. »Dann habe ich auf meinen Papa eingeschlagen, als er mich festhalten wollte und bin mitten in der Nacht abgehauen. Als ich dann zurück laufen wollte, war die halbe Straße nicht mehr da und die andere Hälfte lag in Trümmern. Ich weiß nicht, ob das Haus meiner Eltern in dem Krater liegt und sie tot sind.«

Scheiße. Offenbar hatte Serena gar nicht so weit weg von ihm gewohnt und jetzt war sie von ihren Eltern getrennt. Doch völlig unsensibel stellte Antonio der Neugier folgend eine ganz andere Frage.

»Warum durftest du die Wohnung nicht verlassen?«

Sie schluchzte noch einmal laut, bevor sie antwortete.

»Das hat eigentlich das Gesundheitsamt angeordnet, weil ich positiv bin.«

Sofort wich Antonio einen Schritt zurück. »Du hast Corona?« Dann wurde ihm bewusst, dass es wahrscheinlich schon zu spät war und sie ihn in diesem Raum bereits angesteckt hatte. Der junge Mann dachte nach. Wer immer ihre Entführer waren, sie hatten sich vielleicht ebenfalls infiziert. Vor allem, wenn Serena schon gerade gegen sie gekämpft, und so wie sie aussah, sie ebenfalls gebissen hatte. Aber das half ihnen jetzt nicht weiter. Antonio war jung und machte sich keine Sorgen um einen schweren Verlauf und auch das Mädchen war wahrscheinlich nicht sehr gefährdet.

»Whoa …«, erschreckte sich der Student, als er die fremde Gestalt sah, die still und leise auf der anderen Seite der Glastür erschienen war. Diese Person war etwa genau so groß wie er, trug ebenfalls einen dieser merkwürdigen silbernen Motorradhelme und dazu einen silbernen Overall.

»Scheiße«, fluchte das Mädchen, das sich wieder zur Tür gedreht hatte. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und schlug mit der flachen Hand wütend gegen das Glas. Dabei schrie sie laut auf.

Antonio musterte derweil das fremde Wesen. Die Kleidung war sehr weit und schlug viele Falten, aber den Umrissen nach, war es durchaus ein Mensch. Doch irgendwie wirkten die Bewegungen anders. So melodisch, tänzerisch und unmenschlich elegant. Dem Studenten fehlten die richtigen Worte, um sie zu beschreiben. Ständig waren die Finger, die Arme oder die Beine irgendwie in Bewegungen, obwohl die Person stillzustehen schien. Serena hörte damit auf, gegen die Tür zu hämmern, als die Person die in silbernen Handschuhen verdeckten Hände nach oben zu einem Verschluss am Helm führte. Mit einem Klickgeräusch, welches sie durch die Glastür hören konnten, weitete sich der Helm unten etwas und das Wesen zog ihn langsam ab.

Als der Student den Kopf sehen konnte, weitete er die Augen. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Soweit er es sagen konnte, war es eine Frau. Die Haut war weiß wie Schnee, die Haare sahen aus, als würden sie aus ineinander verflochtenen Tüchern bestehen, die Ohren waren leicht nach hinten geneigt, die Nasenspitze zeigte leicht nach oben und die ungewöhnlich großen Augen sahen asiatisch aus und waren einfach komplett schwarz. Es gab keine erkennbaren Pupillen. Als das Wesen zwinkerte, schob sich das Augenlid von der Seite hinein wie eine Schiebetür. Die Lippen waren voll und leicht orange. Am Hals, an der Stelle wo bei Menschen der Kehlkopf war, fand Antonio kleine rote Lappen, die etwas wie Kiemen aussahen. Ihre Gestalt war eindrucksvoll. Ihr ganzer Körper bewegte sich immer noch leicht hin und her wie eine Pflanze bei einer schwachen Sommerbrise.

Fragend sah der Student zu dem 14-jährigen Mädchen, die die Fremde mit halboffenem Mund anstarrte. Konnten sie nun davon ausgehen, wirklich einer Außerirdischen gegenüberzustehen? Mit Kostümen und Spezialeffekten konnte man eine Menge hinbekommen, aber wer würde diesen Aufwand machen, nur um jemand so unbedeutenden wie Antonio zu veräppeln?

Als er wieder zu dem Alien sah, öffnete das fremde Wesen den Mund. Es machte merkwürdige Klickgeräusche, die Antonio weder zuordnen konnte, noch sich vorstellen, dass ein Mensch solche Geräusche von sich geben konnte. Serena zupfte an Antonios Shirt.

»Versucht sie, zu sprechen?«, fragte sie mit zitternder Stimme. Sofort sah der Alien zu ihr und stieß weitere Klickgeräusche aus.

»H-hallo …«, stotterte Antonio und hob vorsichtig die Hand. Fast zeitgleich tat das fremde Wesen es ihm gleich und hob eine Hand.

»Ahmt sie dich nur nach?«, fragte Serena. Der Student zuckte mit den Schultern. Dann ging das Mädchen erschrocken einen Schritt zurück und zog ihn an seinem Shirt hinter sich her. »Pass auf!!«

Schnell erkannte er warum. Die Fremde hatte den Helm auf dem Boden abgelegt und bewegte die Hand zur Türe, genauer zur Wand neben der Tür von ihrer Seite aus. Dort betätigte sie wohl einen Knopf oder so. Ein Zischen folgte und die Glastür öffnete sich, indem sie in den Wänden verschwand. Ängstlich gingen Antonio und Serena ein paar Schritte rückwärts, bis sie wieder in dem sechseckigen Raum standen. Mit unfassbar leisen und eleganten Schritten ging der Alien in den Korridor. Hinter ihr schloss sich die Glastür automatisch. Jetzt war sie bei ihnen und sah Antonio direkt in die Augen. Dabei legte sie den Kopf leicht schief. Erst auf die eine Seite und dann auf die andere. Nach ein paar Sekunden der Stille öffnete sie wieder den Mund, gab ein paar Klackgeräusche von sich und hob dann die rechte Hand genau so hoch, wie Antonio es eben gemacht hatte.

Neben sich hörte der Student das Mädchen schnaufen. Als er zu ihr sah, merkte er, dass sie richtig die Zähne fletschte. Jeder Muskel ihres Körpers schien angespannt zu sein und sie hielt das Taschenmesser fest in der Hand.

»Ganz ruhig …«, sagte er mit sanfter Stimme zu ihr. »Ich habe nicht das Gefühl, dass sie uns etwas tun will.«

Das Gefühl hatte Antonio tatsächlich nicht. Die Fremde blieb auf Abstand und beobachtete sie nur. Einen für Menschen lesbaren Gesichtsausdruck schien sie nicht zu haben. Wohl auch, weil ihr dafür die Augenbrauen fehlten. So starrten sich beide Parteien noch eine Zeit lang wortlos an, bis der Alien den ersten Schritt machte und nach vorne trat. Sofort wichen die beiden Menschen nach hinten.

»Sie bluten genau so wie wir!«, murmelte Serena leise. »Und sie haben uns gegen unseren Willen hierher gebracht. Ich könnte sie jetzt abstechen, bevor wir als Laborratten enden!«

»Das weißt du nicht«, hielt Antonio dagegen. »Vielleicht haben sie nur echt dringend zwei Leute für ihre Baseballmannschaft gebraucht.«

»Sie haben Tausende von Menschen getötet!«

»Aber uns haben sie nichts getan. Vielleicht ist die ganze Sache komplizierter.«

Mit einem eleganten Ausfallschritt ging der Alien seitwärts um sie herum. Antonio und Serena blieben auf Abstand und gingen entsprechend in die andere Richtung. Beide Parteien umkreisten einander im Raum.

»Was willst du von uns?«, fauchte die 14-Jährige und fuchtelte dabei mit dem Messer in der Luft herum. Die Fremde antwortete mit einer weiteren Reihe von Klicklauten, die sie mit offenem Mund irgendwo im hinteren Mundraum erschuf.

Serena hielt sich die Hand an ihr Ohr. »Was sagst du? Bevor wir uns von euch fressen lassen, schnitze ich euch die Mägen auf!«

»Nur zur Erinnerung«, stammelte Antonio ohne den Alien aus den Augen zu lassen. »Du warst die, die einen von denen gebissen hat. Vielleicht haben die mehr Angst vor uns als wir vor ihnen.«

Jetzt hatten sie den ganzen Raum einmal umkreist. Die außerirdische Frau blieb stehen und sah dem Studenten direkt in die Augen.

»Ich versuche etwas«, sagte er bestimmt und ging nach kurzem Zögern einen Schritt auf sie zu.

»Was machst du??« Antonio ignorierte ihren Einwand und ging noch einen Schritt nach vorne. Die Fremde beobachtete ihn, während sie den Kopf leicht von der einen auf die andere Seite legte. Ermutigt ging er noch zwei Schritte voraus und hörte, dass das Mädchen ihm folgte. Wenigstens blieb sie direkt hinter ihm.

Irgendwie war diese Alien-Frau hübsch. Ihre schneeweiße Haut war makellos und rein, ihr Gesicht perfekt symmetrisch und ihre Augen hatten etwas Hypnotisierendes. Ihre schwarzen Haare, die einerseits wie Seidentücher und andererseits wie die Blätter einer großen Pflanze wirkten, flatterten mit jeder Bewegung.

Der Student musterte den Rest ihres Körpers. Unter der weiten Kleidung zeichnete sich, wenn man genau hinsah, eine sehr weibliche Figur ab. Die 1.90m große Frau hatte einen großen Busen, eine schmale Taille und ein breites Becken. Einerseits wirkte sie so fremdartig und andererseits auch menschlich. Wenn sie eine Außerirdische war, hatte sich dieses Volk vielleicht ähnlich wie die Menschen entwickelt und daher diese Gestalt? Waren zwei Beine und zwei Arme eine universelle Konstante in der Evolution?

Antonio ging noch einen Schritt auf sie zu und hob dann zögerlich die Hand. Er reichte sie ihr hin. Das fremde Wesen ließ den Kopf sinken und beobachtete das Geschehen. Seine Hand war ausgestreckt mit der flachen Seite nach oben. Es dauerte nicht lange, da tat die Frau es ihm gleich und streckte ihre Hand aus. Kommunikation, dachte Antonio. Diese Geste sollte recht unmissverständlich sein. Eine flache, ausgestreckte Hand konnte sie nicht angreifen. Ihre Sprachen waren nicht kompatibel, aber Kommunikation fand auf so viel mehr Wegen statt.

Ihre beiden Hände waren nun direkt nebeneinander in der Luft. Ganz langsam und vorsichtig bewegte Antonio seine Hand zu ihrer. Gleich würde es passieren, dachte er. Die erste Berührung. Auch wenn Serena bereits den ersten Körperkontakt hergestellt hatte.

Zuerst berührten seine Fingerkuppen ihre. Die Hand der Alien-Frau steckte in einem Handschuh, der mit dem Overall verschmolzen war. Der silberne Stoff fühlte sich unglaublich weich an. Der Student tastete ganz vorsichtig über ihre Hand, da hob sie auf einmal den anderen Arm. Während sie ihre eine Hand weiter mit Innenseite nach oben zu ihm ausgestreckt hielt, tastete sie mit der anderen Hand an seine Brust. Erschrocken sah Antonio nach unten. Ganz vorsichtig strich die Fremde über sein Shirt bis zu dem Ort, wo sein Herz schlug. Dort legte sie dann sanft die Hand darauf. Das tat sie so zaghaft, dass es beinahe kitzelte. Der Student ließ sie gewähren, während er weiter über ihre Handinnenfläche fühlte.

Sie hörten beide ein Klacken. Serena war neben ihm erschienen und hatte ihr Taschenmesser eingeklappt. Jetzt verstaute sie die Waffe in ihrer Hosentasche und sah mit halboffenem Mund dabei zu, was gerade passierte. Die außerirdische Frau drehte den Kopf sanft zu ihr und sah dem Mädchen in die Augen. Zögerlich hob sie eine Hand und winkte der Fremden zu.

»Hi …«, stotterte sie leise. Der Alien öffnete kurz den Mund und antwortete mit einem Klicklaut. Serena streckte daraufhin, genau wie Antonio eben, eine Hand aus. Der Student beobachtete das mit Skepsis. Die Fremde sah auf die Hand und ließ Antonio daraufhin los. Ganz langsam und elegant ging sie einen Schritt auf das Mädchen zu. Als sie vor ihr stand, bückte sie sich zu ihr hinunter, wobei sie so leicht und gelenkig aussah, wie eine Gazelle. All ihre Bewegungen wirkten so perfekt und melodisch, wie kein Mensch sie ausführen konnte. Die Frau legte ihre Hand auf Serenas Handinnenfläche und sah ihr tief in die Augen.

»Also, äh …«, stammelte sie vor sich hin. »Ich wollte mich … äh …« Der Alien ging so in die Hocke, dass Serena fast auf ihn herabsehen konnte. Vorsichtig näherte sie sich auch ihr mit der anderen Hand. »Ich wollte mich entschuldigen.« Kurz bevor die Frau das Mädchen berührte, bremste ihre Hand ab und näherte sich nur noch in Zeitlupe. So wiegte sie sie so gut in Sicherheit, dass Serena sie einfach gewähren ließ. Sanft strich die Frau über ihre Brust bis zu dem Punkt, wo ihr Herz sein musste. Das Mädchen atmete tief durch, während sie scheinbar ihre Angst ablegen konnte.

»Ich hatte nur Panik«, rechtfertigte sie sich vor dem Alien. »Warum habt ihr uns entführt?«

»Und wo sind wir?«, fragte Antonio, obwohl er sich denken konnte, dass sie ihn nicht verstand. »Offensichtlich sind wir ja noch auf der Erde. Ist das hier wirklich ein Raumschiff oder nur ein Flugzeug? Warte …«

Die Frau schien ihnen aufmerksam zuzuhören, reagierte jedoch nicht darauf. Antonio holte derweil sein Smartphone aus der Hosentasche und öffnete wieder die Karten-App. Er scrollte dann soweit hinaus, dass man die gesamte Erde in einer 3D-Ansicht sehen konnte. Dann hielt er ihr das Handy hin.

Langsam ließ die Frau Serena los und richtete sich wieder auf, ohne dass sie den Blick vom Handy abwendete. Eine Zeit lang starrte sie nur auf das Bild und legte den Kopf schief, auf eine Seite und dann auf die andere.

»Kannst du uns zeigen, wo wir sind?«, fragte der Student.

»Scheinbar nicht …«, kommentierte die 14-Jährige.

»Wir müssen einen Weg finden, um mit ihnen zu kommunizieren.« Der junge Mann nahm sein Handy wieder an sich. An der Seite drückte er einen kleinen Hebel und sofort sprang die obere Spitze eines Stiftes heraus und eine Notiz-App öffnete sich. Antonio musste für sein Studium häufig mathematische Formeln notieren, für die es auf der einfachen On-Screen-Tastatur keine Entsprechung gab, aber er mochte kein Papier. Auf seinem großen Smartphone zeichnete er einen Kreis und daneben einen Strich. Dann zeigte er diese dem Alien.

»Was soll das werden?«, fragte Serena skeptisch.

»Mathematik funktioniert überall gleich. Und eines der einfachsten Zahlensysteme ist das Dualsystem, bestehend aus Nullen und Einsen.«

Antonio löschte die Zeichnung wieder und zeichnete nur eine 1 auf den Bildschirm. Dann zeigte er auf eine der Wände.

»Eins!«, sagte er laut und zeigte der Frau wieder die Zeichnung. Er ließ ihr etwas Zeit, dann zeichnete er rechts neben der 1 eine 0. Anschließend zeigte er wieder auf die Wand und anschließend auf die daneben. Dabei sagte er: »Eins! Zehn!«

»Häh?«

Die fremde Frau folgte seinen Fingern aufmerksam und studierte die Zeichen, die er auf den Bildschirm zeichnete. Als Nächstes radierte er die 0 weg und ersetzte sie durch eine 1. Anschließend begann er wieder mit dem zählen.

»Eins! Zehn! Elf!«

»Wie soll sie das verstehen«, warf Serena ein. »wenn ich dein Gelaber nicht einmal kapiere?«

Der Student ignorierte sie und löschte die ganze Zeichnung. Als Nächstes zeichnete er eine 1, eine 0 und noch eine 0. Er zählte wieder die Wände laut durch.

»Eins! Zehn! Elf! Hundert!«

»Achso …«, sagte die 14-Jährige laut und schlug sich gegen den Kopf. »Zehn ist zwei, elf ist drei und hundert ist vier.«

»Genau.«

»Also habe ich in deiner Nerd-Welt schon mit einhundert Jungs geküsst.«

»Du solltest vielleicht nicht … egal!«

Dann geschah etwas, womit Antonio nicht so schnell gerechnet hatte. Die Alien-Frau streckte die Hand nach seinem Handy aus. Er gab es ihr zusammen mit dem Stift, wobei er vorher die vorherige Zahl wieder löschte. Einen Moment hielt die Fremde den Stift etwas unbeholfen in der Hand. Doch als sie anfing, etwas zu schreiben, bewegten sich ihre Finger selbstsicher und elegant, als wäre das das normalste auf der Welt für sie. Antonio staunte nicht schlecht, als er sah, was sie dort zeichnete. Als sie fertig war, deutete sie mit ihren Fingern einen Kreis um sich herum an und gab ihm das Smartphone zurück.

110.

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