Читать книгу Die Tochter der Eriny - Lara Elaina Whitman - Страница 11

Verfluchter Ort

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Übergangslos stand ich wieder in dem Hain mit den verbrannten Bäumen. Wenigstens war es noch früh am Tag, so dass ich mich ein wenig umsehen konnte. Tiere waren keine zu sehen. Darüber war ich sehr froh. Im Stillen hatte ich gehofft, dass mich die Triskelerune anderswo hinbringen würde, aber leider hatte sie das nicht getan. Wenigstens war das Wetter besser als gestern. Es hatte aufgehört zu regnen und ein klarer blauer Himmel spannte sich über mir, aber es war auch kälter dadurch. Fröstelnd zog ich den Mantel enger um mich zusammen. Er war aus einer weichen festen Wolle gefertigt und war erstaunlich leicht dafür.

Ob Lord Conen ihnen glauben würde? Ich hoffte es für die drei. Ich fühlte mich ihnen verbunden, nicht nur, weil ich dem älteren Bruder von Karan so ähnlich sah. Ein Zufall, nicht mehr. Mein Vater hatte schließlich auch so ein längliches Gesicht und die gleichen langen Finger. Ich hatte sie von ihm geerbt. Ich mochte diese Elben aus Drun. Sie waren sehr nett und ich war froh, dass ich Lady Drun hatte helfen können. Doch jetzt musste ich an mich selber denken. Zum Glück wusste keiner auf der Trutzburg wo das Gegenstück zum Baum im Burggarten stand, da ich es ihnen nicht gesagt hatte. Jetzt war ich ziemlich froh darüber. So konnten sie mich wenigstens nicht so schnell finden und es gab mir bestimmt ein paar Tage Vorsprung, falls Lord Conen Karan und Fiona nicht geglaubt hatte. Bei dem Gedanken war mir nicht wohl. Ich war ja zu Fuß unterwegs und wenn sie herausfanden, dass ich noch lebte, dann würden sie mich jagen.

Müde wischte ich über meine Augen. Aus den Augenwinkeln sah ich eine Bewegung. Der Schatten war schnell und groß. Ich war nicht mehr alleine. Das Tier vom letzten Mal war wieder da. Ich biss mir auf die Lippen. War das hier mein Ende? Würde ich in den Fängen irgendeines grässlichen Ungeheuers sterben? Zurück konnte ich auf keinen Fall. Wieso hatten eigentlich die anderen Bäume keine Triskelerune? In den Hainen in denen ich bisher herausgekommen war gab es immer mehrere davon, die an unterschiedliche Orte führten. Oder etwa nicht? Sicher war ich mir da allerdings nicht.

Im Unterholz, unter einem von den drei verbrannten Bäumen, gleich neben dem auf dem sich die Triskelerune befand, knackte es laut. Ich zuckte zusammen. Was sollte ich nur tun? Ob ich noch weglaufen oder gar auf den Baum klettern konnte? Aber das würde mir vermutlich nicht viel bringen, denn, wenn ich wieder herunterstieg, dann war das Geschöpf bestimmt wieder da und wartete auf mich. Ich hatte nicht einmal eine Waffe bei mir. Mein Kris-Schwert hatte ich in meinem Halluzinationswahnsinn zurückgelassen. Feuer konnte ich auch keines anzünden. Ich hatte ja nicht einmal Streichhölzer. Ich brauchte einen starken Ast, kam mir die Idee. Den konnte ich zu meiner Verteidigung einsetzen. Gebückt schlich ich durch das dichte Gestrüpp das die Steinplatten auf dem Boden überwucherte, auf der Suche nach etwas langem, spitzem, aber ich fand nichts. Ein leises Grollen ließ mich erschrocken erstarren. Es war unmittelbar vor mir. Ich befand mich jetzt etwa in der Mitte der Steinfläche. Jeder rettende Baum war damit für mich nicht mehr erreichbar. Etwas schlich näher. Ich konnte es sogar schon riechen. Es war ein wenig penetrant. Wie eine Mischung aus Katzenpisse und Baldrian. Wenige Meter vor mir hob sich ein großer Kopf aus dem Gestrüpp. Es war ein Tiger und er war riesig. Er glich in keinster Weise den Reittigern die die Elben benutzt hatten. Allerdings sah er auch nicht ganz wie ein irdischer Tiger aus, denn er hatte einen großen Stachelkamm, der ihm von den vor Nervosität zuckenden Ohren über den Rücken bis zum Ansatz des Schwanzes hinunterreichte. Seine Reißzähne waren gewaltig. Sein Fell war orange-schwarz gestreift. Für den war ich bestimmt nur ein kleiner Happen. Die grüngelben Augen fixierten mich hungrig. Es brauchte nur einen Sprung, dann wäre es um mich geschehen. Gehetzt sah ich mich um. Verzweifelt hoffte ich, dass doch noch einer der anderen Bäume eine Triskelerune hatte und ich die erreichen konnte, aber da war nichts und den Jaspastein zu benutzen war keine Option. Erstens war ich zu schwach und zweitens hatte ich gar keine Zeit mehr den Verschluss der kleinen Tasche zu öffnen, denn der Tiger sprang. Ich ließ mich fallen. Scharfe Krallen kratzten über meine Meerdrachenhose. Der Tiger fauchte frustriert und landete ein paar Meter weit von mir entfernt elegant auf seinen Tatzen. Ich lag auf dem Boden, verwundert, dass die dolchartigen Krallen, die an seinen Pranken hervorblitzten, nicht durch meine Hose gedrungen waren. Ich war jedenfalls nicht verletzt. Der Tiger peitschte wütend mit dem Schwanz. Ich wusste nicht wie lange ich das durchhalten würde. Das nächste Mal würde er mich vielleicht am Arm erwischen oder am Kopf. Ich hatte ihm nichts entgegenzusetzen. Gleich war es vorbei und niemand würde wissen, wie ich gestorben war. Tränen schossen in meine Augen. Mein Blick fiel auf die fast vollständig mit Moosen bewachsene Steinplatte, auf der ich kauerte. Die Krallen des Tigers hatten den Belag von dem Stein gefetzt und darunter blitzte ein grauweißes Symbol durch. Wie gebannt starrte ich es an, vergaß dabei aber das lauernde Untier. Ich hörte, wie der Tiger zum Sprung ansetzte und riss hastig meinen Handschuh herunter. Eine Pranke wischte über mich drüber und verpasste mir einen langen Schnitt am Oberarm, doch ich fiel bereits hinein in das Dunkel, begleitet von einem frustrierten Grollen.

Übergangslos stand ich in dem Tunnel und schnappte nach Luft. Etwas Warmes floss meinen Arm hinunter. Mein Mantel und mein Hemd waren zerrissen. Ich raffte die Stofffetzen zusammen und presste sie auf die Wunde. Aufgeregtes Rascheln und Flattern umgab mich. Instinktiv wusste ich, dass ich hier so schnell wie möglich wieder hinausmusste. Mein Blut, das aus dem langen Schnitt heraustropfte lockte es an, was immer in diesem Tunnel hauste. Ich stolperte vorwärts auf der Suche nach dem blinkenden Zeichen, aber es gab nichts davon. Nur ein schwacher weißlicher Nebel begann um mich herum zu wirbeln und dann wusste ich plötzlich wo ich war. Ich war in dem anderen Teil des Tunnels, dort wo ich noch nie hingegangen war, dort wo die Bestie hauste. Ein Schauer lief über meine Haut. Etwas berührte mich flüchtig. Es war rau und kalt, raspelte über meine Haut. Ich schrie vor Schreck auf, beherrschte mich aber dann. Vielleicht spornte meine Angst es an. Mir blieb nichts anderes übrig, als in Bewegung zu bleiben. Vielleicht fand ich den Weg in den anderen Tunnelteil. Von dort konnte ich bestimmt nach Filderstadt gelangen. Immerhin war der ja mit dem Grenzstein auf der Schafwiese verlinkt.

Der Nebel wurde dichter. Er legte sich wie Spinnweben um mich herum und schien mir etwas zuzuflüstern. Ich wollte mir so gerne die Ohren zuhalten, aber es ging nicht, da ich meine rechte Hand auf den langen Schnitt pressen musste, um die Blutung zu stoppen. Die ersten Tropfen rannen mir bereits zwischen den Fingern durch und waren dabei auf den Boden zu fallen. Etwas wisperte in meinen Ohren, wollte mein Blut kosten. Verzweifelt rannte ich dem weißen Nebel entgegen, denn dort war es heller. Ich stolperte und dann sah ich es. Eine weißgraue Triskele, die in der Luft zu schweben schien, direkt vor mir. Mit letzter Kraft schwankte ich dem Zeichen entgegen und drückte meine Hand darauf. Der Sog war unbeschreiblich. Es war als würde ich durch eine Grube gefüllt mit Sand gezogen. Überall kratzte und zerrte es an mir. Sogar unter meiner Meerdrachenhose konnte ich es fühlen, doch dann war ich durch. Schneegeschwängerte Luft schlug mir entgegen und ich klatschte auf den Boden, unmittelbar neben einem Wasserfall aus gefrorenem Eis. Blauer Himmel, übersät mit weißen Wattewolken hieß mich willkommen. Ich schluchzte laut auf vor Erleichterung. Noch einmal würde ich da nicht hineingehen. Da war etwas ganz Schreckliches in dem Tunnel und es wollte mich, nur mich. Ich schwankte fort, so schnell ich konnte, bis ich die grauenvolle Kraft, die versuchte nach mir zu fassen, nicht mehr spüren konnte.

Es dauerte eine Weile, bis ich mich beruhigt hatte und das Grauen abgeschüttelt hatte. Schwer atmend stand ich auf und ging zu dem gefrorenen Wasserfall. Zum Glück floss trotzdem Wasser an den eisigen Zapfen herunter, mit dem ich meine blutige Wunde säuberte. Der Ärmel meines Wollmantels war aufgeschlitzt worden, ebenso mein Hemd darunter. Der Schnitt in meinem linken Oberarm war ziemlich tief und lang. Eigentlich hätte das genäht werden müssen. Es brannte höllisch. Ich musste das irgendwie verbinden, aber womit. Erst einmal zog ich den Mantel aus und riss die Fetzen des Hemdärmels herunter, damit sich nicht alles mit meinem Blut tränkte. Es war schwer das mit einer Hand zu bewerkstelligen, aber es gelang mir. Dann durchwühlte ich den Proviantsack, den ich wie durch ein Wunder nicht verloren hatte. Ganz unten wurde ich fündig. Außer einem Ersatzhemd fand ich Nähzeug, Verbandsmaterial und eine Salbe. Wie hatte Fiona das denn so schnell organisieren können? Davon hatte ich gar nichts bemerkt. Ich konnte mich nur daran erinnern, dass sie das Essen von dem Tablett hineingestopft hatte. Es war alles so schnell gegangen. Stumm dankte ich ihr. Ich wusch die Wunde noch einmal und schmierte dann von der Salbe darauf. Die Blutung hörte fast sofort auf und es tat auch gar nicht mehr weh, bemerkte ich überrascht. Dann wickelte ich etwas von dem Verbandsmaterial um meinen Arm. Zufrieden betrachtete ich mein Werk. Das würde bestimmt keine Tiere mehr anlocken. Danach inspizierte ich traurig den Wollmantel. Vielleicht konnte ich ihn flicken, aber erst einmal musste ich wissen, wo ich überhaupt war. Ich zog den Mantel an, da es hier ziemlich kalt war und schulterte meinen Proviantsack. Jetzt kam ich mir vor wie ein Abenteurer, der sich in unerforschtes Land gewagt hatte.

Erstaunt sah ich mich um. Ich war offenbar hoch oben auf einem Berg gelandet. Nach Süden war der Blick frei und ich erkannte in der Ferne durch den morgendlichen Dunst eine weite, flache Ebene, die sich trist und grau bis zum Horizont ausdehnte. Eine immer flacher werdende Bergkette begrenzte den Blick nach Osten, aber ich konnte vage einen Fluss in der Sonne aufblitzen sehen, der sich durch eine schneebedeckte Landschaft wand. Richtung Westen konnte ich nichts erkennen, da mir ein ziemlich hoher Berg, dessen Spitze in den Wolken verschwand, die Sicht versperrte.

In meinem Rücken spürte ich ein leises, lockendes Ziehen. Eigentlich wollte ich mir das nicht ansehen, aber dennoch drehte ich mich um und erstarrte. Hinter mir erhob sich steil aufragend eine glattpolierte, haushohe Felswand in die ein monumentales, steinernes Tor eingelassen war. Das Tor war geschlossen und darauf prangte das Zeichen, so eines wie in meiner Hand, nur viel gewaltiger. Eigentlich hatte ich eines der grauen Symbole erwartet und nicht das. Verblüfft starrte ich es an. Das Zeichen strahlte etwas Machtvolles aus und es war überzogen von einem weißen Nebelgespinnst, das ich auf keinen Fall berühren wollte. Nebel wirbelte in dünnen Schwaden vor dem Tor herum. Es sah gespenstisch aus und erzeugte in mir das Bedürfnis so schnell ich nur konnte weg zu laufen. Ein Wispern und Locken drang durch den Nebel, zerrte an mir so als hätte es Hände. Sah ich Gespenster oder versuchten da tatsächlich dunkle Gebilde aus dem Tor herauszukommen? Angstvoll wich ich zurück. Ich wollte keine Minute länger hierbleiben und wenn ich von hier fortkriechen musste, weil jetzt auch noch eine bleierne Müdigkeit anfing meinen Körper zu lähmen. Was immer dort drinnen war, es wusste, dass ich hier draußen war und es wollte mich haben.

Entschlossen drehte ich mich um und lief den schmalen gepflasterten Weg hinunter. Es war als ob ich durch zähen Sirup waten würde, aber je weiter ich von dem Tor wegkam, desto leichter wurde es. Der Weg endete abrupt an einer breiten und ziemlich langen Treppe. Sie führte steil nach unten und war immer wieder unterbrochen von Ebenen, auf denen umgestürzte Säulen herumlagen. Das hatte irgendwie Ähnlichkeit mit dem Heiligtum des Orakels von Delphi in Griechenland. Ich war mit meinen Eltern einmal dort gewesen, um uns die Ruinen des Heiligtums anzusehen. Das war schon atemberaubend gewesen, aber das hier war erhabener. Die Aussicht von hier oben zeigte mir wie wild und einsam dieser Landstrich war. Schade, dass es hier so gefährlich war, denn es war richtig schön anzusehen. Ich richtete meinen Blick nach unten und mir stockte der Atem. Am Fuß der Treppenanlage dehnte sich eine zwischen steile Berggipfel eingebettete Hochebene aus und mitten darauf befand sich eine Stadt. Überrascht zog ich die Luft ein. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Konnte ich hier vielleicht Hilfe finden oder würden sie mich als Eindringling sehen, fragte ich mich besorgt. Ich beobachtete angespannt die Häuser, die sich an eine trutzige Burg auf einem felsigen Hügel kuschelten. Etwas war seltsam daran, fiel mir nach einer Weile auf. Ich kniff die Augen zusammen, um besser durch den morgendlichen Dunst sehen zu können und dann wusste ich es. Hier wohnte niemand. Es gab keinen Rauch oder irgendein anderes Feuer. Nichts bewegte sich zwischen den Häusern. Alles sah verfallen aus. Die Bauwerke waren Ruinen. Irgendwie war ich enttäuscht. Es wäre aber auch zu schön gewesen, wenn ich hier freundliche Elben oder was auch immer gefunden hätte.

Langsam begann ich die Treppe hinunter zu steigen. Der Wind wurde stärker, stellte ich fröstelnd fest. Er pfiff mir in eisigen Böen um die Ohren und dunkle Wolken leckten von Norden her über die Berggipfel herüber. Der Wind brachte die Kälte mit aus den fernen Eislanden. Hoffentlich fing es nicht auch noch an zu schneien. Auf dieser Höhe war das bestimmt nicht angenehm. Ich musste mich auf den Weg konzentrieren, denn die Treppen waren abgenutzt und bröckelig. Das raue Klima hatte sie stark in Mitleidenschaft gezogen und es gab offenbar schon seit langer Zeit niemanden mehr, der die Schäden beseitigte. Von oben hatte das alles viel besser ausgesehen. Die Treppenabschnitte endeten auf breiten Terrassen, die sich die ganze Flanke des Berges entlangzogen, in dem das Tor zum Tunnel war. Immer wieder traf ich auf umgestürzte Statuen. Sie zeigten Elben und Dämonen in jeglicher Gestalt, dazwischen zusammengebrochene Steinbänke und zerborstene Brunnen. Ich brauchte eine Ewigkeit für den Abstieg über das Gewirr aus Treppen und Terrassen, doch endlich gelangte ich an den Fuß der ausgedehnten Anlage. Sie mündete in einen Hain aus Menhiren, die mindestens zehn Meter hoch waren. So Große hatte ich noch nie gesehen. Außerdem waren sie blankpoliert und schneeweiß. Sie zeigten keinerlei Spuren von Verwitterung und waren in einem perfekten Kreis von mindestens fünfzig Metern Durchmesser angeordnet, soweit ich das schätzen konnte. Ich drehte mich noch einmal um und blickte nach oben. Von hier unten sah die Treppenanlage spektakulär aus. Wie war das wohl gewesen, als alles noch intakt war. Es machte mich ein wenig traurig, aber auch auf der Erde gab es schließlich Ruinen aus Epochen, die längst schon vergangen waren. Meine Augen suchten nach dem Tor. Es war von hier unten nicht zu sehen, stellte ich verblüfft fest. Trotzdem hatte ich sofort das unangenehme Gefühl belauert zu werden. Rasch wandte ich mich wieder ab. Meine Phantasie ging wohl mit mir durch. Es war doch unmöglich, dass ich das immer noch spürte.

Zögernd betrat ich den steinernen Hain. Ich hatte ohnehin keine andere Wahl, denn es führte kein Weg darum herum. Gebannt blieb ich stehen. Der Boden des Hains war mit smaragdgrünen Steinplatten belegt, die den Kreis aus Menhiren vollständig ausfüllte. Kein Stäubchen lag darauf. Seltsame goldene Symbole waren in den Bodenbelag eingelassen, eine Art Schrift, die sich in einer Spirale nach innen wand, auf das Zentrum zu, in dem eine lebensgroße Elbenfrau stand, die linke Hand erhoben wie zum Gruß. In der Hand leuchtete das Zeichen der Eriny. Es sah genauso aus wie meines. Aufgeregt trat ich näher. Die Elbenfrau sah so echt aus, so lebendig, doch sie war aus Stein, wie alles andere auch. Ihre Augen waren aus hellgrünen Edelsteinen nachgebildet, die in den spärlichen Sonnenstrahlen glänzten. Sie war wunderschön und sie hatte spitze Ohren. Rotgoldenes Haar hing ihr in weichen Locken bis über den Rücken hinunter. Ihre Lippen waren geschlossen und sie blickte streng nach oben, in Richtung des Tores. Erstaunt stellte ich fest, dass sie eine Meerdrachenhose trug und eine Art Jacke, die in der Taille mit einem breiten Gürtel zusammengebunden war. Über der rechten Schulter trug sie einen Bogen und am Gürtel steckte ein Flammenschwert in einer mit Edelsteinen besetzten Scheide. Ihre Stiefel gingen ihr bis über die Knie hinauf. Sie sah aus wie eine Göttin der Jagd. Ihre rechte Hand lag auf einer steinernen Kugel, die von goldenen Netzlinien durchzogen war. Die Kugel schien ebenfalls aus einem Edelstein gefertigt zu sein. Sie war wie angerautes Glas und durchscheinend. Vielleicht Bergkristall, überlegte ich und berührte sie sanft mit den Fingern. Ein Glücksgefühl durchfuhr mich und mein ganzer Körper prickelte heftig. Durst- und Hungergefühl waren wie ausgelöscht. Es war, als hätte ich gerade ein Energiebad genommen. Überrascht trat ich zurück und sah mich erschrocken um, doch nichts hatte sich verändert. Mir ging es nur viel besser. Dieser Ort hier war wirklich seltsam.

Ein Windstoß brachte mich in die Gegenwart zurück. Drohende Wolkenberge, die sich über den Bergspitzen zu hohen Türmen aus Wasserdampf aufbauten, zeigten mir, dass ich nicht hierbleiben konnte. Es roch nach Schnee. Vielleicht fand ich in der Ruinenstadt einen Unterschlupf, aber eigentlich war mir bei dem Gedanken nicht besonders wohl. Auch wenn sich im Moment dort nichts regte, nachts war das bestimmt nicht mehr so. Entschlossen drehte ich mich um und verließ den seltsamen Hain mit der Göttinnennachbildung. Die einzige Straße führte kerzengerade auf die Stadt zu. Umgestürzte Steinsäulen lagen rechts und links von ihr, dazwischen verbrannte Baumstümpfe und wild verstreute zerbröckelte Mauerreste, die aussahen als hätte ein Riese mit der Faust auf den Boden geschlagen und sie zum Einsturz gebracht.

Es gab nichts, das mir Deckung geben konnte. Ich lief wie auf dem Präsentierteller und mit jedem Schritt den ich näher kam wurde mir klarer, dass die Häuser der Stadt und die trutzige Burg ebenfalls nur noch aus kläglichen Mauerresten bestanden, gewaltigen kläglichen Mauerresten wohlgemerkt. Wer immer hier einmal gewohnt hatte, war schon vor langer Zeit fortgegangen. Je näher ich kam, desto lauter konnte ich den Wind in dem Gewirr aus zerfallenden Mauern heulen hören. Ein frostiger Schauer kroch mein Rückgrat hinunter. Hier würde ich bestimmt keine Minute länger bleiben, als es sein musste. Dieser Ort hatte etwas Unheimliches an sich. Hoffentlich gab es einen Weg außen herum. Ich hatte nicht das Bedürfnis mitten durch die verfallene Stadt zu gehen, doch es blieb mir nicht erspart. Es gab keinen Weg außen herum, denn die Hochebene war so weit ich sehen konnte ein einziges Trümmerfeld, eingebettet zwischen hohen Bergen. Nur auf der anderen Seite konnte ich einen Einschnitt in einem Bergkamm erkennen, durch den ich tief unten das weite Land sehen konnte. Ich versuchte die Entfernung zu schätzen. Das waren gut und gerne zehn Kilometer bis dahin. Ziemlich weit, aber es schien der einzige Weg zu sein über den ich diesen verfluchten Ort verlassen konnte. Wenigstens fühlte ich mich nach dem seltsamen Energieschub stark genug, das zu bewältigen.

Ein wenig ängstlich schlich ich die einzige Straße entlang, die ich in diesem Trümmerfeld aus umgefallenen Wänden und eingestürzten Türmen finden konnte. Sie war leidlich begehbar. Ab und zu musste ich über ein paar Trümmerteile klettern, was mich viel Zeit kostete. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, aber verdeckt durch eine dichte Wolkendecke war es schwer die Uhrzeit einzuschätzen. Es war aber bestimmt schon Mittag, als ich das Zentrum der Ruinenstadt endlich erreichte.

Es überraschte mich nicht, dass es einen großen Platz gab über dem sich die Reste der trutzigen Burg erhoben. Die Burgruine selbst stand auf einer felsigen Erhebung. Die Fensterlücken in ihren Mauerresten starrten schwarz und unheimlich auf mich herunter. In der Mitte des Platzes stand eine große Statue auf einem Sockel. Es zeigte einen Elben auf einem Reittiger, der mich irgendwie an Fürst Ausonor erinnerte. Er hatte sein Schwert gezogen und hielt es theatralisch hoch. Unter den Füßen des Tigers befanden sich zertretene Menschenleiber. Das war gruselig und widerwärtig.

Ein rieselndes Geräusch mischte sich unter das Seufzen des Windes. Es kam von irgendwo aus dem Ruinenfeld. Unruhig sah ich mich um. Aber ich hatte das dumpfe Gefühl, dass ich nicht hier stehenbleiben sollte. Rasch überquerte ich den Platz, auf dem es nur wenige Trümmerteile gab und suchte nach einem Weg, der mich zu dem Einschnitt in der Gebirgskette bringen würde, doch ich fand nichts. Nachdem ich den Platz dreimal umrundet hatte, entdeckte ich einen schmalen Pfad, der zum Burghügel führte und dort zwischen den Felsen verschwand. Es war der einzige Weg, außer der Straße auf der ich hergekommen war. Mein Gefühl von hier verschwinden zu müssen, wurde dringender. Irgendetwas verfolgte mich. Ab und zu glaubte ich ein leises Hecheln zu hören, gefolgt von einem Scharren. Gab es hier etwa Wölfe? Nur nicht zu schnell laufen, befahl ich mir resolut. Ich wollte den Jagdinstinkt des Tieres nicht noch mehr reizen.

Der Pfad wurde immer unwegsamer und dann stand ich plötzlich an einer Steilwand, die mehrere hundert Meter senkrecht nach unten führte. Der Fußweg verschwand als schmales Band in engen Kehren in der Tiefe. Bei dem Anblick brach mir der Schweiß aus, aber ich konnte nicht mehr zurück, denn hinter mir tauchte eine Gruppe katzengroßer Wesen auf, deren Augen unheimlich leuchteten. Außer der Größe hatten sie nichts gemeinsam mit Katzen. Sie sahen eher aus wie Minischafe auf Pfoten und sie blökten auch wie welche. Es war ein hohes zirpendes Mäh, das sie pausenlos von sich gaben, wie ein Chor der eine etwas schräge Melodie zum Besten gab. Ängstlich sah ich ihnen entgegen. Ich konnte nicht ausweichen, denn auf der einen Seite ging es steil nach unten und auf der anderen, nach oben hin, war nur nackter Fels. Es gab kein Entkommen für mich. Der Gedanke diese Steilwand hinabsteigen zu müssen, brachte meine Zähne zum klappern. Vermutlich konnten diese Minischafe auch noch besser klettern als ich. Vielleicht konnte ich sie verscheuchen. Ich hob einen Stein auf und warf ihn nach ihnen. Die Tiere stoben in schrillen Tönen pfeifend auseinander und stürzten sich über die Steilkante auf den schmalen Pfad hinunter. In akrobatisch weiten Sprüngen verschwanden sie in der Tiefe. Verwundert sah ich ihnen hinterher. Das war ja leichter gegangen, als ich gedacht hatte. Doch hinter mir quiekte etwas laut und schmerzerfüllt. Ich wirbelte erschrocken herum. Nicht weit von mir hatte ein ziemlich großer Wolf eines der Tiere erlegt. Er hatte ein zotteliges, langes, hellblondes Fell, eine Wolfsschnauze mit kräftigen Reißzähnen, die jetzt rot von Blut waren und violette Augen, die zu mir herübersahen. Er knurrte warnend. Vermutlich wollte er seine Beute nicht mit mir teilen. Er konnte ja nicht wissen, dass ich an dem toten Schaf nicht im Mindesten interessiert war. Ein erneutes Grollen und ein kurzer Spurt in meine Richtung, zeigten deutlich, dass er mich von hier verjagen wollte. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich folgte den Schafen so gut ich konnte in die Tiefe hinunter.

Die Tochter der Eriny

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