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1. Kapitel

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„Endlich“, murmelte ich seufzend und widmete mich dem letzten Umzugskarton. Sorgfältig verstaute ich meine Lieblingsbücher in dem weißen Regal, das der vorherige Besitzer mir dagelassen hatte. So wie die vielen anderen Sachen in diesem Haus. Es war zu klein für eine Großfamilie, aber für mich alleine war sie viel zu groß. Aber genau das machte es für mich perfekt. Ich liebte die Weite und den Platz die das Haus her gab. Das bedeutete auch eine Menge Arbeit, aber ich war schon immer sehr fleißig gewesen. Das Haus stand schon eine ganze Weile leer und es hatte definitiv schon bessere Tage gesehen. Unkraut wucherte aus den angelegten Beeten im Vorgarten heraus. Nur eine kleine, vertrocknete Tomatenpflanze erinnerte noch an das Beet, was es vor einiger Zeit mal gewesen war. Der Zaun, den das Haus umgab, war teilweise zerstört und die braune Farbe verblasst und abgeblättert. Aber die Haustür sah auch nicht besser aus. Sie knarrte bei jedem öffnen und brauchte genauso dringend wie der Zaun einen neuen Anstrich. Zum Glück bestand die Fassade des Hauses aus dicken, grauen Steinen. Dadurch war sie gegen jeden tosenden Sturm, oder anderen Naturgewalten gut geschützt. Und was noch besser war - ich musste sie nicht streichen. Das Haus stand abseits von dem kleinen schottischen Ort und war ziemlich nahe an den Klippen gebaut. Ich brauchte noch nicht einmal eine Minute um zu dem Rand der Klippen zu gehen und in die tosenden Fluten herunter zu blicken. Der Ausblick war einfach atemberaubend. Und wenn der Wind einem dann das Haar zerzauste und der Klang der Wellen, wenn sie gegen die kalten Felsen klatschten. Man fühlte sich einfach frei und dieses Gefühl war mit keinem Geld der Welt zu bezahlen. Es störte mich nicht, über eine halbe Stunde mit dem Auto fahren zu müssen, um den Ort und auch meine Arbeit zu erreichen. Der Ausblick und das eigene Haus waren alle weiteren Anstrengungen wert. Ich sah aus dem Wohnzimmerfenster. Es gab zwei Wege vor meinem Haus. Der rechte Weg führte in Richtung des Dorfes, der andere Weg führte hinunter zum Strand, an den hohen Klippen vorbei. Der Pfad war an manchen Stellen steil, aber wenn es nicht regnete, war es kein Problem ihn hinab zu steigen. Ich nahm das letzte Buch aus dem Karton und stellte es vorsichtig neben die anderen. Dabei versuchte ich das Buch so hinzustellen, damit es nicht umfiel, oder die anderen zum umfallen brachte. Damit der klassische Dominoeffekt auf keinen Fall eintrat und meine ganze Mühe innerhalb von Sekunden zerstörte. Ich betrachtete mein Werk. Farblich geordnet und nach der dicke der Bücher geordnet. Ich lächelte. Perfekt. Danach klappte ich den Karton zusammen und stellte ihn in die Abstellkammer. Eigentlich hätte ich ihn entsorgen können, aber wer weiß, ob ich ihn nicht doch irgendwann einmal wieder gebrauchen konnte. Mein Blick schweifte über das Wohnzimmer. Es war noch ziemlich spartanisch eingerichtet. Die hellbraune Couch vom Vorbesitzer, daneben ein stehendes Regal mit einem Fernseher und das weiße Regal mit den Büchern. Keine Bilder, keine Pflanzen, kein Schnickschnack. Außer Bücher konnte ich nicht viel von zuhause mitnehmen. Und den Kleinkram den ich besessen hatte, hatte ich schon vor einer ganzen Weile entsorgt. Ich hatte mir diesbezüglich selbst eine Regel aufgestellt: Alles was länger als drei Jahre irgendwo herum liegt und nicht mehr angefasst wird, wird entsorgt. Und die großen Sachen die ich besessen hatte, konnte ich leider alle nicht mitnehmen. Deswegen war ich sehr dankbar, dass mir der Vorbesitzer das Nötigste netterweise dagelassen hatte. Vielleicht hätte ich mir das ein oder das andere irgendwann gerne selbst gekauft, wie die Couch zum Beispiel, das Bett, die Kücheneinrichtung, oder den rustikalen Schlafzimmerschrank. Aber der Umzug und das Haus hatten schon einiges von meinem Ersparten vernichtet und ich hätte momentan sowieso kein Geld für eine neue Küche oder eine teure Couch gehabt. Doch sobald ich mich hier richtig eingelebt habe, werde ich es dennoch nicht schaffen, Geld für eine Pflanze oder ein schönes Bild nicht auszugeben. Bei der Vorstellung wie viel schöner es hier drinnen wäre, musste ich einfach Grinsen. Eine Woche lang lebte ich jetzt schon in meinem neuen Heim. Meine Eltern waren nicht begeistert gewesen, dass ich von dem belebten London, meiner vertrauen Umgebung, nach Schottland, in ein unbekanntes nirgendwo zog, aber ich wollte schon immer das Meer und die Einsamkeit um mich herum haben. Ob meine Eltern das nun gut fanden, oder nicht hat für mich keine Rolle gespielt. Ich war jetzt 28 Jahre alt. Alt genug um das zu machen was ich wollte. Und mich zog es von dem Lärm, dem Stress und den vielen Menschen in London fort. Eigentlich hatte ich in London vorgehabt zu studieren, aber meine Noten haben dafür nicht gereicht. Also hatte ich dort eine Ausbildung als Verkäuferin in einem großen Modegeschäft angefangen. Die Arbeit war stressig gewesen, man musste den ganzen Tag nur stehen und man hatte überwiegend mit unfreundlichen Kunden zu tun. Das man als Verkäuferin auch noch so schlecht bezahlt wird, kam zu allem noch dazu. Bevor ich im Modegeschäft gekündigt hatte, hatte ich eine Zeit lang nach Wohnungen gesucht. Aber sie waren alle zu teuer für mich alleine gewesen. Dann führte mich meine Suche immer wieder von London fort und ich fand zufällig dieses Haus. Der Preis und die Lage lachten mich an und ich machte mich sofort auf den Weg dorthin. Nach einer Besichtigung, die ohne das endlose, lange Gequatsche des Maklers viel schneller vorbei gewesen wäre und unter seinem unangenehmen, aufgesetzten Lächeln, kaufte ich das Haus schließlich nach einigen Überlegungen. Es war noch gut in Schuss. Neue Leitungen wurden vom Vorbesitzer gezogen, Strom und Wasser waren also vorhanden. Gut, manchmal funktionierte das Internet und das Telefon nicht, aber das war kein Grund für mich nein zu sagen. Immerhin hatte ich ja auch noch mein Handy. Die Fenster schlossen alle und waren dicht. Der Ofen, der das Haus im Winter beheizte, funktionierte einwandfrei. Das Holz konnte ich unten im Ort kaufen das war ebenfalls kein Problem. Den Besitzer der das Holz verkaufte, hatte ich in der kleinen Bäckerei, als ich auf den Makler wartete, kennengelernt. Der Mann hieß Finn, war braungebrannt und seine dunkelblonden Haare hatte er nach hinten zu einem Zopf zusammengebunden. Er hatte mich damals freundlich gegrüßt und wir kamen ins Gespräch. Ich erzählte ihm von der Besichtigung. Er freute sich darüber, dass das Haus endlich einen neuen Besitzer erhielt. Aber auf der anderen Seite verzog er nachdenklich und auch ehrfürchtig das Gesicht. „Ach, bloß Geschichten“, sagte er als ich ihn darauf ansprach, ob irgendwas mit dem Haus nicht stimmte. „Der Besitzer zog aus nachdem seine Frau auf mysteriöse Weise gestorben ist. Er wurde verrückt und glaubte, ein Wesen aus dem Meer hätte sie sich geschnappt. Ihre Leiche wurde nie gefunden. Manche von uns glauben, dass er recht hatte. Andere dagegen denken, dass sie bloß ertrunken ist.“

Mich beschlich auf einmal ein beklemmendes Gefühl. Aber die junge Verkäuferin in der Bäckerei lächelte mich aufmunternd an, gab mir das bestellte Stück Kuchen und zwinkerte mir mit ihren hellbraunen Augen zu. „Mach dir keine Sorgen. Die meisten Dorfbewohner hier sind Abergläubisch. Das Haus steht schon seit zehn Jahren leer. Alle bösen Geister sind schon längst daraus verschwunden. Aber wenn dich die Geschichten von Schottland interessieren, dann frag doch mal bei Mrs. Malcolm nach. Ihr Laden ist zwei Häuser weiter. Aber pass auf, sie dreht dir haufenweise alte Sachen an die dich vor diesen Meerwesen, oder Geistern wie sie es hier alle nennen, schützen sollen. Ich finde, dass sie einem nur das Geld aus der Tasche zieht, aber überzeuge dich selbst.“

„Ach, ich heiße übrigens Caja“, fügte sie lachend hinzu und ihre roten Haare fielen dabei in alle Richtungen. Nach ihren Worten wollte ich tatsächlich bei Mrs. Malcolm vorbeischauen, weil ich dachte ich hätte noch genügend Zeit bis zur Hausbesichtigung, aber der Makler betrat in dem Moment die Bäckerei und ich hatte nur noch das Haus im Kopf. Das Kreischen einer Möwe tönte durch das offene Wohnzimmerfenster und ich wurde von meinen Gedanken abgelenkt. Ich blickte ihr so lange nach bis sie über meinem Haus verschwand und bewunderte abermals die satte, grüne Graslandschaft, die ich durch das große Wohnzimmerfenster betrachten konnte. Heute war Samstag und ich beschloss, Mrs. Malcolm zu besuchen, weil ich es die ganze Woche über nicht geschafft hatte. Ich interessierte mich für Geschichten und Legenden, aber ich war nicht abergläubisch und bei mir blieben sie das was sie waren. Geschichten. Auch wenn mir die ein oder andere einen Schauer über den Rücken jagte. Auch der Tod von der jungen Frau ließ mich nicht kalt, aber Unfälle passierten leider überall auf der Welt. Jeden Tag. Trotzdem war es einfach nur tragisch. Ich zog mir meine Jacke über und nahm den Auto und die Haustürschlüssel, die am selben Bund befestigt waren vom Haken neben der Haustür. Dann stapfte ich die vier Stufen des Hauses herunter, an den vertrockneten und bemitleidenswerten Beeten entlang und stieg mit hoch gezogenen Brauen über das Schräge, aus den Angeln hängende Zauntor hinweg. Darum musste ich mich unbedingt als nächstes kümmern. Ich öffnete die Tür des Wagens, hüpfte hinein, startete den Motor meines geliehenen Geländewagens und fuhr los. Die Kieselsteine und das Gras knirschten und ächzten unter der Gewalteinwirkung der Reifen. Ich betete das kein Stein zu spitz war und mir bei meinem schnellen Fahrstil ein Loch bescherte. Summend machte ich das Radio an und sang fröhlich ein Lied mit, dass zufälligerweise hervorragend zu meiner Stimmung passte. Als das Lied zu Ende war und ich keine Lust auf langweilige Nachrichten hatte, machte ich das Radio wieder aus. Meine Gedanken kreisten zu meinem neuen Job. Am Montag würde es wieder weitergehen. Die junge Frau Caja, die ich in der Bäckerei kennenlernte, hatte eine Schwester. Davina war ihr Name und sie suchte dringend jemanden der ihr in der Bibliothek half. Und da ich mich noch überhaupt nicht mit einem neuen Job beschäftigt hatte, sagte ich einfach ja. Ich liebte Bücher über alles und ich hatte gleich in der ersten Woche Gefallen an meiner Aufgabe gefunden. Es gab nicht so viel Geld wie ich gerne hätte, aber es würde für meine Belange ausreichen. Außerdem wurden in dem Ort immer helfende Hände gebraucht. Das hatte mir Davina am ersten Tag lachend erzählt. Ich verstand mich gut mit ihr und sie sah ganz anders als ihre Schwester aus. Ihre Haare waren schulterlang, blond, ihre Augen dunkelblau und wenn sie lachte, dann erschienen Grübchen in ihren Wangen. Ich stellte den Geländewagen zur Hälfte auf den Bürgersteig und sah gerade wie Davina und Finn die Straße hinunterliefen. Davina lachte und gab Finn einen Kuss. Als die beiden mich sahen, winkte sie mir freudig zu. „Hallo Moira!“ rief sie und rannte die Straße zu mir herüber. Finn sah ihr nach und lehnte sich lässig an sein schwarzes Auto. Er war hübsch, das musste ich zugeben und wie er seine Freundin ansah ließ mich Schmunzeln. Davina machte einfach die Tür des Geländewagens auf und umarmte mich. „Du glaubst es nicht! Dieser Mann bringt mich wahrlich um den Verstand. Seit nicht einmal einer Woche sind wir beide zusammen.“

Die Art wie sie mit mir sprach, musste einem Außenstehenden den Eindruck vermitteln, als würden wir schon seit Jahren befreundet sein. Und ich freute mich darüber, dass sie so gelassen mit mir redete. Man wird nicht immer so gut aufgenommen wenn man irgendwo neu ist. Aber alle Einwohner gingen hier ziemlich herzlich miteinander um. Das war mir schon am ersten Tag aufgefallen. Davina schaute sich im Spiegel prüfend an und zupfte ihre Haare zurecht. „Ich fasse es nicht, dass ich endlich mit ihm zusammen bin. Es hat Jahre gedauert, da hat er mich noch nicht einmal angesehen und...“

Plötzlich stand Finn neben der Autotür. „Hallo Moira. Na, erzählt sie schon wieder alte Geschichten die nicht stimmen?“

Davina streckte ihm die Zunge raus. „Kann man hier nicht einmal ein paar Mädchen Gespräche führen?“

Finn sah mich kurz an, dann erschien ein Grinsen auf seinem Gesicht. „Also eigentlich, kennt ihr beiden euch erst seit nicht mal einer Woche. Wie intensiv soll denn das Gespräch schon werden?“

Davina sah in gespielt böse an. „Ist da etwa jemand eifersüchtig?“

Finn verzog das Gesicht zu einem spöttischen Lächeln. „Nicht im geringsten. Aber wenn ich hier noch länger warten muss, dann werde ich dir meine andere Seite zeigen. Und die ist ziemlich böse.“

Davina fing an zu Lachen. „Ohh, da bin ich aber gespannt.“

Ihre Augen sahen Finn tadelnd an. „Und ich werde dir nachher schon noch Manieren beibringen, verlasse dich drauf.“

Dann wandte sie sich an mich und drückte mir eine Tüte in die Hand. „Hier, die sind für dich. Frisch gebacken von meiner lieben Schwester. Eigentlich wollte ich sie bei dir Zuhause vorbei bringen, aber da du jetzt hier bist, hat sich das ja erledigt.“

„Ach, das ist ja lieb von dir. Vielen Dank“, sagte ich lächelnd.

„Gern geschehen. Ich muss dann auch wieder weiter. Du siehst ja wie schwer es ihm fällt auf der Stelle stehen zu bleiben. Wir haben aber auch gerade ziemlich lange bei meiner Schwester gesessen. Bis Montag, Moira!“

Davina hüpfte aus dem Wagen und mit Finn an ihrer Seite liefen sie zu seinem Auto. Ich stieg kurz nach ihnen aus dem Geländewagen aus und betrachtete den Laden von Mrs. Malcolm. Von außen sah er vollkommen normal aus. Verschiedene Tierfiguren standen in Vitrinen aufgereiht und starrten einem aus bunten Glasaugen entgegen. Hob man aber den Kopf, sprang einem förmlich das Schild mit der Inschrift Mrs. Malcolms Antiquitäten entgegen. Bunt bemalt und kaum zu übersehen. Ich umfasste den goldenen Türknauf und öffnete langsam die Tür. Das Klingeln das sofort ertönte, kündigte meinen Besuch an. „Einen Moment, ich bin sofort bei ihnen!“, rief eine Frauenstimme von irgend- woher zu mir herüber. Die Tür schloss sich hinter mir und ich fand mich in einem großen Raum wieder, vollkommen zugepflastert, von vorne bis hinten mit allem möglichen Krempel. Alte Schränke, Tische, Teppiche, Wanduhren, Stühle - Es gab wahrlich nichts , was es nicht gab. Im ersten Moment stand ich nur staunend da. Vollkommen überfordert von dem geballten Haufen an Dingen die sich mir entgegen drückten und mir regelrecht die Luft zum Atmen nahmen. Unter all dem Krempel versuchte ich in dem Raum Dinge zu finden die es vielleicht nicht gab, aber meine Suche endete schnell in einem erstaunten: „Hier gibt`s echt alles.“ Eine schwarzhaarige Frau mit lila gefärbten Haarspitzen erschien unerwartet neben mir und sie fing an zu Lächeln als sie meinen Gesichtsausdruck sah. Aber es war ein Lächeln was nicht ihre Augen erreichte. Es war bloß aufgesetzt. Ohne jedwedes Gefühl von Herzlichkeit.

„Dieser Blick ist mir nicht neu. Aber ich kann in deinen Augen sehen, dass dir der Anblick meiner alten Waren gefällt.“

Ich musterte den prüfenden Blick ihrer dunkelbraunen Augen und hielt ihm lächelnd stand. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass du den selben Satz bei jedem Kunden sagst der den Laden betritt.“

Sie fing an zu Schmunzeln, dann lachte sie. „Du hast mich ertappt. Ich bin Amber, oder besser gesagt Mrs. Malcolms. Freut mich ein neues Gesicht zu sehen.“

„Freut mich auch dich kennenzulernen. Ich bin Moira, aber bestimmt hat sich mein Name schon herumgesprochen. Der Name Mrs. Malcoms...noch eine raffinierte Kunden Idee?“

Amber betrachtete mich einige Sekunden lang, dann fing sie wieder an zu Lächeln und diesmal war es ein richtiges. Eines das ihre Augen erstrahlen ließ. „So jemand hübsches und aufmerksames wie dich, könnte ich gut in meinem Laden gebrauchen. Ich habe noch so viele alte Sachen die unbedingt in das Lager geräumt werden müssten und wieder neue die ich aufzeichnen muss. Du siehst ja wie unordentlich es hier drinnen aussieht. Hast du Lust mir zu helfen? Ich bezahle dich auch dafür.“

Ihr Blick sah mich so flehend an, dass ich nicht anders konnte als ja zu sagen. „Das würde ich liebend gerne, jedoch bin ich zurzeit bei Davina in der Bibliothek beschäftigt. Aber sie ist Montags und Freitags nie lange geöffnet, dann könnte ich mal zu dir rüber kommen. Oder am Wochenende.“

„So, so Davina hat also endlich jemanden gefunden der sich ihren alten Büchern widmet. Das finde ich gut. Ich besuche auch immer wieder gerne die Bibliothek. Danke das du nicht nein gesagt hast, Moira.“

„Ich helfe immer gerne“, erwiderte ich.

Amber strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Suchst du eigentlich irgendetwas bestimmtes? Oder hat dich Davinas Schwester zu mir geschickt, damit ich meine alten Geschichten erzähle und ihrer Meinung nach nur Schrott verkaufe?“

„Ja, sie hat mich hierher geschickt. Aber ich mache mir immer gerne selbst ein Bild von Menschen die ich nicht kenne.“

Amber nickte zustimmend. „Das macht dich sofort sympathisch. Komm mal mit“, sagte sie und ich folgte ihr durch die Berge von Antiquitäten. Sorgsam passte ich auf, keine Porzellan Katzen umzuwerfen, oder an einer Tischecke hängen zu bleiben. Sie steuerte auf eine Art Theke zu, auf der eine Kasse stand und vielerlei Arten von Armbändern und silbernen Ketten mit Symbolen aufgereiht an einem Regal hingen. Fast hätte ich die Vase aus Glas auf dem Boden übersehen und wich gerade noch geschickt mit einer Drehung aus, bevor sie auf dem Boden zerschellte. Amber bog links um die Ecke der Theke und als sich die Antiquitäten lichteten, gab der Raum den Blick auf einen gemütlichen Sitzplatz mit zwei roten Sesseln und einem Tisch frei. Es war die einzige Ecke die man als aufgeräumt bezeichnen konnte. „Setz dich“, sagte sie und nahm ebenfalls Platz. Ich tat was sie sagte und der Sessel war wunderbar weich und bequemer als jeder Sessel auf dem ich je gesessen hatte.

„Das ist der absolute Wahnsinn“, staunte ich und betrachtete die roten Lehnen.

Amber nickte zustimmend. „Die werde ich niemals verkaufen, es sind einfach die besten Sessel weit und breit.“

„Das würde ich dir auch nicht raten“, erwiderte ich und strich über das Leder.

Als ich aufsah, schaute sie mich an. „Egal was dir Caja auch erzählt haben mag, ich drehe den Leuten keine Waren an die sie nicht haben wollen. Ich erzähle meine Geschichte wenn andere sie hören wollen. Und wenn jemand weiter fragt, dann erzähle ich ihnen andere Geschichten über meine Schätze und was sie einem bringen. Die Ketten da drüben zum Beispiel, sie sollen einem Glück bringen. Ich habe sie selber schon einmal ausprobiert und im großen und ganzen haben sie auch etwas gebracht. Entweder man glaubt daran oder eben nicht. Aber die Geschichte über die Meergeister, sie sind wahr Moira. Sie leben am Meer und sie werden Each Uisge genannt. Sie treten entweder in der Gestalt eines Pferdes auf, oder eines schönen Mannes um Frauen zu verführen und in den Tod zu locken. Sicherlich bereitet es ihnen Freude uns zu töten, aber wir dienen ihnen als Nahrung.“

Sie ließ ihre Worte einen Moment lang sacken und ehe ich mir darüber genauere Gedanken machen konnte, fuhr sie fort.

„Ich habe gehört, dass du in das Haus bei den Klippen gezogen bist. Du hast bestimmt schon mitbekommen, das dort vor einigen Jahren eine Frau vermisst wurde die mit ihrem Ehemann in diesem Haus gelebt hat. Man hat schon länger nichts mehr von verschwundenen Menschen gehört aber ich bin mir sicher, dass dort oben immer noch ein Each Uisge sein Unwesen treibt. Ich will dir keine Angst machen, aber sei einfach vorsichtig, wenn du einem fremden Mann begegnest. Und schüttle ihm nicht die Hand. Ein Each Uisge in Pferdegestalt bindet dich an sich fest, mit irgendeiner Substanz, wenn du dich einmal auf seinen Rücken geschwungen hast. Auch wenn du sie berührst. Also nehme ich mal an, dass das bei einem Each Uisge in Menschengestalt dasselbe sein wird.“

Ihre Worte sorgten dafür das mir ein Schauer über den Rücken lief, als ob mir jemand von hinten mit einer eiskalten Hand in den Nacken fasste. Aber ich riss mich zusammen. Bloß Geschichten, sagte ich zu mir. Nichts weiter.

„Und wie schaffe ich es, dass er mich nicht in seinen Bann zieht? Bestimmt hat er die Fähigkeit dazu.“

Amber zuckte leicht mit den Schultern und sie machte ein zerknirschtes Gesicht. „Lass dich einfach nicht verführen und halte dich wenn möglich vom Wasser fern. Etwas anderes kann ich dir nicht raten, es sei denn du willst dein Haus wieder verkaufen.“

„Auf keinen Fall!“, zischte ich. „Und vielleicht ist er gar nicht mehr da.“

„Das kann ich nur hoffen“, sagte sie ernst. „Aber...ich habe da vielleicht noch etwas.“

Sie stand von ihrem Sessel auf, nahm eines der Medaillons von dem Regal und drückte es mir in die Hand.

„Häng das an deine Haustür. Das sollte sie draußen halten. Die Symbole darauf sollen für Schutz sorgen.“

„Möchtest du mir da etwa einen Klunker andrehen? Wie viel kostet er?“, fragte ich sie und ich musste dabei Lachen.

Amber warf mir einen beleidigenden Blick zu. „Es ist ein Geschenk von mir. Du musst mir dafür nichts geben.“

„Entschuldigung“, murmelte ich. „Das war nicht so gemeint.“

„Ist schon gut“, sagte sie und fing selber an zu Lachen. „Vielleicht drehe ich doch dem ein oder anderen was an.“

In dem selben Moment betrat ein Mann den Laden und schaute sich nach allen Seiten um. „Ah, einer meiner Stammkunden. Der will bestimmt wieder etwas ganz besonderes. War nett mit dir geplaudert zu haben, Moira.“

„Wenn du morgen Zeit hast, dann kann ich dir schon mal beim ausräumen helfen“, sagte ich schnell.

Amber nickte mir zu. „Das wäre schön. Komm doch Morgen früh einfach vorbei. Und pass bloß auf dich auf.“

Hüte dich vor den Stimmen des Meeres

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