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2. Kapitel

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Ich schloss die Haustür auf und sah dem nahenden Sonnenuntergang zu. Wie gerne würde ich jetzt ans Meer hinunter gehen. Doch Ambers Worte hielten mich zurück. Ich schüttelte den Kopf. So wie es aussah, hatten ihre Worte doch mehr Wirkung gezeigt als ich dachte. Ich holte einen Hammer und einen Nagel und rammte ihn in die Holztür. Das Medaillon baumelte kurz daran herum und ich musste mit einer Hand danach greifen, damit es still dalag. Amber hatte es mir extra geschenkt, wäre doch schade es nicht zu nutzen. Plötzlich hatte ich das Gefühl beobachtet zu werden und drehte mich um. Langsam ließ ich meinen Blick über die Graslandschaft schweifen, danach hinüber zu den Klippen. Aber es war niemand zu sehen. Trotzdem bekam ich wieder eine Gänsehaut. Ich runzelte die Stirn. Vielleicht hätte ich mir Ambers Geschichte doch nicht anhören sollen. Reiß dich zusammen, ermahnte ich mich. Bisher haben dir so Geschichten auch nichts ausgemacht. Wahrscheinlich berührte es mich einfach deswegen mehr, weil ich hier alleine war. Kopfschüttelnd ging ich wieder ins Haus. In der Nacht träumte ich von einem Each Uisge, welches in Gestalt eines Pferdes auftauchte und aus dem Meer empor stieg. Es schüttelte seine von Algen durchzogene Mähne und das Stampfen seiner Hufe auf Wasser und Sand hallte noch in meinen Ohren nach, als ich aufwachte. Immer noch halb träumend und das Getrampel der Hufe im Ohr, ging ich ins Badezimmer und schüttete mir erst einmal eine Ladung eiskaltes Wasser ins Gesicht. Endlich war das Huf Geräusch in meinen Ohren verschwunden. Ich schüttelte mich. Was für ein Traum. So real und unwirklich zugleich. Und trotzdem war das Pferd wunderschön gewesen. Es hatte gestrahlt wie der Sonnenuntergang von gestern. „Was ich immer für eine lebende Fantasie habe“ , grummelte ich vor mich hin und betrachtete meine schneeweißen, lockigen Haare und meine grünen Augen im Spiegel. Meine Oma sagte damals immer zu mir, wenn ich im Meer schwimmen gehen und man nur meinen Kopf aus dem Wasser sehen würde, dass man mich mit einer Sirene verwechseln könnte. Bis heute konnte mir niemand sagen warum meine Haare so weiß waren. Aber ich fand sie genau so perfekt wie sie waren. Auch wenn ich mit ihnen immer wieder auffiel. Ich band sie zu einem Pferdeschwanz zusammen und zog mir eine Kappe über den Kopf. Dann verließ ich das Haus. Die Fahrt ging schneller vorbei als ich gedacht hatte und schon stand ich vor Ambers Laden. Bevor ich die Tür aufmachen konnte, hatte sie sie schon für mich geöffnet.

„Hast du aus dem Fenster geschaut wann ich endlich komme?“, begrüßte ich sie.

„Nicht ganz. Ich habe einfach die Autotür gehört“, antwortete sie lachend.

„Wie hast du eigentlich gestern geschlafen?“, fragte sie.

„Ich habe von deinen Geschichten geträumt“, erwiderte ich. „Und beobachtet habe ich mich auch gefühlt, vielen Dank auch.“

„Oh, das tut mir leid“, sagte sie zerknirscht. „Ich hätte wissen sollen, dass du dich so fühlst, vor allem da du da oben ganz alleine bist.“

„Ich schaffe das schon“, sagte ich und zwang mich zu einem Lächeln. „Ein gruseliges Monster wird mir wenigstens nicht begegnen.“

„Aber ein wunderschöner, tot bringender Mann ist auch nicht gerade so berauschend.“

„Aber ja, du hast recht“, fügte sie schnell hinzu als sie meinen bösen Blick sah.

„Hast du schon etwas vorbereitet?“, fragte ich und wechselte das Thema, damit nicht ein betretenes Schweigen eintrat.

„Natürlich. Ich habe schon damit angefangen, ein paar Umzugskartons auseinander zu falten. Packe einfach alle kleinen Vasen und Figuren die du findest in die Kisten. Am besten nach Material und Tieren geordnet. Schreibe am Ende bitte noch darauf, was du in die Kisten gepackt hast.“

Sie drückte mir einen schwarzen Edding in die Hand und ich schnappte mir einen von den fünf Kartons die sie schon auseinander gefaltet hatte. Ich fing zuerst mit den Vasen aus Marmor an.

„Wenn die Kartons voll sind, dann stelle sie einfach irgendwo hin wo sie nicht im Weg stehen. Nachher tragen wir sie dann ins Lager!“, rief sie mir von der anderen Seit des Ladens aus zu. Nach fünfzehn Minuten hatte ich bereits drei volle Kisten mit weißen Marmor Vasen eingepackt. Danach schnappte ich mir eine neue Kiste und machte mit den Vasen aus buntem Glas und Blümchen weiter. Als auch diese Kiste voll war, widmete ich mich den Holzfiguren. Bauernhoftiere packte ich zusammen, sowie Tiere die in den Wald gehörten und beschriftete sie. Zwischendurch warf mir Amber eine Flasche zu trinken zu und stellte mir eine Tüte mit frisch belegten Brötchen hin. Nach einer Weile rief ich: „Alle Tiere unterschiedlichster Materialien sind verstaut, auch die kleinen Vasen sind eingepackt!“

„Ich bin auch fertig!“, rief sie zurück. „Bringe deine Kisten nach vorne zur Theke. Die Tür dahinter führt zum Lager.“

Da die Kisten viel zu schwer waren um sie übereinander zu stapeln, musste ich sie einzeln dorthin tragen. Ich betrachtete die fünfzehn voll bepackten Kisten und stieß einen Seufzer aus, als ich Ambers Kisten sah, die sogar noch fünf Kisten mehr als ich hatte. Amber sah meinen Blick und grinste.

„Keine Sorge, meine Kisten sind nicht so schwer wie deine.“

„Wir kriegen das hin“, meinte ich und machte mir damit selber Mut. Eine Kiste nach der anderen trugen wir in das Lager hinein. Zu meinem Erstaunen war es hier drinnen besser geordnet als im Laden selbst. Die einzelnen Stücke waren mit Folie überzogen worden und das Lager war bestimmt dreimal so groß wie der Laden. Das hatte ich nicht erwartet.

„Was hast du eigentlich mit den Kisten vor? Hoffentlich kommen sie nicht in den Müll.“

Amber schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall. Ich habe schon Käufer dafür gefunden. Sie müssen sie nur noch abholen. Und dann habe ich hier drinnen endlich mal wieder Platz und Geld für neue Dinge.“

Als ich die letzte Kiste unter eines der aus Stahl bestehenden Regale schob, fiel mir etwas ins Auge. Es sah aus wie ein Griff.

„Wegen der Bezahlung, soll ich dir schon mal einen Vorschuss geben?“, fragte Amber, doch ich hörte ihr nicht richtig zu. Langsam trat ich auf das Regal zu und schob die locker darauf gelegte Folie beiseite. Darunter kam ein Schwert hervor. Es war an manchen Stellen eingestaubt. Der Griff des Schwertes war mit Leder umwickelt und mit goldenen Bändern überzogen. Der Schwertknauf war ebenfalls aus Gold, genauso wie die Symbole die auf der silbernen Klinge eingraviert waren.

„Es ist wunderschön“, flüsterte ich ehrfürchtig und strich über die goldenen Symbole.

„Das ist es. Und trotzdem will es niemand kaufen.“

Ich drehte mich zu Amber um. „Warum nicht? Ist der Preis etwa zu teuer?“

Amber schüttelte den Kopf. „Nein. Es ist die Legende die das Schwert prägt und warum die Klinge niemand haben will.“

Amber fing meinen Blick auf. „Es ist wahr. Ich habe das Schwert schon einmal ins Internet gestellt. Irgendjemand hat behauptet, auf ihm liege irgendein Fluch und wenn man es anfasst, dass er auf einen übergeht. Und plötzlich wollte es niemand mehr kaufen. Aber ich habe die Klinge bereits berührt und nichts dergleichen gespürt. Es hat mir auch noch nie Pech eingebracht.“

„Von was handelt diese Legende?“, fragte ich und meine Hand berührte immer noch den Knauf des Schwertes. Ich fühlte nur das kalte Metall. Doch plötzlich strömte mir der Geruch des Meeres in die Nase. Oder bildete ich ihn mir nur ein?

„Sie handelt davon, dass der Besitzer dieses Schwertes einmal ein Each Uisge mit dieser Klinge umgebracht haben soll. Doch in seinen letzten Atemzügen, verwandelte sich das Each Uisge vor den Augen des Mannes in eine wunderschöne Frau. Sie trieb den Mann mit ihrer Stimme in den Tod. Er folgte ihrem Ruf in die Wellen des Meeres. Das Schwert fiel aus seiner Hand und verschwand. Irgendwann habe ich es einem anderen Händler abgekauft. Mehr beinhaltet die Geschichte nicht. Aber anscheinend ist für die Menschen da draußen alles ein Fluch. Aber das es tatsächlich diese Klinge ist von der die Legende erzählt, dafür gibt es keine Beweise. Außerdem ist es schwer vorstellbar, dass man ein Each Uisge einfach so töten kann. Dafür bräuchte man eine ebenbürtige Magie. Ich glaube ja an vieles, aber das Schwert kann noch nicht einmal leuchten. Und ganz gewiss besitzt es keine Art von Magie.“

Ich strich noch einmal über den Griff des Schwertes. Allein schon die Symbole machten es besonders und es sah übernatürlich aus. Als passte es nicht in diese Welt. Welch ein Schmied konnte so eine Klinge formen? Es war nahezu unmöglich. Ich blickte die Klinge einige Zeit lang an und ich hatte das Gefühl, als würde sie mir Schutz und Kraft geben. Doch das Gefühl war sanft, flüchtig. Unaufdringlich. Es ging kein Zwang von ihm aus. Keine Art von Gefühlen die einen in ihren Bann zogen. Es lag einfach da. Einsam in diesem Lager und schon vor langer Zeit von niemandem mehr richtig in die Hand genommen worden. Es war wie ein Schutzschild der all meine Gedanken von den Meerwesen fort fegte. Vielleicht besaß es doch eine Art von Magie.

„Das klingt jetzt vollkommen bescheuert, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich mich mit diesem Schwert an meiner Seite besser fühlen würde. Es strahlt etwas aus, das ich nicht erklären kann.“

Amber musterte mich einen Moment lang, dann zuckte sie mit den Schultern. „Ich habe so etwas ähnliches schon einmal gefühlt. Das Gefühl von Schutz und Frieden.“

Sie zog ein rundes Amulett aus ihrem Shirt hervor. „Das hat mich gleich in seinen Bann gezogen und seitdem ich es trage, fühle ich mich so frei wie nie zuvor. Ich glaube manche Dinge haben einfach eine besondere Art von Magie an sich in der man sich wohl fühlt. Auch an besonderen Orten fühlt man sich als ob man fliegen könnte. Wie in einer anderen Welt. Wenn du das Schwert haben möchtest, dann kannst du es kaufen. Es wird sowieso nur weiter hier ein stauben.“

„Wie viel willst du dafür?“, fragte ich und zog es aus dem Regal. Es lag leichter in meiner Hand als ich gedacht habe. Gut ausbalanciert. Wobei nein das stimmte nicht. Nicht gut...es war perfekt . Perfekt in seinem ganzen Erscheinungsbild - Es war fast schon unheimlich.

„Ehrlich gesagt, ist es aus einem mir unbekannten Material gefertigt worden. Das Gold daran ist nur überzogen.“

„Aber trotzdem hat es einen gewissen Wert. Wie wäre es, wenn du mir kein Geld für meine Hilfe gibst und ich stattdessen das Schwert bekomme?“

„In Ordnung. Und du bist dir auch wirklich sicher, dass du es haben möchtest? Mit richtigem Geld könntest du mehr anfangen...“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Ich finde es braucht dringend einen Ort an den es hingehört. Ich kann es nicht mit ansehen wie es hier vor sich hin staubt.“

Amber seufzte. „Da bin ich aber froh, dass das Schwert wenigstens jetzt ein neues Zuhause gefunden hat. Aber sieh dich nur mal in diesem Lager um. Vieles wartet noch auf einen neuen Besitzer.“

„Die werden wir auch noch finden, da bin ich mir sicher“, entgegnete ich aufmunternd und drehte das Schwert kurz in meinen Händen. Dann ließ ich es zu Boden sinken.

„Hier“, meinte Amber und hielt mir eine Schwertscheide hin. „Es ist besser wenn du sie benutzt. Die Klinge ist nach all den Jahren immer noch scharf, nicht dass du dich verletzt.“

Dankend nahm ich sie entgegen.

Mittlerweile warf die Sonne ihre letzten Strahlen an den Geländewagen und ich sah während der Fahrt nach Hause hinüber zum Strand. Eine Gestalt stand dort, bis zu den Waden im Wasser versunken. Von der Größe her würde ich sagen dass es ein Mann sein musste. Plötzlich drehte er den Kopf ruckartig in meine Richtung, so als hätte er bemerkt das ich ihn beobachtete. Unsere Blicke kreuzten sich. Mein ganzer Körper verspannte sich und begann zu kribbeln. Es war als würde er mir über die große Entfernung hinweg direkt in die Augen sehen. Ein Lichtstrahl traf mich unvorbereitet und bevor ich von der Straße abkam, trat ich hart auf die Bremse. Schlitternd kam der Wagen zum stehen. Als ich meinen Blick wieder auf den Strand richtete, sah mich der Mann immer noch an. Er drehte sich jetzt mit seinem ganzen Körper zu mir um und stieg langsam aus dem Wasser. Es war so hypnotisierend ihm bei seinen fließenden Bewegungen zuzusehen, dass ich mich mit aller Macht von ihm losreißen musste. Schließlich gelang es mir und ich startete den Motor, der mir gerade beim ruckartigen Bremsen ausgegangen war und fuhr los. Abrupt hielt der Mann in seinen Bewegungen inne und erstarrte. Ich konnte sehen wie er das Gesicht verzog. Zumindest glaubte ich das er das tat. War es Überraschung die sich gerade in seinem Gesicht abzeichnete? Oder eher Enttäuschung? Es wirkte fast so als würde ihm nicht gefallen was er da sah. Doch was war es? Etwa ich? Bin ich etwa gerade sein Ziel gewesen? Ist der Mann etwa ein Each Uisge? Unsinn, dachte ich. Wie aus heiterem Himmel erfasste mich erneut ein Sonnenstrahl und als ich wieder freies Sichtfeld hatte war der Mann fort. Das einzige was er zurückließ, waren frische Fußspuren im Sand die sich im Meer verloren.

Hüte dich vor den Stimmen des Meeres

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