Читать книгу Der Glockenturm - Lukas Kohn - Страница 3

1.

Оглавление

Mein Name ist Sophia. Ich habe Flügel. Ich kam mit ihnen zur Welt.

Sie nennen es einen genetischen Defekt, meine Eltern nannten es ein Wunder.

Dass ich etwas Besonderes bin, lernte ich früh, schon im Kindergarten fürchteten sich die anderen Kinder vor mir. So blieb ich stets allein, ohne Freunde oder Geschwister. War allein mit meinen Flügeln, himmelblau mit weißen Adern und im Dunkeln erhellten sie die Nacht. Wann immer da kein Licht war, begannen sie zu leuchten.

Ich wurde älter und meine Flügel wuchsen mit mir. Schon bald kam ich in die Schule. Ich lernte die Flügel zu bewegen, doch das Fliegen lernte ich nicht.

„Du Vogel.“, sagten die anderen Kinder zu mir.

Ich wollte dann immer gern davon fliegen, waren die Flügel doch nur zusätzlicher Ballast.

In der Schule war ich gut, nur in Sport hatte ich Probleme.

„Sie wiegen 15 Kilo.“, sagte der Arzt. „Die Flügel meine ich.“

Damals war ich zehn Jahre alt.

Heute wiegen sie 35 Kilogramm und noch immer empfinde ich sie als Last auf meinem Rücken. Ich kann meinen BMI nicht errechnen, die Leute sagen ich sei schlank, doch die Waage zeigt etwas anderes. Ich wiege 96 Kilogramm, bei einer Größe von 1,62m. Für eine Frau meiner Größe ist das starkes Übergewicht, doch sind eigentlich die Flügel der Ursprung meiner Komplexe.

Natürlich habe ich schon allerhand Cremes ausprobiert um die Schmerzen, die ich vorgab zu haben, zu lindern. Man hat versucht die Flügel mit Salzwasserspritzen zu veröden, oder auch sie zu vereisen. Nichts half.

Doch immerhin habe ich zwischenzeitlich Freunde gefunden.

Constantin hatte zwar keinen genetischen Defekt, aber eine genau so traurige Geschichte als er zu uns in die 9. Klasse kam.

In der 8. Klasse war Constantin ein BMX-Rider gewesen und hatte in den Wiesen einer Parallelstraße unseres Vorortes mit einem Freund zwei turmhohe Hügel errichtet, wobei einer zum Anlauf und der andere Hügel als Schanze fungierte.

Ein Fußgänger der immer über jene Wiesen gegangen war, ging aus Interesse auf den scharfkantigen Hügel und zwar genau dann als Constantin anfuhr.

Der Fußgänger und Constantin erreichten die Spitze des Hügels gleichzeitig. Als Constantin ihn sah, verlor er das Gleichgewicht und stürzte fünf Meter in die Tiefe.

Trotz einem Helm und Schutzausrüstung ist Constantin nun von der Hüfte ab gelähmt.

Weil in der 9. Klasse das Alles so neu für ihn war, fand Constantin nur schwer Freunde. Ich glaubte ihm helfen zu können und sagte zu ihm:

„Nimm es nicht so schwer.“

Er lächelte und sagte:

„Immerhin wurde ich nicht so geboren.“

Ich verzieh ihm das was mich beleidigte und wir freundeten uns an.

Zu meinem 14. Geburtstag war Constantin als einziger Gast eingeladen. Er schenkte mir sein altes Fahrrad und sagte:

„Vielleicht lernst du ja fliegen, wenn du stürzt.“

Meine Mutter fand das nicht nett. Doch ich verstand Constantin. Jungs waren selten nett, warum sollte gerade er es sein?

Wir wurden älter und zogen um den tristen grauen Wohnblock in dem ich lebe. Ich schob Constantin über den harten Asphalt, der ihn einst so verletzte. Wir lebten im gleichen Stadtteil, einer Plattenbausiedlung deren Ruf von Kriminalität strotzt und sich über die ganze Stadt erstreckt. Doch davon bekamen wir nur wenig mit. Wenn man offensichtlich behindert ist, werden einem keine Drogen angeboten und die wenigsten glauben dass sich ein Raubzug lohnt. Dabei waren meine Eltern sehr reich für diese Gegend. Mein Vater ist Ingenieur bei den Stadtwerken und meine Mutter Heilerziehungspflegerin. Bevor ich geboren wurde war sie Goldschmiedin, aber sie hat sich umgeschult. Wahrscheinlich aus Liebe zu mir, meine Mutter war stets sehr besorgt.

Einmal hatte ich mein Pausenbrot vergessen. Meine Mutter hatte es mir in die Schule gebracht und sich dann versteckt um zu beobachten, wie es mir in der Schule ergeht. Ich weiß das weil ich sie gesehen habe, zwischen den Büschen, ich habe einen scharfen Blick.

Meinen Vater hingegen sehe ich selten, er ist meist auf der Arbeit oder abends vor dem Fernseher. Er beschafft das Geld für unsere Familie und redet nicht viel. Von ihm habe ich die himmelblauen Augen und von meiner Mutter die blonden Haare.

Mein Vater hat kohlrabenschwarze Haare. Black and White könnte man also sagen, tatsächlich ergeben die Beiden aber eher so einen Grauton, der mich in meiner Zeit bei ihnen begleitete. Monotones Grau des Plattenbaus, langweilige Tage zwischen Schule, Hausaufgaben und Spaziergängen mit Constantin.

Das Alles sollte sich mit einem Tag ändern.

Der Glockenturm

Подняться наверх