Читать книгу PERSEUS Wolkental - Manfred Rehor - Страница 9

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6. Kapitel

Susan hatte den Eindruck, als würde es hier zwei völlig voneinander unabhängige Wettersysteme geben. Über dem idyllischen Tal schien die Sonne, ein schwacher Wind trieb weiße Wolken dahin. An den Rändern des Tals jedoch, wo Steilwände mehrere Hundert Meter hinauf auf eine Hochebene führten, begann ein ganz anderes Wetter. Dunkle Wolken lagen darüber, aber sie endeten genau an der Grenze zum Tal.

Zwischen den beiden Wettersystemen gab es mindestens einen Kilometer Höhenunterschied. Susan hatte davon in einer Broschüre gelesen. Darin hatte man Wolkental als Urlaubsplaneten und gleichzeitig als Wunder modernster Terraformung dargestellt. Es wurden enorme Energiemengen benötigt, um das Wetter in den Tälern konstant zu halten. Erst recht bei denjenigen, die ein besonderes Klima, wie tropisch oder arktisch, aufwiesen. Ansonsten hatte aber in der Broschüre nichts über die Hochebenen gestanden, obwohl die mehr als neunzig Prozent der Fläche aller Kontinente bedeckten.

Die Auflistung der unzähligen Attraktionen für Touristen auf dem Planeten war so überwältigend gewesen, dass vermutlich niemandem das Fehlen von Informationen über dieses riesige, nicht von Menschen genutzte Gebiet auffiel. Deshalb sah Susan nun Margret überrascht an, als die mit so viel Hass in der Stimme darüber sprach. Als würde sie diese düstere Landschaft persönlich für den Tod ihres Mannes verantwortlich machen.

„Was hat es mit den Hochebenen auf sich?“, fragte Susan und hoffte, keine alten Wunden aufzureißen.

„Jonathan hat sich immer für sie interessiert. Einfach, weil sie da sind. Aber in den Wochen vor seinem Tod hatte sich das zur Manie gesteigert. Die Stelle, an der man ihn gefunden hat, ist die Grenze zwischen den Weinterrassen und der Steilwand, die nach oben führt. Dieser Übergang zur Hochebene ist überall durch im Fels verankerte Sperren abgesichert. Mehrere Absperrungen hintereinander, um genau zu sein.“

„Um Besucher der Täler davon abzuhalten, hinaufzuklettern?“, fragte Susan. „Oder um etwas Gefährliches daran zu hindern, nach unten zu gelangen?“

„Ersteres. Man will unter allen Umständen vermeiden, dass ein Tourist sich dort oben in Gefahr begibt. Es würde der Company ganz schlechte Presse einbringen, falls jemand ums Leben kommt. Diese Sperren sind eigentlich unüberwindbar. Zusätzlich hat jede von ihnen eine direkte Verbindung zur Sicherheitszentrale der Company.“

Susan hob die Hand, um Margrets Redefluss zu unterbrechen. „Du sagtest, die Sperren seien eigentlich unüberwindbar. Warum diese Einschränkung?“

„Jonathan war der Meinung, dass es Durchgänge geben muss. Man kann nicht auf die Hochebene fliegen. Alle Fluggeräte auf Wolkental sind unveränderbar so programmiert, dass sie die Grenze nicht passieren können. Aber Jonathan hat sich umgehört. Menschen haben sich immer gerne mit ihm unterhalten, und das hat er ausgenutzt. Er hat mir erzählt, dass manche Mitarbeiter der Company ziemlich viel über die Landschaft dort oben zu wissen scheinen. Also muss es einen Weg hinauf geben.“

„Klingt logisch. Er hat nach einer Möglichkeit gesucht, um sich selbst einmal auf den Hochebenen umzusehen?“

„Ich vermute es. Er war recht eigensinnig, wenn er sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte.“

Die drei Frauen schwiegen eine Weile. Dann fragte Susan: „Als was hat er hier gearbeitet?“

„Vater hat zwar gerne in der Landwirtschaft ausgeholfen, aber angestellt war er als Frachtmanager“, antwortete Ari. „Er war für den Transport all der Versorgungsgüter zuständig, die von anderen Welten nach Wolkental geliefert werden. Es wird ja fast nichts hier produziert. Deshalb wird alles, was die Angestellten der Company und die Touristen benötigen, durch interstellare Frachter hierher gebracht.“

„Einige wenige der landwirtschaftlichen Produkte, die wir hier erzeugen, werden auch exportiert“, ergänzte Margret. „Aber das ist nicht gewinnbringend. Die Company unterstützt diese Exporte, weil sie sich davon Werbung erhofft. Wein vom Urlaubsplaneten Wolkental, verkauft in einem Präsentkorb, in dem auch ein kleiner Bildband über die Täler liegt. Das lockt Leute her. Ebenso unser völlig natürlich erzeugtes Fleisch, das auf Industrieplaneten hohe Preise erzielt. Dazu auch noch einige haltbare Obstsorten und Honig. Aber die Fracht, die den Planeten verlässt, ist mengenmäßig kaum ein Hundertstel von dem, was hier angeliefert wird. Oder wurde, denn das ist ja nun alles vorbei.“

„Wer wickelt diesen Frachtverkehr ab?“

„Alle regelmäßigen Lieferungen kommen mit Schiffen der großen, interstellaren Logistikfirmen“, erklärte Margret. „Besondere Luxuswaren liefern aber die Trader, die auf eigene Kosten unterwegs sind. Die nehmen auch unsere Produkte mit, weil sie flexibler als die Konzerne agieren können, was ihre Flugrouten angeht.“

„Interessant“, sagte Susan, doch sie war abgelenkt. Etwas bewegte sich am Horizont. „Was ist das dort hinten?“, fragte sie und deutete schräg in den Himmel.

„Ein Pegasus!“, rief Margret. „Besser, wir gehen ins Haus. Ich bin heute nicht in der Stimmung, fremden Besuch zu empfangen.“

Sie räumten zu dritt das Geschirr weg, während Ari erklärte, was es mit den geflügelten Roboterpferden auf sich hatte. Dann beobachteten sie durch die Fenster, wie drei Reiter über das Tal flogen. Sie waren zu weit entfernt, um die Personen erkennen zu können.

„Es scheint doch noch einige Gäste in den Hotels zu geben“, sagte Margret. „Die Angestellten der Company benutzen Gleiter, wenn sie irgendwo hinfliegen müssen.“

„Vielleicht Katastrophentouristen, die jetzt erst angekommen sind.“

„Oder unsere Freunde, Brendan und Koumeran.“ Ari erzählte ihrer Mutter, was es mit den beiden auf sich hatte. „Bitte behalte das unbedingt für dich“, schloss sie. „Wir sind alle vier hier, um herauszufinden, warum die H’Ruun Wolkental verschont haben. Ich nutze als Vorwand den ersten Urlaub seit einem Jahr, um dich mit meiner Freundin Susan zu besuchen. Brendan spielt einen reichen Erben, der mit seinem Piloten, Koumeran, aus Langweile interessante Planeten besucht.“

„Vermutlich haben die H’Ruun eingesehen, dass es sinnlos ist, einen Urlaubsplaneten anzugreifen.“

„Hätte sich Wolkental irgendwie schützen können?“, fragte Susan.

„Nein. Es gibt keine Verteidigungsanlagen in den Tälern oder in den Wolken, mit denen man einen Angriff aus dem Weltraum abwehren könnte“, sagte Margret. „Außerdem ist hier nichts zu holen, was für eine fremde Rasse interessant wäre. Wenn die H’Ruun nicht aus anderen Gründen wieder davongeflogen sind, dann kann die Ursache nur auf den Hochebenen zu finden sein.“

„Stimmt die Geschichte mit den gefährlichen Tieren, die dort leben sollen?“, fragte Susan.

„Das weiß niemand. Jedenfalls keiner von uns gewöhnlichen Angestellten der Company.“

„Ich habe mich auch für die Hochebene interessiert, als ich ein Kind war“, sagte Ari. „Man hat uns in der Schule schreckliche Geschichten erzählt über das, was dort oben ist. Blutrünstige Monster und Schlangen mit tödlichem Gift und fliegende Bestien. Aber als ich älter wurde, hat mich das eher neugierig gemacht als abgeschreckt.“

„Auch darin ähnelst du deinem Vater“, meinte Margret mit einem traurigen Lächeln. „Den hat die Gefahr manchmal geradezu angelockt. Weißt du noch, wie er einmal einfach Urlaub genommen hat, um mit einem der Trader mehrere Planeten anzufliegen? Ohne überhaupt zu wissen, wohin das betreffende Frachtschiff unterwegs war. Nur aus reiner Abenteuerlust.“

„Ja. Als er zurückkam, hat er sich eine Zeit lang ziemlich seltsam benommen.“

Margret seufzte. „Das Fernweh hatte ihn angesteckt. Ich glaube, er hätte am liebsten die gute Stellung hier aufgegeben, um wie ein Trader von Welt zu Welt zu fliegen.“

„Wann war denn das?“, fragte Susan.

„Ein halbes Jahr vor seinem Tod.“

Ari sah durch die Fenster nach oben. „Die fliegenden Pferde sind jetzt weg. Wir können wieder hinaus.“

„Ich habe Lust, mich ein wenig zu bewegen“, sagte Susan. „Wie wäre es, wenn ihr mir die Weinterrassen und die Steilwand zur Hochebene zeigt?“

Margret schien nicht begeistert von der Idee, Ari dagegen schon. Zu dritt machten sie sich auf den Weg. Es war eine lange Wanderung durch die schöne Landschaft des Tales, die sie zum Schluss auf vielen kleinen Stufen zwischen den Weinstöcken hindurch nach oben führte.

Zwei Stunden, nachdem sie losgegangen waren, standen sie auf der obersten Terrasse. Sie sahen nicht ins Tal hinunter, sondern die fast senkrechte Wand hoch, die auch ohne die mehrfach gestaffelten Sperren unbezwingbar schien.

„Dort drüben hat man meinen Vater tot aufgefunden“, sagte Ari. Sie zeigte auf eine Stelle kaum zwanzig Meter entfernt.

Susan schaute dorthin. Als sie von oben ein rumpelndes Geräusch hörte, war sie einen Moment irritiert. Dann fiel etwas auf sie und sie verlor das Bewusstsein.

Ein Mann in einem weißen Kittel und ein anderer in einem eleganten Anzug standen bei Susan, als sie wieder zu sich kam.

„Bleiben Sie bitte liegen“, sagte der Arzt. „Die Medikamente, die wir Ihnen gegeben haben, benötigen noch einige Minuten, bis sie voll wirken.“

„Medikamente?“ Susan überlegte, wo sie sich befand und wo sie eigentlich sein sollte. Das Tal fiel ihr wieder ein, die Wanderung und die Steilwand bei den Weinterrassen. Dann erinnerte sie sich auch an Ari und deren Mutter.

„Wir haben Ihnen Schmerzmittel und Regeneratoren injiziert. Sie sind nicht schwer verletzt, keine Sorge. Wir bekommen das schnell wieder hin.“

„Was ist geschehen?“

„Es war ein Steinschlag. Sie haben zu nahe an der Felswand zur Hochebene gestanden und sind getroffen worden. Das zweite Opfer ist leider schwerer verletzt. Aber es besteht keine Lebensgefahr.“

„Wer ist es?“

Der Mann im Anzug antwortete: „Eine unserer Angestellten, Margret Bold. Wir werden ihr selbstverständlich ebenfalls die beste medizinische Versorgung zuteilwerden lassen. Was Sie betrifft, so biete ich Ihnen als eine Art Wiedergutmachung an, Ihren restlichen Aufenthalt auf Wolkental in unserem besten Hotel zu verbringen. Auf unsere Kosten versteht sich.“ Sein Tonfall war geschäftsmäßig, von Mitleid war darin keine Spur.

„Danke“, sagte Susan, „ich bleibe lieber bei meinen Freunden.“

„Ich verstehe. Aber Sie sollten sich das noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Oh, ich vergaß, mich vorzustellen. Sven Peterson ist mein Name, ich bin CEO der Wolkental, Inc. Ich hörte, Sie seien zu Besuch bei Margret Bold?“

„Richtig, ich habe Ari begleitet. Arianna Bold, die Tochter von Margret. Sie wollte ihre Mutter wiedersehen und hat mich mitgenommen. Ist Arianna nichts passiert?“

„War sie etwa auch in der Nähe der Steilwand?“

„Ja, mit uns zusammen.“ Susan versuchte, sich aufzurichten, als sie Petersons überraschten Gesichtsausdruck sah. Es gelang ihr nicht, die Schmerzen waren noch zu stark.

„Sie war aber nicht mehr dort, als die Rettungskräfte eintrafen“, sagte Peterson. „Es wurden nur zwei Verletzte gemeldet.“

„Vielleicht ist sie verschüttet worden.“ Schreckliche Bilder stiegen in Susans Fantasie auf.

Doch Peterson schüttelte den Kopf. „Die Unglücksstelle wurde bereits weitgehend geräumt. Es gab kein drittes Opfer - zum Glück. Wir haben auch das ganze Tal durchsucht für den Fall, dass eine verletzte Person dort umherirrt. So etwas kommt vor, wenn man nach einem Unfall unter Schock davonrennt.“

„Aber wo ist Ari dann?“

Peterson zuckte mit den Schultern. „Ich kann Ihnen leider nur sagen, wo sie nicht ist: in dem Tal, in dem wir Margret Bold und Sie gefunden haben.“

PERSEUS Wolkental

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